§ 3 Komposition und Aufführung der Wahrheit

Abstract

Die Wissenschaft lebt als Gestaltung zu allen Zeiten vom Idealismus, wenn sie nicht gerade in einem Anfall Kantscher Erkenntniskritik ihre eigenen Grundlagen aufreißt.¹³⁴ Denken heißt: zusammenhängen. Entweder werden bestehende Verknüpfungen argumentativ untermauert und damit bestätigt oder sie werden in ihre Bestandteile zerlegt; wobei letzteres ebenso eine Konstruktion ist, weil auch Einzelteile nie in ihre letzten — unendlichen — Teilchen auseinander gelegt werden können. (So spricht denn aus jedem noch so kleinen Teilchen immer noch das Teilen.) Die Rede von der De-Konstruktion (Derrida) ist deshalb angebracht. Denken besteht darin, vereinzelte Zusammenhänge stets neu zusammenzusetzen. Auch kritisches Spalten ist letztlich immer wieder Rekomposition im Hinblick auf ein fesselndes Bild.¹³⁵ Von Goethe stammen die Worte: „Dummes Zeug kann man viel reden, / Kann es auch schreiben, / Wird weder Leib noch Seele töten, / Es wird alles beim alten bleiben. / Dummes aber, vors Auge gestellt, / Hat ein magisches Recht; / Weil es die Sinne gefesselt hält, / Bleibt der Geist ein Knecht.“¹³⁶ Es geht darum, die Wahrheit eines bestimmten Zusammenhanges dadurch evident werden zu lassen, dass man ihn möglichst anschaulich aufzeigt, das heißt: im nachvollziehbaren Experiment vorführt und damit sichtbar, also für jedermann einsehbar und mithin scheinbar unzweifelhaft macht.¹³⁷ Dabei sind Bilder überaus manipulativ. Ihre wiederholte Aufführung prägt die Vorstellung von der Realität, was sie zu wesentlichen Mitteln einer sozusagen „ästhetischen“ Erziehung macht.¹³⁸