Zusammenfassung
Stellt man die Frage, ob es im Bereich des oberstgerichtlichen Grundrechtsschutzes Reformbedarf gibt, dann ist an zwei Ebenen anzusetzen. Erstens geht es darum, ob der Rechtsschutz strukturell verbessert werden könnte, und zweitens ist zu beantworten, wie die Grundrechtsjudikatur des OGH materiell zu bewerten ist. Zwar wurde in den vorangegangenen Kapiteln bereits einiges zu diesen Fragen gesagt, ein Aspekt des Grundrechtsschutzes ist aber bislang weitestgehend ausgespart geblieben: Die Antragsbefugnis des OGH zur Gesetzesprüfung. Bevor also auf die allgemeinen Fragen der Reformmöglichkeiten eingegangen werden soll, ist als Teilaspekt der Frage nach dem Reformbedarf noch auf diese Antragsbefugnis des OGH einzugehen.
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Literatur
Entsprechende Anträge weist der OGH als unzulässig zurück: OGH 20.6.2006, 4 Ob 88/06d; 21.9.2006, 12 Os 102/06a; 26.7.2007, 10 Ob S 86/07f; 29.8.2007, 7 Ob 146/07g.
ZB VfSlg 17 971/2006; 18 370/2008.
Bezemek, JRP 2007, 303 (305).
S etwa Korinek, Grundrechtsverwirklichung, in: Merten (Hrsg), Verfassungsgerichtsbarkeit 205 (214); ders, FS-Koja 289 (294).
MwN VfSlg 13 704/1994.
OGH 26.9.1989, 4 Ob 101/89. S auch OGH 26.7.2007, 10 Ob S 86/07f.
Mayer, B-VG4, Art 89 B-VG III.1.
Gerlach/Somek, ÖJZ 2002, 441 (443).
OGH 7.2.2008, 9 Ob A 38/07i.
OGH 13.3.1996, 5 Ob 19/96.
OGH 26.9.1989, 4 Ob 101/89. S auch OGH 26.7.2007, 10 Ob S 86/07f.
Dazu auch Gerlach/ Somek, ÖJZ 2002, 441 (442).
S zB zum entscheidungsgegenständlichen § 25 KO: OGH 16.12.1992, 9 Ob S 20/92. VfGH 1.7.1993, B 737/91, B 797/91; VfSlg 13 498/1993.
Jabloner, ÖJZ 1998, 161 (166 f).
Khakzadeh, ZÖR 2006, 201 (besonders 209 f, 211 f, 218).
OGH 31.1.2002, 6 Ob 48/01d.
VfSlg 17 340/2004.
SFN 1970.
Dabei kommt es freilich darauf an, dass das Gericht schlagkräftige verfassungsrechtliche Argumente vorbringt. Ähnlich wie bei Individualanträgen ist der VfGH nämlich auch bei Gerichtsanträgen an die im Antrag geltend gemachten Bedenken gebunden. S zB VfSlg 12 691/1991; 16 374/2001.
Walter, RZ 1999, 58 (61).
S zB VfSlg 18 885/2009; 18 891/2009; VfGH 10.6.2010, G 43/10 ua.
S Gerlach/ Somek, ÖJZ 2002, 441 (442).
Auf die Frage, was denn grundsätzlich als Verfassungsgericht zu verstehen ist, soll hier nicht näher eingegangen werden. Es genügt vielmehr festzustellen, dass Normenkontrolle und Grundrechtsschutz zu den typischen Aufgaben eines Verfassungsgerichts zählen. Zu den Charakteristika selbständiger Verfassungsgerichtsbarkeit Häberle, FS-Bundesverfassungsgericht 1, 311 (316 ff). Zu den Kompetenztypen der Verfassungsgerichtsbarkeit s auch Korinek, VVDStRL 39 (1981) 19 ff, der im Übrigen wegen der Vielfalt verfassungsrechtlicher Kompetenzen Skepsis gegenüber einem einheitlichen Begriff der Verfassungsgerichtsbarkeit für angebracht hält (21). Begreift man Verfassungsgerichtsbarkeit funktioneil, dann kann man sie als Aufgabe verstehen, den Vorrang der Verfassung auch gegenüber dem Gesetzgeber sicherzustellen: Korinek, FS-Aamovich 253.
