Zusammenfassung
In diesem Kapitel wird es darum gehen, die für das Erscheinen von Leserbriefen in verschiedenen Zeitungen jeweils konstitutive soziale Praxis zu rekonstruieren, denn es wird sich zeigen, daß die Musteranalyse allein noch nicht ausreichend ist, um eine Differenzierung der Texte nach sozialen Kriterien vorzunehmen: Der Allgemeinheitsgrad war zu hoch, die Analyse muß nun konkreter werden. Zunächst werde ich das dafür notwendige begriffliche Instrumentarium bereitstellen, indem ich mit Hilfe des von Maas vorgelegten Konnotationskonzepts einen analytischen Rahmen entwickle, der eine methodisch kontrollierte Erfassung des Zusammenhangs von Texten und sozialer Praxis ermöglicht (3.1). Die Rekonstruktion der Rahmenbedingungen von Leserbriefkommunikation erfolgt in einer die Unterschiede der Zeitungen ausweisenden Beschreibung, an deren Ende die Unterscheidung von hegemonialkultureller und gegenkultureller Öffentlichkeit steht (3.2). In den empirischen Analysen beschäftige ich mich zunächst mit den Präsentationsformen der Leserbriefrubriken (3.3). In den dann folgenden Teilen werde ich Aspekte der Schreibweise von Leserbriefen herausarbeiten, nämlich erstens in bezug auf die in den Texten ausgedrückten Ideologien (3.4) und zweitens in bezug auf den Gebrauch von Personalpronomina und Anredeformen (3.5). Eine Zusammenfassung beschließt dieses Kapitel (3.6).
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Literatur
Andere Aspekte des Maasschen Konzepts wie z.B. das ontogenetische Primat von Konnotationen — das Kind erlernt zunächst die Verwendungsbedingungen von sprachlichen Formen, erst dann deren Bedeutung — oder das Monitoring — die strategische Verwendung von sprachlichen Formen — werde ich nicht berücksichtigen.
Zu dem Problem der Subjektposition in Texten werde ich in Teil 4.1 noch ausführlicher Stellung nehmen.
Für den folgenden historischen Exkurs cf. Böttcher 1961: 11–57 und Loreck 1982: 11–44.
Sauder (1980: 269) nennt u.a. folgende Merkmale der Moralischen Wochenschriften: wöchentliche Erscheinungsweise bei begrenzter -dauer und das Fehlen journalistischer Aktualität zugunsten eines moralisch-didaktischen Inhalts. Die Moralischen Wochenschriften waren im 18. Jahrhundert in Deutschland verbreitet — orientiert an englischen Vorbildern — und gehörten zu den Institutionen, die die Ideen der Aufklärung in Deutschland verbreiteten.
Für die Zuordnung von Teilöffentlichkeiten zu sozialen Milieus beziehe ich mich i.f. auf die entsprechenden Abschnitte in Vorstand der SPD (1984: 31–59), in denen insgesamt acht soziale Milieus voneinander unterschieden werden: das konservativ-gehobene und das kleinbürgerliche Milieu, das traditionelle und traditionslose Arbeitermilieu, sowie das aufstiegsorientierte, das technokratisch-liberale, das hedonistische und das links-alternative Milieu.
Alle Zahlen über die Auflage der hier behandelten Zeitungen beziehen sich auf den Monat Juli 1984 und finden sich in der Übersicht bei Schütz 1984.
Die mir vorliegenden Zahlen beziehen sich ausschließlich auf Abonnenten und stammen aus dem Jahr 1977. Sie sind in der Broschüre “Abonnenten-Portrait der Frankfurter Rundschau” dokumentiert (Institut für Demoskopie Aliensbach 1977).
Zur Diskrepanz bei der Prozentangabe der Geschlechterverteilung heißt es in dem Bezugstext: “bleibt die Frage nach den restlichen 17 %!” Die Zahlen werden präsentiert in dem Artikel “Was denkt Ihr bloß?”, erschienen in der TAZ vom 24.12.1985, und beruhen auf den Daten einer empirischen Umfrage, in der Daten von ca. 5000 TAZ-Lesern verarbeitet wurden.
