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Bolzano pur: Die wesentlichen Unterscheidungen

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Part of the book series: Phaenomenologica ((PHAE,volume 139))

Zusammenfassung

Es mag auf den ersten Blick verwundern, daß Husserl ausgerechnet aus den ersten beiden Bänden der Bolzanoschen ‘Wissenschaftslehre’ (=: WL) entscheidende Anregungen für seine Phänomenologie der logischen Erlebnisse empfangen haben will. Denn schaut man sich die rohe Gliederung dieser Bände an, so findet man alles andere, nur keinen Abschnitt, der etwas Aufschlußreiches über Erlebnisse verhieße. Sie zerfallen in die beiden Abteilungen ‘Fundamentallehre’ und ‘Elementar lehre’. Die Fundamentallehre setzt sich wiederum aus zwei Stücken zusammen, deren erstes ‘Von Daseyn der Wahrheiten’ und deren zweites ‘Von der Erkenntniß der Wahrheit’ betitelt ist. Die Elementarlehre besteht aus den vier Hauptstücken ‘Von den Vorstellungen an sich’, ‘Von den Sätzen an sich’, ‘Von den wahren Sätzen’ und ‘Von den Schlüssen’. Zumindest hinter den Titeln ‘Wahrheiten’, ‘Sätze’ und ‘Sätze an sich’ wird man auf den ersten Blick kaum etwas Psychisches oder psychologisch Relevantes vermuten; und auch nicht hinter dem Titel ‘Vorstellung an sich’, wenn man etwa zum Zwecke einer ersten Orientierung einen Blick in den die Elementarlehre einleitenden §46 wirft und dort liest, daß “jeder Satz [an sich] aus gewissen, noch einfacheren Theilen, nämlich aus bloßen Vorstellungen [an sich] bestehet” (§46, S.213). Unter Vorstellungen an sich scheint Bolzano hiernach einfach gewisse Satzbausteine zu verstehen, nicht aber Vorstellungen im landläufigen, (alltags-) psychologischen Sinne.

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Literature

  1. Sofern nicht anders vermerkt, beziehen sich sämtliche Paragraphen- und Seitenangaben in diesem Kapitel auf die von W.Schulz herausgegebene Ausgabe der WL aus den Jahren 1929, 1930 u. 1931, bei der es sich um einen Nachdruck der erstmals im Jahre 1837 erschienenen WL handelt.

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  2. Bolzano 1838; vgl. insbes. 1.Abschnitt, S.21–68.

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  3. Vgl. WL, §143, S.67: “Ich verstehe … unter den psychischen Erscheinungen überhaupt Wirkungen, die eine Seele (irgend ein einfaches Wesen als solches) hervorbringt” (2. und 3. Hervorhebung von mir).

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  4. Vgl. R. Chisholm, Bolzano on the Simplicity of the Soul. In: W.Gombocz (Hrsg.), Festschrift f. R. Haller. Wien 1989; S.81.

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  5. Heidegger und Textor bezeichnen Bolzanos logische bzw. sprachlogische Theorie geradezu als “Satzlehre” oder “Propositionalismus”: Heidegger 1927, S.218 (Fußn.); Textor 1993.

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  6. Vgl. die in Kapitel 1 erwähnte Husserlsche Metapher vom “grammatischen Gewände” der logischen Gegenstände (LU II,S.4).

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  7. Bolzano bekennt, daß er eine schulgemäße Definition alias “eigentliche Erklärung” des Satzbegriffs (“d.h.die Angabe der Bestandtheile. aus denen er zusammengesetzt ist”) vorzulegen nicht imstande sei (§23, S.91). Für das Konzept einer eigentlichen Begriffserklärung vgl. unten, Abschnitt 2.2.2.

