Zusammenfassung
Nach dem Tode des Präsidenten der DDR, Wilhelm Pieck, am 7. September 1960 wurde das gesamte Staatsgefüge der DDR umgebaut. Durch ein korrektes verfassungsänderndes Gesetz, das die Volkskammer am 12. September 1960, also nicht einmal eine Woche nach Piecks Ableben, beschloß1, wurde unter Aufhebung der Art. 101–108 der Verfassung der DDR der Staatsrat formell als kollektives Staatsoberhaupt an die Stelle des Präsidenten der Republik gesetzt2. Während indes der Präsident gemäß der alten Verfassungskonstruktion ausschließlich auf die traditionellen Repräsentationsaufgaben des Staatsoberhauptes festgelegt war und keinen politischen Faktor von Bedeutung darstellte3, verhält es sich mit dem Staatsrat völlig anders. Nach der Neufassung des Art. 102 ist der Staatsrat ein kollektives Staatsoberhaupt, bestehend aus dem Vorsitzenden, 6 Stellvertretern, 16 weiteren Mitgliedern und einem Sekretär, der gleichfalls die Eigenschaft eines Mitglieds hat. Ausdrücklich wird aber hervorgehoben, daß der Vorsitzende die Arbeit des Staatsrats »leitet«, also aus dem Kollektiv eindeutig herausragt4. Diese Bestimmung erhält jedoch erst ihr volles Gewicht in Verbindung mit der Neufassung des Art. 106. Danach erläßt der Staatsrat (Abs. 7) Beschlüsse mit Gesetzeskraft; er faßt insbesondere (Abs. 8) »grundsätzliche Beschlüsse zu Fragen der Verteidigung und Sicherheit des Landes«5. Ferner gibt er (Abs. 6) »allgemein verbindliche Auslegungen der Gesetze«. Er kann nach Abs. 2 allgemeine Volksbefragungen vornehmen 6 und schreibt nach Abs. 1 die Wahlen zur Volkskammer aus7.
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Referenzen
Neues Deutschland vom 13. September 1960.
Art. 102 (neu) Abs. 1.
Seine Tätigkeit beschränkte sich im wesentlichen darauf, die Republik völkerrechtlich zu vertreten (Art. 105, alt), die Gesetze zu verkünden (Art. 104, alt) und unter Beratung seitens der VK das Gnadenrecht auszuüben (Art. 107, alt); im übrigen bedurften laut Art. 106 (alt) alle Anordnungen und Verfügungen des Präsidenten der Gegenzeichnung durch den Ministerpräsidenten bzw. den zuständigen Minister.
Art. 102 (neu) Abs. 2.
Dies wird nach Abs. 9 noch dadurch ergänzt, daß auch alle sonstigen Anordnungen des Nationalen Verteidigungsrates seiner Zustimmung bedürfen und daß er (Abs. 10) dessen Mitglieder beruft. Damit wird der NVR, der ursprünglich formal dem Präsidenten der VK unterstellt war, in einer weit substantiierteren Weise dem StR unterstellt. Vgl. u. IX. Kapitel.
Damit tritt er auch hier in Konkurrenz zur VK und zum MR, die nach Art. 86 und 87 der Verfassung unter bestimmten Umständen einen Volksentscheid herbeiführen können. Das Nähere sollte durch ein nie erlassenes Gesetz geregelt werden. Praktisch hat dies keine Rolle gespielt. »Volksbefragungen«, die in der Verfassung vor der Gründung des StR nicht vorgesehen waren, sind anderseits sehr wohl in früheren Jahren durchgeführt worden. Der Sachverhalt ist von politisch geringer Relevanz und hat nur agitatorische Bedeutung. Näheres hierzu bei Mampel (Anm. II/12), S. 229 ff. Es ist nicht anzunehmen, daß dieser Abs. 2 des neuen Art. 106 als politisches Instrument mehr Gewicht erhalten könnte, da Volksbefragungen jeder Art grundsätzlich ein pluralitäres Willenskonzept — wenigstens in der Eventualität — voraussetzen. Andernfalls kann der Sinn der Befragung nur darin liegen, eine Massenakklamation zu erzielen, wie das in der Tat bei jeder »Volksbefragung« in der DDR der Fall gewesen ist, ausgenommen jene vom 15./16. Mai 1949, die die fragwürdige Basis jenes Gremiums lieferte, das sich hernach als provisorische Volkskammer etabliert hat.
