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Praxisbezogene Wissenschaft zwischen Kriminalpädagogik, sozialer Therapie und Delinquenzprophylaxe

  • Chapter
Sozialpädagogik und Strafrechtspflege
  • 258 Accesses

Zusammenfassung

Obwohl der Strafvollzug, einschließlich dem Jugendstrafvollzug, zeitüberdauernd nahezu die gleichen Gebrechen aufweist, haben sich die Konzepte im Umgang mit dem Straffälligen erheblich gewandelt. Vokabeln, Begriffe und Zielvorstellungen, die noch vor etwa 30 Jahren beachtliche Attraktivität entfalteten, wurden alsbald angefochten, sind mitunter in Vergessenheit geraten oder durch Alternativkonzepte ersetzt worden. Die einst als Fortschritt gepriesene “sozialpädagogische Wendung des Strafrechts”1 hat an Überzeugungskraft verloren. Selbst die Humanisierung der Strafen findet keinen uneingeschränkten Beifall mehr2. Der Politik wird überdies vorgeworfen, daß ihr “die Visionen für die Weiterentwicklung des Strafvollzugs abhanden gekommen” seien3. Wissenschaftliches Schrifttum, Tagungsmaterialien und Kommissionsberichte spiegeln die Veränderungen wider. In Leben und Werk des Vollzugspraktikers und Erziehungswissenschaftlers Max Busch brechen sich diese Strömungen. Die nähere Betrachtung der Ansätze in den fünfziger Jahren läßt alsbald erkennen, daß das “neue Beginnen” nach dem Zusammenbruch 1945 vorwiegend in der Anknüpfung an Ideen der Weimarer Zeit und des westlichen Auslandes bestand. Dabei wurde erwartungsgemäß und als Reaktion auf die menschenverachtende Behandlung der Straffälligen im “Dritten Reich”4 der Pädagogik besondere Beachtung geschenkt.

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Anmerkungen

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  32. von Ortmann, R.: Zur Evaluation der Sozialtherapie — Ergebnisse einer experimentellen Längsschnittstudie zu Justizvollzugsanstalten des Landes Nordrhein-Westfalen. Vortrag anläßlich der Fachbeirats- und Kuratoriumssitzung des MPI Freiburg am 18.2.1994, (erscheint in ZStW 106[1994]), die Probanden in sozialtherapeutischen Anstalten generell von den vergleichbaren Probanden des Regelvollzuges nicht durch eine bessere Legalbewährung zu unterscheiden. Stellt man jedoch auf jene Behandelten ab, die im Gegensatz zur Gruppe der Abbrecher, mit mindestens 30 Monaten mehr als doppelt so lange therapiert worden sind, so verändern sich die Relationen erheblich, insb. bei der späteren Sozialbewährung. Im übrigen hat die Vergleichsuntersuchung gezeigt, in welch beachtlichem Umfang auch die Probanden des Regelvollzuges an Vollzugslockerungen wie Urlaub und Behandlungsmaßnahmen teilhaben, so daß sich die Behandlungsunterschiede weitgehend auf Häufigkeit und Intensität der therapeutischen Angebote reduzieren. Freilich alle vergleichende Effizienzbetrachtung nutzt nichts und jegliche Erfolgskontrolle fallt ins Leere, wenn es an behandlungsgeeigneten Probanden mangelt sowie entsprechende Einrichtungen des Strafvollzuges wie z.B. in Hessen nicht ausgelastet sind; siehe Abschlußbericht der Expertenkommission (Fn.3), 20.

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Kaiser, G. (1995). Praxisbezogene Wissenschaft zwischen Kriminalpädagogik, sozialer Therapie und Delinquenzprophylaxe. In: Häußling, J.M., Reindl, R. (eds) Sozialpädagogik und Strafrechtspflege. Schriftenreihe für Delinquenzpädagogik und Rechtserziehung. Centaurus Verlag & Media, Herbolzheim. https://doi.org/10.1007/978-3-86226-468-1_10

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