Zusammenfassung
Der Oberste Gerichtshof ist das älteste der drei österreichischen Höchstgerichte. Dass sich der Gedanke einer Höchstgerichtsbarkeit zunächst im Zivil- und Strafrecht durchsetzen konnte, ist wenig verwunderlich. Gerade in diesen Rechtsbereichen hat sich bereits früh die Überzeugung durchgesetzt, dass die Pflichten der Bürger und das Vorgehen der Behörden genau zu regeln sind.2 Das Verhältnis zwischen Bürger und Monarchen hielt man hingegen — ganz iS der absolutistischen Machtauffassung — für einer Reglung nicht zugänglich.3 Freilich waren auch die „Gerichte“, die zur Vollziehung der zivil- und strafrechtlichen Angelegenheiten eingerichtet worden waren, zunächst nicht unabhängig, sondern unterlagen den Machtbefugnissen des Monarchen. Erst im Rahmen der Aufklärung begann sich der Gedanke einer unabhängigen Justiz durchzusetzen, der von Montesquieus Idee der Gewaltentrennung4 maßgeblich beeinflusst wurde.5
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Literatur
Ausdruck dessen sind auch die zivil-und strafrechtlichen Kodifikationen: ABGB (1811), allgemeine Gerichtsordnung (1781), Strafgesetzbuch (1803).
Vgl dazu etwa Walter, RZ 1999, 58.
Montesquieu, L’Esprit, Livre XI, Chapitre VI: „II n’y a point encore de liberté si la puissance de juger n’est pas séparée de la puissance législative et de l’exécutrice.“
Olechowski, RZ 2000, 132 (133); Walter, RZ 1999, 58 f.
Vgl dazu auch Leonhard, FS-OGH 163 f.
Schauer, Justizministerium, in: Mischler/ Ulbrich (Hrsg), Staatswörterbuch2 640. Vgl auch Dinghofer, Gerichtshof 5.
Dazu etwa Baltl/ Kocher, Rechtsgeschichte11 167; Dinghofer, Gerichtshof 5.
Leonhard, FS-OGH 163 (164 f); Maasburg, Geschichte 51 f.
Die Bezeichnung Cassationshof rührt daher, dass mit der StPO 1850 das französische System der Kassation übernommen wurde: St Korinek, in: Korinek/ Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht, An 92 B-VG, Rz 2 (mwN); Leonhard, FS-OGH 163 (167).
Justiz-Ministerial-Erlass vom 21. August 1848, JGS 1848, Nr 1176, 652. Vgl § 3 leg cit: „Die oberste Justizstelle hat von nun an nur mehr als Gerichtsbehörde ihr Amt zu handeln, sie erhält daher die Benennung ‚Oberster Gerichtshof‘, sowie ihre Räthe und Secretäre in ihren ämtlichen Functionen den Titel: ‚Räthe und Secretäre des obersten Gerichtshofes ‘zu führen haben. — Auch in den an den obersten Gerichtshof gelangenden Eingaben hat die bisherige Aufschrift ‚Eure Majestät ‘in jene ‚oberster Gerichtshof ‘überzugehen.“
RGBl 1849/150.
RGB1 1849/278, Kaiserliche Entschließung vom 14. Juni 1849, womit die Grundzüge der neuen Gerichtsverfassung genehmigt werden.
So der damalige Justizminister Schmerling: „Der große Gedanke, die Staatseinheit aller Länder und Stämme der Monarchie herzustellen, muß, wenn er in das Leben des Volkes übergehen soll, auch in Bezug auf die Rechtspflege seinen entsprechenden Ausdruck in der Schaffung eines Obersten Gerichtshofes für alle Kronländer des Reiches erhalten. Das in der Reichsverfassung vom 4. März 1849 angedeutete hohe Ziel der Rechtseinheit zwischen allen Teilen des Kaiserstaates kann nur dann erreicht werden, wenn im Zentrum des Staates am Sitze aller hohen Staatsgewalten auch ein oberster Gerichtshof zur Wahrung und Heranbildung eines einheitlichen Rechtes für alle Kronländer besteht.“ (Zitiert bei Dinghofer, Gerichtshof 9.)
RGBl 1850/258.
RGBl 1850/325.
Die königlich ungarische Septemviraltafel war zuvor bereits aufgehoben worden. Steininger, RZ 1998, 262 f.
RGB1 1853/81. Dazu auch Leonhard, FS-OGH 175; Steininger, RZ 1998, 262 (263).
