Zusammenfassung
Meine Damen und Herren! In der ersten und zweiten Vorlesung haben wir einen „genetischen“ oder „synthetischen“, auf der Cantorschen Definition der Menge fußenden Aufbau der Mengenlehre in den Umrissen kennengelernt. Wir mußten uns indes noch in der zweiten Vorlesung davon überzeugen, daß eine einwandfreie Entwicklung auf diesem Wege nicht möglich ist, daß vielmehr Widersprüchen so Tür und Tor geöffnet wird. Es ist daher notwendig eine andere Methode einzuschlagen, soll die Mengenlehre gegenüber Zweifeln und Zweiflern gesichert werden.
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Referenzen
Pasch 1; vgl. auch Pasch 2 und 3 sowie die dort angeführte Literatur.
Die methodisch anders eingestellte philosophische Betrachtung urteilt hierin mit Recht sehr verschieden; vgl. Geiger, §§ 5f.
Vgl. auch D’Alembbrts (auf den damaligen Aufbau der Infinitesimalrechnung bezügliches) Wort: »Allez en avant, et la foi vous viendra!« Der oben ausgedrückte Gedanke beherrscht auch in der Philosophie z. B. die Methoden der Schulen von Kant und Fries; es beruht, wenigstens im Grundsätzlichen, auf Irrtum, wenn in diesem Gedanken von philosophischer Seite (vgl. Dubislav 3, S. 40) ein Sonderbesitz im Gegensatz zur Mathematik erblickt wird.
Wie freilich auch noch in neuester philosophischer Literatur eine völlige Verkennung der axiomatischen Methode möglich ist, zeigt Beggerow (S. 66–90); die Zugrundelegung einer unzureichenden Definition und die Verwechslung zwischen mathematischem und physikalischem Raum vermehren hier die Mißverständnisse. Auch in Warrain ist das Wesen der axiomatischen Methode nicht genügend berücksichtigt.
Vgl. Spinozas Wort „omnis determinatio est negatio“ und die systematische Ausführung des obigen Gedankens bei Geiger (bes. S. 321.).
Man erinnere sich an das angebliche „Axiom“: wenn zwei Größen einer dritten gleich sind, so sind sie untereinander gleich. Vom oben eingenommenen Standpunkt aus dient diese Eigenschaft der Gleichheit zusammen mit den übrigen oben angeführten Eigenschaften dazu, die Gleichheit zu definieren.
Z. B. behaupter das letzte Fermatsche Teorem, daß die Menge der natürlichen Zahlen n, für die Gleichung x n + y n = z n ganzzahlig lösbar beiden Zahlenmengen kann aber doch keine Rede sein!
Vorausgesetzt, daß die vorkommenden Mengen verschieden sind.
Sind z. B. a, b, c drei verschiedence Elemente von m, so existieren die Paare ·a, c·, also auch das Paar A = ··a, b, c·, d. i. eine Teilmenge von m; usw.
Nur wer den rein existentialen Charakter des Axioms übersieht, kann glauben (so gelegentlich Poincaré), seiner auch im Fall einer endlichen Menge M zu bedürfen.
Es gibt freilich auch andere Fälle, wo die existentiale Anwendung des tertium non datur verantwortlich ist, wie z. B. in Hilberts „theologischem“ Nachweis eines endlichen Invariantensystems.
Eine Art Zwischenstellung zwischen beiden Möglichkeiten nimmt der Fall ein, wo (ohne das Auswahlaxiom) die Herstellung eines wohlbestimmten Begriffs gelingt, aber sich erst mittels des Auswahlaxioms nachweisen läßt, daß dieser Begriff die Merkmale der fraglichen Definition besitzt und somit ein Beispiel darstellt. Vgl. Fußnote 16, S. 93.
Für eine umfassende Übersicht über solche Stellen innerhalb und außerhalb der Mengenlehre sowie für eine Besprechung der Frage, ob das Auswahlaxiom an diesen Stellen unvermeidlich ist, vergleiche man Sierpiński 1. Hervorgehoben sei außer den oben im Text anzuführenden Stellen noch der Beweis der Gleichwertigkeit der naiven und der Dedrkindschen Definition für endliche und unendliche Mengen (vgl. Vorl. 9/10, Nr. 6).
