Auszug
Die theoretisch-konzeptionellen Grundlagen der Organisationsaufstellung (OA) beruhen im Wesentlichen auf drei theoretischen Ansätzen: Dem Konstruktivismus, der Phänomenologie und dem Systemischen Denken bzw. der Systemtheorie. Alle drei Ansätze sind gleichzeitig die epistemologischen Grundlagen dieser wissenschaftlichen Arbeit, wie bereits im vorigen Abschnitt ausgeführt. Dieser Abschnitt erfüllt somit eine Doppelfunktion. Zum einen ist er Grundlage der Forschungsmethodik, zum anderen Grundlage der in der Arbeit erschlossenen Methode der Organisationsaufstellung. Ziel ist es, die Grundlagen verständlich zu erläutern und abschliessend in Zusammenhang zur OA zu bringen: Welche wissenschaftstheoretischen Aussagen sind für die Aufstellungsarbeit relevant?
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Literatur
Dieser Abschnitt basiert auf der Literatur von Watzlawick 2002a, Gumin & Meier 2002, Jensen 1999, Kieser 2001a, Hejl & Stahl 2000, Rüegg-Stürm 2001, Urban 2002, von Schlippe & Schweitzer 2003, Simon & C/O/N/E/C/T/A-Autorengruppe 2001, Dachler & Hosking 1995, Mühlbach 2003.
Einen guten Überblick gibt Rüegg-Stürm (2001: 26–33) inkl. einer gut veranschaulichenden Grafik (Abb 2–5). Einen vertiefenden und ausführlichen Einblick gibt Jensen (1999: 74–320). Der Begriff formaler oder methodischer Konstruktivismus wird auch in den Geisteswissenschaften für Verfahren verwendet, die theoretische Aussagen und Schlussfolgerungen begründen. In der Kunst bezeichnet Konstruktivismus eine in den 1920er Jahren entstandene Bewegung. Die Künstler verstehen sich als Konstrukteure eines Werkes.
„A long history is attached to the view that realities are socially constructed and that knowledge is in some sense relational. This position has been discussed, and in varying degrees adopted in areas of philosophy, sociology and psychology, and is at the forefront of theoretical traditions such as symbolic interactionism, cognitive sociology, phenomenological sociology and System theory.“ (Dachler & Hosking 1995: 1)
Er hat seine Ursprünge in der (Wissens-) Soziologie und der Phänomenologie (vgl. 3.2). Fokus ist die Gesellschaft. Die Erkenntnisfrage lautet: Wie erfolgt die unbewusste Konstruktion der sozialen Wirklichkeit? Wie erfolgt sie individuell, wie intersubjektiv, wie gesellschaftlich? Prägende Vertreter des Ansatzes sind Schütz, Blumer, Berger/Luckmann (vgl. Abels 2004, Berger & Luckmann 1969).
Er hat seine Ursprünge in der Neurobiologie, Psychologie und Systemtheorie. Fokus ist das Individuum. Die Erkenntnisfrage lautet: Wie wird die Wirklichkeit durch das menschliche Erkenntnisvermögen konstruiert? Prägende Vertreter des Ansatzes sind Maturana, Varela, von Glasersfeld, Spencer-Brown, von Foerster und Watzlawick (vgl. Watzlawick 2002a, von Foerster 2002a, von Glasersfeld 2002b).
Er hat seine Ursprünge in der Sozialpsychologie und im kognitionstheoretischen Konstruktivismus. Fokus sind Beziehungen und Kommunikation. Die Erkenntnisfrage lautet: Wie gelangen Individuen zu einer gemeinsamen Wirklichkeit? Prägende Vertreter sind Gergen, Burr, Dachler, Hosking und Morley (vgl. Manella 2003, Hosking et al. 1995, Dachler & Hosking 1995, Gergen 1995).
