Zusammenfassung
Zu den interessantesten Kapiteln jeder Sprachgeschichte gehört das in neuerer Zeit viel gepflegte Gebiet der Volksetymologie. Man versteht darunter die Einwirkung teils willkürlicher, teils unwillkürlicher etymologischer Spielerei auf die Wortgestaltung, insbesondere die mehr oder weniger willkürliche Angleichung eines Lehnwortes an den heimischen Wortschatz. Andresen in der deutschen Volksetymologie 5 S. 1. nennt sie „eine Kraft, durch welche zwei etymologisch in der Regel ganz unverwandte Wörter miteinander verknüpft werden“; er spricht von „Assimilation, Anlehnung, Umbildung, Zurechtlegung, Umdeutung“, wobei „Misverständnisse der mannigfachsten Art sich insgemein geltend machen“. Nicht blofs die unumstöfslichen formalen Gesetze, auch die Phantasie und der Zufall — d. h. eine uns unverständliche Kette von Umständen — haben ihren Anteil an der Entwickelung einer Sprache, an der Schöpfung ihres Wörtervorrats, und es ist nichts als eine Gewalt-that, wenn man diese Elemente leugnet und ihnen ihr Recht bestreitet. Mag man auch hundertmal „von autoritativer Seite aus“ erklären, dafs griechisches ϑεóς und lateinisches deus, sanskritisches kus und deutsches küssen nicht zusammenhängen können, weil diefs gewissen Lautregeln widerspreche, der gesunde Menschenverstand wird sich stets wieder gegen eine solche Zumutung erheben.
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Literatur
Gar nicht übel ist z. B. ein volksetymologischer Ausdruck im württembergischen Franken: „herrmöglichst verschlossen“ statt „hermetisch”. Ich könnte noch vieles derartige anführen.
Vg. Stowasser, dunkle Wörter, Prag und Wien 1890.
S. Kapitel XLI.
Vgl. visoc IepvMv Orph. Argon. 1171. IÉPvrI Pseudaristoteles de mundo c. 3.
Bei den Griechen “Eysctia, so z. B. bei Thucydides; bei Cicero u. a. Segesta. S. Paulys R. E. u. d. W. Segesta.
Diese z. T. höchst interessanten Strafsennamen werden leider von vielen Stadtverwaltungen in der unverständigsten Weise verfolgt, wogegen aufzutreten oft dankenswerter ware als manche Vertilgung von Fremdwörtern.
Diefs möchte auch ich, wie Schuchardt, Vulgärlatein III 204 für die echt klassische Form halten.
Vgl. oben Patricolep-IlasponA~7ç.
Worte von Preller-Köhler, röm. Mythol. 388, wo auch der Name des der Venus geweihten Monats Aprilis auf aperire zurückgeführt wird. Doch scheint mir für das italische Klima auch die Zusammenstellung mit apricus sonnig beachtenswert.
Die Quellenangaben sind nicht ganz klar und die Ansichten der Neueren gehen auseinander.
Georges bezeichnet das o als lang, einen Grund vermag ich nicht einzusehen. Saalfeld im Tensaurus leitet das Wort S. 268 von cero und fero ab. Was soll aber cero bedeuten?
Die späte Latinität sagte, wie es scheint, verga; denn wir haben die Transkription ßipya bei Const. P. de c. aul. S. 10, 2, 4; 23, 4 und sonst oft.
Z. B. bei Scribonius Largua 13 hat die Tradition teils hinnuleus cervus,teils hinuleus cervus; die Ambrosiustradition (citiert bei Georges) hat hinnulus = Hirschkalb.
Dafs die Jungen von Eselin und Hengst, also die Maulesel, hinnuli hiefsen, sagt Plinius nat. hist. VIII 127. Varro de lingua Latina IX 28 behauptet, sie heifsen hinnulei,was aber vielleicht = hinnuli zu nehmen ist; denn in der Tradition dieser Schrift steht sehr oft ei = z. B. IX 2 iei = ii.
Diez, etymologisches Wörterbuch der romanischen Sprachen (Bonn 1878) 668.
Rolland, Faune populaire de la France III 136.
Die Lesart ist übrigens zweifelhaft.
S. Weise, griech. Wörter im Latein 19.
Das lateinische sirpe entspricht mit seinem R dem echten afrikanischen Worte; das L des griechischen Wortes war eine Neuerung.
Palma aus naicrµn nach Corssen und Ruge.
