Zusammenfassung
I. Es erscheint mir naheliegend, aus Anlaß des 80. Geburtstages von K. Leonhard seinem Begriff der affektvollen Paraphrenie aus der Sicht der Wiener Schule nachzugehen. Dafür sind drei Gründe von besonderem Gewicht:
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1.
Zunächstein historischer: In der Lehre von den schizophrenen Psychosen - der Lehre von jenen Psychosen, die konventionell als schizophren bezeichnet werden, hat die Wiener psychiatrische Schule der letzten Jahrzehnte den Paraphreniebegriff immer zur Differenzierung der paranoiden Psychosen verwendet (Hoff 1956; Berner 1972), freilich im Ablauf der Zeit in unterschiedlicher Form. In dem Lehrbuch von Hoff (1956), das die Lehre der Wiener Klinik bis in die 60er Jahre widergibt, wird der Begriff zur Bezeichnung einer besonderen Form paranoider schizophrener Psychosen verwendet. Seine Charakteristika sind das Auftreten der Erkrankung in der zweiten Lebenshälfte von introvertierten, sensiblen Menschen, die schließlich mit Lebensschwierigkeiten nicht mehr fertig werden und deshalb die Psychose entwickeln, die symptomatologisch durch einen systematisierten, erlebnisreich aufgebauten Beziehungs- und Verfolgungswahn gekennzeichnet ist, der später in einen bizarren Größenwahn und autistische Zustände übergehen kann. Der Begriff zeigt deutlich seine Herkunft von Kraepelin (1913) und spiegelt die Bemühung wider, eine multifaktorielle Genese psychischer Erkrankungen deutlich zu machen. Es ist ein mehrdimensionaler, indem neben der symptomatologischen Dimension die Dimension der Zeit (Lebensalter), der Persönlichkeit und des Verlaufs zur Begriffsbeschreibung herangezogen werden. In der Beschreibung der Symptome werden affektive Störungen erwähnt, vor allem für den Beginn der Erkrankung (Aggression und Angst erfüllten den Lebensraum der Kranken). Der Begriff wird aber an sich ganz vom Wahn und seinem psychosozialen Hintergrund her beschrieben. (Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, daß schon am Beginn unseres Jahrhunderts in Wien Stransky (1906) auf die besondere Form paranoider Psychosen der Lebensmitte unter der unglücklichen Bezeichnung,, dementia tardiva“hingewiesen hat. (Vgl. Gabriel, 1976.) Dieses Festhalten der Wiener Schule jener Zeit am Paraphreniebegriff hat vermutlich dazu beigetragen, daß in der zweiten Hälfte der 60er Jahre noch unter dem Klinikvorstand H. Hoff in Wien unter der Führung von P. Berner eine Arbeitsgruppe entstehen konnte, die sich seither kontinuierlich vorwiegend klinischer Wahnforschung widmet. In ihren Arbeiten und der Lehre der gegenwärtig von Berner repräsentierten Wiener Schule (Berner 1977) wird der Paraphreniebegriff freilich ausschließlich syndromatologisch verwendet. Darauf wird später einzugehen sein.
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Literatur
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© 1986 S. Hirzel Verlag Leipzig
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Gabriel, E. (1986). Leonhards affektvolle Paraphrenie aus der Sicht der Wiener Schule. In: Seidel, K., Neumärker, KJ., Schulze, H.A.F. (eds) Zur Klassifikation endogener Psychosen. Springer, Vienna. https://doi.org/10.1007/978-3-7091-9519-2_8
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