Zusammenfassung
Man hat, wie schon betont, das Recht, die Würzburger Jahre, wenn man nur die rein wissenschaftliche Produktivität betrachtet, als Virchows größte Zeit zu bezeichnen. Mit erstaunlicher Kraft und Sicherheit bewältigt er eine Fülle der wichtigsten Probleme, der stürmische Übereifer der Revolutionszeit erscheint gedämpft, bedeutende, zusammenfassende Arbeiten — das Handbuch der speziellen Pathologie, dessen Redaktion er übernimmt, die Herausgabe der früher Cannstatt schen Jahresberichte (mit Eisenmann) — zeigen ihn als einen Gelehrten, der „zur Vollreife gelangt und seiner Bedeutung sich bewußt“ ist. Die Politik tritt ganz in den Hintergrund, selbst die sozialen Fragen, die ihn in Berlin so sehr in Anspruch genommen haben, werden jetzt kaum berührt — eine Abhandlung über die Not im Spessart, den er im Jahre 1852 im Auftrage des Ministeriums bereiste, beweist eine außerordentliche Mäßigung im Urteil und ist hauptsächlich bemerkenswert durch einige feine Beobachtungen über lokale Typhusepidemien; die bei dieser Gelegenheit gemachten Studien über den dort endemischen Kretinismus geben die ersten ausführlichen Mitteilungen über Schädelmessungen, die später, bei seiner Vertiefung in die Anthropologie, eine so große Rolle spielen. Der „Tribun von 1848“, wie Schönlein ihn genannt hatte, ist jedenfalls sehr viel ruhiger geworden, und die Vermutung ist wohl berechtigt, daß gerade diese von ihm geübte Zurückhaltung nun endlich die Blicke der Berliner Fakultät und besonders Johannes Müllers auf ihn lenkte, als Heinrich Meckel von Hemsbach, Prosektor der Charité und a. o. Professor, im Jahre 1856 verstarb. Müller selbst erkannte, daß die pathologische Anatomie, die er bis dahin außer der normalen gelehrt hatte, nun wohl eine gesonderte Vertretung in der Fakultät erfordere; er schlug Virchow für ein Ordinariat vor, und eigentlich wider Erwarten setzten Ministerium und König sich rasch über alle politischen Bedenken hinweg: im Juni erfolgte die endgültige Berufung, zum Oktober die Übersiedlung nach Berlin. Seine Bedingungen: Neubau eines pathologischen Instituts, eine Krankenabteilung in der Charité, 2000 Taler Gehalt waren bewilligt.
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Posner, C. (1921). Berlin und das Pathologische Institut. In: Rudolf Virchow. Meister der Heilkunde. Springer, Vienna. https://doi.org/10.1007/978-3-7091-5325-3_7
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