DDR-Verf., Art. 106 Abs. 1 (neu).
Sie betrifft den gesamten Komplex des VW-Plans; vgl. u. S. 136.
DDR-Verf., Art. 104 Abs. 1 (neu).
DDR-Verf., Art. 108 (neu).
DDR-Verf., Art. 101. Am Rande versteht sich, daß der StR neben den hier erwähnten Funktionen eines Machtorgans auch diejenigen der Repräsentationsspitze (vgl. Anm. III/3) weiterhin zu erfüllen hat.
Neues Deutschland vom 5. Oktober 1960.
Ebda.
Der StR bedarf für seine Gesetzgebungsfunktion (Art. 106, neu) keiner Gegenzeichnung, womit die Rechenschaftspflicht (nach Art. 104 Abs. 1, neu) gegenüber der VK wesentlich ausgehöhlt ist. Die Bestimmung, daß der StR die Funktionen der VK außerhalb ihrer Sessionen wahrnehme, ist vom StR, nicht von der VK ergangen. Ob sie in den Bereich des Abs. 5 (verbindliche Auslegung der Gesetze) oder des Abs. 6 (Erlaß von Beschlüssen mit Gesetzeskraft) des neuen Art. 106 fällt, ist offen. Hier zeigt sich, daß mit diesen Absätzen des Art. 106 all das in das Belieben des StR bzw. Ulbrichts gestellt ist, was die bolschewistische Staatslehre als »schöpferische Weiterentwicklung der Gesetzlichkeit« und als den Zwang zu ihrer Anpassung an die sich ändernden gesellschaftlichen Verhältnisse bezeichnet.
Vgl. Die UdSSR. Enzyklopädie der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, Leipzig 1959, S. 10.
Nur die erste Tagung einer neugewählten VK wird lt. Art. 106 Abs. 1 (neu) vom StR einberufen. In der sowjetischen Konstruktion wechselt der Tagungsvorsitz jeweils (vgl. Reinhart Maurach, Handbuch der Sowjetverfassung, München 1955, S. 193), so wie es in der DDR einstweilen nur für die Tagungen der örtlichen Volksvertretungen gilt.
Vgl. u. VIII. Kapitel.
Neues Deutschland vom 5. Oktober 1960.
Vgl. bes. o. S. 30 ff.
Bericht des Zentralkomitees an den VI. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1963, S. 63.
Ebda.
Vgl. u. IX. Kapitel.
DDR-Verf., Art. 81.
DDR-Verf., Art. 66.
Vgl. u. IV. Kapitel sowie u. VIII. Kapitel.
Bei alldem ist indes die Sonderstellung des VW-Plans und der mit ihm zusammenhängenden Gesetzes- und Verordnungstätigkeit zu berücksichtigen; vgl. u. V. Kapitel.
GBL, I, 1961, S. 51 ff.
Vgl. »Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Wahlen zu den örtlichen Volksvertretungen« vom 6. Juni 1961 in: GBl., I, 1961, S. 151 ff., sowie den anschließenden »Beschluß des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik über die Richtlinie für die Durchführung der konstituierenden Tagung der Kreistage, Stadtverordnetenversammlungen, Stadtbezirksversammlungen und Gemeindevertretungen« vom 18. September 1961 in: GBl., I, 1961, S. 171 ff.
»Beschluß des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik über die weitere Entwicklung der Rechtspflege« vom 30. Januar 1961 in: GBl., I, 1961, S. 3 f.; sowie Neues Deutschland vom 26. Mai 1962 (Beschluß des Staatsrates); Neues Deutschland vom 7. Dezember 1962 (Direktive des StR).
Sozialistische Demokratie, 7. Jg., Nr. 9 (1. März 1963), S. 3.
Vgl. u. Abschnitt »Die Mitglieder«.
Neues Deutschland vom 5. Oktober 1960.
Vgl. u V. Kapitel.
Vgl. u. Abschnitt »Die Mitglieder«.
