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Zeit in der individuellen Lebensorientierung von Japanern

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Zeitvorstellungen in Japan
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Auszug

Unter 1.4.3 wurden bereits die theoretischen und methodologischen Voraussetzungen der Arbeit erörtert. Neben den Methoden der Begriffsgeschichte und Diskursanalyse, wie sie in den Kapiteln 1.2 und 1.3 sowie im Teil II zur Anwendung kamen, wird in diesem letzten Teil auf die Methode des narrativen biographischen Interviews zurückgegriffen.200 Das von Fritz Schütze begründete „narrative Interview“201 wird jedoch in der vorliegenden Arbeit nicht im strengen Sinne Schützes angewendet, weshalb im folgenden eher von lebensgeschichtlichen Erzählungen oder Alltagserzählungen die Rede sein soll. Diese narrativen Konstruktionen werden in Anlehnung an Schütze als sogenannte Stegreiferzählungen verstanden, da eine allgemein formulierte Eingangsfrage den Interviewpartner zum spontanen und selbstbestimmten Erzählen animieren soll. Erst im Anschluß an die Stegreiferzählung folgt ein gezieltes Nachfragen von seiten des Interviewenden. Daß diese ideale Zweiteilung des Interviews nicht immer eingehalten werden konnte, wird noch zu erörtern sein.

Als Vorläufer des narrativen Interviews gilt die biographische Methode, wie sie erstmals in den USA in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts von W. I. Thomas und F. Znaniecki verwendet wurde. Aufgegriffen wurde sie anschließend vor allem von der Chicago School, einer Forschungsrichtung innerhalb der US-amerikanischen Soziologie. Die Lebensgeschichten wurden jedoch lange Zeit vornehmlich zur instrumentellen Datengewinnung herangezogen. Bereits in den 30er Jahren traten die biographischen Verfahren unter der Dominanz der quantitativen Forschung wieder in den Hintergrund. Eine Erklärung dafür liegt sicher auch im zeit- und arbeitsintensiven Charakter der Methode selbst begründet. In Deutschland fand die biographische Methode erst nach dem Zweiten Weltkrieg Verbreitung. In den 60er Jahren haben Soziologen den Lebenslauf als soziales Phänomen entdeckt, und seit den 70er Jahren kann von einer eigenständigen qualitativen Biographie- und Lebenslaufforschung gesprochen werden. An dieser Stelle sei auch die Oral History erwähnt, die mit lebensgeschichtlichen Erzählungen arbeitet, ohne jedoch den Begriff des „narrativen Interviews“ zu gebrauchen (vgl. hierzu Niethammer 1985). Von der Verwendung narrativer Interviews in der Politikwissenschaft ist mir nichts bekannt.

Zur Methode des „narrativen Interviews “vgl. Schütze 1976; Schütze 1984; Flick 1991: 182–185. Im Unterschied zur Methode des narrativen Interviews nach Fritz Schütze werden in der vorliegenden Studie nicht nur die erzählenden Passagen des Interviews analysiert, sondern auch die argumentativen und beschreibenden Teile berücksichtigt. Von einer Homologie zwischen Erfahrung und Erzählung — ein Vorwurf, der Schütze häufig gemacht wurde — wird nicht ausgegangen (ausführlicher zu dieser Kritik vgl. Nassehi 1994: 54ff.). Lebensgeschichten sind vielmehr gegenwartsbezogen, d.h. Vergangenes wird stets im Licht der Gegenwart rekonstruiert. Dies impliziert jedoch nicht, daß zwischen Ereignis, Erlebnis und Erzählung getrennt wird und damit eine Unterscheidung zwischen objektiv Stattgefundenem und subjektiv Erlebtem und Gedeuteten getroffen wird. Vielmehr kann mit Gabriele Rosenthal wie folgt argumentiert werden: „Man macht sich dann also nicht nur auf die Suche nach dem vormals Erlebten, sondern nach den Ereignissen selbst, die, gereinigt vom Subjektiven, die Weihen der Objektivität erhalten. Was sich damals ereignet hat, soll hier und heute erforscht werden, und nicht, was damals erlebt wurde, und schon gar nicht, wie es heute im Nachhinein erzählt und heute gesehen wird. Doch gibt es die Reichspogromnacht ohne das Erleben? Oder anders formuliert: Können wir die Judenverfolgungen überhaupt anhand der Fakten, anhand der äußeren Umstände, ohne das Erleben verstehen und erklären? Dies würde ja bedeuten, es gebe doch ein Ereignis ohne ein Erlebnis. Dagegen kann eingewandt werden, daß das Ereignis der Reichspogromnacht erst durch das aus dem Erleben dieses Ereignisses resultierenden Handeln von Deutschen, Christen und Juden zu dem wurde, was es war “(Rosenthal 1994: 130).

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Sonja Gabbani-Hedman

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© 2006 Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden

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(2006). Zeit in der individuellen Lebensorientierung von Japanern. In: Gabbani-Hedman, S. (eds) Zeitvorstellungen in Japan. DUV. https://doi.org/10.1007/978-3-8350-9651-6_4

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