Zusammenfassung
Der Satz: „Tarifieren, soweit der Verkehr es trägt“, hat aus gewissen, nicht gerade einleuchtenden Gründen unzweifelhaft einen üblen Ruf erlangt. Auf den ersten Anblick hin scheint er sicherlich einen Grundsatz darzustellen, der keineswegs Ausbeutung, sondern Mäßigung bedeutet. So hoch tarifieren, als der Verkehr es erträgt, heißt mit anderen Worten: nicht so hoch tarifieren, daß der Verkehr es nicht zu ertragen vermag. Gleichwohl wird der Satz im allgemeinen ganz anders verstanden. Man hat behauptet, daß Bahndirektoren den Anspruch erheben, von sich aus die Produktionskosten mit „A“ und den Verkaufspreis mit „B“ schätzungsweise anzusetzen und sich die ganze Differenz als Eisenbahntarif zuzueignen. Selbst ein nüchterner Schriftsteller, wie Herr Jeans, erklärte, „die Bahngesellschaften machen kein Geheimnis aus der Tatsache, daß in Fällen, wo wenig oder gar keine Konkurrenz zu einer abweichenden Vorgangsweise n ötigt, ihr leitender Grundsatz darin besteht, dem Verkehre so viel aufzulasten, als er tragen kann“1). In Wahrheit aber hat, was immer für vorschnelle und unberufene Aussagen von einzelnen Eisenbahnleuten unter besonderen Umständen abgegeben worden sein m ögen — ein berühmter franz ösischer Direktor, Herr Aucoc, wie berichtet wird, erklärt: „Faites payer au trafic tout ce qu’il peut payer; tout autre principe est un nonsens“2) —, keine Bahnverwaltung jemals nach einem derartigen Grundsatze gehandelt. So hat beispielsweise vor zwanzig Jahren der Kanzler des Schatzamtes den Zoll auf importierte Zigarren um 1 Shilling pro Gewichtspfund, gleich 112 Pfd pro Tonne erh öht. Zigarren werden, wohlverstanden, für fähig erachtet, diese Mehrlast zu tragen, obgleich sie schon mit mehr als 600 Pfd pro Tonne besteuert sind. Kann ein vernünftig denkendes Wesen sich einbilden, daß ein Frachtsatz von vielleicht 5 Pfd pro Tonne für die Bef örderung von Liverpool nach London die Grenze dessen erreicht, was der Verkehr zu tragen imstande ist?
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References
Railway Problems. London, 1887, p. 283.
„Lasset den Verkehr alles zahlen, was er zu zahlen vermag; jeder andere Grundsatz ist Unsinn.“
Hadley: Railroad Transportation: its History and its Laws. New York and London: Putnam & Sons
Und doch ist die von den Amerikanern so genannte „Lang-und Kurzfahrklausel“ — eine Klausel, die vorsieht, daß der Tarifsatz für die kürzere Entfernung, die in einer längeren inbegriffen ist, unter sonst gleichen Umständen nie höher als jener für die längere Entfernung sein darf — in der Bundesgesetzgebung der Vereinigten Staaten und in der jedes Staates der Union anzutreffen. Sie kommt auch in kontinentalen Verkehrsordnungen vor. In diesem Falle erlangen, sofern der Durchgangsverkehr von solcher Größe und Bedeutung ist, daß die Bahngesellschaft ihn nicht entbehren kann, die Zwischenstationen einen Vorteil, auf den sie billigerweise keinen Anspruch haben. Ist der Durchgangsverkehr nicht von solcher Bedeutung, so läßt die Bahngesellschaft dieses Geschäft einfach zu Gunsten der konkurrierenden Gesellschaft, welche die kürzere Route besitzt, vielleicht auch des konkurrierenden Kanals oder Küstendampfers im Stich. In solchen Fällen ist die Bahngesellschaft der leidende Teil, denn sie verliert einen, wenn auch möglicherweise kärglichen Gewinn; nicht minder leiden darunter die Handelsleute in den Zwischenstationen, denn es verbleibt kein Durchgangsverkehr, welcher zu den allgemeinen Auslagen der Bahn beitragen könnte, auf die sie ausschließlich angewiesen sind. Die Konkurrenten — Bahn, Kanal oder Dampfer — haben den Gewinn; die Handelsleute in den Zwischenstationen der Konkurrenzlinie, wenn diese eine Bahn ist, streben auch danach, zu gewinnen; die Handelsleute in der Endstation bleiben in der gleichen Lage wie zuvor, außer insoweit sie etwa den Vorteil der Konkurrenz — in Erleichterungen, nicht im Tarif — zwischen zwei Gesellschaften einbüßen.
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Acworth, W.M. (1926). Tarifieren, soweit der Verkehr es trägt. In: Grundzüge der Eisenbahnwirtschaftslehre. Springer, Vienna. https://doi.org/10.1007/978-3-7091-9969-5_8
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