Zusammenfassung
Die Idee einer Allgemeinen Privatrechtsdogmatik nimmt einen zentralen Platz in Theo Mayer-Malys Werk ein; sie ist die Achse, auf der sich seine bewundernswerte enzyklopädische Forschungstätigkeit entfaltet hat. In seinem nach wie vor höchst lesenswerten Buch „Rechtswissenschaft“ macht er drei Ziele dogmatischer Jurisprudenz fest: 1.) die Überprüfung einer neuen Vorschrift auf ihre Vereinbarkeit mit schon anerkannten Rechtsgedanken; 2.) das Aufspüren übergreifender Rechtsgedanken in den aus verschiedenen Zeiten und Problemstellungen stammenden Normen einer Rechtsgemeinschaft sowie 3.) die Einordnung der Rechts-, insbesondere der Rechtsprechungsentwicklung in das Gefüge der eine Rechtsordnung beherrschenden Rechtsgedanken. Funktion der Dogmatik ist damit letztlich „der Nachweis, aber auch die Überprüfung des Fortbestehens der Kohärenz dieser Ordnung“1. Der Begriff der Dogmatik dient dabei einerseits zur Unterscheidung einer bloß deskriptiven Gesetzes- oder Rechtskunde2, andererseits hängt er aber auch mit einem bestimmten Selbstbewusstsein der iuris periti zusammen, die aufgrund ihrer Expertise eine autonome Rolle in der Fortentwicklung des Rechts einnehmen3. Damit mag es auch zusammenhängen, dass Mayer-Malys besondere Liebe dem Studium des klassischen römischen Rechts galt, manifestiert sich doch in diesem erstmals in der Geschichte eine eigene Schicht von Rechtswissenschaftern, deren Meinung nach römischer Auffassung normative Autorität zukommt.
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Th. Mayer-Maly, Rechtswissenschaft (1991), 55.
Dazu jüngst R. Rebhahn, Zu den Rahmenbedingungen von Rechtsdogmatik, in FS Koziol (2010), 1461 ff (1464).
Vgl W. Ernst, Gelehrtes Recht. Die Jurisprudenz aus der Sicht des Zivilrechtslehrers, in Chr. Engel/ W. Schön, Das Proprium der Rechtswissenschaft (2007), 3 ff (9 ff).
Vgl zB E. Jakab, Vertragsformulare im Imperium Romanum, ZRG-RA 123, 2005, 71 ff.
F.-S. Meissel/ B. Feldner, Bericht über den 33. Deutschen Rechtshistorikertag in Jena, ZRG-RA 118, 2001, 631 ff (639).
Ganz anders der Schluss, den J. G. Wolf, Der neue pompejanische Urkundenfund, ZRGRA 118, 2001, 73 ff (131), aus den Urkundenfunden zieht: Wolf meint, dass aufgrund der pompejanischen und herkulanensischen Urkundenfunde gerade der Nachweis erbracht worden sei, dass „das römische Privatrecht in seiner ganzen Komplexität, wie die römische Jurisprudenz sie entwickelt hat, durchaus im Alltag galt. Die Urkunden antworten mit großer Genauigkeit seinen differenzierten Anforderungen. Die Konzeption ihrer Formulare setzte, ebenso wie der Entwurf der singulären Urkunden, eine profunde juristische Bildung voraus. Sie sind damit auch der unmittelbare Beleg eines Berufsstandes von Rechtsexperten, die in hohem Maße die soziale Wirklichkeit des Rechts verantworteten. Wie die Juristen in ihren Schriften, überlebten sie, namenlos und als Kollektiv, in den Urkunden, die sie schufen.“
Cicero, Brutus 152 f; vgl dazu etwa A. Bürge, Römisches Privatrecht (1999), 104 f; zur Arbeitsweise der republikanischen Jurisprudenz siehe F. Wieacker, Römische Rechtsgeschichte I (1988), 572 ff.
