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Schlaf und Hypnose

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Lehrbuch der Hypnose

Zusammenfassung

Der Einschlafende hat den Schlafwunsch. Wird diesem Schlafwunsch vom Inneren her widersprochen, sei es durch Affekte aus der Spielbreite des normalen Lebens, etwa durch Trauer, Angst u. dgl. m., oder durch neurotische Einstellungen, so tritt der Schlaf nicht ein, gleichgültig ob das Individuum die Schlaflosigkeit will oder nicht. Wir haben zwischen dem klar bewußten und dem instinktiven Schlafwunsche zu unterscheiden. Maßgebend ist offenbar der letztere. Er kann sich, wie bekannt, auch gegen den Entschluß, wach zu bleiben, durchsetzen. Man wird einwenden, der instinktive Schlafwunsch sei psychologisch nicht faßbar und sei lediglich ein organisches Phänomen. Gegenüber dieser Formulierung müssen wir mit FOREL an dem psychologischen Charakter des instinktiven Schlaf Wunsches festhalten. Allerdings sind dessen Beziehungen zum Körperlichen augenfällig. Die Müdigkeit vor dem Einschlafen hängt mit Stoffwechselvorgängen und Ermüdungsstoffen sicherlich ganz eng zusammen. Ja man kann vielleicht nicht ganz ohne Recht den Schlafwunsch als den Indicator eines bestimmten körperlichen Vorgangs ansehen 1). Diese Formulierung soll keineswegs die Bedeutung des psychologisch Faßbaren am Schlafwunsche schmälern. Wir müssen uns ja vorstellen, daß jeder psychische Vorgang Energien zur Verfügung hat, welche aus dem körperlichen Reservoir stammen; Energien, welche in fortwährender Wechselwirkung mit rein körperlichen Vorgängen stehen. Der eine von uns hat mit dem Begriffe des Wirkungswertes versucht, diese Dinge schärfer zu erfassen. Der Wirkungswert des instinktiven Schlafwunsches ist also von körperlichen Faktoren mit bestimmt. Auch der bewußte Schlafwunsch hat natürlich einen Wirkungswert, er kann sich ja übrigens auch der Unterstützung des instinktiven Schlafwunsches versichern. Die Psychologie der Schlafmittel in bezug auf den Schlafwunsch ist noch nicht geschrieben. Verstärkt das Schlafmittel den instinktiven Schlafwunsch oder macht es nur den rein körperlichen Apparat ansprechbarer? Ist bei der Encephalitis lethargica der Schlafwunsch abgeändert oder ist der Schlafapparat, soweit er außerpsychisch ist, in seiner Ansprechbarkeit abgeändert? Lassen sich diese Dinge überhaupt psychologisch trennen? Begrifflich müssen sie zunächst jedenfalls geschieden werden. Wir haben auf jeden Fall zwischen einem psychischen Agens zu unterscheiden, einem Schlafwunsch, und dem Schlafapparat, und haben allen Grund, anzunehmen, daß bei gleichbleibendem Schlafwunsch die Schlafwirkung verschieden sei. Zur Verdeutlichung mag angeführt werden, daß auch sehr suggestible Personen, an deren psychischer Hingabe kein Zweifel möglich erscheint, auf die entsprechende Suggestion hin keine Brandblasen bekommen müssen, offenbar deshalb, weil der vasovegetative Apparat vom Psychischen her bei ihnen nicht genügend ansprechbar ist. Der Schlafende schläft nicht vollständig. Es sind nach dem treffenden Ausdrucke LANDAUERS „Schlafwachen“ aufgestellt geblieben, welche mit aktiver Aufmerksamkeit die Situation beachten und darüber wachen, daß dem Schlafenden nichts geschehe. Der Schlafende wird auch nicht ausschließlich in dem Sinne durch den Reiz geweckt, daß ein Reiz in einer gewissen Intensität den Schlaf unterbreche, sondern das wachende Ich, die Schlaf wache, beachtet die Reize daraufhin, ob es nicht geraten wäre, den Schlaf zu unterbrechen. In diesem Sinne ist nicht die Reizintensität als solche maßgebend, sondern die Einstellung zum Reize, oder besser zu der Begebenheit, die sich abspielt. Die bekannten