Einen vergleichabaren Ansatz gab es in der damaligen Tschechoslowakei: Walter, RZ 1993, 266 (268). S schon die Forderungen von Jellinek, Verfassungsgerichtshof (passim); er beginnt seine Ausführungen mit einem eindringlichen Appell: „Für Oesterreich mit seinen im parlamentarischen Leben wechselnden nationalen Majoritäten und Minoritäten liegt es daher im Interesse aller Parteien, Schutz vor jenem Unrecht zu suchen und zu finden, das, so lange es kein Heilmittel gibt, die öffentliche Meinung tiefer, nachhaltiger und mit zersetzenderer Wirkung aufzuregen im Stande ist, als jedes andere — dem parlamentarischen Unrecht“ (6).
Grundlegend Merkl, FS-Kelsen, 253 (passim, besonders 273 ff).
Kelsen, VVDStRL 5 (1929) 30 (32). Dazu auch Korinek, VVDStRL 39 (1981) 11; Walter, RZ 1993, 266 (268).
Kelsen, VVDStRL 5 (1929) 30 (51).
Kelsen, VVDStRL 5 (1929) 30 (53). Weiter führt er aus, dass sich das Gesetzgebungsorgan nur als freier Schöpfer des Rechts fühle, und nicht als ein durch die Verfassung gebundenes Organ der Rechtsanwendung. S außerdem Kelsen, Hüter, 58 (59 f).
Kelsen, VVDStRL 5 (1929) 30 (53).
S dazu etwa Heller, EuGRZ 1985, 685 (686); Ders, ZÖR 1988, 89 (92 ff); Helms, ZfP 2006, 50 (53); Melone/Karnes, Legal System 87 ff.
Vgl zu einem Katalog typischer Elemente selbständiger Verfassungsgerichtsbarkeit Häberle, FS-Bundesverfassungsgericht 1, 311 (316 ff).
Häberle, FS-Bundesverfassungsgericht 1, 311 (315).
Ausführlich dazu etwa Fromont, Verfassungsrat, in: Starck/ Weber (Hrsg), Verfassungsgerichtsbarkeit2 227 ff; Noll, Verfassungsgerichtsbarkeit 53 ff; Starck, AöR 1988, 362 ff.
Helms, ZfP 2006, 50 (61).
S etwa Schmitt, Hüter 26. Zur Entwicklung Helms, ZfP 2006, 50 (61 ff), Papier, DVBl 2009, 473 f. S auch die Aussprache über die Berichte zum Thema „Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit“, VVDStRL 5 (1929) 88 ff.
Prüfungsmaßstab ist auch sonstiges Bundesrecht, allerdings nur soweit Landesrecht überprüft werden soll. S dazu Maunz, in: Maunz/ Dürig (Hrsg), GG, An 100 Rz 22.
Maunz, in: Maunz/ Dürig (Hrsg), GG, Art 100 Rz 1.
Weber, Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Starck/ Weber (Hrsg), Verfassungsgerichtsbarkeit 37 (54).
BVerfGE 33, 247 (259) = NJW 1972, 1747; BVerfGE 79, 365 (367) = NJW 1989, 2047; BVerfGE 94 (166) = NJW 1999, 133.
S Papier, DVBl 2009, 473 (474).
Hermes, VVDStRL 61 (2002) 119 (144).
Zu dieser Diskussion und mwN Korioth, FS-Bundesverfassungsgericht 1 (2001) 55 (56).
S auch Brunner, JöR 2002, 191 (211); Korioth, FS-Bundesverfassungsgericht 55 (60).