Zur kontroversen Diskussion dieser Fragen siehe etwa O. Behrends, Causae coniectio der Zwölftafeln und die Tatbestandsdisposition der Gerichtsrhetorik, ZRG-RA 92, 1975, 167, 171 ff; L. Vacca, Contributo allo studio del metodo casistico nel diritto romano (1976); F. Horak, Osservazioni sulla legge, la casistica e il case law nel diritto romano e nel diritto moderno, Atti Cagliari (1981), 67 ff; M. Kaser, Römische Rechtsquellen und angewandte Juristenmethode (1986), 42 ff.
Siehe nur R. von Jhering, Der Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung III (1906), 178 ff; F. Schulz, Prinzipien des römischen Rechts (1934), 27 ff; F. Wieacker, Vom römischen Recht (1961), 143.
Vgl F.-S. Meissel, Societas, 120.
Vgl Meissel, Societas, 123 f.
Vgl Meissel, Societas, 149.
Vgl Meissel, Societas, 273, 304 f.
Vgl Meissel, Societas, 135 f.
Vgl Meissel, Societas, 153.
Vgl Meissel, Societas, 191.
Vgl Meissel, Societas, 181.
Vgl Meissel, Societas, 186.
Vgl dazu F.-S. Meissel, Liquidating a trading partnership — the Riddle of D. 17.2.69, RIDA, 2002, 119 ff; A. Bürge, Die societas ad emendum im Lichte der Organisation von nundinae — eine Deutung von Ulp D 17,2,69, ZRG-RA 125, 2008, 425.
Einige Beispiele bei F.-S. Meissel, Plura negotia quam vocabula, in S. Kalss/ F.-S. Meissel, Zur Geschichte des Gesellschaftsrechts in Europa (2003), 22 ff.
Die Argumente pro und contra Urheberschaft des Servius werden von F. Bona, Contributi alla storia della „societas universorum quae ex quaestu veniunt“ in diritto romano, Studi Grosso I (1968), 404 f Fn 26, ausführlich diskutiert. Er gelangt zum Ergebnis, dass sich die Frage nicht endgültig entscheiden lässt.
Der Zweifel, ob im konkreten Fall auch der letztwillige Erwerb einzubeziehen sei, könnte auch mit der spezifischen Situation, in der beide colliberti dem Patron operae geleistet haben, weshalb die letztwillige Zuwendung insofern „remuneratorischen“ Charakter gehabt haben könnte, zusammenhängen; vgl A. Watson, Law of Obligations (1965), 135 f. Schon in der Tradition der klassischen Juristen scheint demgegenüber aber der Aspekt der Charakterisierung der societas als einer, in der neben quaestus auch lucrum und compendium erfasst sind, im Vordergrund gestanden zu sein.
Dazu bereits F.-S. Meissel, Id quod actum est beim römischen Gesellschaftsvertrag, in FS Hausmaninger (2006), 177 ff. Zum gesamten Fragenkomplex des id quod actum siehe nun U. Babusiaux, Id quod actum. Zur Ermittlung des Parteiwillens im klassischen römischen Zivilprozeß (2006).
Dazu ausführlich G. Santucci, Il socio d’opera in diritto romano (1997), 29 ff.
Dazu K.-M. Hingst, Die societas leonina in der europäischen Privatrechtsgeschichte (2003), bes 35 ff.
Dazu gehört vielleicht die umstrittene Einordnung der Trödelvertragsfälle unter die societas; vgl Meissel, Societas, 146 ff.
I. Chr. Van Oven, Societas in tempus coita, Studi Arangio-Ruiz II (1953), 553 ff, bezweifelt die Authentizität von Paulus D 17.2.1 pr und von Paulus D 17.2.65.6 im Hinblick auf die societas in tempus coita, welche seines Erachtens erst in der Nachklassik relevant gewesen sei. Seine Ausführungen sind allerdings nicht überzeugend. Zunächst muss er selbst zugeben, dass in der Praxis (auch der Klassik) sehr wohl zeitlich befristete Gesellschaftsverträge vorgekommen sind (vgl nur FIRA III2 Nr 156), ja er vermutet sogar (wofür jeglicher Quellenbeleg fehlt), dass der altrömische Familienverband ercto non cito häufig für eine bestimmte Zeit abgeschlossen worden sei (aaO 464). Auch dass sowohl D 17.2.1 als auch D 17.2.65.6 aus demselben 32. Buch des Ediktskommentar des Paulus stammen, ist für ihn kein Grund, in beiden Fällen an der Autorschaft des Paulus zu zweifeln. Maßgeblich sind für ihn einerseits die Nichterwähnung des Zeitablaufs als Endigungsgrund in den entsprechenden Aufzählungen sowie andererseits, dass Paulus in D 17.2.17.2 die Unbeachtlichkeit einer Kündigungsvereinbarung erklärt (nihil attinet de renuntiatione cavere; ähnlich wie der von Ulpian zitierte Pomponius in D 17.2.14: Pomponius scripsit frustra hoc convenire).
