Zusammenfassung
Es ist nun notwendig, den Begriff als psychologisches Gebilde näher in Augenschein zu nehmen. Wer sich gegenwärtig hält, daß er sich einen Menschen, der weder jung noch alt, weder groß noch klein ist, kurz einen allgemeinen Menschen nicht vorstellen kann, wer überlegt, daß jedes vorgestellte Dreieck entweder rechtwinklig, spitzwinklig oder stumpfwinklig, demnach kein allgemeines Dreieck ist, der kommt leicht zu dem Gedanken, daß solche psychische Gebilde, die wir Begriffe nennen, nicht existieren, daß es abstrakte Vorstellungen überhaupt nicht gibt, was mit besonderer Lebhaftigkeit insbesondere Berkeley verfochten hat. Diese Überlegung führt auch leicht zu der von Roscellinus vertretenen Ansicht, daß die allgemeinen Begriffe (Universalien) nicht als Sachen bestünden, sondern nur „flatus vocis“ seien, während die Gegner seines „Nominalismus“, die „Realisten“, die allgemeine Begriffe in den Dingen begründet ansahen. Daß die allgemeinen Begriffe nicht bloße Worte seien, wie noch kürzlich ein geachteter Mathematiker behauptet hat, geht deutlich genug daraus hervor, daß sehr abstrakte Sätze verstanden und in konkreten Fällen richtig angewendet werden. Die unzähligen Anwendungen des Satzes: „Die Energie bleibt constant“ mögen ein Beispiel dafür abgeben. Man würde sich aber vergebens bemühen, beim Sprechen oder Hören dieses Satzes einen momentanen konkreten anschaulichen Vorstellungsinhalt im Bewußtsein zu finden, welcher den Sinn desselben vollständig decken würde. Diese Schwierigkeiten verschwinden, wenn wir dem Umstände Rechmmg tragen, daß der Begriff kein Augenblicksgebilde ist, wie eine einfache konkrete sinnliche Vorstellimg, wenn wir bedenken, daß jeder Begriff seine zuweilen recht lange und ereignisreiche psychologische Bildungsgeschichte hat, und daß sein Inhalt ebensowenig durch einen Augenblicksgedanken explizite dargelegt werden kann.
(Aus „Erkenntnis und Irrtum“, 4. Auflage, 19201)
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Literatur
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Volkmann, Einführung in das Studium der theoretischen Physik, Leipzig 1900, S. 28.
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Mach, E. (1964). Der Begriff. In: Ernst Mach. Springer, Vienna. https://doi.org/10.1007/978-3-7091-8112-6_20
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