BVerfGE 1, 418 (420). Pestalozza, Verfassungsbeschwerde 26 meint, dass der Hinweis auf spezifisches Verfassungsrecht wohl heißen sollte, dass spezifisch gegen Verfassungsrecht verstoßen werde.
BVerfGE 18, 85 (92 f): „Spezifisches Verfassungsrecht ist [...] nicht schon dann verletzt, wenn eine Entscheidung, am einfachen Recht gemessen, objektiv fehlerhaft ist; der Fehler muß gerade in der Nichtbeachtung von Grundrechten liegen. [...] Allgemein wird sich sagen lassen, daß die normalen Subsumtionsvorgänge innerhalb des einfachen Rechts so lange der Nachprüfung des Bundesverfassungsgerichts entzogen sind, als nicht Auslegungsfehler sichtbar werden, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind.“
S dazu Kenntner, NJW 2005, 785 (786 f); Korioth, FS-Bundesverfassungsgericht 55 (68 ff).
Korioth, FS-Bundesverfassungsgericht 55 (70).
ZB BVerfGE 42, 143 (149) = NJW 1976, 1677. Jüngst auch BVerfG, Beschluss vom 21.7.2009, 1 BvR 1358/09.
Hermes, VVDStRL 61 (2002) 119 (146).
S aber zur historischen Entwicklung Gusy, FS-Bundesverfassungsgericht 1, 63 f.
Häberle, FS-Bundesverfassungsgericht 1, 311 (328 f).
Papier, DVBl 2009, 473 (481).
Matscher, Die Presse 2004/51/01.
Papier, Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Merten (Hrsg), Verfassungsgerichtsbarkeit 11 (25).
Papier, DVBl 2009, 473 (481).
Häberle, Verfassungsgerichtsbarkeit 61.
Papier, Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Merten (Hrsg), Verfassungsgerichtsbarkeit 11 (25).
Kau, Supreme Court 60.
Vitzthum, JöR 2005, 319 (337). IdS auch Lorz, Interorganrespekt 391.
Mann, JA 1989, 72 (77).
Certiorari wird vom Lateiniischen „certiorari volumus“ (wir wollen informiert werden) abgeleitet; s Heller, EuGRZ 1985, 685 (691).
Vitzthum JöR 2005, 319 (322).
Vitzthum, JöR 2005, 319 (320). Näher zu diesem freien Zulassungsverfahren Melone/Karnes, Legal System 80: Nach der sog rule of four müssen zumindest vier der neun Richter eine Behandlung des Falls befürworten.
Vitzthum JöR, 2005, 319 (322).
Lorz, Interorganrespekt 394.
Tschannen, Staatsrecht2 § 11 Rz 16.
Häfelin/ Haller/ Keller, Bundesstaatsrecht7 Rz 2082, 2085; Haller, Bundesgericht, in: Starck/Weber (Hrsg), Verfassungsgerichtsbarkeit 12, 91 (97).
Häfelin/ Haller/ Keller, Bundesstaatsrecht7 Rz 2073.
Müller, VVDStRL 39 (1981) 53 (56).
Häfelin/ Haller/ Keller, Bundesstaatrecht7 Rz 2089; Kälin, Verfahren 36 f (zum inhaltsgleichen Art 113 Abs 3 BVerf aF); Tschannen, Staatsrecht2 § 8 Rz 10.
Häfelin/ Haller/ Keller, Bundesstaatsrecht7 Rz 2087; Korinek, FS-Adamovich, 253 (301); Müller, VVDStRL 39 (1981) 53 (64 f); Tschannen, Staatsrecht2 § 11 Rz 22 ff.
Haller, Verfassungsgericht, in: Starck/ Weber (Hrsg), Verfassungsgerichtsbarkeit 12, 91 (126). S auch Häfelin/Haller/Keller, Bundesstaatsrecht7 Rz 1926a.
Entscheide sind individuell-konkrete Rechtsanwendungsakte: Häfelin/ Haller/ Keller, Bundesstaatsrecht2 Rz 1938.
