Auszug
Ob ein leitender Angestellter den Sitz der Hauptverwaltung seines Arbeitgebers als Ansammlung von Bullshit bezeichnen darf, ohne dass dies arbeitsrechtliche Konsequenzen hat, konnte die Stuttgarter Justiz im Jahre 1995 dahingestellt sein lassen — denn das für die Ergreifung angemessener Maßnahmen berufene Organ des Arbeitgebers hatte ohnehin nicht die Absicht, auf grassierende Sittenverwilderungen in irgend einer Weise zu reagieren. Von Interesse war deshalb nur, inwiefern den Aktionären der Daimler-Benz AG Auskunft zu erteilen war, ob sich das Vorstandsmitglied Jürgen Schrempp tatsächlich ungestraft mit einem derartigen Sprachgebrauch profiliert hat. Nachdem sich in der Hauptversammlung 1995 niemand finden wollte, der den Anteilseignern die erbetene Aufklärung zuteil werden ließ, hatten die zuständigen Gerichte wie immer ein Argument dafür gefunden, dass Wahrheiten, die das Unternehmen nicht freiwillig herausgibt, niemanden etwas angehen. Für das Landgericht war „nicht ersichtlich .., inwiefern diese möglicherweise tatsächlich geschehene ... verbale Entgleisung für die Abstimmung in der Hauptversammlung relevant sein soll“; ein Rechtsschutzinteresse des Aktionärs sei nicht damit zu begründen, dass „sich die Beteiligten je nach Temperament über derlei Vorfälle amüsieren oder darüber den Kopf schütteln“1. Diese Feststellungen sind um so erstaunlicher, als ein von den ökonomischen Gravitationskräften an seinem Erscheinungsort durchaus nicht unbeeinflusstes Blatt in einem Leitartikel auf der Titelseite gerügt hatte, der gute Ruf des Unternehmens beginne, „Schaden zu nehmen, wenn der neue Vorstandsvorsitzende die Konzernzentrale ... mal voller Ironie „Bad Möhringen“ nennt, mal englisch-zotig „bullshit castle“2.
Landgericht Stuttgart; Entscheidung vom 12.10.1995, 2 KfH O 86/95, S. 6.
Stuttgarter Zeitung, 26.7.1995, S. 1.
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Literaturverzeichnis
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Waller, David (2000): Die Stunde des Strategen, München, 2000.
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Wenger, E. (2008). Die Geisterbahnfahrer von Bullshit Castle. In: Wagner, F.W., Schildbach, T., Schneider, D. (eds) Private und öffentliche Rechnungslegung. Gabler. https://doi.org/10.1007/978-3-8349-8093-9_21
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