Die Realität ist jedoch nicht objektiv zu erfassen, da jegliche kognitive Verarbeitung von Umweltreizen Interpretation bedeutet. Umweltreize werden durch die Sinne zwar aufgenommen, müssen aber im Gehirn kognitiv prozessiert werden, um zu einer Information, zu einem Abbild für das Individuum zu werden. Wissenschaftliche Forschung wird hierbei als Weg zur Annäherung an die Realität gesehen. Diese Position ähnelt dem Begriff der Wahrheitsnähe (Popper 1971: 218–236).
Erklärt wird die radikale Position durch die Neurophysiologie. „Die Erregungszustände einer Nervenzelle codieren nur die Intensität, aber nicht die Natur der Erregungsursache. Codiert wird nur Soundsoviel an dieser Stelle meines Körpers, aber nicht was.“ (von Foerster 2002b: 58).
Allerdings könnte der radikale Konstruktivist nun fragen: ‚Sind die physikalischen Eigenschaften, die das golden schimmernde Material als Gold definieren, nicht eine unter dem Paradigma unserer heutigen Naturwissenschaften getroffenen Konvention? Ergo doch eine Wirklichkeitskonstruktion? Denn auch heute ist nicht einwandfrei geklärt, ob die Alchimisten der früheren Jahrhunderte, deren Ziel die Herstellung von Gold war, „Schabernack“ trieben oder tatsächlich Gold auf uns heute unbekanntem Weg herstellen konnten (vgl. Gebelein 1996).
Auf individueller Ebene hat Goleman (1987) in dem Grundlagenwerk „Die Psychologie der Selbsttäuschung“ umfangreiche Beispiele zusammengestellt, wie Menschen ihr Erleben und ihre eigene Geschichte so konstruieren, dass sie sozial anschlussfähig und vor allem intrapsychisch verkraftbar sind. „Unsere Erinnerungen verändern sich permanent im Lichte jeweils neuer Erfahrungen, wir schreiben unsere Biografie, ohne es zu merken, ständig um.“ (Urban 2002: 12, s. auch 89–101).
Sie geht auf die „Logischen Untersuchungen des Philosophen Edmund Husserl zurück (1900). „Es kam etwas auf die Welt, was nachträglich auf den Namen „Phänomenologie“ getauft wurde und, wie es bei jeder Urstiftung ist, seinen Stifter überraschte.“ (Waidenfels 1992: 9). Neben Husserl sind Heidegger, Scheler, Plessner, Schütz und Sartre die bekanntesten Vertreter.
„Phänomenologie ist der Versuch einer wissenschaftlichen Philosophie, die sich aller Vorannahmen und Endurteile über die Realität der zugänglichen Phänomene (Ereignisse, Sinneseindrücke, Gestaltwahrnehmungen, Empfindungen, Assoziationen, Relationen, Kategorien, Symptome etc.) entschlägt und vielmehr das Auftreten und die Erscheinungsformen dieser „Phänomene“ rückbezieht auf die Methode ihrer Beobachtung bzw. Erzeugung und deren Voraussetzungen und Kontextbedingungen auf Seiten des Beobachteten wie des Beobachters.“ (Bühl 2002: 15).
„Das Wörtchen „systemisch“ [...] Alle führen es im Munde und meist tun zwei, die darüber reden, als meinten sie damit das Gleiche. Bei genauerem Hinhören zeigt sich aber oft eine babylonische Bedeutungsvielfalt des Begriffs. Die sprachliche Nähe zu „systematisch“ lässt manche hoffen, systemisches Denken können Ordnung und Struktur in das Chaos menschlicher Beziehungen bringen. Andere versprechen sich davon vor allem eine ganzheitliche Blickrichtung, Beschreibungen, wie alles mit allem vernetzt ist. Es sind auch nicht wenige, die fürchten, systemische Ansätze seien vor allem technokratisch, eine Art Autoreparaturwerkstatt für menschliche Beziehungen. Genauso viele freuen sich über den jetzt endlich „wissenschaftlich“ erbrachten Nachweis, dass „instruktive Interaktion“ in lebende, selbstorganisierende Systeme unmöglich sei. Auf ganz andere Weise sind lösungsorientierte Pragmatiker von der Vorstellung angetan, sich nicht mehr mit der Analyse von Problemen aufhalten zu müssen, sondern gleich zu deren Lösung schreiten zu können. Theorie-Anarchisten bejubeln bereits jetzt das „Ende der grossen Entwürfe“, während andere sich von der Systemtheorie nach wie vor eine Universaltheorie versprechen, die für alle Phänomenebenen von der Zelle bis zur Gesellschaft eine einheitlich transdisziplinäre Theoriesprache bereithält.“ (von Schlippe & Schweitzer 2003: 49).