RGBl 1867/144, Art 12: „Für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder besteht der oberste Gerichts-und Cassationshof in Wien.“
Grundgesetz vom 22. November 1918 über die richterliche Gewalt, StGBl 1918/ 38; vgl §15.
StGBl 1919/41.
BGBl 1920/1.
BGBl 1929/392.
Verordnung vom 28. Februar 1939, DRGBl I S 358.
Felzmann/ Danzi/ Hopf, Oberster Gerichtshof 21.
Gesetz über die Wiederherstellung der österreichischen Gerichtsorganisation (GOG), StGBl 1945/47.
Vgl § 3 GOG.
BGBl 1968/328.
Felzmann/ Danzl/ Hopf, Oberster Gerichtshof 40. Bedenklich war etwa das Sistierungsrecht des Präsidenten des OGH oder die Bindung der Senate an die in das Judikatenbuch eingetragenen Entscheidungen.
Zweifel darüber, ob diese Bestimmung tatsächlich „nur“ eine Bestandsgarantie normiert, entstanden ua deswegen, weil im Gegensatz zu den Bestimmungen der Monarchie, wonach der OGH zu „bestehen“ hat, in der Verfassungsbestimmung der Republik nunmehr der OGH oberste Instanz „ist“. Es war aber offenbar nie beabsichtigt, die Rechtslage zu ändern. Es handelt sich also nur um eine sprachliche Anpassung, die keine sachlichen Auswirkungen hat. Vgl zu dieser Frage ausführlicher Walter, Verfassung 171 f. AA Hellbling, JBl 1956, 301, 332 (333).
MwN St Korinek, in: Korinek/ Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht, Art 92 B-VG, Rz 14. Walter, Gerichtsbarkeit, in: Schambeck (Hrsg), Bundes-Verfassungsgesetz 443 (459).
MwN St Korinek, in: Korinek/ Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht, Art 92 B-VG, Rz 16.
Felzmann, JRP 2001, 2; Mayer, B-VG4 Art 92 B-VG I; Öhlinger, Verfassungsrecht8 Rz 619; Walter, Gerichtsbarkeit, in: Schambeck (Hrsg), Bundes-Verfassungsgesetz 443 (460); Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Grundriss10 Rz 766. Vgl auch und mwN OGH 23.4.1996, 1 Ob 502/96.
VfSlg 14 709/1996. Eine solche begründete Ausnahme, die diese Frage auch erstmalig aufgeworfen hatte, ist § 54 Abs 2 und 4 ASGG. Normiert wird ein kontradiktorisch ausgestaltetes Feststellungsverfahren für bestimmte arbeitsrechtliche Streitigkeiten, für das der OGH in erster und letzter Instanz zuständig ist. Die damit verfolgten Ziele — Verfahrenskonzentration und-beschleunigung, verstärkte Rechtssicherheit, Sicherung des Arbeitsfriedens ua vermochten den VfGH von der spezifischen Rechtfertigung dieser Bestimmungen zu überzeugen. Vgl dazu auch Felzmann, JRP 2001, 1 (2); Rill, RdW 1995, 345.
Bundesgesetz über den Obersten Gerichtshof, BGBl 1968/328 idF BGBl I 2001/ 95. OGHG ist keine gesetzliche aber eine gebräuchliche Abkürzung. So mwN Felzmann/Danzl/Hopf, Oberster Gerichtshof 53.
Vgl §§ 111 Z 5 und 90 Z 2 RDG.
RV 470 BlgNR 11. GP 8.
Die Zusammensetzung der Begutachtungssenate wurde mit BGBl I 2001/95 neu geregelt. Bis dahin bestanden die Senate aus 15 Mitgliedern, womit sich die Senate aber fur die Praxis als zu groß, weil zu unbeweglich erwiesen. Vgl auch Felzmann/Danzl/ Hopf, Oberster Gerichtshof 79.
Felzmann/ Danzl/ Hopf, Oberster Gerichtshof 55; St Korinek, in: Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht, Art 92 B-V, Rz 16 ff. Vgl zur Diskussion bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts etwa Heller, ÖJZ 1987, 577; Jabloner, ÖJZ 1994, 329 (333); Ders, ÖJZ 1998,161 (162); Loebenstein, ÖJZ 1986,161, 199 (203 ff).
MwN St Korinek, in: Korinek/ Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht, Art 92 B-VG, Rz 5. Allgemein zur Funktion der Höchstgerichtsbarkeit Khakzadeh-Leiler, JRP 2007, 298 (299).