Lediglich die 26. Tagung des StR am 11. Februar 1963 »beriet« — soweit sich verfolgen läßt — grundsätzliche Fragen der zentralen staatlichen Leitung; vgl. Sozialitische Demokratie, 7. Jg., Nr. 9 (1. März 1963), S. 3. Aber auch sie wurde nicht eigentlich beschlußfassend tätig, wie der Notiz über die Tagung zu entnehmen ist.
Vgl. u. IX. Kapitel.
Vgl. u. IX. Kapitel.
Neues Deutschland vom 5. Oktober 1960 sowie Bericht des Zentralkomitees. . . (Anm. III/20), S. 65, wo die erzieherische Funktion stark hervorgehoben wird.
Dabei ist bemerkenswert, wie unbekümmert mit den Pouvoirs verfahren wird. Dem Präsidium des Obersten Sowjets dürfen grundsätzlich keine Mitglieder der Exekutive angehören. Hier wird, wenigstens in der Idee, berücksichtigt, daß das »Oberste Organ« zugleich oberste Kontrollinstanz über den gesamten Staatsapparat sein muß. Die dienende Funktion der Exekutive wird damit in Rechnung gestellt, auch wenn die sowjetische Staatslehre im übrigen genauso wie die volksdemokratische einschließlich der DDR die Lehre der Gewalteneinheit — insbesondere in Form der »Einheit von Beschlußfassung, Durchführung und Kontrolle der Durchführung« — vertritt. Aber es gehört zur impliziten Würde des obersten Organs, daß es wenigstens in der Theorie kontrollierende und — etwa in Fällen von Mißachtung der Gesetze oder Machtmißbrauch — revidierende Instanz sein müßte. Soviel bleibt von der in der Verfassung verankerten Idee der Volkssouveränität erhalten. — Ganz anders in der Staatsratskonstruktion der DDR. Hier sitzt neben Grotewohl der stellvertretende Minister der Kultur Rodenberg und der örtliche Ratsvorsitzende Grützner, selbstverständlich auch der Wirtschaftschef Leuschner im StR. Das oberste Organ müßte sich also selbst kontrollieren bzw. Rodenberg und Grützner ihre Vorgesetzten u.a.m. Gleichwohl hat Ulbricht in der »programmatischen Erklärung« die Forderung nach straffen Leitungs- und klaren Weisungsverhältnissen mit eindeutigen Kompetenzen erhoben. Auch daß sich der StR aus dem Komplex »Kontrolle« heraushielte, kann man — vgl. z. B. die Kritik an der Bauwirtschaftsleitung — nicht behaupten, selbst wenn man diesen Punkt eigentlich im Art. 106 vermißt, es sei denn, man lese ihn zwischen den Zeilen im Absatz »Verbindliche Auslegung der Gesetze«. Daraus ist zu schließen: Entweder ist der Status der »Normalmitglieder« des StR so inferior, daß ihre Mitgliedschaft gar nicht die Gefahr mit sich bringt, sie könnten Ungesetzlichkeiten u.a., für die sie innerhalb der Exekutive die Verantwortung tragen, als Mitglieder des StR verwischen; oder aber die Klärung der Kompetenzen wird nur bei nachgeordneten Funktionären für nötig gehalten. Auch für diese Version spricht einiges, insbesondere, daß es nach wie vor Sache des Zufalls ist, ob zentrale Behörden Statute haben oder nicht; vgl. die im Zusammenhang mit den Beschlüssen vom 12. und 14. Juli 1960 von Jendretzky (Anm. II/64) gegebene Argumentation, die ausdrücklich die Notwendigkeit der Kompetenzklärung hervorhebt, die Notwendigkeit aber zugleich ausschließlich für die örtlichen Organe abhandelt (Probleme der »Doppelunterstellung«). Vgl. u. VII. Kapitel.
Daß Rodenberg, ein indoktrinierter Theaterfachmann, einziger Vertreter des »ideologischen Sektors« im StR ist, erscheint auch bezeichnend. Auch auf diesem Gebiet sind deshalb vom StR keine richtungweisenden Direktiven zu erwarten. Das muß eigentlich weit mehr überraschen als die unzulängliche Vertretung von Exponenten der Wirtschaft und der »Sicherheit«. Man könnte es dahin deuten, daß hier eine ZK-Domäne ausgespart bleibt.