Erlasse sind generell-abstrakte Anordnungen, die sich an eine unbestimmte Zahl von Personen richten und eine unbestimmte Anzahl von Tatbeständen regeln: Häfelin/ Haller/ Keller, Bundesstaatsrecht7 Rz 1956.
Sie spielen praktisch freilich keine große Bedeutung: Häfelin/ Haller/ Keller, Bundesstaatsrecht7 Rz 1975.
Häfelin/ Haller/ Keller, Bundesstaatsrecht7 Rz 1972.
Haller, Bundesgericht, in: Starck/ Weber (Hrsg), Verfassungsgerichtsbarkeit 12, 91 (111). S auch Fleiner/Giacometti, Bundesstaatsrecht 886 f.
Haller, Bundesgericht, in: Starck/ Weber (Hrsg), Verfassungsgerichtsbarkeit 12, 91 (111).
Häfelin/ Haller/ Keller, Bundesstaatsrecht7 Rz 2090. S aber Tschannen, Staatsrecht2 § 8 Rz 8: Das Anwendungsgebot bedeute nur, dass die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit von Bundesgesetzen in die Letztentscheidungsbefugnis der Bundesversammlung gelegt sei.
Vitzthum, JöR 2005, 319 (330).
7/AUB-K 19(A 09).
Für die Urteislbeschwerde wird auch vorgebracht, dass die Gerichte die Grundrechte dadurch stärker im Blick behalten würden, weil die potentielle nachfolgende Kontrolle einen gewissen edukatorischen Effekt ausüben könnte: IdS Korinek, FS-Koja 289 (298).
Noll, Die Presse 2004/49/01.
Ebenso Matscher, Die Presse 2004/51/01; Schernthanner, RZ 2005, 154 (162).
Mayer, JRP 2001, 11; Schernthanner, RZ 2005, 154 (163).
Gegen eine Urteilsbeschwerde auch Griss, ÖJZ 2008, 527 (528). Dafür: Korinek, FS-Koja 289 (298); Noll, Die Presse 2004/49/01; Theuer, juridikum 2002, 22 (23).
Im Übrigen kann man fragen, ob es seit der Einführung des Asylgerichtshofes nicht ohnehin bereits in Asylsachen eine Urteilsbeschwerde an den VfGH gibt. S dazu Jabloner, migraLex 2008, 3; Pöschl, Beschwerdeverfahren, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Verfahren 87.
Korinek, FS-Koja 289 (300).
7/AUB-K 18 (A 09); Jabloner, ÖJZ 1998, 161 (168). Dazu auch Bezemek, JRP 2007, 303 ff.
S auch Bezemek, JRP 2007, 303.
So berichtet Barfuss über einen Vortrag von Jabloner in ÖJZ 2007, 592 (593).
Griss, ÖJZ 2008, 527 (528); Mayer, JRP 2008, 11. S auch schon Walter, RZ 1999, 58 (61 f).
Grabenwarter, JRP 2008, 13 (15).
Für einen Ausbau der Grundrechtsbeschwerde: Griss, ÖJZ 2008, 527 (528); Mayer, JRP 2008, 11.
Griss, ÖJZ 2008, 527 (528): „Der Einführung einer Verfassungsbeschwerde in Form einer Urteilsbeschwerde liegt immer ein Misstrauen gegen die Richter in der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugrunde; es wird ihnen nicht zugetraut, die Grundrechte ausreichend zu respektieren.“
Korinek, FS-Koja 289 (293) weist darauf hin, dass im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit ein Konzept der dezentralisierten Verfassungsgerichtsbarkeit besteht.
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Khakzadeh-Leiler, L. (2011). Reformbedarf und Reformmöglichkeiten. In: Die Grundrechte in der Judikatur des Obersten Gerichtshofs. Forschungen aus Staat und Recht, vol 161. Springer, Vienna. https://doi.org/10.1007/978-3-7091-0270-1_5
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