Zusammenfassung
Die Zukunft der Kultur wird zum Thema, wenn es an „Wegweisern“ in den kulturellen Strömungen der Zeit mangelt.1 Zumindest haben die Feuilletons der Zeitungen Fragen nach kulturellen Tendenzen gern aufgegriffen, wenn sich ein derartiges Defizit in der Öffentlichkeit artikulierte. Um die Jahrhundertwende und in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre veranstalteten die großen deutschen Tageszeitungen wiederholt Umfragen über Kulturtendenzen und Kulturpolitik. Sie ließen sich dabei von Philosophen, Historikern, Politikern, Dichtern, Musikern oder Naturwissenschaftlern gem bestätigen, daß gerade sie einen nicht unerheblichen Beitrag zu diesen Themen leisten könnten. 1909 hat die Frankfurter Zeitung einen Kreis von mehr als einem Dutzend Fachleuten zu Wort kommen lassen. Georg Simmel konstatierte einen „klaffenden Abgrund zwischen der Kultur der Dinge und der der Menschen“. Die „eigentliche Kulturnot“ des Menschen bestehe auch darin, daß ihm für die Aneignung und Verarbeitung der politischen und ethischen Kulturwerte die „Handhabe“ fehle. Und Simmel fragte, wie „jene tragische Diskrepanz zwischen der unbegrenzt vermehrbaren objektiven und der nur sehr langsam zu steigernden subjektiven Kultur“ beseitigt werden könne.2
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Anmerkungen
Der hier vorgelegte Text stellt die leicht überarbeitete Fassung meines Vortrags für das Colloquium “Das poetische Berlin” am 27. Juni 1987 dar. Die bibliographischen Nachweise beschränken sich auf das Notwendigste; generell sei verwiesen auf die Bibliographie in Eberhard Kolb: Die Weimarer Republik (Oldenbourgs Grundriß der Geschichte 16). München 2. 1988; und auf die Bücher zu Kultur, Theater und Kunst der Epoche von Peter Gay: Die Republik der Außenseiter. Geist und Kultur in der Weimarer Zeit, 1918–1933. Frankfurt/M. 1979; John Willett: Explosion der Mitte. Kunst und Politik, 1917–1933. München 1981; Walter Laqueur: Weimar. Die Kultur der Republik. Frankfurt/M. 1976, sowie auf die Darstellungen zur Pressegeschichte von Kurt Koszyk: Deutsche Presse 1914–1945. Geschichte der deutschen Presse. Teil Ill (Abhandlungen und Materialien zur Publizistik 7). Berlin 1972; Peter de Mendelssohn: Zeitungsstadt Berlin. Menschen und Mächte in der Geschichte der deutschen Presse. Berlin 1959.
Frankfurter Zeitung (im folgenden abgekürzt zitiert: FZ) 103, 14.April 1909: “Die Zukunft unserer Kultur. Stimmen über Kulturtendenzen und Kulturpolitik”. Die damals stark beachtete Serie erschien erstmals am 11. April (Nr.101) und wurde am 15. April (Nr. 104) abgeschlossen.
Georg Bernhard: Die Stadt im Dunkeln. In: Vossische Zeitung (im folgenden: VZ), 306, 12. Juli 1922 (Abendausgabe).
Bernard von Brentano: Schöne Literatur und öffentliche Meinung. Wiesbaden 1962. S. 29.
Vgl. dazu die Rundfrage der Vossischen Zeitung im Jahr 1921 zu dem Thema “Was wünschen wir [im Reich] im neuen Jahr für und von Berlin?” In den meisten Antworten wird betont, daß Berlin sich erst noch zur “Hauptstadt” entwickeln müsse (VZ. 1, 1. Januar 1921); s. auch Eugenie Schwarzwald: Verdient der Berliner seinen (schlechten) Ruf? Erfahrungen einer Wienerin. In: VZ 519, 2. November 1923.
Berliner Tageblatt (im folgenden: BT), o.D., im Dezember 1871 (zit. nach Joachim Klippel: Geschichte des “Berliner Tageblatts” von 1872 bis 1880 [Diss.phil.] Dresden 1935. S. 23).
So im “Nachwort” zu der von ihm herausgegebenen Anthologie: Zeitgemäßes aus der `Literarischen Welt’ von 1925–1932. Stuttgart 1963. S. 482–484.