Nach der Chaostheorie ist Komplexität sogar unabhängig von der Grösse des betrachteten Systems (je nach Wahl des Zooms lassen sich Dinge erkennen oder auch nicht mehr) (Briggs & Peat 2001: 32ff.).
Bspw. Ludewig (1997: 57): „Systeme [gelten] als Konstrukte der menschlichen Erkenntnis oder „Kognition“ (sind also nicht Modelle objektiver Sachverhalte). Aufgrund ihrer Abhängigkeit von der Kognition kommen diese Muster nicht durch kausale Verkettung zustande, sondern folgen der zirkulären Bewegung von Beobachten und Denken.“
In der Literatur diskutierte Unterscheidungsmerkmale sind lebende vs. nicht lebende Systeme; offene vs. geschlossene Systeme oder triviale Maschinen vs. nicht-triviale (von Foerster 1988).
Vgl. zu diesem Abschnitt Schwaninger & Hechenblaickner 2002, Rüegg-Stürm 2001: 77–90, Beer 1967, Willke 1996: 12–70, Nagel et al. 2002:92–98.
Die 2.0rdnung scheint ein beliebter Begriff der Menschen zu sein, die sich mit dem Wort systemisch beschäftigen (bspw. Watzlawick, Maturana, Bateson etc). Die 2.0rdnung ist eine „meta“-Stufe, d.h. sie besteht bspw. im Reflektieren über die Reflexion, im Beobachten der Beobachtung, in der Erwartung der Erwartung, im Lernen des Lernens (sog. Deutero-Lernen), im Bewusstsein des Bewusstsein, im Wissen über das Wissen, in der Kommunikation über die Kommunikation etc. Watzlawick et al. (2000: 242–253) führen sogar noch eine dritte Stufe (Sinngebung) ein sowie eine vierte zur Veränderung der dritten.
Wir Menschen stellen gerne einfache Wenn-Dann-Beziehungen her, sog. lineare Ursache-Wirkungs-Ketten. Zum einen scheint das unsere menschliche Erkenntnisstruktur zu sein, zum anderen auch das Bedürfnis, damit die Zukunft antizipieren zu wollen. Für viele einfache Tätigkeiten reicht das auch, bspw. wenn ich auf den Lichtschalter drücke, dann geht das Licht an (oder die Lampe ist defekt oder der Strom ist ausgefallen). Dieses Kausalitätsdenken macht Lernen möglich: wenn ich dies oder das übe bzw. mache, dann werde ich in der Zukunft diese oder jene Fähigkeit beherrschen (bspw. Lesen, Fahrrad fahren, Klavier spielen). Darüber hinaus reduziert die Kenntnis von Kausalitäten Angst und Unsicherheit vor der Zukunft, und reduziert auch künftige Fehler. Senge (1990) nennt es das fundamentale Lern-Dilemma.
„Der Umgang mit Zeit [...] ist dem normalen „gesunden Menschenverstand“ unvertraut. Wir berücksichtigen die Ablaufcharakteristika der Ereignisse gewöhnlich nur unzulänglich. Was wir gestern taten, liegt in der Dunkelheit des Vergessenen, und was wir morgen tun sollen in Finsternis. Wir Menschen sind Gegenwartswesen. Wir müssen lernen, dass Massnahmen „Totzeiten“ haben, bis sie wirken [...], dass Ereignisse nicht nur unmittelbar sichtbare Effekte haben, sondern auch Fernwirkungen.“ (Dörner 1989: 307).
aus: Präsentation von Claus Heinrich auf der SAP-Supply Chain Tagung in Saarbrücken, Juli 1998
Dieser Erläuterung fussen auf den Ausführungen in Ulrich, H. (2001, insbes. 9–100 sowie 243–344).