Die Menge aller möglichen Abbildungen zwischen zwei gegebenen äquivalenten Mengen erweist sich auf Grund unseres Axiomensystems als existierend; vgl. Vorl. 7/8, Nr. 9.
Für andere mit dem Auswahlaxiom gleichwertige Behauptungen (Kardinalzahlrelationen) vgl. Tarski 1.
Man kann übrigens (vgl. Sierpinski 2) ohne Benutzung des Auswahlaxioms eine wohlgeordnete Menge M bilden, deren Kardinalzahl (gleichfalls ohne dieses Axiom) sich als weder kleiner noch größer als die des Kontinuums erweist, während die Äquivalenz zwischen M und dem Kontinuum nur unter Zuhilfenahme des Auswahlaxioms nachweisbar ist. M ist also (vgl. Fußnote 12) ein „Beispiel“ einer wohlgeordneten Menge mit dem (unbekannten) Alef des Kontinuums als Mächtigkeit. Entsprechende Beispiele kann man bilden, wenn man statt vom Kontinuum von einer beliebigen Menge ausgeht.
Die Argumente gegen den Wohlordnungssatz gründen sich zum Teil, in ihrer Art folgerichtig, auf die intuitionistische oder eine ihr nahestehende Anschauung, zum Teil aber auf ungerechtfertigte, namentlich mit der Antinomie Burali-Fortis zusammenhängende Bedenken. Vgl. die scharfe und witzige Zurückweisung in Zermelo 2, worauf auch wegen der Literaturangaben verwiesen werde; von neueren einschlägigen Ausführungen seien die (gegen Peanos Standpunkt sich richtenden) Bemerkungen bei Burali-Forti, S. 186ff., genannt.
Die Existenz endlicher Mengen ist ja jedenfalls durch die Sätze 1/2 in Nr. 6 gesichert.
Zu einem derartigen Axiom vergleiche man Chwistek 2 (von seinem typentheoretischen Standpunkt). Natürlich könnte Axiom VII b auch von vornherein auf die Postulierung abzählbar unendlicher Mengen beschränkt werden; von unserem Standpunkt aus wäre dies aber eine unnötige und unschöne Spezialisierung.
Vgl. Geiger, S. 111 und 265ff., wo derartige Axiome als „Postulate“ bezeichnet werden.
Ausführliche Betrachtungen hierzu bei Mirimanoff 1 und 2, wozu noch Sierpinski 4 zu vergleichen ist.
Man hat nämlich sehr ernst mit der Eventualität zu rechnen, daß die dem Umfang nach verschiedenen möglichen Realisierungen des Axiomensystems nicht einen kleinsten gemeinsamen Teilbereich aufweisen, in dem gleichfalls sämtliche Axiome befriedigt würden. Auch die vorher gegebene Vorschrift zur „Konstruktion“ eines derartigen kleinsten Bereichs (und damit eines engsten Umfangs des Mengenbegriffs) braucht nicht ein eindeutiges Ergebnis zu liefern, da die Axiome IV–VI ihrerseits gar keinen rein konstruktiven Charakter besitzen. Es liegt hier ein ernstes und noch nicht erschöpfend geklärtes Problem vor, aus dem sich vielleicht die Naturnotwendigkeit einer gewissen „Uferlosigkeit“ und (sozusagen an den Grenzen) auch einer gewissen „Verschwommenheit“ des gerade noch legitimen Mengenbegriffs erweisen wird.
Vgl. Hilbert 1, S. 22 und 240; Loewy, S. 186f.; Geiger, S. 265ft. Axiomen oder „Postulaten“ von diesem eigentümlichen Charakter kommt vom axiomatischen Standpunkt aus eine besondere Bedeutung zu, und die daran z. B. bei Dingler 2, S. 87, geübte Kritik wird an Hand einer sorgfältigen Einzeldurchführung (wie etwa bei Loewy, a. a. O.) leicht als unberechtigt erkannt.
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Fraenkel, A. (1927). Die Axiome der Mengenlehre. In: Zehn Vorlesungen Über die Grundlegung der Mengenlehre. Wissenschaft und Hypothese. Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-15741-0_3
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