Mitteil. der Züricher antiqu. Gesellschaft XV 214.
Mitteil. der Züricher antiqu. Gesellschaft XV 214.
S. Georges im latein. Wörterbuch. Anders Vaniöek, s. unsere Einzeletymologien Nr. 26.
Döderlein hat diese Ableitung des Schimpfwortes salaputium (bei Catull 63,5) aufgestellt. Man wird aber auch an salapitta (zu ecu.ncy6) ein wie ein Trompetenstofs tönender Backenstreich erinnert. Oder sollte salapitta volksetymologisch an salaputium angeglichen sein?
S. O. Weise, griech. Wörter im Latein 74.
Vgl. auch das Stemma bei Huschke, iurisprudentia anteiustiniana Tafel bei S. 632.
So ist natürlich bei Festus p. 339 statt scensa (resp. scensas im Zusammenhange) zu lesen.
sesna = cenam und çersnatur = cenati auf den iguvinischen Tafeln, s. Bücheler, Umbrica p. 210.
Preller-Köhler, röm. Mythol. 481 halten diese Etymologie für richtig. Sollte bei sili-etwa an vinunc silatum und sili = seseli zu denken sein?
Die Lesart steht allerdings nicht ganz fest; Georges bezeichnet sie als falsch. Es fehlt eben leider immer noch an einer guten kritischen Ausgabe des bedeutenden Schriftstellers.
Nach der Ansicht von Mommsen u. a.
Georges leitet das lateinische transtrum geradezu von trans ab.
Fest. p. 340: Supparum appellant dolonem, velum minus in navi. Nach Varro de lingua Lat. V 131 war es ein oskisches Wort; die Volksetymologie wäre dann mehr den Oskern, weniger den Römern, zuzuschreiben. Ich hege aber Zweifel an der Richtigkeit von Varros Angabe: denn die oskischen Inschriften bei Zvetajeff, inscriptiones ltaliae inferioris dialecticae weisen kein einziges oskisches Wort mit pp auf so dafs man vielleicht den Oskern den Gebrauch des doppelten p absprechen mufs. Schucbardt, Vulgärlatein II 228 fragt: „Woher die Verdopplung des p?“
Vgl. Turnebus advers. 24,13, welcher auch an Soldatenwitz denkt und unter Marsbärbchen eine Delicatesse fair Mars, quasi cibus Martis versteht.
Vgl. auch die Inschrift aus der republikanischen Zeit Hoc est sepulcrum hau pulcrum pulcrae feminae.
Leider ist dabei die Ausführung der Epilegomena ganz übersehen, wie diese überhaupt — nicht zum Vorteile des Wortformenlexikons — fast ganz und gar darin ignoriert erscheinen. Wer aber auch nur die eigene Stellensammlung bei Georges mit offenem kritischen Auge liest, mufs sofort erkennen, dafs dadurch das absolute Dominieren von alioqui selbst noch in der silbernen Latinität erwiesen wird.
Aus inextimabilis scheint mir hervorzugehen, dafs man nicht extimare (mit Georges) als Verstümmelung von existimare auffassen darf.
Auch Schuchardt, Vulgärlatein II 201 schreibt: „Ich halte recuperare (so ital., franz. recouvrer) für die ursprüngliche Form, wenigstens kann ich die Etymologie reciperare = re—cis—parare (Rh. Mus. VIII 451 Atm.) nicht gutheifsen.“
Auch imminutus soll nicht vergessen werden, bei den Rechtsgelehrten = unvermindert, bei Solinus = vermindert (Georges, Handwörterb.).
Z. B. ridiviae flagri bei Titinius von einem ‘Sklaven, dem vom Gepeitschtwerden die Haut in Streifen herunterhängt. Die Wörterbiicher erklären es wenig zutreffend als „Geifselabntitzer“.
Umgekehrt sehen wir t statt c im heutigen Otricoli, einst Ocriculum, in conditio und ditio für conditio und dieio, permities für pernicies, intumare für incomare, Vistula für Visela.
Die Vorliebe der Vulgärsprache besonders für diese Lautverbindung hat auch die sonderbare Form dulpinus = dephinus bei Varro rerum rusticarum II 6,13 B. hervorgebracht; vgl. romanisch dolfino, dauphin.