Wie Jabloner, ÖJZ 1994, 329 (333) pointiert formuliert, kann der VwGH „nicht zugleich juristische Basis-und Spitzenversorgung leisten“.
Allgemein dazu Heller, ÖJZ 1987, 577 (578). Allgemein zur Problematik, Khakzadeh-Leiler, JRP 2007, 298 (299).
Näher dazu Rechberger/ Simotta, Zivilprozessrecht8 Rz 1037 ff.
S dazu FN 45.
Rill, RdW 1995, 345 (346). Näher dazu im dritten Teil, zweiter Abschnitt B.II.2. b.aa.(f).
Fabrizy, StPO10 § 23 Rz 1.
AB 852 BlgNR 18. GP 2.
Bei der Beurteilung der Präjudizialität, also der Frage, ob die Norm im Verfahren anzuwenden ist, ist der VfGH großzügig. Er verneint dies, wenn sie „ganz offenbar“ fehlt oder wenn ihre Anwendung „denkunmöglich“ ist. Vgl für viele VfSlg 9906/1983 und mwN 10 066/1984. S auch Hiesel, ÖJZ 1997, 841 (845); Mayer, B-VG4 Art 89 B-VG II.2.a.
Hiesel, ÖJZ 1997, 841 (842).
Mayer, B-VG4 Art 89 B-VG III.2.
Gesetz vom 22. October 1875, betreffend die Errichtung eines Verwaltungsgerichtshofes, RGBl 1867/36.
StGG vom 21. December 1867, über die Einsetzung eines Reichsgerichtes, RGB1 1867/143.
Ausführlich zur historischen Entwicklung etwa Walter, RZ 1999, 58.
Vgl auch Walter, RZ 1999, 58 (60).
Vgl dazu auch Bydlinski, RZ 1965, 4 (5): „Jeder Rechtsschutz gegenüber Grundrechtsverletzungen kann nur darauf hinausgehen, daß eine Instanz angerufen werden kann, die zumindest von direkten Einflüssen der Machtträger im Staate auf die Entscheidung des Einzelfalles unabhängig ist. Mehr läßt sich nicht erreichen. Diese Unabhängigkeit aber besitzt jedes Gericht; in dieser Beziehung ist es ebenso sehr Garant des Rechtes wie ein Verfassungsgericht.“ Auch Argumente der Spezialisierung lässt Bydlinski zu Recht nicht gelten: Grundrechtsfragen sind „meist untrennbar in solche des Zivilrechts und Prozeßrechts eingebettet, so daß sich das Argument der fachlichen Nähe selbst aufheben wird.“
Dieses komplexe Gefüge verdeutlicht im Übrigen auch die Diskussion, die es bei der Einführung der Grundrechtsbeschwerde gab. Strittig war nämlich, ob der VfGH oder der OGH zuständig zu machen sei. Während die eine Seite für eine Zuständigkeit des VfGH plädierte, weil es sich in der Sache um grund-und damit verfassungsrechtliche Entscheidungen handle, befürwortete die andere Seite eine Zuständigkeit des OGH. Nur sie sei systemkonform, weil es sich dabei eben um einen strafrechtlichen und damit dem OGH zugewiesenen Beschwerdegegenstand handle. Zur Diskussion Adamovich, ÖJZ 1993, 272; Ermacora, ÖJZ 1993, 73; Graff, ÖJZ 1993, 273. S auch St KOrinek, in: Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht, Art 92 B-VG, Rz 27 f. Näher dazu im vierten Teil, zweiter Abschnitt F.I.
Wie Walter, RZ 1999, 58 (62) darlegt, gab es in der historischen Entwicklung keine Notwendigkeit, gerichtliche Akte auf Grundrechtsverletzungen zu prüfen: Gerichtliche Akte wurde nicht als Bedrohung der verfassungsrechtlichen Position des Einzelnen gesehen, da hier im Gegensatz zur Verwaltung nicht zentrale politische Organe entscheiden.
Dazu etwa Ballon, ÖJZ 1983, 225.
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Khakzadeh-Leiler, L. (2011). Rechtsschutz durch den OGH. In: Die Grundrechte in der Judikatur des Obersten Gerichtshofs. Forschungen aus Staat und Recht, vol 161. Springer, Vienna. https://doi.org/10.1007/978-3-7091-0270-1_2
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