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  8. Damit ist — jedenfalls prima facie — ein scharfer Kontrast hergestellt zur existenzialontologischen Wahrheitskonzeption Heideggers, den ich hier in entstellender Weise zitiert habe: Heidegger 1927, §44c, S.226. — Bolzanos Konzeption ist auch alles andere als eine epistemische: vgl. Künne 1992.

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  9. Vgl. §285, S.76, wo Bolzano behauptet, daß ein sprachlicher Satz “zunächst nicht den Satz an sich, sondern nur eine Vorstellung von ihm” ausdrückt.

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  10. Dähnhardt 1992, S.70–74.

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  11. Unter “Seyn” alias “Daseyn” alias “Existenz” versteht Bolzano (raumzeitliche) Wirklichkeit. Mehr dazu in 2.2.1.

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  12. Vgl. etwa §48, S.217f sowie den ganzen §285.

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  13. Bolzano bezeichnet die Vorstellung an sich [Caius] (wie alle Vorstellungen an der A-Stelle eines Satzes an sich) als “die dem Satze zugehörige Gegenstands- oder Subjektvorstellung, auch [als] seine Unterlage”. Die Vorstellung [Klugheit] heißt ihm dagegen (wie alle Vorstellungen an der b-Stelle) “die in [dem betr. Satz] vorkommende Beschaffenheits- oder Prädikatvorstellung, auch [der] Aussagetheil”. Die Vorstellung an sich [hat] schließlich nennt er “den Bindetheil oder die Copula des Satzes” (§126, S.9).

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  14. Mit etwas anderer Pointe findet sich dieses Exempel bei Künne 1983, S.266f.

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  15. Vgl. Künne 1983, S. 178: “Der Ausdruck ‘a’ ist genau dann ein präsentierender singulärer Term, wenn gilt: niemand kann zu Recht glauben, was er mit dem Satz ‘…a…’ sagt, ohne zu wissen, welches der durch ‘a’ bezeichnete Gegenstand ist.” Ich habe in meiner Definition von [präsentierender singulärer Terminus] — anders als Künne — nicht auf den Begriff einer wahren Überzeugung {…a…} rekurriert, muß aber dafür tiefer Luft holen und von der Kenntnis des tatsächlichen oder bloß prätendierten Gegenstandsbezzugs einer präsentierenden Bezeichnung sprechen.

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  16. Künne 1986 (Eigennamen), S.72. Ich weise nachdrücklich darauf hin, daß es in der vorstehenden Argumentation um propositionales Verstehen geht. Was dagegen das konzeptuelle Verstehen betrifft, so werden wir in Abschnitt 2.2.2 sehen, daß Bolzanos Analysekonzeption von der Voraussetzung lebt, daß man einen Begriff sehr wohl denken kann, ohne zu wissen, aus welchen unmittelbaren Komponenten er besteht.

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  17. In §124 versichert Bolzano gar, daß jede Instanz des Schemas [Der Inbegriff der Sätze A und B ist ein Inbegriff] die Sätze A und B enthält (§124, S.7). Dieser Behauptung wird man indes (vor dem Hintergrund der gerade vorgetragenen Argumentation) wohl nur dann zustimmen können, wenn man ‘A’ und ‘B’ für Satznominalisierungen reserviert; denn anscheinend kann man den Aussagesatz ‘Der Inbegriff der Sätze von Bolzano- Weierstraß und von Pythagoras ist ein Inbegriff für wahr halten (und also a fortiori verstehen), und gleichwohl etwa den Satz des Pythagoras mit einer kosmologischen Aussage über die Harmonie der Weltsphären verwechseln.

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  18. Bolzano nennt exemplarisch eine Vorstellung an sich, die sich (man muß wohl ergänzen: unter einer passenden Beschreibung) auf “[d]ie Anzahl der Weinbeeren” bezieht, “welche im… vergangenen Sommer auf Italiens Boden gereift”: §48, S.218.

