Zusammenfassung
Die Politische Wirtschaftslehre (PWL) ist ein Teilbereich der Politologie, einer uralten und wieder ganz modernen Wissenschaft. Politologie1 oder »Politische Wissenschaft« ist die Wissenschaft von der Politik, also von der Gestaltung des öffentlichen Lebens oder, härter formuliert, vom Kampf um die rechte Ordnung. In dieser Formulierung — eher einer Umschreibung als einer Definition — sind drei Elemente enthalten:
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1.
Das gesellschaftliche Objekt der Politologie, das öffentliche Leben, das »Gemeinwesen«, die Gesamtheit, die polis, die res publica, der Staat. Heute ist Politologie meistens auf den Staat »bezogen«. Den Staat definierte Max Weber als den Verband mit dem Monopol legitimer Gewaltanwendung; doch ist das Wesen des Staates damit nicht voll erfaßt. — Dieses erste Element kann als das institutionelle Element bezeichnet werden.
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2.
Der politische Prozeß, das Gestalten und Ordnen des Gemeinwesens, die Macht in verschiedenen Formen: das Ringen um Einfluß; das diplomatische Überreden und Übertölpeln; der demokratische Kompromiß; Drohung, Zwang, Gewalt; wirtschaftliche und militärische Macht, Überwältigung. — Dies ist ein dynamisches Element.
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3.
Die ethischen Werte, nach denen das Gemeinwesen geordnet werden soll, das »Gemeinwohl«: Recht und Menschlichkeit, individuelle und soziale Freiheit, Solidarität und Kollektivität, Fortschritt und Wachstum, Ruhe und Ordnung, kurz: der »gute« Staat. — Dies ist ein sittlich normatives Element.
Politics: Who gets what, when, how ... and why?
(H. D. Lasswell)
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Literaturhinweise zur Systematischen Einleitung
»Feststellungen der Arbeitstagung der Deutschen Hochschule für Politik« im März 1950. In: Alfred Weber und Eugen Kogon: Die Wissenschaft im Rahmen der politischen Bildung. Berlin 1950, S. 27 f. (»Gegenstand der Wissenschaft von der Politik ist die Gestaltung des öffentlichen Lebens . . . Diese Wissenschaft hat insbesondere zu tun mit dem Erwerb, dem Gebrauch, dem Verbrauch der Macht, mit der Gesittung und ihrem Verfall.«)
Besson, Waldemar: Art. »Politik« im Evangelischen Staatslexikon, Stuttgart und Berlin 1966, S. 1547–1560 (»Politik ist Führung von Gemeinwesen auf der Basis von Machtbesitz«).
Bergstraesser, Arnold: Politik in Wissenschaft und Bildung. Freiburg/Br. 1961 (»Freiheit und Not, entscheiden zu müssen«, S. 19).
Brecht, Arnold: Politische Theorie, Tübingen 1961.
Fischer-Lexikon, Bd. 2 »Staat und Politik«, Frankfurt a. M. 1964 (hrsg. von Karl Dietrich Bracher und Ernst Fraenkel »Der Prozeß der politischen Willensbildung ist nur bei gleichzeitiger Berücksichtigung normativer und empirischer Betrachtungsweisen voll zu begreifen«).
Flechtheim, Ossip K.: Grundlagen der Politischen Wissenschaft, Meisenheim 1958.
Friedrich, Carl].: Die Politische Wissenschaft, Freiburg/Br. 1961 (»Die Politische Wissenschaft kann nur in einem freien Staatswesen gedeihen; denn sie fragt nach den Dingen, die von den Herrschaftsträgern lieber geheimgehalten werden«, S. 4).
v. d. Gablentz, Otto Heinrich: Einführung in die Politische Wissenschaft, Köln-Opladen 1965.
Ders.: Der Kampf um die rechte Ordnung. Köln-Opladen 1964. (»Der Ausdruck 〉rechte〈 Ordnung hält die Mitte zwischen den Formulierungen 〉gerechte〈 Ordnung und 〉richtige〈 Ordnung«, S. 306).
Grosser, Dieter: Politik als Gestaltung des öffentlichen Lebens. In: Hartwich, H. H. (Hrsg.): Politik im 20. Jahrhundert. Braunschweig usw. 1964 (1. Kapitel).
Heller, Hermann: Staatslehre. Leiden 1934 (»Der Gegenstand der politischen Wissenschaften wechselt weit weniger nach den subjektiven Interessen und Gesichtspunkten des einzelnen Forschers als nach den konkreten historisch-soziologischen Fragwürdigkeiten und Undurchsichtigkeiten des politischen Lebens selbst... Heute befaßt sich die politische Wissenschaft... dem Grundsatz nach nur mit solchen politischen Tätigkeiten und institutionellen Tätigkeitsformen, welche eine selbständige, durch feststehende normative Rechtsregeln nicht genau vorherbestimmte Machtausübung bedeuten«, S. 22).
Lehmbruch, Gerhard: Einführung in die Politikwissenschaft. Stuttgart usw. 1967: »Besser versteht man Politik als gesellschaftliches Handeln..., welches darauf gerichtet ist, gesellschaftliche Konflikte über Werte (einschließlich materieller Güter) verbindlich zu regeln«, S. 17.