FIRA III2 Nr 157; vgl Meissel, Societas, 171 ff.
Dazu R. Taubenschlag, Die societas negotiationis im Rechte der Papyri, ZRG-RA 52, 1932, 77, A. Steinwenter, Aus dem Gesellschaftsrechte der Papyri, in St. Riccobono I (1936), 503 f. Der Gesellschaftsvertragsentwurf zwischen dem Schwiegervater und Schwiegersohn hinsichtlich einer Tischlerei aus Antinoupolis (P Cairo 67158 = FIRA III2 Nr 158) setzt dagegen nur ein Anfangsdatum und geht auf unbestimmte Zeit.
Vgl dazu M. San Nicolò, Ägyptisches Vereinswesen I (1913), 152, sowie Taubenschlag, ZRG-RA 52, 1932, 68.
Dazu M. Amelotti, Una società di trasporto nella Grande Oasi, Scritti Giuridici (1996), 87 ff.
Freilich besteht auch die Möglichkeit, dass der Vertrag als societas unius rei bloß für die Organisation von jeweils einem Transport gedacht war (für letztere Deutung Amelotti, Scritti Giuridici (1996), 87).
Dazu ausführlich Bona, Studi (1973), 79 ff.
Diese Konstruktion begegnet zwar vorwiegend in den Juristenschriften, ist aber auch im P London V 1795 zu finden. Zur Abrede ne societate abeatur vgl insbes W. Litewski, Les effets juridiques du pactum ne societate abeatur, RIDA 3e série 25, 1978, 279 ff; A. Di Porto, Impresa collettiva (1984), 150 ff.
Vgl etwa V. Arangio-Ruiz, Società (1950), 155 f.
Zu D 17.2.65.6 vgl T. Giaro, Excusatio necessitatis nel diritto romano (1982), 108 f.
R. Knütel, Contrarius consensus (1968), 131 und 131 Fn 42, vermutet, dass die besondere Auslegung der Klausel mit einer „Befristungsfeindlichkeit der societas“ zusammenhängt, welche dazu geführt habe, dass man selbst bei Erwerbs-und Gelegenheitsgesellschaften „noch nicht zur Ausformung eines Auflösungskonsenses gelangt war“. Warum bei einem Vertrag, bei dem die einseitige freie Kündigungsmöglichkeit gegeben ist (liberum est recedere) die einvernehmliche Beendigung durch Fristablauf unmöglich sein soll, erscheint aber schwer verständlich. Möglicherweise ging es Paulus aber bloß darum, die Beschränkung der freien Kündbarkeit während der „Sperrfrist“ hervorzuheben; seine Formulierung societas in tempus coita könnte folglich auf beide Formen der Befristung (sowohl die von vornherein terminisierte societas als auch jene mit einem pactum ne a societate intra certum tempus abeatur) zu beziehen sein.
Vgl Gaius Inst 3.152 f.
Author information
Authors and Affiliations
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2011 Springer-Verlag/Wien
About this chapter
Cite this chapter
Meissel, FS. (2011). Vertragspraxis und Privatrechtsdogmatik — Zum Umgang der römischen Juristen mit Vertragsklauseln am Beispiel der societas. In: Harrer, F., Honsell, H., Mader, P. (eds) Gedächtnisschrift für Theo Mayer-Maly. Springer, Vienna. https://doi.org/10.1007/978-3-7091-0001-1_23
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-7091-0001-1_23
Publisher Name: Springer, Vienna
Print ISBN: 978-3-7091-0000-4
Online ISBN: 978-3-7091-0001-1
eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)