Zusammenfassung
Es scheint so, als sei das Vernunftdenken der Aufklärung, die mit dem Wahlspruch “sapere aude” auch die Emanzipation des Individuums qua Erkenntnis zu profilieren suchte, durch die Ausarbeitung der sich daraus ergebenden Erkenntnisstrategien selbst in eine offene Krise geraten. Die kognitiven Mittel der technischen Beherrschung der Natur, die wesentlich auf die Virtualisierung der Natur als eines Zusammenhangs abstrakter und allgemeiner Gesetze zielen, scheinen zum Medium der Dissoziation von Mensch und Natur geworden zu sein. Andererseits führt die erkenntnistheoretische Profilierung des Subjektbegriffs zu einer Vorstellung monologischer Subjektivität, in die der gesellschaftliche und intersubjektive Konstitutionszusammenhang von Individualität nicht mehr aufgenommen werden kann, so daß ein gewisser Zwang besteht, den gesellschaftlichen Vermittlungszusammenhang als subjektenthobenen, abstrakten Prozeß der bürokratischen Regulierung zu denken. So bringt denn, was als Königsweg der Emanzipation gedacht war, das konkrete Subjekt in eine prekäre Lage: Da, wo gerade noch der Schein von Welt als eines objektiv verpflichtenden Sinnzusammenhangs zerstört und Subjektivität freigesetzt wurde, wird sie von der dadurch ausgelösten Entwicklung auch schon wieder eingeholt und der Herrschaft objektiven Wissens wie subjektloser gesellschaftlicher Regelungszusammenhänge unterworfen. In dieser Dialektik scheint mir der Kern der Modernitätskritik zu stecken, welche die Autoren in sonst allerdings recht unterschiedlicher Weise entfaltet haben. Ich werde diese These in drei Schritten rekonstruieren.
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Referenzen
Vgl. E. Morin: L’esprit du temps, tome 2: nécrose. Paris (Grasset) 1975, S.251f sowie K. Axelos: Vers la pensée planétaire. A.a. O. S.253 (ich zitiere hier nur beispielhaft die Texte, die den Gedanken am prägnantesten zum Ausdruck bringen)
Vgl. K. Axelos: Vers la pensée planétaire. A.a. O. S.311
So E. Morin: L’esprit du temps: nevrose. A.a. O. S.13f <dt.: S.11>
Ebda. S. 101 <dt.: S.96>
Vgl. insgesamt H. Lefèbvre: Introduction à la modernité. A.a. O. S. 193–196 <dt.: 227–231>
So jedenfalls könnte man den Hinweis, den Lelèbvre im Zusammenhang der Analyse von Prozessen der Depolitisierung gibt, deuten. Vgl. ebda. S.195f und S.226 <dt.: S.230f und S.258ff>
So K. Axelos: Vers la pensée planétaire. A.a. O. S.16f und H. Lefèbvre: Introduction à la modernité. A.a. O. S.226f <dt.:S.258ff>
H. Lefèbvre: La vie quotidienne dans le monde moderne. A.a. O. S.236ff <dt.: S.175ff>
Lefèbvre zeichnet dies unter dem Titel “La chute des reférentiels” im einzelnen nach. Vgl. ebda. S.212–220 <dt.: S.158–163>
Ds.: Introduction à la modernité. A.a. O. S.212 <dt.: S.246>
Ebda.
Vgl. zum folgenden ebda. S. 213ff <dt.: S.247ff>
Ebda. S.216 <dt.: S.250>. Vgl. insgesamt ebda. S.216f <dt.: S.249f>
Ebda. (Diese Textstelle ist in die deutsche Übersetzung nicht eingegangen!)
Ebda. S.217 (auch dieser Begriff taucht in der deutschen Übersetzung so nicht auf und wird in der Fassung: “... tatsächlich ist in der modernen Welt die Versuchung groß, der chaotischen Mannigfaltigkeit des Wirklichen einen Wert entgegenzusetzen...” <S.250f> m. E. entschärft. Vgl. zum folgenden ebda. S.217f <dt.: S.250ff>
Ebda. S.218 <dt.: S.251>
Vgl. E. Morin: L’esprit du temps: nécrose. A.a. O. S.160ff
Ebda. S.267f
Den kulturrelativistischen Aspekt entfaltet Fougeyrollas im Zusammenhang seiner soziologischen Untersuchungen über Modernisierungsprozesse in stärker traditionalen Gesellschaften wie der des Senegal. Vgl. P. Fougeyrollas: Modernisation des Hommes. L’example du Sénégal. Paris (Anthropos) 1970, S.27ff. Châtelet neigt in seinen Arbeiten ab etwa 1970 dazu, den Vernunftbegriff mit dem Bestand an gesellschaftlichen Institutionen zu identifizieren und ihn unter Aspekten von Herrschaft einer radikalen Kritik zu unterziehen. So verzichtet er mit dem Bild des “homme révolté” auch konsequent auf Formen der Begründung von Kritik, weil in seinem Verständnis Begründungen zu Aspekten eines allgemeinen Unterdrückungszusammenhangs werden. Vgl. beispielhaft F. Châtelet: Chronique des idées perdues. A.a. O. S.120ff
E. Morin: L’esprit du temps: nécrose. A.a. O. S.168f
H. Lefèbvre: Métaphilosophie. A.a. O. S.33f <dt.: S.336ff>
Die Anregung zu dieser Formulierung des Problems entnehme ich H. Brunkhorst: Mehr als eine Flaschenpost. Kritische Theorie und Sozialwissenschaften. In: v. Friedeburg/Habermas (Hrsg.), Adorno-Konferenz. A.a. O. S.314–326 (hier S.322ff)
Lefèbvre spricht von evozierten Residuen. Vgl. “Métaphilosophie”. A.a. O. S.311 <dt.: S.335>
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Schmalz-Bruns, R. (1989). Statt einer Zusammenfassung: Stichworte zu einer Theorie der Modernität. In: Alltag — Subjektivität — Vernunft. Studien zur Sozialwissenschaft, vol 81. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-14513-4_5
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