Diese Relationsangaben beruhen auf Daten, die in der Volkszählung 1970 erhoben wurden. Cf. Statistik von Niedersachsen 1975.
Im Anschluß an Kreutz/Fröhlich 1986 verstehe ich unter einem “alternativen Projekt” einen selbst initiierten Zusammenschluß von mehreren Personen mit einem subjektiv intentionalen alternativen Anspruch, der zumindest für einen Teil der Personen die herkömmliche Berufsarbeit ersetzt.
Dieses Zitat wurde einem Thesenpapier der “Initiativgruppe für eine Tageszeitung” mit dem Titel “Sechs Thesen zum Selbstverständnis”, veröffentlicht 1978, entnommen.
Bei den folgenden Ausführungen stütze ich mich auf Clarke et al. 1979.
Huber spricht in diesem Zusammenhang von “Subkultur” und bezeichnet damit das, was hier in Anlehnung an Clarke et al. 1979 als “Gegenkultur” bezeichnet wurde. Mit dem Begriff der Subkultur ist es nicht mehr möglich, spezielle Arbeiter-Milieus von Mittelschicht-Milieus zu unterscheiden.
So wendet sich Good (1985: 10) gegen vorliegende quantitative Untersuchungen, da seiner Meinung nach dort Quantifizierung mit Objektivität verwechselt werde.
Presserechtlich sind Zeitungen für den gesamten Inhalt verantwortlich, also auch für Leserbriefe. Bei Äußerungen Dritter können sich Zeitungen durch den Abdruck von hinreichenden Distanzierungen vor straf- und zivilrechtlichen Haftungsansprüchen schützen. In der Distanzierung muß deutlich gemacht werden, daß die in der Rubrik veröffentlichten Texte nicht die Meinung der Redaktion wiederspiegele (cf. Löffler/Ricker 1986: 265f.).
Hier liegt ein Fall von Hyperkorrektur vor (cf. Maas 1985: 79): Die TAZ-Setzer kokettieren mit einer abgewerteten sozialen Praxis, der Nicht-Beherrschung der formalen Normen der Rechtschreibung, indem sie bewußt gegen diese Normen verstoßen und damit den Anspruch nach formaler Korrektheit in hegemonialkulturellen Zeitungen kritisieren.
Einige Texte wurden mehreren Bereichen zugeordnet — insbesondere solche, die sich kritisch mit der Veröffentlichungspraxis der jeweiligen Zeitungen auseinandersetzten, so daß die Zahl der Belege in Tabelle 2 größer ist als 200.
Der Terminus Schreibweise verweist auf den französischen Begriff écriture, dessen Bedeutung eine Übersetzung im Sinne sowohl von ‘Schrift’, einem systematischen Begriff (cf. Der-rida 1967), als auch von ‘Gestaltung eines Textes durch einen Autor’ erlaubt.
Cf. zum Ideologie-Begriff auch Dierse 1976 mit einem Überblick und Straßner 1987: 1–15
Eine ähnliche Fragestellung verfolgt auch Svensson 1978, wenn er als zentrales Problem seiner Entwicklung des Anspielungskonzepts in Hinblick auf sozialdemokratische Texte zu wirtschaftspolitischen Themen nach 1945 fragt: “Woran erkennt ein Rezipient die für die SPD typische Interpretation von Welt?” (117) Zum Anspielungskonzept Januscheks, das auch in Auseinandersetzung mit Svensson 1978 entwickelt wurde, cf. Teil 3.1.
Der Hinweis auf den infiniten Regreß nimmt Bezug auf die Diskussion von indexikalischen Ausdrücken in der ethnomethologischen Konversationsanalyse (cf. Garfinkel/Sacks 1970).