Merkwürdig, dafs in beiden Wörtern ßllCpapov uud (il.,xcov, welche palpebra und puleium entsprechen, griechische Dialekte gleichfalls eine Alteration des Anlauts zeigen: ylÉgapov und yliixoov. CurtiuG, Grundzüge 5481 kommt über letztere Formen zu keiner Entscheidung und H. Weber meint sogar, yllqpapov und picpapov und ebenso yl?xcov und (3lixwv seien ganz verschiedene Wörter, wogegen Curtius mit Recht Einsprache erhebt.
Georges im Handwörterbuch citiert dafür Gloss. Labb., ohne eine richtige Etymologie zu geben
S. die griechischen Lehnwörter Nr. 23. 40. 41. 42.
Aus dem Genetiv sind noch hervorgegangen die lateinisch-griechischen Lehnwörter elephantus, delphinus, grypus, abacus, trugonus, strabonus, clonus u. v. a.
Doch scheint die Lesart nicht ganz sicher.
Auch Schuchardt, Vulgärlatein III 12 fafst es als Volkswitz.
Der Name Carpus kommt auch inschriftlich vor.
Vgl. auch Dolocenum; so heifst in der Notitia der Tempel des Juppiter Dolichenus (d. h. des Juppiter aus der syrischen Stadt Doliche) auf dem Aventin.
Vgl. phönikisch-griech. Lehnwörter Nr. 4.
Diese Formen fand ich angegeben; Wolff in seinem arabischen Dragoman 3 176 gibt rummân = Granatapfel. Da u und o sehr verwandt sind, würden also die Vokale gut stimmen. Wenn wir statt rimmón oder rummân ursprüngliches ribbön oder rubbein ansetzen, so erhalten wir auch eine sehr hübsche Etymologie des Granatapfels von räbab massenhaft da sein, wegen seiner unzähligen Kerne. Wegen dieser unzähligen Kerne ist die Granate auch ganz allgemein ein Symbol der Fruchtbarkeit.
Die von A. Müller in Bezzenbergers Beiträgen I 295 geäufserten lautlichen Bedenken sind bei unserer volksetymologischen Auffassung hinfällig.
Suidas: ’Aka oval jj,r.c #sptrzatva oval, sroµopq,og 0’s0rí7catva xFyssa~ âlî’ olxóapt1p xópn xai s!vatttog, sets olxoyevnig, sïas 1,4.
Mâxxog und p ixxog buhlerisch, brünstig, geil, ein im Gebiete der griechischen Sprache ganz isoliertes Wort, ist nach A. Ludwigs sehr einleuchtender Ansicht identisch mit einem semitischen Worte, dessen arabische Form mukhlei nachgewiesen werden kann.
Ob wohl zwischen jenem Beinamen Zarytos und dem Namen der Syrten ein etymologischer Zusammenhang bestand? Z und S wechseln j a oft.
Stephan. Byz. p. 646M.: `Taeattía góxtg Kpítirtg, cóg ZEvíwv ó ra KQrirtxâ ypcéyrag. oi zolirat `TBpaptsïg cúg Msyapeig.
Vgl. Hitzig im Rhein. Museum VIII (1863) 597–599
Aeschyl. Pers. 776ff.: AQraqppfVrig ktetvev 1a,#1óg 8óµotg, cppFVeg yàQ avtov S’vµóv waxoorpóTovv, âyBQâaty cptlotetv, oÉg t68’;iv gQÉOg.
Wie mir mein Kollege, der Orientalist A. Ludwig, mitteilt, ist der Glaube an die Identität von pramantha und Hoµ’#avg gegenwärtig im Abnehmen begriffen: ich glaube mit Unrecht; sobald man sich auf unsern volksetymologischen Standpunkt stellt, schwinden die lautlichen Bedenken, und sachlich genommen ist die Entwickelung ja geradezu wunderschön, wenn wir an der Kuhnscben Auffassung festhalten
Hier mag auch eine Parallele erwähnt werden, welche sich in meinen „Thieren des classischen Alterthums“ S. 33 findet: „Der Mythus, dafs bei seinem [des Kambyses] Zuge durch die Wüste die Araber durch lederne Rinnen ihm Wasser zuleiteten und dadurch die Rettung vom Tode des Verschmacbtens brachten, ist so aufzufassen, dafs eine Masse arabischer Kamele ihm Wasser zuführten; das wassertragende Kamel hat im Arabischen denselben Namen wie die Bewässerungsanstalt.”
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Keller, O. (1891). Lateinische Volksetymologie. In: Lateinische Volksetymologie und Verwandtes. Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-15896-7_1
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