Zusammenfassung
Kaum eine Erscheinung des sozialen Lebens ist einer systematisch-rationalen Erfassung so schwer zugänglich wie das wechselvoll vielgestaltige Gebilde des „Publikums“. Schon als prinzipiell passives, rezeptives Objekt der Beeindruckung überall da gegeben, wo eine Mehrzahl von Menschen in cumulo einem sie „inter-essierenden“ Gegenstand eine noch so sporadische Aufmerksamkeit zuwendet — ganz in diesem einzigen „Akt“, der „es“ erstlich entstehen läßt, sich „entfal-tend“ und zugleich sinnhaft erschöpfend — unterliegt das Gremium der Gaffer oder Hörlustigen im Leben meist bald oder gar von Anbeginn einer absichtsvollen Beeinflussung. Es wird einer „Inanspruchnahme“ gewürdigt, die, je nachdem, Gabe oder Ausbeutung sein mag: jedenfalls es „in Dienst nimmt“, zum „Instrument“ macht, und sei es nur dem eines Resonanzbodens — für Gehalte und Zwecke doch immer, die „ihm“, dem Publikum, an sich transzendent sind: für die es eben „angesprochen“, „angespannt“ wird. Und solche „Anspannung“ — der doppeldeutige Begriff bietet sich willfährig als Brücke von der inneren „Spannung“ zum äußeren „Gespann“! — wird dann gegebenen Falles, dessen Eintritt das Publikum kaum mehr in der Hand hat, eben zur „Einspannung“, für die alle Mittel, von der elastisch-sanften Nötigung über die verschiedenen Stufen des Druckes bis zum nackten Terror aufgeboten werden. Von „Freiwilligkeit“ ist hier in Wahrheit längst nicht mehr zu reden, wenn das Etikett noch in leicht durchsichtiger Absicht aufgeklebt wird.
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Referenzen
Vgl. auch Müller-Freienfels, Psychologie der Künste (Hdb. d. vrgl. Psych., II) S. 262 f.
Über eine Darstellung von Thornton Wilders „Unsere kleine Stadt“ berichtet H. Wodak („Rh. Merkur“, 8. 3. 47) unter der Überschrift „Die Wandlung des Publikums“: „Und es geschieht etwas Außergewöhnliches: während des Spielablaufs verwandelt sich das landläufige Publikum in zaghaft gläubiges Zuschauervolk. Eine Überkreuzwirkung von Dichter und Kritiker, von Darsteller und Zuschauer wird spürbar. Die geistige Wechselspannung zwischen Autor und Presse, Ensemble und Parkett wächst während der Vorstellung ständig. Die konventionellen Trennwände zwischen diesen vier Mitwirkenden jedes echten Theatererlebnisses sind verschwunden. Die geistige Bildwerdung, ein gemeinsames kultisches Atmen erfaßt alle, die das Theater noch gläubig lieben. Plötzlich spürt man, daß die Welt der Bühne in ein spätes Stadium der Entwicklung eingetreten ist, das neue Wandlungen vorbereitet und heraufbeschwört. Man ahnt den Sinn unserer Schmerzen, Entbehrungen und Hoffnungslosigkeit.“ Wohin solche „Entwicklung“ der Bühne führen könnte, wird weder der Verfasser noch irgend sonst jemand sagen können. Deutlich aber ist, daß eine zukunftsträchtige Vision dieser Deutung nicht zugrunde liegt. Sie müßte auf die Funktion des Theaters überhaupt und auf seine bisherigen Formen Bezug nehmen.
„Das Ende der Termiten“, S. 11.
Wie Levalter in der Zeitschrift „Merkur“ II, 9, 461 f. bemerkt.
Auf eine Erörterung der Bedeutung des „Gesprächs“ für jene relativ „aktiven“ Derivat erscheinungen des Publikums, die man unter dem problematischen Begriff der „Öffentlichen Meinung“ zusammenfaßt, sowie deren Sonderproblematik selbst, muß hier verzichtet werden. Vgl. dazu besonders Wilh. Bauer, Die öffentliche Meinung und ihre geschichtlichen Grundlagen. 1924, sowie az Tönnies, Kritik der öffentlichen Meinung 1932, und meine „Zeitung und ihr Publikum“, 1930.
