Zwischenreaktionen

Zusammenfassung

Jeder, der die Reaktion zwischen Ferrisalz und Natriumthiosulfat zu Ferrosalz und Natriumtetrathionat ausführt, ist verblüfft von der augenblicklich auftretenden violetten Farbe, die in ganz kurzer Zeit wieder verschwindet.¹ Dieses Experiment beweist augenfällig, daß die Reaktion über eine kurzlebige Zwischensubstanz verläuft. Die Gleichung

$$2\text{Fe}\cdots +2{{\text{S}}_{\text{2}}}{{\text{O}}_{2}}^{\prime \prime }=2\text{Fe}\cdot \cdot +{{\text{S}}_{\text{4}}}{{\text{O}}_{\text{6}}}^{\prime \prime }$$

besagt also nur, daß aus den Ausgangsstoffen Ferriion und Thiosulfation sich schließlich die Endstoffe Ferroion und Tetrathionation bilden. Diese sogenannte Bruttoreaktion setzt sich nach dem experimentellen Befund aus Teilreaktionen, Zwischenreaktionen oder Stufenreaktionen, wie Ostwald ² sie nennt, zusammen Diesem Einblick in das chemische Geschehen begegnen wir schon in den Briefen Schönbeins an Liebig.³ Er schreibt unter anderem, daß jeder chemische Vorgang synthetischer und analytischer Art ein aus verschiedenen Akten zusammengesetztes Drama, ein wirklicher Processus ist, d. h. einen Anfang, eine Mitte und ein Ende hat. Die quantitativen Messungen der Kinetik, der Lehre von der Reaktionsgeschwindigkeit, bestätigen die Anschauungen Schönbeins, daß der Großteil der chemischen Reaktionen komplizierter Natur ist, sich also aus vielen Einzelprozessen zusammensetzt; denn der funktionale Zusammenhang der Reaktionsgeschwindigkeit mit den Konzentrationen der Reaktionspartner steht in den meisten Fällen in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Bruttoreaktion. So lautet die Geschwindigkeitsgleichung der Reaktion:¹

$$3\text{HN}{{\text{O}}_{2}}=\text{H}\cdot +\text{N}{{\text{O}}_{3}}^{\prime }+2\text{NO}+{{\text{H}}_{2}}\text{O},-\frac{d\left( \text{HN}{{\text{O}}_{2}} \right)}{dt}={{k}_{1}}\frac{\left[ \text{HN}{{\text{O}}_{2}} \right]}{{{p}^{2}}\text{NO}}-{{k}_{2}}\left[ \text{H}\cdot \right]\left[ \text{N}{{\text{O}}_{3}}^{\prime } \right]\left[ \text{HN}{{\text{O}}_{2}} \right]{{.}^{2}}$$

Nach der Bruttogleichung reagieren 3 Molekeln salpetrige Säure zu Salpetersäure und Stickoxyd, in der Geschwindigkeitsgleichung, deren rechte Seite in zwei Terme zerfällt, geht die Konzentration der salpetrigen Säure im Minuend in 4. Potenz, im Subtrahend in 1. Potenz ein, die Ordnung der salpetrigen Säure ist somit im 1. Term vier, im 2. Term eins. Die Ordnung des Stickoxyds ist hingegen im 1. Term minus zwei, im 2. Term null, während in der Bruttogleichung 2 Molekeln Stickoxyd als Reaktionsprodukt sich auf der rechten Seite der Gleichung vorfinden.