Beispiele hierfür: Die Mutter, welche nur beim Schreien des Kindes erwacht; der Müller, der erwacht, wenn die Mühle stehenbleibt (vgl. hierzu auch FOREL). Dieser Annahme scheinen die Resultate der Weckversuche zu widersprechen, welche gewisse Gesetzmäßigkeiten in der Weckbarkeit durch einen bestimmten Reiz in den verschiedenen Phasen des Schlafes zeigen. Der qualitativ gleichbleibende, Reiz bewirkt erst bei bestimmter Verstärkung das Erwachen. Aber vermerken wir, daß der verstärkte Schallreiz für das Individuum biologisch durchaus etwas anderes bedeutet als der schwache, und ferner, daß die biologische Bedeutung eines Weckreizes verschieden ist je nach der Nachtstunde, in welcher er einsetzt. Mit anderen Worten, die Schlafkurven haben neben der rein körperlichen auch eine psychologische Bedeutung, welche wir am ehesten dann verstehen können, wenn wir annehmen, daß das Individuum Gesamtsituationen gegenübersteht, welche es mittels der Schlaf wache erledigt. Damit hätten wir aber ein neues Beispiel unserer biologischen Betrachtungsweise gegeben, welche physisch und psychisch keineswegs als Gegensätze sieht. Bei der Betrachtung des Schlafes fordert ein Phänomen unsre besondere Aufmerksamkeit. Nämlich die genaue Zeitschätzung des Schlafenden, welche es ihm ermöglicht, zu einer bestimmten Zeit zu erwachen1). Diese Zeitschätzung übertrifft die Genauigkeit der Zeitschätzung des Wachenden. Es ist schwer, die psychologische Begründung dieses Phänomens zu geben. Offenbar handelt es sich darum, daß der Tagesvorsatz sich weiterbehauptet, oder mit anderen Worten, die Zeitschätzung ist eine Aufgabe der Schlafwachen. Daß diese so präzise erfolgen kann, hängt offenbar damit zusammen, daß die Schlaf wache ja keineswegs dem vollständig differenzierten wachen Ich entspricht, sondern nur geringere Aufgaben zu lösen hat, welche aber dann mit größerer Präzision gelöst werden können. Es sei übrigens schon hier vermerkt, daß auch während des hypnotischen Schlafes eine bessere Zeitschätzung möglich ist. EHRENWALD hat die hierhergehörigen Beobachtungen BLEULERS und FORELS zusammengestellt und hat neue Versuche angestellt. Er glaubt, daß durch den Wechsel der Bewußtseinsinhalte und der Affekte jene Veränderungen übertönt werden, welche bei Abbiendung des Bewußtseins im Schlaf und in der Hypnose der Erfassung zugänglich werden. Jener Teil der Persönlichkeit, welcher schläft, das Schlafich (LANDAUER), hält an dem Schlafe mit Energie und Zähigkeit fest. Es sträubt sich, wie bekannt, gegen das Erwecktwerden.

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References

  1. Vgl. hier Economo: Die Pathologie des Schlafes.

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  2. Bekanntlich ist diese Zeitschätzung nicht immer und bei allen Personen genau. Immerhin sind die sicher vorkommenden positiven Fälle theoretisch bedeutsam.

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Dieses Kapitel ist Teil des Digitalisierungsprojekts Springer Book Archives mit Publikationen, die seit den Anfängen des Verlags von 1842 erschienen sind. Der Verlag stellt mit diesem Archiv Quellen für die historische wie auch die disziplingeschichtliche Forschung zur Verfügung, die jeweils im historischen Kontext betrachtet werden müssen. Dieses Kapitel ist aus einem Buch, das in der Zeit vor 1945 erschienen ist und wird daher in seiner zeittypischen politisch-ideologischen Ausrichtung vom Verlag nicht beworben.

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Schilder, P., Kauders, O. (1926). Schlaf und Hypnose. In: Lehrbuch der Hypnose. Springer, Vienna. https://doi.org/10.1007/978-3-7091-9805-6_3

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