Zusammenfassung
Das der “Insel des zweiten Gesichts” am häufigsten angeheftete Etikett ist das des Schelmenromans. Die bedingungslose Zuordnung begann, als die ersten Rezensenten die Apostrophierungen des Diederichs Verlags auf dem Schutzumschlag der Erstausgabe willig aufgriffen. Schon in den Überschriften ihrer Besprechungen des als “Schelmenstück” angekündigten Buches wiesen sie potentiellen Lesern den gattungsorientierenden Weg. “Vigoleis, Schelm und Zyniker”1, hieß es da, “Ein Schelm sieht seine Zeit”2 oder “Just vor Jahresende tritt ein Schelm auf”3. Viele der späteren Rezensenten übernahmen das Diktum ungeprüft, und so nahm die anfängliche Behauptung schnell den Charakter einer unverrückbaren Tatsache an. Nach den Kritikern waren es die wissenschaftlichen Autoren, die, in der Nachkriegsliteratur eine Renaissance des Schelmenromans konstatierend, Thelens “Insel” in ihre Überlegungen einbezogen.4 Es ist deshalb kaum verwunderlich, daß auch Jürgen Jacobs Thelens erstes Erinnerungswerk noch 1983 ohne Vorbehalte der pikaresken Tradition zuordnet.5
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Referenzen
G.V. in: Die Welt, 1.4.1954.
Wolfgang Paul in: Der Tag, 20.12.1953.
Hans Schaarwächter in: Der Mittag, 31.12.1953.
Siehe Helmut Günther, Der ewige Simplizissimus. Gestalt und Wandlungen des deutschen Schelmenromans. In: Welt und Wort 1955, H. 1, S. 1–5; Willy Schuhmann, Wiederkehr der Schelme. In: PMLA 1966, H. 7, S. 467–474; Heinz Bernart, Der deutsche Schelmenroman im 20. Jahrhundert. Das Phänomen Schelm und sein Ursprung. Diss. (Masch.) Wien 1970.
Jürgen Jacobs, Schelmenroman, 1955, S. 108–111. Im Nachwort zu einer Buchgemeinschaftsausgabe der “Insel” (Stuttgart 1988) korrigiert Jacobs seine Einschätzung.
Vielfach wird zwischen dem “Don Quijote” und dem spanischen Schelmenroman nicht unterschieden. Für das 17. Jahrhundert hat Gerhart Hoffmeister (Grimmeishausens “Simplicissimus” und der spanisch-deutsche Schelmenroman. In: Daphnis 1976, H. 5, S. 293) diese undifferenzierte Rezeptionsweise nachgewiesen. Historisch gesehen hat der Picaro-Roman den Ritterroman abgelöst, den der “Don Quijote” parodiert.
Manfred Kremer, A.V. Thelens Roman “Die Insel des zweiten Gesichts”. Adaption einer alten Form? In: Der moderne deutsche Schelmenroman. Interpretationen. Hrsg. von Gerhart Hoffmeister. Amsterdam 1986. (=Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik, Bd. 20), S. 145–158; hier S. 145.
Guillaume van Gemert, Don Quijote und Sancho Pansa zugleich — Marginalien zu Vigoleis’ pikaresker Natur in Thelens “Insel des zweiten Gesichts”. In: Duitse Kroniek 1987, H. 3–4, S. 40–59.
Robert Alter, Rogue’s Progress. Studies in the Picaresque Novel. Cambridge 1964, S. 11–34.
Siehe Guillaume van Gemert, Don Quijote und Sancho Pansa, Rogue’s Progress. Studies in the Picaresque Novel. Cambridge 1964, S. 52.
Stefan Quante, “Die Insel des zweiten Gesichts” — ein moderner Schelmenroman? In: In Zweifelsfällen entscheidet die Wahrheit, 1964, S. 91–106.
Stefan Quante, “Die Insel des zweiten Gesichts” — ein moderner Schelmenroman? In: In Zweifelsfällen entscheidet die Wahrheit, 1964, S. 103.
Stefan Quante, “Die Insel des zweiten Gesichts” — ein moderner Schelmenroman? In: In Zweifelsfällen entscheidet die Wahrheit, 1964.
