Zusammenfassung
Immer wenn man die wenigen Zeugnisse durchblättert, die uns aus dem kurzen und schweren Leben von Goethes Schwester erhalten sind, ist man wieder berührt und ergriffen davon, wie sehr das Schicksal sie zum unglücklichen Gegenbild des glänzenden Bruders gestempelt hat. Schon in der äußeren Erscheinung. Die ausdrucksvollen, großgeschnittenen Züge, die bei ihm, mit Kraft und Fülle geeint, ein Bild bedeutender Männerschönheit geben, werden bei der zarten Schwester hager, hart, ja grotesk. Und das Bewußtsein dieses Mangels an Unmut und äußerem Reiz ist ein Druck, den sie nie los wird, der ihr ganzes Wesen unsicher und unharmonisch macht und sie beständig zwischen übertriebenem Sich-zur-Geltung-bringen und unbegründeter Schüchternheit hin und her schwanken läßt. Denn sie findet in ihren geistigen Anlagen nicht die Schwungkraft, sich über diese äußeren Mängel hinwegzusetzen.
Ich war also wieder wie vorher mehr ans haus gebannt, wo ich an meiner Schwester Cornelia, die nur ein Jahr weniger zählte als ich, eine an Annehmlichkeit immer wachsende Gesellschafterin fand.
Goethe, Dichtung und Wahrheit.
Wundersame Natur meiner Schwester. Man hätte von ihr lagen können, sie sei ohne Glaube, Liebe und Hoffnung. Goethe, Entwürfe und Notizen zu Dichtung und Wahrheit..
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Literatur
Sämtliche Briese nach der Ausgabe von Georg Witkowski in seinem Buch „Cornelia, die Schwester Goethes“ Frankfurt 1903. Die große Mehrzahl der erhaltenen Briefe von Cornelias Hand sind in recht fehlerhaftem konventionellen Französch an eine Freundin Katharina Fabricius gerichtet, die Tochter eines in Worms lebenden Syndikus, die sich später mit einem Kaufmann in Leipzig, Welcker, verheiratete. Für dieselbe Freundin führte Cornelia, gleichfalls in französischer Sprache, ein Tagebuch. Einige Proben daraus zeigen die Unnatur, Frühreife und Verbildung, zu der die jungen Mädchen jener Zeit herangezogen wurden. Allerdings wird der Charakter der Briefe durch die übersetzung ziemlich verwischt. Cornelia versucht, die kokette Leichtigkeit des französischen Salontons nachzuahmen, ein Stil, der sich bei dem ernsthaften deutschen Bürgermädchen geschraubt genug ausnimmt, zumal in der Mischung mit der rationalistischen Verständigkeit und der moralisierenden Klugschwätzerei, die den deutschen Brief der Gellert-Zeit auszeichnet. Immerhin gestatten diese Briefe, so wenig unmittelbar sie sind, und so sehr sogar ihr Inhalt durch die Muster gefärbt ist, die Cornelia vorschweben, doch Einsicht in ihre Natur. Die Disharmonie ihres Wesens, ihre illusionslose, etwas unbarmherzige, scharfe und gewiß in vielen Fällen zutreffende Kritik, ihre gestige Selbständigkeit, das alles schimmert durch das Kostüm hindurch, in dem sie in diesen — mehr Stilübungen als herzensergüssen auftritt. Die Anrede ist im Originaltext: vous, das hier immer mit „Du“ wiedergegeben ist.
Die Mannheimer Oper stand damals, durch fürstliches Verständnis gepflegt, in besonderer Blüte.
Eine in Frankfurt lebende Verwandte der Adressatin, die Cornelias scharfe Zunge fast in keinem Briefe verschont.
Charitas Merner, eine auch von Goethe sehr geliebte Altersgenossin Cornelias, die, gleichfalls in Worms zu Hause, häusig bei Verwandten in Franksurt war. „Charitas, die teure Charitas! Wie ich Euch liebe, Ihr teuren Wesen! Wäret Ihr nur ein wenig besser! Nun, wir Männer sind auch keine Engel!“ — schreibt der Siebzehnjährige aus Leipzig altklug seiner Schwester.
Eine moralische Erzählung der Frau von Beaumont, die man damals für eine der geeignetsten Schriftstellerinnen für die weibliche Jugend hielt. Auch der junge Goethe empfiehlt seiner Schwester in einem Bref aus Leipzig diese Lektüre.
Der damals vielgelesene dritte und schwächste Roman Richardsons (1753 englisch erschienen), in dem er das Muster eines edlen Mannes schildern will. Miß Byron ist neben der Italienerin Clementina die Hauptfrauengestalt des Buches.
Goethe schreibt in dichtung und Wahrheit, daß Cornelia unter der Unvollkommenheit ihres Teints am meisten gelitten habe. Die Erregung vor Gesellschaften und Bällen bewirkte bei ihr regelmäßig eine Art Ausschlag, der sie entstellte.
Cornelia lernte Kestner am 22. September 1772 kennen, als er Goethe in Frankfurt besuchte. Seitdem trat sie mit ihm und Lotte in Briefwechsel. Man sieht an dem natürlichen und frischen Ton des Brifes den Einfluß des jungen Goethe, der in dieser Zeit auch für seine Schwester „der Besreier“ geworden war.
Eine Operette von Grétry, die in Franksurt von der Marchandfchen Truppe aufgeführt wurde.
Cornelia unterschreibt sich in diesen Briefen öfter „Sophie“ — wie es scheint, hat sie sich oder der Freundeskreis ihr diesen Namen statt ihres eigenen beigelegt, vielleicht nach einer Romanheldin. — Witkowski (Cornelia, die Schwester Goethes, S. 60) vermutet, nach der Heldin in der „Geschichte des Fräulein von Sternheim“ von Sophie La Roche.