Weitere Formen des zirkulären Fragens sind hilfreich, um Unterschiede herauszuarbeiten und zu akzeptieren (Unterschiedsfragen: zeitliche, räumliche, relationale, konstruktive Unterschiede). Bspw. Klassifikationsfragen („Wer würde als erster kündigen?“, Wen schätzt der Chef am meisten, wen am wenigsten?“); Prozent-und Skalierungsfragen („Zu wie viel Prozent beeinträchtig der Konflikt Ihren Arbeitsalltag, den Ihres Kollegen, den des Chefs?“ Auf einer Skala von 0 bis 10, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass XY kündigt?“); Übereinstimmungsfragen („Sehen Sie das genauso oder anders?“) oder Subsystemvergleiche („Wie sehen Sie das als Mitarbeiter: Pflegt der Chef bessere Kontakte zum Vorstand oder zu seinen Leitungskollegen?“). Kontextfragen sind hilfreich, um die bestehenden Bedeutungs-und Handlungszusammenhänge zu verdeutlichen und zu verändern (Tomm 1994: 99–112).
Morgan (1997) und Bardmann (1994) beschreiben Organisationen als • Mechanische Systeme (Maschinen), die bürokratisch aufgebaut effizient Routinen abarbeiten. „Väter“ des Modells sind Weber und Taylor. • Biologische Systeme (Organismen), die als Spezies selbstorganisiert sich dem ständigen Wandel ihrer Umwelt anpassen, deren Inputs verarbeiten und Outputs generieren. Morgan subsumiert hier Konzepte I. Ordnung wie organisations-psychologische Ansätze der Human-Relations-Bewegung, situative Ansätze der Kontingenztheorie, den Population-Ecology-Ansatz des evolutionären Managements sowie Konzepte 2. Ordnung wie Autopoiesis, Chaostheorie, Kybernetik und Dialektik. • Menschliche Systeme (Gehirn), die Informationen prozessieren, dabei ständig lernen und vernetzt, holografisch organisiert sind. Ansätze sind hier die Kybernetik, Lernende Organisation und holografische Organisation bzw. Wissensmanagement. • Soziale Systeme, die aufbauend auf unterbewussten Werten, Normen, Regeln und Ritualen funktionieren und in verschiedenen Subkulturen organisiert ist. Hier ist der Ansatz der Unternehmenskultur zentral. Bardmann verweist auf den gern vergessenen deutschen Ansatz der „Arbeit-und Betriebsgemeinschaft“, der von der nationalsozialistischen Betriebswirtschaft entwickelt wurde. • Politische Systeme (Gesellschaften), die von Regierungen gesteuert und durch Interessen, Machteinflüssen, Ausbeutung und Austragung von Konflikten geprägt werden. Mikropolitik, Entscheidungs-und Institutionentheorien sind hier Ansätze. • Psychische Systeme (Seelen), die durch un-und unterbewusste emotionale Prozesse gesteuert werden. Ansätze sind hier die Psychoanalyse und Psychologie.
Weit verbreitet scheint die therapeutisch-basierte Form der Beratung zu sein. (Groth 1999: 37) meint süffisant, systemische Berater unterschieden sich kaum von den Familientherapeuten, obwohl sie immer wieder betonten, die Arbeit mit Organisation sei grundsätzlich anders als die Therapie von Familien. Tatsache ist, dass eine Übertragung und Anwendung systemisch-therapeutischer Haltungen und Methoden in den Organisationskontext stattgefunden hat.
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(2006). Theoretische und epistemologische Grundlagen. In: Nachhaltigkeitsstrategien systemisch umsetzen. DUV. https://doi.org/10.1007/978-3-8350-9055-2_3
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