VZ 180, 16. April 1922: “Berlin und die Künstler. Eine Umfrage”, die unter dem Titel stand “Hemmt oder beeinträchtigt Berlin wirklich das künstlerische Schaffen?”. - Theodor Wolff notierte zu demselben Jahr in dem unveröffentlichten Manuskript Das Grabmal des Unbekannten Soldaten (Bundesarchiv Koblenz, Nachlaß Wolff, Nr. 25): “Es waren nur wenige Jahr, zu kurz, um einen schöpferischen Geist hervorzubringen. Aber es gab in der ganzen Welt keine andere Stadt mit so rastlosem Talent, das vorhandene zu verwerten und auch den kleinen Diamanten funkeln zu lassen, und mit so lebendigem Interesse für alles Neue, mit so hastiger Aufnahmefähigkeit.”
Peter de Mendelssohn: (Anm. 1). S. 7.
Hans von Hentig: Neunter November. In: Der Tag 537, 9. November 1919 (Abendausgabe):“Wer vor dem geistigen Deutschland diese Tatsachen leugnet, macht den neunten November zu einem Trauertag für alle Zeiten.” Ähnlich formulierten auch die Rheinisch-Westfälische Zeitung 896, 9. November 1919, und Reinhold Seeberg: 9. November 1918–9. November 1919. In: Ebd. 538, 9. November 1919; s. auch das ausführliche negative Resümee in der “Deutschen Tageszeitung” (DTZ) 559, 302, 9. November 1919 (“Der Jahrestag der deutschen Schande”), in dem es u.a. heißt, der Regierung mangele es an Vertrauen und Autorität, Erkenntnis und Entschlossenheit.
Ebd. 517, 9. November 1919. Doch alsbald hatte die “Rote Fahne” Grund, über die Zurückhaltung auch in den Reihen der Sozialdemokratie zu höhnen, die es nicht mehr wage, zur Feier des 9. Novembers aufzurufen (Rote Fahne 225, 10. November 1927: “Geburtstagsjubiläum in der Hindenburg-Republik”).
Rote Fahne 229, 9. November 1920.
Alle Angaben für Berlin und die Vergleichszahlen für das Reich sind den jährlich erschienenen Statistischen Jahrbüchern des Deutschen Reiches, hrsg. vom Statistischen Reichsamt, Jge. 40–52, Berlin 1919–1933, zu entnehmen.
Vgl. hierzu und im folgenden die entsprechenden Angaben in: Zeitungskatalog. Hrsg. von der Annoncen-Expedition Rudolf Mosse. Berlin 1919 ff.
Germania - Jubiläumsnummer “Zentrum und Germania. Zwei Jubilare, 1870–1920”; o.Nr., o.D. (erschien nach dem 5. Dezember 1920).
S. dazu im einzelnen Dankwart Guratzsch: Macht durch Organisation. Die Grundlegung des Hugenbergschen Presseimperiums. Düsseldorf 1974; und Heidrun Holzbach: Das “System Hugenberg”. Die Organisation bürgerlicher Sammlungspolitik vor dem Aufstieg der NSDAP (Studien zur Zeitgeschichte 18). Stuttgart 1981. S. 259 ff.
Daß ein derartiger Untersuchungsansatz aufschlußreich sein kann, läßt sich den nahezu täglichen Aufzeichnungen Theodor Wolffs über die redaktionellen bzw. verlegerischen Aktivitäten entnehmen, über die Zensurmaßnahmen während des Ersten Weltkriegs und über seine wiederholten Bemühungen, dennoch Informationen und kritische Bewertungen durch die Zeitung zu verbreiten. Damit ist der Blick auf das spannungsreiche Verhältnis zwischen dem Intendierten, also den “zwischen den Zeilen” mit den Methoden einer “verdeckenden Schreibweise” zu vermittelnden Informationen, und dein Rezipienten gerichtet bzw. auf das in engen Grenzen Rezipierbare, weil das Gemeinte von einem bereits relativ gut vorab informierten, intelligenten und in dieser Haltung geübten Leser leichter und vollständiger erfaßt wird.
Tage-Buch 11 (1930). S. 1113. Unter dem Titel “Die Autoren des Ullstein-Romans”. S. 1109–1113.
Koszyk (Anm. 1). S. 251,253 und S. 446.
Vgl. dazu Bernd Sösemann: Das Ende der Weimarer Republik in der Kritik demokratischer Publizisten (Abhandlungen und Materialien zur Publizistik 9). Berlin 1976. S. 160 f.
