Zusammenfassung
Unstreitig läßt sich die Reihe der gewaltsamen und friedlichen Staatsveränderungen, die der deutschen Geschichte von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart ihren Hauptzusammenhang gibt, als ein einfaches Wachstum, eine von geistigen Gegensätzen nur lose umkleidete, langsame Emanzipation des Bürgertums von der Führung des Absolutismus auffassen, zu der diese Führung selbst wesentlich beigetragen und vorbereitet hatte. Im österreichischen Länderstaat half die Bildungspolitik Josefs II. mit am meisten das Selbstbewußtseins der nichtdeutschen Volkstümer entbinden, die einmal diesen Staat untergraben und endlich zersprengen sollten. Ganz so hatten in Preußen und auf allen übrigen bedeutenden Schauplätzen des aufgeklärten Despotismus, wie nachher die ständische Romantik der Konservativen richtig genug empfand, die Monarchie und Bureaukratie dem Verfassungsstaat und der Demokratie mannigfach vorgearbeitet. Noch an der Jahrhundertwende war es möglich (und wohl in der Tat die durchschnittliche Haltung des geistigen Deutschland), die große Entscheidung Europas mit Novalis als ein notwendiges Ringen geistig ebenbürtiger Kräfte zu sehen: „Beide sind unvertilgbare Mächte der Menschenbrust: hier die Andacht zum Altertum, die Anhänglichkeit an die geschichtliche Verfassung, die Liebe zu den Denkmalen der Altväter und der alten glorreichen Staatsfamilie und Freude des Gehorsams, dort das entzückende Gefühl der Freiheit, die unbedingte Erwartung mächtiger Wirkungskreise, die Lust am Neuen und Jungen, die zwanglose Berührung mit allen Staatsgenossen, der Stolz auf menschliche Allgemeingültigkeit, die Freude am persönlichen Recht und am Eigentum des Ganzen und das kraftvolle Bürgergefühl.“ In Deutschland, auch und erst recht in den späteren „reaktionären” Oststaaten, wo sein politischer Schwerpunkt lag, hatten fast nirgends Feudalordnungen wie in Frankreich die bürgerliche Unternehmung und die landwirtschaftliche Eigenentwicklung zugleich bis zum Bersten zurückgedrängt, die großen Revolutionsforderungen der Gewerbefreiheit und der Bauernbefreiung konnten in mehr als einem Bezuge an die Überlieferungen des monarchischen Beamtenstaates anknüpfen, und wir wissen heute, wie innig sich in den Reformen Preußens und Österreichs, aber auch Bayerns und Badens während und nach den Napoleonischen Kriegen französisches Vorbild und französischer Zwang mit ständisch-genossenschaftlichem Denken wie dem eines Stein und absolutistischer Verwaltungskunst wie der eines Hardenberg oder Montgelas verbanden.
This is a preview of subscription content, log in via an institution.
Buying options
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Learn about institutional subscriptionsPreview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Additional information
Besonderer Hinweis
Dieses Kapitel ist Teil des Digitalisierungsprojekts Springer Book Archives mit Publikationen, die seit den Anfängen des Verlags von 1842 erschienen sind. Der Verlag stellt mit diesem Archiv Quellen für die historische wie auch die disziplingeschichtliche Forschung zur Verfügung, die jeweils im historischen Kontext betrachtet werden müssen. Dieses Kapitel ist aus einem Buch, das in der Zeit vor 1945 erschienen ist und wird daher in seiner zeittypischen politisch-ideologischen Ausrichtung vom Verlag nicht beworben.
Rights and permissions
Copyright information
© 1922 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Brinkmann, C. (1922). Revolutionen und Weltzusammenhänge. In: Die Bewegenden Kräfte in der Deutschen Volksgeschichte. Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-16129-5_7
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-16129-5_7
Publisher Name: Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-663-15557-7
Online ISBN: 978-3-663-16129-5
eBook Packages: Springer Book Archive