Historischer Rückblick

Zusammenfassung

Im Jahre 8 n. Chr. berichtete der römische Dichter Ovid (43 v.Chr.-18 n.Chr.) in seinen «Metamorphosen» und den darin enthaltenen Verwandlungsmythen zur Weltschöpfung über Luchse, «von denen erzählt wird, daß alles, was aus ihrer Blase kommt, zu Stein wird und an der Luft erstarrt» (Metamorphoses, XV, Vers 413 ff.). Wenige Jahrzehnte später war es der vielseitig gelehrte Plinius (der Ältere, 23–79 n. Chr.), der die Fabel dahingehend glorifizierte, daß er nun in seiner Naturalis historiae das «Lyncurium», den Luchsstein, als «feurig glänzenden Karfunkel» (Granat) beschreibt. Ferner notiert er, daß deshalb «viele berichtet haben, der Bernstein entstehe auf diese Weise» (Hist. nat. LVIII, Vers 137), eine Deutung, die wohl nordischen Ursprungs war. Da nun die Rostren von Kreide-Belemniten, die am Ostseestrand häufig mit dem Bernstein zusammen gefunden werden, eine diesem ähnlich gelbe Färbung im Durchlicht zeigen und außerdem beim Reiben einen harnartigen Geruch abgeben, waren spätere Naturgelehrte der Meinung, daß Plinius wohl mindestens ebenso die Belemniten mit seinem Lyncurium gemeint habe. Aber auch in einem der ältesten deutschen Heldengedichte, dem Ruodlieb, wird von einem «glänzenden Edelstein» berichtet, der aus dem Urin des Luchses in der Erde entstehe. Der Verfasser, ein unbekannter Mönch des Benediktinerklosters Tegernsee, gibt in Vers 100–129 seines um 1030 aufgezeichneten Gedichtes eine sehr ausführliche Anleitung dazu, wie man einen Luchs durch reichliches Tränken mit kräftigem, süßen Wein zu jenem Urin verhelfen kann, der in erbsen- bis nußgroßen Kupfergefäßen nach 15-tägiger Eingrabung zu Edelsteinen gerinnt. Bezüglich näherer Kommentare über die antiken Vorstellungen zum Luchsharnstein muß auf die Realenzyklopädie des klassischen Altertums von Steier, S. 2475, verwiesen werden.