Zu dieser Korrespondenz s. Bernd Sösemann: Von Boulanger bis Hitler. Theodor Wolf fs Leben und Werk in den Auseinandersetzungen seiner Zeit. In: Qesher. Sonderheft “Jüdische Zeitungen und Journalisten in Deutschland”. Tel Aviv 1989, S. 54 mit Anm. 29.
Kurt Koszyk: Zum Verhältnis von Industrie und Presse. In: Hans Mommsen et al. (Hrsg.): Industrielles System und politische Entwicklung in der Weimarer Republik. Düsseldorf 1974. S. 708.
Historisches Archiv Friedrich Krupp, IV E 84 (zit. nach Koszyk [Anm. 22]. S. 715).
Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. IV: Die Weimarer Reichsverfassung. Stuttgart 1981. S. 94–103.
Ebd., Bd. VII: Ausbau, Schutz und Untergang der Weimarer Republik. Stuttgart 1984. S. 805 f. und S. 1266–1279.
Vgl. dazu Willi Flottrong: Grundlagen und Hauptfragen des Journalistenrechts. Diss.jur. Königsberg 1930; Emil Dovifat: Journalistische Kämpfe um die Freiheit der Presse in der Weimarer Republik. In: Publizistik 8 (1963). S. 216–221.
Dazu die Rede des Reichsministers des Innern auf dem Jahresbankett des “Vereines Berliner Presse” (28. Oktober 1932), in der er Grundsätze einer ihm notwendig erscheinenden Reichs-und Verfassungsreform erläuterte. Vgl. auch die Diskussion in der Regierung am selben Tag über eine “schärfere Beobachtung” von Periodika, die “lebenswichtige Interessen des Staates” gefährdeten; sie sollten ggf. gemäß Art. 6 Abs.1 der Verordnung des Reichspräsidenten gegen polizeiliche Ausschreitungen vom 14. Juni 1932 verboten werden (Akten der Reichskanzlei: Weimarer Republik. Das Kabinett von Papen. Ed. von Karl Heinz Minuth. Boppard/Rh. Bd.2. Nr. 180 f.).
Vorwärts. 11. November 1928.
Theodorf Wolff: Tagebücher, 1914–1919. Der Erste Weltkrieg und die Entstehung der Weimarer Republik in Tagebüchern, Leitartikeln und Briefen des Chefredakteurs am “Berliner Tageblatt” und Mitbegründers der “Deutschen Demokratischen Partei”. Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts. Band 54.1/H. Ediert von Bernd Sösemann (BayerAkadWiss, HistKomm). 2 Bde. Boppard/Rh. 1984. S. 679 (mit Anm.2) ff.
Vgl. Helmut von Gerlach: Los von Berlin! In: Welt am Morgen. 49, (9. Dezember 1918). Leitartikel.
Paul Merbach: Die Kreuzzeitung, 1848–1923. Ein geschichtlicher Rückblick. In: Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung (im folgenden: NPZ), 274, 16. April 1923.
Fritz Dickmann: Die Kriegsschuldfrage auf der Friedenskonferenz von Paris 1919. In: HZ 197 (1963). S. 1–101; Stefan T. Possony: Zur Bewältigung der Kriegsschuldfrage. Köln 1968; Erich Wüest: Der Vertrag von Versailles in Licht und Schatten der Kritik. Zürich 1962; und s. auch den Leitartikel Theodor Wolffs “Heute…” in BT 289, 28. Juni 1919 (abgedruckt in: Wolff, Tagebücher (Anm. 29). S. 847–850, und die polemisch-aggressive Entgegnung Walter Bloems in der DAZ 453, 27. September 1932 (“Offener Brief an Heinrich Mann”) auf Heinrich Manns Artikel “Der Schriftsteller und der Krieg” (BT. 11. September 1932, Beiblatt “Die Brücke”, Nr. 37).
Unter dem Titel “Weimar und Berlin” am 28. Januar 1919 in der Abendausgabe.
Deutsche Allgemeine Zeitung (im folgenden: DAZ), 21. Januar 1919 (Abendausgabe): “Nationalversammlung in Weimar”.
Die Umwandlung der deutschen Hoftheater. In: Berliner Börsen-Courier (im folgenden: BBC), 535, 14. November 1918.
Dazu verfaßte der Oberbürgermeister Berlins einen Zeitungsartikel: Adolf Wermuth: “Die Berliner Stadtverordneten gegen Weimar”. In: DAZ, 31. Januar 1919.