Die Verbindung von Sekretärfunktion und Vollmitgliedschaft lt. Art. 102 etabliert hier eine Machtposition. Der Leiter des Büros des Präsidiums des MR (Plenikowski) hat sie ebensowenig wie der Leiter des Büros des PB (Schön). Lediglich auf der Ebene der örtlichen Ratsverwaltung findet sich eine ähnliche Position. Der Bürochef wird damit in ungleich höherem Maße zur »rechten Hand«, als wenn er bloß mitberatender Angestellter wäre, obwohl man zunächst meinen möchte, in diesem Fall sei er weniger in der »Schußlinie«. Alle erwähnten Beispiele erhärten indes das Gegenteil. Gotsche wird durch diese Konstruktion, wie zu zeigen sein wird, und aus gutem Grund zum wirklichen und einzigen, wenn auch völlig subalternen Stellvertreter von Ulbricht als Chef des StR.
DDR-Verf., Art. 106 Abs. 12 (neu).
Ebda.
Lt. DDR-Verf., Art. 3 Abs. 9, gehört es zu den Bürgerrechten, Eingaben »an die Volksvertretung« zu richten; durch Erlaß des StR vom 27. Februar 1961 (GBL, I, 1961, S. 7 ff.) wurde das neu geregelt. Der StR fungiert hier ebenso wie zuvor der Präsident nur als Regulator. Doch partizipiert der StR und sein Sekretariat nach dem Verf. vorliegenden Informationen an dem aus der Zeit Piecks stammenden Brauch, Eingaben verschiedenster Art an das Staatsoberhaupt zu richten, und der Hoffnung der Bürger, so am ehesten in Härtefällen zu ihrem Recht zu kommen. An sich ist weder aus der Verfassung noch aus dem Text des erwähnten Erlasses zu entnehmen, daß hier eine spezielle Aufgabe des kollektiven Staatsoberhauptes läge. Vielmehr gehen die Eingaben an die zuständige Instanz der Exekutive. Aber nachweislich hat es unter Pieck wie unter Ulbricht/Gotsche Fälle gegeben, in denen die Gnadenfunktion so weit ausgedehnt wurde, daß das Staatsoberhaupt in Härtefällen zugunsten der Bürger intervenierte.
Vgl. u. IX. Kapitel.
GBl., I, 1961, S. 51 ff.
Vgl. u. IX. Kapitel.
Das wird auch im Bericht des Zentralkomitees. . . (Anm. III/20), S. 66, als Schwerpunkt der Arbeit des StR hervorgehoben.
Bis zum 1. Juli 1958.
Vielmehr wurde im Zuge der »weichen Welle« (vgl. o. II. Kapitel, Exkurs) die Bemühung sichtbar, die gesamte Jugend durch Anreize, Konzessionen (z. B. in Fragen der Kleidung, der Konzedierung des Jazz, vorübergehend sogar der Minderung des Drucks auf Ober-, Fach- und Hochschüler, FDJ-Gruppen anzugehören) und Übergabe stärkerer innerbetrieblicher Verantwortung (z. B. in Jugendbrigaden) aus ihrer Reserve gegenüber Partei und Ideologie herauszulocken. Auf der anderen Seite deklariert das neue Parteistatut von 1963 erstmalig die FDJ offen als Nachwuchsorganisation für die SED.
Vgl. u. IX. Kapitel.
Neues Deutschland vom 21. März 1963 erwähnt eine unter Polak tagende Rechtspflegekommission beim StR. Es muß offenbleiben, ob es sich um eine ständige Kommission oder eine ad hoc zur Bearbeitung und Überarbeitung der Rechtspflegedirektiven von 1962 handelt.
Vgl. u. VII. und VIII. Kapitel.
So auch die Einschätzung von Mampel (Anm. II/12), S. 282; S. 280.
Hierzu Näheres bei Richert/Stern/Dietrich (Anm. I/6), I. und II. Kapitel. 56 Vgl. o. Anm. III/3.
Zur Person Grotewohls vgl. o. Anm. II/183.
Nach persönlichen Informationen, die auf den Bericht eines Ministerstellvertreters um 1958/59 zurückgehen. Damals hatte Ulbricht energisch einer Äußerung Grotewohls widersprochen, es sei allmählich Zeit, jüngeren Funktionären Platz zu machen. Sämtliche Anwesende hätten den Eindruck gehabt, daß Ulbricht persönlich gemeint war.