L. v. Wiese, System der allgemeinen Soziologie, S. 439.
„Gemeinsamkeit des Erlebens“ (das Geiger, „Die Masse und ihre Aktion“, S. 15 ff., in Pole mik gegen Le Bon, dem heute typischen Theaterpublikum mit Recht abspricht) erscheint nicht erforderlich, um einen umschließenden „Kreis“ zu konstituieren, der innerhalb seiner die von ihm in noch so spezifischer und ephemerer Hinsicht umgriffenen Personen auch unter einander „indirekt“ möglicherweise in Beziehung setzt: das Bewußtsein eines gemeinsamen Gegenstandes des Interesses, also das was Geiger Gleichheit des „Substrats des Tuns oder Erlebens“ nennt, genügt dafür durchaus. Ob wir dem gemeinten Gebilde die bedeutsame Qualität eines „über persönlichen Objektivcharakters“ zusprechen können, bleibe dahingestellt: es ist Sache der Terminologie. Uns genügen die aufzuweisenden Fakten. Und im vorliegenden Falle insbesondere geht es letztlich nicht um eine „kollektive Einheit“ als solche, sondern um Beziehungen zwischen Individuen, sofern sie durch das Bewußtsein des gemeinsam Gerichtetseins auf einen wennschon nur der abstrakt-objektiven Tatsächlichkeit nach für alle wirklich „identischen“ Gegenstand be dingt sind. Andererseits würde ich — im Unterschied zu v. Wiese („System“, S. 436) — nur dann von einem soziologischen „Gebilde“ sprechen, wenn ein solches „Bewußtsein“ in irgendeinem möglicherweise doch verbindenden, d. h. Beziehungen spezifischer Art ermöglichenden Sinne vorliegt. Daß solche Beziehungen faktisch vorliegen, erscheint nicht notwendig; wohl aber muß die conditio sine qua non für solche Beziehungen, eben jenes „Bewußtsein“, gegeben sein. Es gibt den dann möglicherweise auftretenden Beziehungen die dem betreffenden Gebilde eigene Note — im (thoretischen) Rahmen des allgemeinen Charakters als „indirekte“, den sie als „kollektiv bedingte“ haben.
Speziell S. 40 ff. Im Zentrum der Problematik steht die Unterschiedlichkeit des Publikums zur Masse ja bei Tarde, L’Opinion et la Foule — dessen Begriff „public“ sich zwar nicht ganz mit unserem „Publikums“-begriff deckt. Daß die Problematik des „Publikums“ in wesentlichen Stücken in den allgemeinen Problemkreis der „Masse“ hineingehört, ist nicht zu bestreiten. Dem entspricht auch die systematische Einordnung bei v. Wiese.
„Religionswissenschaft und Theologie“ in „Blick in die Wissenschaft“, I, 5 (Mai 1948).
Vgl. Peters, Die Zeitung und ihr Publikum.
Sie kann hier aus Raumgründen nicht ausgeschöpft werden; ich muß wieder auf meine „Zeitung und ihr Publikum“ verweisen.
Vgl. insbesondere die Aufsatzfolge „Wirtschaft und Politik“, speziell den Aufsatz von F. Pollock „Staatskapitalismus“ in der „Umschau, Internationale Rvue“, Jg. II (1948), Heft 2.
Vgl. E. H. Carr, Sowjet-Rußland und der Westen, S. 12 ff.
Vgl. etwa den Roman „PLN“ von Werner Kraus, wo die gezeichneten Ansätze zu einem grotesken Bilde der „Passionen der halykonischen Seele“ ausgemalt erscheinen.
G. Ferro, „Die legitime Demokratie“, „Merkur“, I, 6, 804. (Der Aufsatz stellt das 12. Kapitel des Buches „Macht“ dar.)
Vgl. zum folgenden Tönnies, Kritik der öffentlichen Meinung, S. 108 ff., besonders S. 142 ff.
Tönnies, a. a. O. S. 144.
„Die Perfektion der Technik“, S. 112 ff.
Wenn ein Schauspieler des typischen Schlages aus der Zeit etwa vor 1914 mit seinem persönlichen Leben in eine gesellschaftlich „primitive“ Welt einbrach, lag die Tragödie des Ausgangs nahe. Einen grotesken Verlauf nimmt ein multiples „Abenteuer“ dieser Art in Heinrich Manns „Die kleine Stadt“.
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Peters, A. (1951). Die Problematik des Publikums. In: von Wiese, L. (eds) Abhängigkeit und Selbständigkeit im Sozialen Leben. Schriften der Soziologischen Abteilung des Forschungsinstituts für Sozial- und Verwaltungswissenschaften in Köln. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-20455-8_19
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