Goethe erzählt am 28. Januar Kestner, daß er für zwei Freundinnen Cornelias Homer überfetzt habe, „der jetzt gewöhnliche Lieblingslektüre ist“.
Caroline Flachsland lernte Cornelia im Sommer 1772 durch Mercks Bermittelung kennen. Herder und Caroline heirateten am 2. Mai 1773, und Caroline folgte ihrem Gatten nach Bückeburg. Cornelia besuchte den Darmstädter Kreis noch einmal im September 1773, ehe sie ihrerseits Frankfurt verließ. Sie traf von den Bekannten der Caroline dort noch Fräulein von Ziegler, eine Hofdame der Landgräfin, im Kreise der „Darmstädter Heiligen“ Lila genannt.
Ein Garten im Schäfergeschmack, von dem anch in dem Goethe-Merckschen Briefwechsel die Rede ist.
Antoinette Gerock, die Cornelia doch später in Karlsruhe besuchte.
Eine Frau von Bucheffer, an die sich Caroline in Bückeburg angeschlossen hatte.
Die in Darmstadt verheiratete Schwester von Carotine Flachsland.
Goethe schreibt an Frau von Stein am 20. Mai: „Hier ein Brief von meiner Schwester. Sie fühlen wie er mir das Herz zerreisst. Ich hab schon ein Paar von ihr unterschlagen um Sie nicht zu quälen. Ich bitte Sie flehentlich, nehmen Sie sich ihrer an, schreiben Sie ihr einmal, peinigen Sie mich, dass ich ihr was schicke.“ Der hier wiedergegebene Brief Cornelias scheint am 23. Juni etwa bei Goethe angekommen zu sein, denn er schreibt an diesem Tage an Frau von Stein: „Hier was von meiner Schwester.“
Lenz, Goethes begabter, aber krankhaft unbeherrschter Freund, lebte seit Anfang des Jahres 1775 bei der von Cornelia schon erwähnten Straßburgerin Louise Röuig, lernte Cornelia zunächst aus dem Briefwechsel mit ihr kennen, dann persönlich bei Gelegenheit von Goethes Besuch in Emmaidingen, und steigerte sich, wie das seine Art war, in ein Liebesverhältnis zu ihr hinein, an dem die Wirklichkeit wenig Anteil hatte. Die „moralische Bekehrung eines Poeten, von ihm selbst aufgeschrieben“, eine Folge von lyrischen Monologen, schildert dieses Liebesverhältnis in übertriebenen und schwelgerischen Worten, zu denen Cornelia sicher sehr wenig Anlaß gegeben hatte. Lenz ging im März 1776 nach Weimar, machte sich ja dort bald unmöglich und kehrte im Dezember 1776 in das Schlofsersche Haus zurück, wo man sich des unglücklichen Narren auf das liebevollste annahm, bis er im Frühjahr 1777 wieder sein krankhaft gehetztes Wanderleben begann.
Ch. v. Stein hatte die Absicht, eine Reise nach der Schweiz zu machen, vgl. Goethe an Fr. v. Stein am 8. August „Engel — Geh nur in die Schweiz — “; die Absicht wurde jedoch nicht ausgeführt.
Lavater war im Juli dort, von dem Sohn des Arztes Zimmermann begleitet. Ihm folgte im August sein Freund Pfenninger, der über diesen Aufenthalt am 29. Angust an Herder schreibt: „Seit mir Schlössern so viel von Herdern“ — Schlossern und Herdern heißt im Schweizer Dialekt Psenningen die Schlosserin und die Herderin — „und Ihnen erzählt hat, ist mir, ich sei viel näher mit Euch zusammengeknüpst — O was es der Isolierten, Körpertichleidenden, aus allem schriftlichen Zusammenhang Herausgerissenen für Erquickung ist, Freunde zu sehn, oder was von ihnen zu empfangen, das sie nicht beantworten muß. Und unter doppelter Geschästslast erliegt Ihr Mann fast.“ —
Auch Auguste Stolberg, wie Frau von Stein, ist durch Goethe veranlaßt, an Cornelia zu schreiben. Sie ist die Schwester der Hainbunddichter Friedrich und Leopold und hatte, durch Goethes Gedichte im Göttinger Musenalmanach angeregt, ihm geschrieben, ohne ihn zu kennen. Goethes Antwort und damit der Beginn seines Brieswechfels mit „der teuren Ungenannten“ datiert vom 18. Januar 1775. In jenem von Lebenslust überschäumenden Tagebuch, das er, als er in den Maitagen 1776 das Gartenhaus bezog, für Gustchen Stolberg Schrieb, fteht: „Eine große Bitte habe ich! — Meine Schwester der ich so lang geschwtegen habe als dir, plagt mich wieder heute um Nach-richten oder so was von mir. Schick ihr diesen Brief, und schreib ihr! — O bass ihr verbunden wärt! Dass in ihrer Einsam-keit ein Lichtstral von dir auf sie hinleuchtete, und wieder von ihr ein Trostwort zur Stunde der Noth herüber zu dir käme. Lernt euch kennen. Seyd einander was ich euch nicht seyn kann. was rechte Weiber sind sollten keine Männer lieben, wir sinds nicht werth.“ Gustchen scheint, so weit man nach Cornelias Dank-brief Schlüsse ziehen kann, zwar geschrieben, aber Goethes Brief nicht mitgeschickt zu haben. Die „Noth“ Gustchens ist eine schwere Krankheit, von der sie eben genesen war.
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Bäumer, G. (1919). Cornelia Goethe. In: Goethes Freundinnen. Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-15961-2_2
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-15961-2_2
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