Oberndörfer, Dieter: Politik als praktische Wissenschaft. In: Oberndörfer (Hrsg.): Wissenschaftliche Politik, Freiburg/Br. 1962 (Diese Wissenschaft »gewinnt den Horizont ihres Forschens nicht aus dem Ziel der Beschreibung von Geschehenem, sondern aus der Frage, was im Licht des Möglichen und wünschbar Guten geschehen solle ...«, S. 19).
Sontheimer, Kurt: Zum Begriff der Macht als Grundkategorie der Politischen Wissenschaft. In: Oberndörfer (Hrsg.): Wissenschaftliche Politik. Freiburg/Br. (»Die vernünftige Ordnung des Gemeinwesens für jede Zeit neu zu durchdenken... und an die Idee einer humanen und gerechten Ordnung... zu erinnern, frommt einer politischen Wissenschaft weit eher als die . .. Konzentration auf die sogenannten Machtaspekte«, S. 209).
Weber, Max: Politik als Beruf. Ein gehaltvoller »Vortrag«. 67 Seiten. Berlin 1919.
Fragen und Anregungen zur Systematischen Einleitung
Die Wörter Politik, Politologie, Polis, Polizei, Politbüro, Politeia sind miteinander verwandt. Wie? Was ist »politische Polizei«?
Wie verhält sich Politologie zur Geschichtswissenschaft? Lesen Sie dazu v. d. Gablentz, Einführung, S. 12 f., sowie Oberndörfer, S. 38–45.
Ist die Politologie eine »empirische« Wissenschaft?
Welche Übereinstimmungen und welche Gegensätze über das Wesen der Politologie bestehen bei den im Literaturhinweis genannten Autoren?
Welche dieser Autoren werden der Bedeutung der Politischen Wirtschafts- und Soziallehre als Teil der Politologie gerecht?
Nennen Sie weitere Beispiele für die drei Ziel-Mittel-Kombinationen (§ 5)!
Nennen Sie weitere Fälle, in denen das Gemeinwohl sich nicht mit dem Einzelwohl deckt (§ 8) !
Als Pendant zu dem NS-Slogan »Gemeinnutz geht vor Eigennutz« hat man für die Bundesrepublik die Forderung gestellt: »Gemeinnutz gehe vor Gruppennutz«. Was ist damit gemeint?
Wissen die Mediziner genau, was »Krankheit«, die Juristen, was »Recht«, die Botaniker, was eine »Pflanze«, die Politologen, was »Politik« ist?
Die Franzosen nennen die Politologie »sciences politiques« (leider meist Mehrzahl), was im täglichen Leben als »sciences po.« abgekürzt wird: Man sieht, »fremde Sprachen nehmen nicht immer gebührende Rücksicht auf die verpönten Klangformen der anderen Sprachen« (Theodor Fontane in L’Adultera). Der französische »politiste« ist nicht etwa ein Polizist, sondern ein Politologe; doch ist auch die Bezeichnung »le politologue« in Frankreich heimisch geworden. »Le politicien« ist nicht etwa der tüchtige Politiker, sondern ein politischer Stümper. — Wie lauten die entsprechenden Bezeichnungen auf Englisch?
Trennen Sie deutlich die beiden Bedeutungen des Wortes »Finanzen«: die eine meint die »Finanzwelt«, die Geld gibt (Financier und Haute Finance); die andere den Finanzminister, der Geld nimmt.
Trennen Sie sauber die Begriffe a) Wettkampf und Wettbewerb! b) Gegner und Feind! c) Vermögen im Sinne von viel haben und im Sinne von viel können!
Willensfreiheit. Wohl jeder von uns ist davon überzeugt, daß er selbst frei ist; aber die anderen Menschen hält er für determiniert. Ist diese Unlogik vielleicht legitim, weil sie ein unlösbares Problem formuliert?
Wirtschaftswunder. Waren die Entwicklungen nach 1948 a) in der BRD, b) in der DDR »Wunder«? Hat Ben Gurions Ausspruch »Wer nicht an Wunder glaubt, der ist kein Realist« einen tiefen Sinn?
Macht hat doppelte Tendenz: Sie neigt zur Expansion, ruft aber auch Gegenmacht hervor. Beispiele für die Expansion: »Wer da hat, dem wird gegeben«; Bildung ist Folge und Ursache von Reichtum. Nennen Sie weitere Beispiele! — Beispiele für Gegenmacht: Gewerkschaften; Arbeitgeberverbände; Abwehrkartelle. Nennen Sie weitere!
Häufig sind sich Experten über Art und Grad der Wirkungen einer Maßnahme oder eines Vorgangs einig, nicht aber über Zeitpunkt und Tempo. Geben Sie hierfür Beispiele! (z. B. Konjunkturdiagnosen.)
Die Antwort unseres Freundes, der — vom Dach fallend — gerade an unserem Fenster vorbeifliegt, und den wir nach seinem Befinden fragen: »Danke, im Moment gut«, ist korrekt aber irgendwie unvollständig. Formulieren Sie, inwiefern, und wenden Sie die daraus folgende Erkenntnis auf alle politischen und ökonomischen Vorgänge an!
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von Eynern, G. (1968). Systematische Einleitung: Politische Wirtschaftslehre als Wissenschaft. In: Grundriß der Politischen Wirtschaftslehre. Die Wissenschaft von der Politik. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-19664-8_1
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-19664-8_1
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-663-19615-0
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