Zu den Schreibweisen, die Autoren verwenden, um einen Gegenstand aufzugreifen, gehören etwa die “Stellungnahme von Betroffenen”, in denen sich die Subjekte als kompetent in Hinblick auf das von ihnen aufgeworfene Problem dadurch ausweisen, daß sie zu den durch eine Maßnahme, eines Gesetzes etc. Betroffenen gehören. Auch die “Präsentation von Sachwissen”, also die Darstellung eines speziellen Wissens, das über das in der Zeitung präsentierte hinausgeht, gehört zu diesen Schreibweisen.
Ich verzichte hier auf eine genauere Untersuchung solcher, den bisher beschriebenen reziproken Schreibweisen, da diese vermutlich mit der schon geleisteten Beschreibung im wesentlichen übereinstimmt; lediglich der Wertakzent wäre entsprechend anders zu bestimmen.
Der “Spiegel” beispielsweise veröffentlicht einmal im Jahr, in seiner letzten Nummer, solche Leserbriefe, die normalerweise nicht abgedruckt werden. Diese enthalten eine Vielzahl von Typisierungen.
Die anderen untersuchten Zeitungen dürften von solchen Erwägungen unabhängig sein, verfügen sie doch über einen größeren und/oder traditionell gebundenen Leserkreis.
Die Daten der Arbeit Singers sind, da sie in einer kanadischen Kleinstadt erhoben wurden, nur unter Vorbehalt auf bundesrepublikanische Verhältnisse übertragbar. Jedoch ist die Untersuchung Singers meines Wissens die einzige empirische Untersuchung von Feedback-Prozessen in massenmedialer Kommunikation, die das Verhalten einer Ortsbevölkerung systematisch zum Gegenstand hatte.
Zum Vergleich die Zahlen Singers (1973): 72% der von ihm befragten Männer haben erfolgreich einen Leserbrief geschrieben, im Gegensatz zu nur 57% der Frauen (38). Da mehr Männer als Frauen Briefe schreiben (11,4% im Vergleich zu 7,0%), verschiebt sich das Verhältnis weiter zuungunsten der Frauen (36).
Böttcher konnte in dem von ihm untersuchten Material feststellen, daß bei 30% der Lesereinsendungen in der FAZ der Titel “Doktor” in den Autorinformationen zu finden war (1961: 86).
Die “Gruppe internationaler Marxisten” entstand in der Nachfolge der Studentenbewegung Ende der 60er Jahre und unterschied sich im Spektrum der kommunistischen Gruppen in der Bundesrepublik durch ihre trotzkistische Orientierung von anderen.
Zentraler Ansatzpunkt des Postulats der “Politik der ersten Person” ist das In-Den-Mittelpunkt-Stellen der Bedürfnisse und Erfahrungen des Subjekts, das etwa auch in dem Topos von der “Betroffenheit” zum Ausdruck kommt. Für eine theoretische Ableitung der Bedeutung von Subjektivität für objektive Prozesse: cf. zur Lippe 1974. So heißt es in der Broschüre der FAZ, die der Selbstdarstellung dient: “Zwar sind fast alle veröffentlichten ‘Briefe’ nur Zitate aus Briefen. Denn ohne Kürzungen, zuweilen kräftige .... wäre die Rubrik ... so unlesbar, wie es eine Zeitung wäre, die alle einlaufenden Nachrichten unredi-giert veröffentlichte” (Alles über die Zeitung 1985:47). Ich nehme an, daß auch die Eröffnungsund Schlußformeln dieser Bearbeitung zum Opfer fallen.
Tabelle 6 enthält folgende Abkürzungen: am: außermedial, Art: Artikel, Erg: Ergänzung, Korn-: negative Kommentierung, Kor: Korrektur, LB: Leserbrief und m: medial.
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Vogt, R. (1989). Texte als Ausdrucksformen sozialer Praxis: Konnotationen von Leserbriefen. In: Gegenkulturelle Schreibweisen über Sexualität. DUV Sozialwissenschaft. Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-14618-6_3
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-14618-6_3
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