Zusammenfassung
Naturvölker bedürfen der Schrift nicht; denn in ihren eineinfachen Lebensverhältnissen richten sie den Blick mehr auf die Gegenwart als auf die Zukunft, und diese gibt fast nur zu mündlicher Aussprache Anlaß. Wenn sie aber einmal Ereignisse für bedeutend genug halten, der Nachwelt überliesert zu werden, dann verleihen sie ihnen gern ein dichterisches Gewand, um sie dem Gedächtnis der Kinder und Kindeskinder leichter einzuprägen und damit von Geschlecht zu Geschlecht fortzupflanzen. So sind die Lieder von dem Heldenkampfe der Griechen vor Troja und den Irrfahrten des heimkehrenden Odysseus, so auch die altdeutschen Gesänge von Siegfrieds Tod und Kriemhilds Rache entstanden. Bedenken wir aber, daß diese Dichtungen noch jahrhundertelang von berufsmäßigen Sängern mündlich weiter verbreitet wurden, als schon längst die Schreibkunst in griechischen und deutschen Landen bekannt geworden war, so werden wir begreiflich finden, welche Gewalt die mündliche Überlieferung in einer Zeit hatte, wo die geistige Fassungskraft des Volkes noch Frisch und ungeschwächt war.
Körper und Stimme leiht die Schrist dem stummen Gedanken, Durch der Jahrhunderte Strom trägt ihn das reddened Blatt.
Schiller
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Rights and permissions
Copyright information
© 1903 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Weise, O. (1903). Schrift und Schreibwerkzeuge. In: Schrift- und Buchwesen in alter und neuer Zeit. Aus Natur und Geisteswelt, vol 4. Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-15818-9_1
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-15818-9_1
Publisher Name: Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-663-15253-8
Online ISBN: 978-3-663-15818-9
eBook Packages: Springer Book Archive