Vorwärts. 31. Januar 1919 (Beilage).
) Völkischer Beobachter. 9. November 1928: “Nach wenigen Jahren war die Bewegung gefürchtet von denen, die Deutschland haßten. In Vorahnung des Sieges der deutschen Freiheitsidee sollte ein letztes Mittel diese aufhalten. Der Terror.” - Ludwig Holländer charakterisierte die Folgen in der “C.V.-Zeitung, Blätter für Deutschtum und Judentum”, 8, 4. Januar 1929.2, u.a. mit dem Hinweis auf die “ungeahnte Vergiftung der Volksseele. Man bedenke, daß allwöchentlich in Hunderttausenden von Exemplaren sich Giftquellen über das Volk ergießen, die in ihrer Wirkung nicht ungeheuerlicher gedacht werden können. Im heutigen, im demokratischen Staatswesen kann die Volksstimmung alles erreichen. […] Der Nationalsozialismus bietet keine unmittelbare Gefahr für den Staat, aber er sucht die Stimmung im Volke systematisch zu unterhöhlen”. (Hervorhebungen im Original).
Für “Die Weltbühne” resümierte kürzlich Heinrich August Winlder: Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik, Bd.2: Der Schein der Normalität, 1924–1930. Berlin 1985. S. 724: “Einige Gründe für die Selbsttäuschungen der intellektuellen Linken liegen auf der Hand. Geistig war die linke Intelligenz um 1929 immer noch eine Großmacht. `Weimar’ war in gewisser Weise ihr Werk, und zwar sowohl das expressionistische Weimar der Nachkriegsjahre bis etwa 1923 als auch das Weimar der `neuen Sachlichkeit’, das in den Jahren der relativen Stabilisierung den Ton angab. […] Das Berlin der Zwanzigerjahre war ihre Hauptstadt, und auf Berlin blickte nach 1918 erstmals die Avantgarde der ganzen Welt.” (Hervorhebungen im Original).
B. Deermann in: Der Tag. 25. September 1920.
In: Angriff. 12. September 1927: “Vorsicht Gummiknüppel”.
In: Angriff. 23. Januar 1929: “Rund um die Gedächtniskirche”.
Wolfgang Bretholz: Am tiefsten Punkt. In: BT 402, 25. August 1932. Bretholz zitierte aus Goebbels “Angriff”, um die Ausbreitung von Verbrechertum, Roheit und Brutalität im Journalismus und in der Politik zu zeigen. Der “Abgrund moralischer Verwilderung” sei mit der unverhüllten “Hetze zum Mord” durch die Nationalsozialisten erreicht.
BT 13. August 925: “Neue Maßregeln der Berliner Polizei”.
So am 5. Dezember 1925 in dem Artikel “Der `Vorwärts’ gegen die Enteignung der Fürsten”.
NPZ. 24. März 1920: “Der Kampf um die politische Macht in Deutschland”.
In: VZ 213, 6. September 1931.
Da “Die Weltbühne” die Republik in der Endphase nur noch als ein korrumpiertes, restauratives und flügellahmes Gebilde ansah, konnte Ossietzky sogar die Tugend des politischen Kompromisses negativ charakterisieren: “Wenn unser Parlamentarismus nicht funktionieren will, liegt es nicht an der leidigen deutschen Zwietracht, sondern weil alles durch Kompromisse und Spekulationen verschmuddelt ist” (idem: Die Bahn, die uns geführt Lassalle. In: Weltbühne 24/1I, Nr. 29 [17.VII.1928], 79).
Schramm, Wilhelm von: Berlin als geistiger Kriegsschauplatz. In: Süddeutsche Monatshefte 28 (Apri11931), 514. - Vgl. dazu Peukert, Detlev J.K.: Zwischen “Amerikanismus” und Kulturkritik. In: idem: Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne. Frankfurt/M. 1987. S. 178–190.
“Es ist heute eine für die deutsche Kultur entscheidende Frage”, stellte Wilhelm Stapel in demselben Aufsatz vom Januar 1930 fest, “ob die deutsche Landschaft sich die Anmaßungen und Frechheiten der Berliner Geistigkeit gefallen läßt” (idem: Der Geistige und sein Volk. In: Deutsches Volkstum [Januar 1930]. 1 ff.).
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Sösemann, B. (1992). Momentaufnahmen — Epochensignaturen. In: Siebenhaar, K. (eds) Das poetische Berlin. DUV: Literaturwissenschaft. Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-14654-4_8
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