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Die Struktur der Erfahrung

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Frühe Formen des Erlebens
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Zusammenfassung

Auf subtile Weise unternimmt Borges’ Prosagedicht „Borges und ich“ (1960) eine Aufgliederung dessen, was wir in unserer Illusion als Einheit erfahren. Ich, dem es an solch sprachlicher Eleganz mangelt, möchte, weniger kunstvoll, einen psychoanalytischen Rahmen vorschlagen, innerhalb dessen über die Komponenten des dialektischen Prozesses menschlicher Erfahrungsbildung reflektiert werden kann. Ich werde in diesem Kapitel die Vorstellung untersuchen, daß menschliche Erfahrung das Resultat eines dialektischen Zusammenspiels dreier unterschiedlicher erfahrungsbildender Modi ist: des depressiven, des paranoid-schizoiden und des autistisch-berührenden. Das Konzept der beiden erstgenannten Modi hat Melanie Klein eingeführt,1 der dritte stellt meine eigene Synthese, Klärung und Weiterentwicklung von Vorstellungen dar, die in erster Linie von Frances Tustin, Esther Bick und Donald Meltzer eingeführt wurden. Jeder dieser erfahrungsbildenden Modi ist durch eine ihm eigene Form von Symbolbildung, einen spezifischen Abwehrmechanismus, eine spezifische Form der Objektbeziehung sowie durch den Grad seiner Subjektivität gekennzeichnet.

Der andere, den man Borges nennt, ist der, dem Dinge passieren . . . Ich weiß, daß es ihn gibt, da ich Post von ihm bekomme . . . Wenn ich sagte, wir seien vefeindet, so wäre das wohl übertrieben; ich lebe die Beziehung mit ihm, lasse meinem Leben seinen Laufi so gelingt Borges seine Literatur und diese Literatur rechf ertigt mich.

J. L. Borges, „Borges und ich“

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Referenzen

  1. Obwohl ich selbst nicht der Kleinschen Schule angehöre, kam ich zu dem Schluß, daß zahlreiche von Melanie Kleins Vorstellungen — wenn man sie unabhängig von ihrer Entwicklungsgeschichte, ihrem Konzept des Todestriebes und ihrer Theorie der Technik betrachtet — eine Schlüsselstelle in der Entwicklung der psychoanalytischen Lehre einnehmen. Zwei ihrer wichtigsten Beiträge zur Psychoanalyse sind die Konzepte der paranoid-schizoiden und der depressiven Position. Keines der beiden Konzepte fand bisher allerdings Eingang in den „Mainstream“ des amerikanischen psychoanalytischen Dialoges.

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  2. Wie man sehen wird, verliert die Debatte über die Entwicklungsgeschichte Kleins viel von ihrem Belang, wenn man die Kleinschen „Positionen“ nicht als Entwicklungsphasen, sondern als synchronische Dimensionen der Erfahrung sieht.

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  3. Da der paranoid-schizoide Modus niemals isoliert vom depressiven Modus (und dem autistisch-berührenden Modus) existiert, ist das Konzept des Selbst-als-Objekt (vollständig abgehoben von der Erfahrung des Selbst als Subjekt) phänomenologisch ohne Bedeutung. Aufgrund der dialektischen Struktur der Erfahrung ist Selbsterfahrung niemals gänzlich bar eines Sinnes von „Ich-Sein“ und die eigenen Objekte sind niemals einfach nur Objekte, die gänzlich von Subjektivität frei wären.

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  4. Die autistisch-berührende Position wird in diesem Buch nicht als eine vorpsychologische (biologische) Entwicklungsphase begriffen, in der das Kleinkind in einer Welt lebt, die von dynamischen Beziehungen mit äußeren Objekten abgeschnitten ist; sie wird vielmehr als psychische Organisation verstanden, bei der sensorische Modi der Erfahrungsbildung angesichts einer wahrgenommenen Gefahr Abwehrprozesse einleiten. Bei extremer, prolongierter Angst werden diese Abwehrmechanismen hypertrophiert, sie verfestigen sich und es entsteht eine pathologisch autistische psychische Struktur. Eine normale autistischberührende Organisation kann sich nur innerhalb der Beziehung mit der Mutter als Umwelt und der Mutter als Objekt (vgl. Winnicott, 1963a) entwickeln.

