Zusammenfassung
Die in Kap. 4 dargestellten empirischen Befunde zur betrieblichen Qualifikationspolitik können sich sowohl für die Unternehmensentwicklung als auch für die Beschäftigten längerfristig als kontraproduktiv erweisen. Um diese möglichen Folgen annähernd abschätzen und qualifikationspolitische Alternativen entwickeln zu können, bedarf es einer Betrachtungsweise, die einerseits über die Betriebszentrierung hinausgeht, andererseits jedoch nicht von konkreten Unternehmen abgelöst ist und auf die Globalebene des “ökonomischen Systems” verlagert wird. Einen Ansatzpunkt für praktische qualifikationspolitische Zukunftskonzepte sehe ich in den realen Bedingungen und Ressourcen einer Region — hier am Beispiel der Region München (Stadt und Umland).344 Denn das “systemische” Geflecht (s. Abb. 2, Kap. 3.2 — Einleitung), in welches Unternehmen eingebunden sind, konstituiert auch historisch gewachsene besondere Bedingungen und Chancen der Entwicklung einer Region und der in ihr lebenden und arbeitenden Menschen. Betriebliche Qualifikationspolitik ist somit immer auch eingelassen in einen spezifischen regionalen Kontext. Auf den Zusammenhang von beruflicher Weiterbildung und Regionalentwicklung verweist auch die Regionalstudie von Bardeleben u.a. (1990):
“Dieser Zusammenhang zwischen Qualifizierung und Regionalentwicklung ist lange Zeit praktisch und theoretisch vernachlässigt worden ... Die Entwicklung der Regionalwirtschaft ist maßgeblich davon abhängig, inwieweit die ansässigen Betriebe wettbewerbsfähig bleiben bzw. werden. Konkurrenzfähigkeit setzt voraus, daß der Betrieb modern, das heißt im Regelfall auch innovativ ist. Betriebliche Innovationen sind daher auch der SchltiRsel zu einer dynamischen regionalen Entwicklung.”
(ebd., 14) 345
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Vielleicht ließe sich die regionale Betrachtungs-und Interpretationsperspektive theoretisch-konzeptionell in der Verbindung des industriesoziologischen Paradigmas der “systemischen Rationalisierung” (Bacthge/Oberbcck 1986, 1990) mit dem Paradigma der “kommunikativen Rationalisierung” (Ulrich 1987, 1988, 1990) einholen.
Vgl. auch: Kreibich 1989.
Allerdings ist anzumerken, daß in beiden Studien die Probleme der deutschen Einheit sowie die ökonomischen Entwicklungen in Osteuropa nicht berücksichtigt sind (in der ifo-Studie war dies auch gar nicht abzusehen).
Hierzu einige Grunddaten aus 1987: Bevölkerungsanzahl in der Region München ca. 2,5 Mio; davon 1,3 Mio in der Stadt; Beschäftigte in der Planungsregion 14 (das ist in etwa die Region: München und Umland) insgesamt ca. 1,23 Mio, davon in der Stadt München rd. 850.000. Beschäftigte in den wichtigsten Wirtschaftsabteilungen der Landeshauptstadt München (in Klammem die Zahlen für die übrige Planungsregion 14): - Verarbeitendes Gewerbe rd. 193.000 (120.000) - Baugewerbe rd. 41.600 (33.400) - Handel rd. 71.000 (63.400) - Verkehr/Nachrichten rd. 62.500 (14.400) - Kredit/Versicherungen rd. 54.000 (10.200) - Dienstleistungen rd. 212.000 (74.600) darunter: Rechts-, Steuerberatung, Wirtschaftsprüfung und -beratung mit rd$186.000 (24.300) - Organisationen ohne Erwerbscharakter rd$131.000 (13.800) - Gebietskörperschaften/Sozialversicherung rd. 126.000 (46.000) (empirica 1991, 6 f Tab. 3, S. 7 )
Damit ist München genau in den Bereichen überdurchschnittlich stark, in denen die Zukunftsaussichten überdurchschnittlich positiv sind.“ (empirica 1991, 9)
Genauere Daten Ober die Qualifikationsstruktur Münchens soll eine vom Münchener Referat fttr Arbeit und Wirtschaft in Auftrag gegebene Studie liefern, die Ende 1992 vorliegen soll.