Es liegt im Grunde ein Staatsstreich in zwei Phasen vor, wie die folgenden Darlegungen demonstrieren werden. Auf die Fusion von Partei- und Staatswillen, den in der Sache gravierenden Akt vom Juli 1960, folgt nun mit der Staatsratsgründung als zweiter Akt die Überantwortung nahezu der gesamten Macht und Würde an Ulbricht, also ein bonapartistisches Element.
GBl., I, 1960, S. 89.
So auch die Deutung von Mampel (Anm. II/12), S. 280.
Vgl. Neues Deutschland vom 16. Juli 1960 sowie den Kommentar von Jendretzky (Anm. II/64). Näheres o. II. Kapitel und u. IV. Kapitel.
Lt. DDR-Verf., Art. 81 und 82. Art. 81 sieht außerdem lediglich die Möglichkeit der Gesetzgebung durch Volksentscheid vor. Die hierfür angekündigten Ausführungsbestimmungen sind aber nie erlassen worden.
Vgl. o. Anm. III/62.
Vgl. u. IV. Kapitel.
So insbesondere Rost (Anm. II/16), S. 46 ff.
Vgl. o. II. Kapitel, Exkurs.
Vgl. u. V. Kapitel, Abschnitt »Das Gefüge der Wirtschaftsführung«.
Dokumente. . ., VII (Anm. II/61), S. 289. Vgl. ferner Stoph (Anm. II/24), S. 11 f.
Dies insofern, als hier nicht nur Regierungs- und Parteiführung in einer Hand liegen, sondern die betreffende Person außerdem auch noch Spitze der Repräsentation ist.
Dies Problem war vor allem vorher, bis zur gescheiterten Pariser Gipfelkonferenz im Mai 1960, von großer Aktualität, z. B. wenn man die im Jahr vorher in Genf erfolgte leichte Annäherung der Standpunkte der Außenminister Gromyko und Herter in Betracht zieht.
Neues Deutschland vom 16. und 17. Januar 1963.
Sozialistische Demokratie, 7. Jg., Nr. 9 (1. März 1963), S. 3.
Damit soll nicht gesagt sein, daß Pieck wirklich populär gewesen ist. Aber einerseits sein frühes Ausscheiden aus der aktiven Politik und zudem seine jahrelange schwere Krankheit, anderseits das recht verbreitete Wissen, daß hier die Gnadeninstanz lag und deshalb auch immer wieder Eingaben, die gar nicht seine Kompetenz betrafen, an ihn persönlich oder seine Präsidial- bzw. Privatkanzlei gingen, hob ihn gleichsam in den Augen vieler Verzweifelter, die es in dieser Gesellschaft so reichlich gab, aus dem einseitig parteilichen Getriebe heraus, als dessen Repräsentant mehr als alle anderen — selbst als etwa der Justizminister Hilde Benjamin oder der SSD-Minister Mielke — gerade Walter Ulbricht angesehen wird.
Ob nun aus der langjährigen Diallele von Partei und Staat, von Willensdynamik und Verwaltungssachlichkeit -oder was davon geblieben war — oder aus Assoziationen an seine sozialdemokratische Vergangenheit und dem vagen Eindruck, daß Grotewohl eins mit der Bevölkerung teilte: Schwäche, mag dahingestellt bleiben. Sicher ist, daß er von vielen lange Zeit als einzige greifbare Alternative zu Ulbricht angesehen worden ist. Sein Verhalten 1945/46 konnte diese Einschätzung nur sehr eingeschränkt stützen; sein Verhalten von 1953 zwar weit mehr, aber dann wieder bedeutend weniger seine starr »parteiliche« Reaktion zwischen Ende 1956 und Anfang 1958 während der Entstalinisierungskrise. Daß er sich um die Wende 1959/60 gegen die Kollektivierung stemmte (vgl. o. II. Kapitel, Exkurs), ist in der Öffentlichkeit fast untergegangen.
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Richert, E. (1963). Der Staatsrat. In: Macht ohne Mandat. Schriften des Instituts für Politische Wissenschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-19649-5_3
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