Zusammenfassung
In seiner Untersuchung über den menschlichen Verstand schreibt John Locke1): „Laßt uns also annehmen, das Bewußtsein sei, sozusagen, ein weißes Blatt Papier, frei von irgendwelchen Schriftzügen, ohne alle Ideen.“ Diese Tabula-rasa-Lehre von der Seele des Neugeborenen, die gewiß in dem Sinne richtig ist, wie sie Locke gemeint hat, daß nämlich der Neugeborene keine angeborenen Vorstellungen besitzt, hat fast zwei Jahrhunderte lang die Menschen verführt zu glauben, sie könnten jedes solche weiße Blatt nach ihrem Belieben mit Schriftzügen versehen und alle Menschenseelen ohne Auswahl mit den gleichen Mitteln jenem Vollendungszustande entgegenführen, den man seit Justus von Möser, Herder und Lessing mit dem Worte „Bildung“ bezeichnet.
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Anmerkungen zum Ersten und Zweiten Buche
Vgl. John Locke, Untersuchungen über den menschlichen Verstand, II. Buch, I.Kap., Ziffer 2.
Vgl. das II. Buch, 2. Kap. unserer Untersuchungen, Ziffer 19-22.
Christoph Sigwart, Kleine Schriften, 2. Aufl. 1889. J. C. B. Mohr, Freiburg, im Aufsatze: Unterschiede der Individualitäten, S. 212-260.
Th. Ribot, Sur les diverses formes du caractere, Revue philosophique, Bd. 32, 1892, S. 483 u. 484. Vgl. auch mein Buch: Charakterbegriff und Charaktererziehung, 3. Aufl., S. 276-279.
Vgl. dazu z. B. E. Grisebach, Die Schule des Geistes, 1921, Niemeyer, Halle a. S., 3. Kap.
W. Stern, Wertphilosophie, 1924, J. Ambr. Barth, Leipzig, S. 65.
Hans Freyer-Kiel in seinem Buche: Theorie des objektiven Geistes, 1923, B. G. Teubner, Leipzig, S. 54. Auch Freyer stellt „Bildung“ m seiner Theorie des objektiven Geistes an die Seite der „Gebilde“, also jener Formen, die man sonst auch als Kulturgüter (Wissenschaften, Kunstwerke, Religionssysteme) bezeichnet hat. „Gebildet“, sagt er mit vollem Rechte, „ist eine personale Lebenseinheit, wenn sie das Objektiv-Sinnhaltige nicht sowohl weiß oder tut (was Akte wären), noch auch kann oder vermag (was Aktdispositionen wären), sondern wenn sie das Objektiv-Sinnhaltige ist.“ „In der Bildung lebt dieser Sinngehalt als So-und Sosein der Person, er wird gelebt, nicht gewußt — genau so wie er im Bilde nicht gewußt, sondern gemalt ist.“
Max Scheler bezeichnet solches Wissen als „Leistungs-oder Herrschaftswissen“. (Vgl. Die Formen des Wissens und die Bildung, 1925, Friedrich Cohen, Bonn, S. 33.)
W. Stern, Wertphilosophie, 1924, J. Ambr. Barth, Leipzig, S. 90.
Vgl. G. Simmel, Philosophische Kultur, gesammelte Essays, 1911, Klinkhardt, Leipzig, S. 247.
Vgl. 2. Kap. dieses Buches, Ziffer 8.
Vgl. G. Simmel, Der Begriff und die Tragödie der Kultur, gesammelte Essays, 1. Aufl., 1911, Klinkhardt, Leipzig, S. 248.
Über diese Begriffe des Gewissens vgl. Th. Lipps, Ethische Grundfragen, 3. Aufl., 1912, Leopold Voß, Leipzig, S. 181.
Anton H einen, Sinn und Zweck in der Erziehung, 1924, Volksvereins-Verlag, M.-Gladbach.
Heinen, a. a. O., S. 10.
Eduard Spranger hat im Anschluß an Wilhelm von Humboldt die Gesamtheit, Eigenartigkeit und Einheitlichkeit des geistigen Seins in die drei Bezeichnungen der Universalität, Individualität und Totalität gefaßt, also des Wesensreichtums, der individuellen Wesensgrundlage und der (unbeschadet aller Entwicklungsfähigkeit) einheitlichen, umfassenden Geschlossenheit. Universalität und Individualität sind in diesem ersten, Totalität im vierten Merkmal der Bildung enthalten.
Vgl. G. Simmel, a. a. O., S. 247.
Vgl. II. Buch, 2. Kap. dieser Abhandlung, meine Lehre vom Interesse.
Vgl. mein Buch: Charakterbegriff und Charaktererziehung, 3. Aufl., S. 147.
John Dewey, Human Nature and Conduct, 1922, Henry Holt & Co.
Eduard Spranger, Lebensformen, 2. Aufl., 1921, Max Niemeyer, S. 35.
A. Heinen, Sinn und Zwecke in der Erziehung, S. 37.
Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre, I. Buch, 12. Kap.
Goethe, a. a. O., I. Buch, 4. Kap.
Goethe, a. a. O., II. Buch, 12. Kap.
Vgl. Eduard Spranger im Handbuch für das Berufs-und Fachschulwesen, 1922, Quelle & Meyer, S. 52, Berufs-und Allgemeinbildung.
Vgl. meine Interessenlehre, II. Buch, 3. Kap. dieser Untersuchung.
Vgl. Fr. Paulsen, Kultur der Gegenwart, Bd. 1. S. 54-58.
Der Bericht über diesen zweiten deutschen Kongreß ist erschienen 1913 bei B. G. Teubner, Leipzig.
Vgl. dazu auch Hans Freyer-Kiel, Theorie des objektiven Geistes, 1923, B. G. Teubner, Leipzig, S. 58.
Die Rede ist veröffentlicht in der Zeitschrift Deutsche Fortbildungsschule, 1920, Nr. 14.
Ed. Spranger, Gedanken über Lehrerbildung, Quelle & Meyer, Leipzig, 1923, S.6.
Der Aufsatz ist veröffentlicht im Handbuch für das technische Schulwesen, 1922, Quelle & Meyer, Leipzig.
Zuerst veröffentlicht im Logos, II. Bd., dann in den gesammelten Essays, 1911, Leipzig, S. 248.
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Kerschensteiner, G. (1926). Die Drei Seiten des Bildungsbegriffes. In: Theorie der Bildung. Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-15795-3_1
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