So bezieht sich Giddens (1988) in seinem gesellschaftstheoretischen Modell ja nicht ohne Grund auf die Zeitgeographie von IIägerstrand.
empirica 1991, Tab. 4, S. 13: Arbeitslosenquote 1988 in München 6,2% - zum Vergleich: Bund 10,2%; nur die Region Stuttgart liegt mit 4,4% noch unter München. Von 1000 Einwohnern waren 1986 in München 24 Sozialhilfe-Empfänger/innen - zum Vergleich: Bund 35; nur Stuttgart liegt mit 21 noch unter München.
Vielleicht sollte der Ausdruck “Wettbewerbsfihigkeit” durch den umfassenderen Terminus “Innovationsfähigkeit” ersetzt werden. Selbstverständlich bedürfte er einer inhaltlichen Präzisierung.
Das Ifo-Institut ( 1989, XVI) richtet sich in seiner Politik-Empfehlung allerdings nur an die staats-politische Adresse: “Verwaltungsmanagement gilt es zu ersetzen durch Gestaltungsmanagement”.“ Die Stadtverwaltungen müßten sich ”mehr zu Dienstleistungszentren entwickeln“. Die Autoren der empirica-Studie (1991, 117 f) dagegen empfehlen eine ”öffentlich-private Partnerschaft“ unter dem Focus: ”Konsens schaffen - eine Schlüsselaufgabe“.
Vor dem Ilintergrund der EG-Entwicklung (Stichwort: Maastrichter Beschlüsse von 1992) wird dies um so wichtiger, weil etwa die Kommunen im europäischen Konzept nicht vorkommen und sie damit als wichtiger verfassungspolitischer Bestandteil der Länder gefährdet sind. So haben sich bereits einige europäische Großstädte dem Kooperations-Konzept “Eurocities” angeschlossen; München ist dieser Vereinigung Anfang April 1992 beigetreten.
Anzumerken ist, daß viele Betriebe in München derzeit und mittelfristig ihre Fertigung stark rationalisieren (vgl. Ifo-Institut 1989 ), die z. T. zur Freisetzung von Arbeitskräften mit einfachen Qualifikationen führt, z. T. auch mit Auslagerung in andere Regionen sowie in Drittländer verbunden ist. Es fehlt also nicht an Arbeitskräften mit einfachen Qualifikationen, sondern die geringen Einkommen reichen zum Leben in München nicht mehr aus, knapp sind vor allem bezahlbare Wohnungen. - Von diesem Verknappungseffekt betroffen sind nicht nur die privaten Unternehmen, sondern auch die öffentlichen Dienstleistungen von Post und Telekom, die öffentlichen Verwaltungen, Bahn, Polizei u.a. Um dieses Problem wenigstens etwa zu lindern, gibt es im Öffentlichen Dienst die sog. “München-Zulage”.
Hierzu einige Stichworte: Rückgang der jüngeren Bevölkerung; Verrentungs-und Pensionierungsschub um die Jahrtausendwende; tendenzielle “Überalterung” der vorhandenen Arbeitskräftestruktur, interregionaler Konkurrenzkampf um (Hoch-)Qualifizierte, dadurch: Stopp der Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte (“brain drain”) aus anderen Regionen nach München; vgl. empirica-Studie 1991.
Die Autoren der empirica-Studie (1991, 39 fT) schätzen die Beschäftigtenzunahme bis 2010 (bei der Fortschreibung des Trends von 1980–1988) insgesamt auf knapp 300.000, davon Hochqualifizierte: 230.000.
