Charlotte von Stein

Zusammenfassung

Wenn das Bild der Charlotte von Stein in der Überlieferung von Goethes Leben schwankt — um so mehr, je bedeutender und eindringlicher der Einfluß ist, der von ihr ausgeht — so ist das nicht allein wegen des zufälligen Mangels an Dokumenten von ihrer Hand. Auch wenn sie ihre Briefe an Goethe nicht vernichtet hätte, würde ihre Persönlichkeit und ihr Verhältnis zu Goethe mannigfacher Deutung fähig, und das Bild, das die Goetheforschung von ihr zeichnete, würde vermutlich nicht widerspruchsfreier als heute sein. Denn die Probleme, die hier liegen, sind psychologischer und nicht literarhistorischer Natur. Der Sammelfleiß und der Scharffinn des Philologen allein kann sie nicht enträtseln. Charlotte von Stein ist eine zwiespältige Natur — eine ganz seltene und eigentümliche Mischung von Kühle und Erregbarkeit, von harmonischer Sicherheit nach außen, in der Form ihres Wesens, und einer vielen Schwankungen ausgesetzten, schwer zu innerem Gleichgewicht, zu innerem Wohlsein gelangenden Seele.

Kanntest jeden Zug in meinem Wesen, Spähteft wie die reinste Nerve klingt, Konntest mich mit einem Blicke lessen. Den so schwer ein sterblich Aug durchdringt, Tropftest Mäßigung dem heißen Blute, Richtetest den wilden irren Lauf, Und in Deinen Engelsarmen ruhte. Die zerstörte Brust sich wieder auf.

Goethe an Frau von Stein.