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  19. In §48, S.217 schreibt Bolzano, daß jede Vorstellung an sich “als ein gewisses Etwas” “bestehet”. vergleicht. Reservieren wir zu diesem Zweck den Terminus ‘Bericht’ für einen Sprechakt, in dem jemand aufrichtig das Bestehen eines Sachverhaltes behauptet, in den er selbst als Erlebnissubjekt involviert ist. Wenn jemand mit (6) einen Bericht macht, dann berichtet er über ein Wahrnehmungsurteil: Weil ich etwas Bestimmtes höre, urteile (bzw. glaube) ich, daß sich ein Auto nähert; äußert hingegen jemand (7) ‘mit berichtender Kraft’, so berichtet er über eine schlichte (nominale) Wahrnehmung, — eine Wahrnehmung zwar, ohne die er ein solches Wahrnehmungsurteil nicht fällen könnte. — Bolzanos Kautel “sofern es nur keine Urtheile oder Behauptungen sind” verbietet es nun, ein ‘Hören’ im Sinne eines Wahrnehmungsurteils (i.e. ein propositionales oder epistemisches Hören71) als subjek-

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  20. In §35 klassifiziert Bolzano Wahrnehmungsurteile, also propositionale oder epistemische Perzeptionen, als ‘Wahr’nehmungen im eigentlichen Sinne des Wortes: “Soll man von Jemand sa-Forts.v.S.73 gen, daß er die Rose, die vor ihm steht, [sc. visuell] wahrgenommen habe; so muß er das Urtheil: Ich sehe eine Rose, gefällt haben” (§35,S.160). Ich gebrauche ‘wahrnehmen’ hier in einem weiteren Sinne, der auch perzeptive Vorstellungen umfaßt.

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  21. Eine ähnliche Überlegung findet sich in C.J. Ducasses Auseinandersetzung mit Moores Sinnesdaten-Theorie: Schilpp 1966, S.232f.

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  22. Eine (subjektive) Anschauung ist — in erster Annäherung gesprochen — eine subjektive Vorstellung, deren Gegenstand ein gegenwärtiges immanentes Erlebnis (z.B. eine aktuelle Farbempfindung) ist: vgl. §72,S.326; §278.

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  23. Vgl. Morscher 1972, S.71f.

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  24. Vgl. Platon, Sophistes, 247 d-e.

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  25. Vgl. Reinach 1989, S.578. Ähnlich Künne in 1983, S.56.

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  26. Vgl. H. Putnam 1979, S.429–440, insbes. S.431ff. Übers, in Bieri 1981, S.123–135; vgl. dort insbes. S.125ff.

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  27. Vgl. etwa §270, S.6; §278, S.23.

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  28. Vgl. §21, S.84; §51, S.224; §91.

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  29. Vgl. §91, S.430

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  30. Vgl. §89, inbes. S.417.

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  31. Hiernach wäre etwa die Länge einer Linie als eine Summe zu klassifizieren. Als Exempel für ein Ganzes, das nur die Bedingung (a), nicht aber (b) erfüllt, nennt Bolzano einen “Geldhaufen” (§84, S.400).

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  32. Vgl. §92, S.434: Je mehr Teile zwei Vorstellungen miteinander gemein haben, und “je mehre dieser Theile in beiden Vorstellungen auch in derselben Ordnung aufeinander folgen”, desto Forts.v.S.108 höher ist der Grad ihrer Verwandtschaft.

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  33. Vgl. §96, S.445: Die Begriffe [ein gleichseitiges Dreieck] und [ein gleichwinkliges Dreieck] sind für Bolzano lediglich “gleichgeltende oder Wechselvorstellungen”, d.h. sie sind bloß umfangsgleich.

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  34. Vgl. §96, S.446.

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  35. Eine Ausnahme bildet vielleicht Herbart, den Bolzano mit den Worten zitiert: “In der Logik ist es nothwendig, alles Psychologische zu ignorieren” (§51, S.227).

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  36. So urteilt auch Morscher in 1972, S.69.