Diese Idee ist ja keineswegs neu und wird in verschiedenen Ansätzen und Varianten an einzelnen Hochschulen einiger Bundesländer bereits praktiziert. Im übrigen ist daran zu erinnern, daß die “Weiterbildung” ein expliziter Auftrag in den IIRGs der meisten Bundesländer ist.
Ein jüngst (Febr. 1992) vorgelegtes internes Arbeitspapier der Frauenakademie München (F.A.M.) zeigt das erhebliche Potential gut ausgebildeter Frauen im Raum München auf.
Angesichts der Qualifikationsentwicklung im Bildungs-und Beschäftigungssystem wird von kritischen Bildungs-und Sozialwissenschaftler/innen auf die “Zuspitzung der Segmentation des Arbeitsmarktes” (Dobischat/Lipsmeier 1988, 104) und die “Opfer der Qualifizierungsoffensive” (Geißler/Petsch/Schneider-Grube 1987) als Kehrseite jener Entwicklung hingewiesen. Ein wachsender Bedarf an Fortbildung für die weniger qualifizierten Arbeitskräftegruppen wird nahezu einstimmig betont; “dagegen steht jedoch, daß der in anderen Bereichen expandierende Arbeitskräftebedarf zum erheblichen Teil in Qualifikationsstufen anfällt (z. B. Fachschul-und Hochschulabsolventen), die von verdrängten Nichtqualifizierten selbst durch intensive Weiterbildung kaum erreicht werden können. Spätestens hier wird der Mythos von Weiterbildung als positivem Versprechen der Partizipation am technischen Fortschritt entzaubert.” (Dobischat/Lipsmeier 1988, 1094). So belegen sämtliche Rationalisierungsstudien im Verwaltungsbereich, daß die weniger Qualifizierten in erster Linie die “Verlierer/innen” sind. - Dies ist freilich ein Problem, das mit dem Strukturwandel kaum vermeidbar, jedoch nicht unlösbar ist. Denn es werden stets, wenn auch künftig weniger, “einfache” und mittlere Qualifikationen nachgefragt werden. Überdies sind Nachfragemuster nicht unabhängig vom regionalspezifischen Qualifikationsangebot. Zudem darf das Qualifikationspotential der heute noch weniger Qualifizierten, das durch Weiterbildung sehr wohl ausgeschöpft werden könnte, nicht unterschätzt werden. Schließlich bieten sich verschiedene Arbcitsgestaltungslösungen an, die die Qualifikationsproblematik und die sich andeutenden Polarisierungstendenzen wenn auch nicht beseitigen, aber doch lindem könnte.
Die unternehmerischen Begründungsansätze (Kap. 4.2) sowie die Autoren der empirica-Studie (1991) haben in erster Linie die “Qualifikation” als “Wirtschaftsfaktor” im Auge: “Hohe Bildungskapazitäten sind langfristig die wichtigsten Wirtschaftsfórderungsmaßnahmen für die Region. Sie sind gleichzeitig die Voraussetzung für eine erfolgreiche Anpassung des Staatssektors an seine weiter wachsenden Aufgaben.” (empirica 1991, 95).
Die in den 80er Jahren neu entstandenen Kleinbetriebe in den modernen Dienstleistungsberei- chen (Beispiele: Software-und Ingenieurbetriebe) zeigen dagegen ein häufig anderes Bild.
Der Ausdruck “Aufgabenkritik” ist vorwiegend im Öffentlichen Dienst gebräuchlich.
Vgl. dazu auch die Anregungen von Fredecker 1991.
Zit. in: IIabermas, J. (1985, 161): Die Neue Unübersichtlichkeit
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Zimmermann, D.A. (1995). Qualifikationspolitik in einer regionalen Zukunftsperspektive. In: Qualifikationspolitik. DUV Sozialwissenschaft. Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-14564-6_5
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