Zusammenfassung
Im vorangegangenen sechsten Kapitel wurde versucht, Kulturbesuche mittels der Wert-Erwartungs-Theorie zu erklären. Wie gut diese Erklärung ist, läßt sich nur im Vergleich mit anderen Erklärungsansätzen feststellen. Im letzten Abschnitt wurde mit der Anwendung der Diskriminanzanalyse schon erstmals dieser Schritt getan: Die die Ortswahl diskriminierende Starke des Netto-Nutzen-Konstruktes wurde mit den diskriminierenden Stärken anderer Variablen verglichen. Wie verhält es sich aber nun bezüglich der anderen zu erklärenden Sachverhalte, das heißt, der Häufigkeit kultureller Besuche und der Auswahl der Kultur? Ist die rationale Kulturwahl nicht vielmehr durch größere Rahmenbedingungen eingeschränkt, ist die Wahl nicht durch sozio-ökonomische und demographische Situationen eingegrenzt, in denen die rational handelnden Individuen gefangen sind? Dieses theoretische Kapitel hat den Zweck, einen Überblick über existierende mikrosoziologische Forschungsergebnisse dazu zu geben. Es werden Hypothesen formuliert, um dann im nächsten Kapitel Faktoren individuellen kulturellen Verhaltens mit dem Modell rationalen kulturellen Handelns zu konfrontieren25.
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Literatur
Eine Konfrontation des Modells “rationalen Verhaltens” mit soziologischen und demographischen Modellen wurde schon zur Erklärung des Protestverhaltens gegen Atomkraftwerke durchgeführt (Opp u.a., 1985). Für diese Studie zeigte sich, daß das utilitaristische Modell den soziologischen und den demographischen Modellen (bei diesem Untersuchungsgegenstand) überlegen ist. Das soziologische Modell ist wiederum dem demographischen Modell überlegen.
Der Gefahr des ökologischen Fehlschluß setzt man sich solange nicht aus, wie man Erkenntnisse der Makroebene allein als Hypothesen der Mikroebene formuliert, um sie dann dort noch einmal zu überprüfen. Dies sind zumeist empirische Überprüfungen von Volkszählungsdaten der 125 US-amerikanischen SMSAS (SMSA = Standard Metropolitan Statistical Area). Sie werden auf Korrelationen zwischen Eigenschaften der sozio-ökonomischen Zusammensetzung der Bevölkerung (zumeist Einkommen als zentrale unabhängige Variable) und dem kulturellen Aktivitätsniveau (Anzahl an Kulturstätten, Publikumsstärken, Anteil an Künstlern and der Wohnbevölkerung) überprüft. Diese Studien werden in dem späteren Kapitel über die Effekte von Sozialräumen auf ein makrosoziales kulturelles Verhaltenskonstrukt noch einmal herangezogen.
Ein gestrenger Kritiker eines nicht mehr existenten Kultur-Curriculums an Amerikas Schulen ist E.D. Hirsch (1988), der in mehreren Büchern und Essays immer wieder den generellen Abstieg der “cultural literacy” als Grund der vielen Disfunktionen der US-amerikanischen Gesellschaft beschreibt.
Dabei gibt es deutliche empirische Bezüge zu den Sozialisationsinstanzen: Das Interesse in klassischer Musik während der formativen Jahre und der Besuch von Kunst-und historischen Museen in dieser Zeit (also eine generelle Prädisposition zu “Kultur”) korreliert hoch mit dem Bildungsstand und ist gleichermaßen ausschlaggebend für die Einschätzung zukünftiger Symphoniebesuche. Andreasen und Belk (1977) wie auch Crowther und Kahn (1981) meinen, daß der Einfluß der Sozialisation durch den Indikator der formalen Bildung gemessen werden kann. Tatsächlich kann man zukünftige Theaterbesuche aus ehemaliger Theatererfahrung ablesen, die aber wiederum hoch mit der Variablen Bildung korreliert (Andreasen und Belk, 1977). Wie auch Semenik (1982) erwähnt, sind Hochkultur-Besuche eng verbunden mit dem Interesse an klassischer Musik während der formativen Jahre und dem Besuche von Kunst-und historischen Museen während der Kindheit im Familienkreis. Die Häufigkeit von Symphonie-Besuchen wird weiter stark beeinflußt von der Bildung des Vaters, insbesondere dann, wenn die Eltern auch an klassischer Musik interessiert waren. Dieses Ergebnis entspricht der Bedeutung, die Bourdieu (1982) dem “sozialen Kapital” gibt. Aufgrund der engen Bindung der Sozialisationserfahrungen mit Kultur und der eigenen und/oder der Ausbildung des Elternhauses wurde hier auf eigene Kulturverhalten erklärende Variable “Kultur-Sozialisation” verzichtet.
Yuppies“, pp young urban professionals, wurden im Kapitel über Lebensstile mit anderen Etiketten als jüngere, wohlhabende und gebildete neue obere Mittelschicht beschrieben.
Als Datenquelle wird die “Survey of Public Participation in the Arts (SPPA)”-Untersuchung von 1982 herangezogen, eine US-weite Studie mit N = 17.253 (Robinson u.a., 1985).
Milton M. Gordon, 1978: Human Nature, Class and Ethnicity ( New York: Oxford University Press), op. cit. DiMaggio und Ostrower, 1990
Suzan Olzak: Contemporary Ethnic Mobilization, ARS 9/1983: 355–74, op. cit. DiMaggio und Ostrower, 1990
Außen eleitete Charaktere sind dagegen eher bereit, in ggrößeren Gruppen (Popular-Kultur-) Ereignisse zu besuchen.
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Kirchberg, V. (1992). Annahmen zum individuellen kulturellen Verhalten. In: Kultur und Stadtgesellschaft. DUV: Sozialwissenschaft. Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-14599-8_7
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