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  37. Vgl. §49, S.220 und den ganzen §67 (“Es gibt auch gegenstandlose Vorstellungen”).

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  38. Dabei ist allerdings zu beachten, daß einige Vorstellungen unendlich viele Gegenstände haben — etwa die Vorstellung {Linie} (vgl.§66, S.298f). Hat eine subjektive Vorstellung {i} unendlich viele Gegenstände, so hat auch ihr Stoff [i] unendlich viele Gegenstände, und zwar dieselben wie {i}, und umgekehrt.

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  39. Vgl.etwa §55, S.241f.

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  40. Bolzano zufolge sind Umfänge deswegen Beschaffenheiten, weil sie in einem prägnanten Sinne ‘gehabt’ werden. Worin genau dieser Sinn von ‘haben’ besteht, verrät Bolzano leider nicht.

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  41. Auch dann, wenn man unter einem Menschen nur einen menschlichen Zeitgenossen o.dgl. versteht, drückt man mit ‘Mensch’ eine Vorstellung an sich aus, deren Umfang unveränderlich ist; denn es gibt einen, und nur einen Inbegriff aller Menschen, die gerade jetzt (sagen wir: im Jahre 1994) leben.

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  42. Vgl. §19, S.78.

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  43. In §58 legt Bolzano dieses Prinzip z.B. dem folgenden Argument zugrunde: “… [E]ine Vorstellung an sich ist… nichts Wirkliches; und somit können wir auch von ihren Theilen nicht sagen, weder daß sie zu gleicher Zeit nebeneinander bestehen, noch daß sie in verschiedenen Zeiten einander nachfolgen” (§58, S.256). (Die zweite nicht ausgesprochene Prämisse des hier vorliegenden Arguments scheint mir das Wirklichkeitskriterium (Wl) zu sein.)

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  44. Vgl. §291, S. 109.

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  45. Ich bin also — contra Dähnhardt — nicht der Meinung, daß es “eine Lücke in Bolzanos Theorie des bloßen Denkens eines Satzes” gibt (Dähnhardt 1992, S.63). Bolzano kann den deskriptiven Unterschied zwischen dem identifizierenden Denken an einen Satz und dem denkenden Erwägen eines Satzes (dem Denken eines Satzes) einfach damit erklären, daß die der letzteren Vorstellung zugrundeliegende Vorstellung an sich — im Gegensatz zum Stoff der ersteren — einen Satz an sich enthält.

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  46. Dähnhardt 1992, S.43 im Anschluß an Morscher 1973, S.53, Fußn.71. Dähnhardt weist darauf hin, daß das Begriffsduo ‘determinierend’/‘modifizierend’ von Brentano und Marty eingeführt wurde. Es findet sich übrigens auch bei Brentanos Schüler K. Twardowski an prominenter Stelle: Twardowski 1894,S.12u.f.

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  47. Vgl. §26, S.116f sowie §36.

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  48. Mit einem ‘reflexiven Urteil’ ist hier ein Urteil der Form {der Stoff dieses <REFLEXIV> Urteils hat b} gemeint.

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  49. Entsprechend muß (T2) auf nicht-reflexive subjektive Vorstellungen relativiert werden. (Unter einer ‘reflexiven subjektiven Vorstellung’ verstehe ich hier eine subjektive Vorstellung der Form {der Stoff dieser <REFLEXIV> Vorstellung}.)

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  50. Mit Lotzes großer ‘Logik’ beschäftigte sich Husserl vor allem zu Beginn der 1890er Jahre: Schuhmann 1977, S.26.

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© 1996 Kluwer Academic Publishers

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Beyer, C. (1996). Bolzano pur: Die wesentlichen Unterscheidungen. In: Von Bolzano zu Husserl. Phaenomenologica, vol 139. Springer, Dordrecht. https://doi.org/10.1007/978-94-009-1691-3_3

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