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  5. Ich habe die primitivste der Erlebnisqualitäten autistisch-berührenden Modus genannt und mich dabei an die Methode der Namensgebung beim paranoid-schizoiden Modus angelehnt, die dort sowohl auf die Form seiner psychischen Organisation als auch auf die Form der mit ihm in Verbindung gebrachten Abwehrmechanismen zurückgeht. Im autistisch-berührenden Modus geht die psychische Organisation zu einem großen Teil auf unmittelbare sensorische Nähe zurück, das heißt, es werden durch das Erlebnis sich „berührender“ sensorischer Oberflächen Beziehungen hergestellt. Ein Zusammenbrechen dieser Organisation führt zur Implementierung autistischer Abwehrmechanismen, die in diesem Buch beschrieben werden. Man darf hier — wie das ganze Buch hindurch — nicht vergessen, daß der Begriff autistisch sich auf ganz besondere Züge einer universellen, sensorisch dominierten Erfahrungsmodalität bezieht und nicht auf eine schwere Erkrankung im Sinne kindlicher Psychopathologie. Es wäre genauso absurd, Kinder oder Erwachsene, während der Zeit, in der sie in hohem Maße auf den autistisch-berührenden Modus der Erfahrungsbildung angewiesen sind, als autistisch im pathologischen Sinn zu betrachten, wie es absurd wäre, sie für paranoide Schizophrene zu halten, wenn sie Erfahrung im paranoid-schizoiden Modus organisieren oder für depressiv, während sie sich in einem überwiegend depressiven Modus befinden.

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  6. Aus einer psychoanalytischen Entwicklungsperspektive stellt Stern (1985) fest, daß „Kinder [von Geburt an] . . . empfänglich sind für Sinneseindrücke, Wahrnehmungen, Handlungen, Kognitionen, daß sie innere Motivationszustände und Zustände (selbstreflexionsfreier) Bewußtheit kennen und daß sie diese Phänomene direkt als Intensitäten, Formen, zeitliche Muster, Vitalitätsaffekte (vitality affects), kategorische Affekte (categorical affects) und hedonistische Nuancen (hedonic tones)“ (S. 67) erleben. Dieser früheste Erfahrungsmodus wirkt durch das ganze Leben „ohne bewußt zu sein als Erlebnismatrix“ (S. 67) für alle folgenden subjektiven Zustände.

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  7. Ich bin der Auffassung, daß, während immer ein Aspekt des Patienten im depressiven Modus funktioniert (ein „nicht-psychotischer Teil der Persönlichkeit“ [Bion, 1957]), es gleichzeitig immer andere Erfahrungsaspekte gibt, die in abwehrender Weise aus dem psychischen Bereich ausgeschlossen sind, wie z. B. bei der Erzeugung einer psychosomatischen Krankheit (McDougall, 1974), durch Alexythimie (Nemiah, 1977) und durch Formen der „Nicht-Erfahrung“ (Ogden, 1980).

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  8. Meltzer (Meltzer et al., 1975), der hier auf die Arbeit von Bick (1968) aufbaut, führte den Begriff der adhäsiven Identifikation (adhesive identification) ein, um damit eine Identifikationsform zu beschreiben, die primitiver ist als sowohl introjektive wie auch projektive Identifikation. Im autistisch-berührenden Modus, den Meltzer „Welt der Zweidimensionalität“ [S. 225] nennt, benutzt man die adhäsive Identifikation bei dem Versuch, einen elementaren Sinn der Geschlossenheit der eigenen Oberfläche zu schaffen oder in defensiver Weise wieder herzustellen. Die Oberfläche des anderen wird als Ersatz eines nicht voll entwickelten oder schwindenden Sinnes für die eigene Oberfläche benutzt. Beispiele für Möglichkeiten, die Oberfläche des Objekts mittels adhäsiver Identifikation in defensiver Weise zusammenzuhalten, beinhalten Imitation, Mimik und klammernde Formen sensorischer Verbundenheit zu einem Objekt, das „in der Lage ist, das (eigene) Interesse wachzuhalten und dabei zumindest vorübergehend in einer Weise erfahren werden kann, daß es die Teile der (sensorisch dominierten) Persönlichkeit zusammenhält“ (Bick, 1968, S. 49). Tustin (1986) zieht den Begriff der adhäsiven Gleichsetzung (adhesive equation) dem der adhäsiven Identifikation vor, da in diesem Abwehrprozeß der Körper des Individuums mit dem Objekt auf konkreteste, sensorische Weise gleichgesetzt wird.

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  9. Boyers (1986) Modell der „Grundregel“ enthält eine vollständige Würdigung der sensorischen Dimension der analytischen Erfahrung. Er ersucht seine Patienten, manchmal direkt, manchmal indirekt (zum Beispiel durch die Fragen die er stellt) darum, zu versuchen, die Gedanken, Gefühle und körperlichen Empfindungen, die sie in den Sitzungen erfahren, zu beachten und in Worte zu kleiden. Auch sich selbst verlangt er das ab, indem er sich bemüht, seine Gegenübertragungserfahrung zu benutzen (Boyer, 1983, 1987).

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© 1995 Springer-Verlag Wien

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Ogden, T.H. (1995). Die Struktur der Erfahrung. In: Frühe Formen des Erlebens. Springer, Vienna. https://doi.org/10.1007/978-3-7091-3342-2_2

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