Claudio Guillén, Zur Frage der Begriffsbestimmung des Pikaresken. Jetzt in: Pikarische Welt. Schriften zum europäischen Schelmenroman. Hrsg. von Helmut Heidenreich. Darmstadt 1969, S. 374–396.
Jürgen Jacobs, Schelmenroman, 1969, S. 29.
Jürgen Jacobs, Schelmenroman, 1969.
Siehe Bruno Schleussner, Der neopikareske Roman. Pikareske Elemente in der Struktur moderner englischer Romane: 1950–1960. Bonn 1969.
Das Leben des Lazarillo von Tormes, seine Freuden und Leiden.
Horst Baader, Nachwort. In: Spanische Schelmenromane. Herausgegeben, mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von H. B., 2 Bde. München 1964 und 1965, Bd. 2, S. 572.
In der Kritik stehen insbesondere kirchliche Würdenträger. Allein fünf von den neun Herren des Helden sind Männer der Kirche.
Hans Gerd Rötzer, Picaro — Landtstörtzer — Simplicius. Studien zum niederen Roman in Spanien und Deutschland. Darmstadt 1972, S. X.
Dieses Erlebnis behandeln Gustav A. Alfaro, El despertar del pfcaro. In: Romanische Forschungen 80 (1968), S. 44–52 und in einem neueren Beitrag Jürgen Jacobs, Das Erwachen des Schelms. Zu einem Grundmuster pikaresken Erzählens. In: Der deutsche Schelmenroman im europäischen Kontext. Hrsg. von Gerhart Hoffmeister. Amsterdam 1987 (= Chloe, Beihefte zum Daphnis, Bd. 5), S. 61–75.
Lebensgeschichte des Buscón.
Jürgen Jacobs, Das Erwachen des Schelms, a.a.O., S. 74.
Vgl. Vigoleis’ Aktivitäten für Silberstern.
Siehe Friedel Maurer-Rothenberger, Die Mitteilungen des Guzmán de Alfarache. Berlin 1967 (=Bibliotheca Ibero-Americana, Bd. 9), S. 19–23. Auf den Seiten 22 und 23 führt der Autor annähernd fünfzig Predigten samt Predigttitel auf.
Siehe Hans Gerd Rötzer, Picaro — Landtstörtzer — Simplicius, 1967, S. 67.
Horst Baader, Nachwort, 1967, S. 596.
Siehe auch Jürgen Jacobs, Schelmenroman, 1967, S. 22.
Siehe etwa Guzmâns Rendezvous mit einem “Fräulein von edler Herkunft”, das für ihn mit einer Übernachtung in einem modrigen Faß endet, oder Buscóns erhoffte Liaison mit einer jungen Nonne.
Berichte aus dem Leben des Junkers Marcos von Obregon.
Das Leben und die Taten von Estebanillo Gonzales, einem Mann fröhlicher Gelassenheit, aufgeschrieben von ihm selbst.
Den Ausdruck prägte Karl von Reinhardstöttner in seinem Aufsatz: “Aegidius Albertinus, der Vater des deutschen Schelmenromans”. In: Jahrbuch für Münchener Geschichte 2 (1888), S. 13–86.
Die Titelwiedergabe folgt der Münchner Ausgabe des “Landstörtzer” von 1616.
Hans Gerd Rötzer, Picaro — Landtstörtzer — Simplicius, a.a.O., S. 112.
Darauf gehen genauer ein: Jürgen Jacobs, Schelmenroman, a.a.O., S. 38 f. und Hans Gerd Rötzer, Picaro — Landtstörtzer — Simplicius, a.a.O., S. 129 ff. Die anonyme Übersetzung wurde der 1617 in Augsburg erschienenen “Sonderlich-Curieusen Historia von Isaac Winckelfelder und Jobst von der Schneidt” von Niclas Ulenhart beigebunden.
Hans Gerd Rötzer, Picaro — Landtstörtzer — Simplicius, a.a.O., S. 130.
Ebenda.
Vgl. Hans Gerd Rötzer, Picaro — Landtstörtzer — Simplicius, a.a.O., S. 145.
Hans Jakob Christoffel von Grimmeishausen, Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch. Nach den ersten Drucken des ’Simplicissimus Teutsch’ und der ’Continuatio’ von 1669 hrsg. und mit Anmerkungen versehen von Alfred Kelletat. 3. Auflage, München 1977, S. 398.
Hans Wagener, Simplex, Felix, Oskar und andere. Zur barocken Tradition im zeitgenössischen Schelmenroman. In: Literarische Tradition heute. Deutschsprachige Gegenwartsliteratur in ihrem Verhältnis zur Tradition. Hrsg. von Gerd Labroisse und Gerhard P. Knapp. Amsterdam 1988 (=Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik, Bd. 24, 1988), S. 117–158; hier S. 120.
Name als sprachspielerische Anspielung auf Simplicius Simplicissimus.
Jürgen Jacobs, Schelmenroman, a.a.O., S. 89–90.
Willy Schumann, Wiederkehr der Schelme, a.a.O., S. 467–474. Vor Schuhmann schon Helmut Günther, Der ewige Simplizissimus, a.a.O., S. 1–5.
Wilfried van der Will, Pikaro heute. Metamorphosen des Schelms bei Thomas Mann, Döblin, Brecht, Grass. Stuttgart 1967.
Norbert Schöll, Wiederaufleben einer literarischen Tradition seit 1945. In: Tendenzen der deutschen Literatur seit 1945. Hrsg. von Thomas Koebner. Stuttgart 1971, S. 302–321.
Parodistische Anspielungen auf den Stil von Goethes “Dichtung und Wahrheit” sind besonders zu Beginn des “Felix Krull” unverkennbar.
Auf die Notwendigkeit einer daraus resultierenden Offenheit in der Bestimmung des Gattungsbegriffs wurde bereits hingewiesen.
Hans Wagener, Simplex, Felix, Oskar, a.a.O., S. 157.
Ebenda, S. 156.
Ebenda, S. 157.
Albert Vigoleis Thelen, Grenzstein der Freiheit. In: Maatstaf (Amsterdam), August/September 1975, S. 59–69 und Oktober 1975, S. 11–17. Jetzt in: Albert Vigoleis Thelen, Poetische Märzkälbereien. Hrsg. von Werner Jung und Renate Scheins. Aachen 1984, S. 34–50.
Albert Vigoleis Thelen, Poetische Märzkälbereien, 1975, S. 49.
Heinz Bernart, Der deutsche Schelmenroman im 20. Jahrhundert. Das Phänomen Schelm und sein Ursprung. Wien, Diss. (Masch.) 1970, S. 161. Die in diesem Punkt bestehende Affinität zum spanischen Schelmenroman sieht auch Hans Wagener, Simplex, Felix, Oskar, a.a.O., S. 131.
Siehe I 303: “Tausende von Werken sind über Napoleon geschrieben worden, und noch immer wächst die Literatur über diesen dankbaren Stoff. Was aber wissen wir von ihm? Wer war Napoleon? [...] Über solche Probleme sprachen wir stundenlang und be-schwichtigten so Regungen eines anderen Hungers, der sich oft ingrimmig meldete.”
Siehe Jürgen Jacobs, Schelmenroman, a.a.O., S. 110.
Wilfried van der Will, Pikaro heute, a.a.O., S. 47.
Jürgen Jacobs, Das Erwachen des Schelms, a.a.O., S. 67.
Heinz Bernait, Der deutsche Schelmenroman im 20. Jahrhundert, a.a.O., S. 161.
“Heute stehle ich immer noch nicht, aber jedermann biete ich die Möglichkeit, mich zu betrügen”. (B 357)
Siehe auch Hans Wagener, Simplex, Felix, Oskar und andere, a.a.O., S. 131. Wagener spricht von der Charakterfestigkeit des Vigoleis.
Hans Jacob Christoffel von Grimmeishausen, Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch, a.a.O., (1. Buch, 9. Kap.), S. 29.
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Pütz, J. (1990). Der Held als Schelm. In: Doppelgänger seiner selbst. DUV Sprachwissenschaft. Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-14629-2_9
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