Zusammenfassung
In der marxistisch-leninistischen Soziologie der DDR gilt das Axiom, die Arbeiterklasse sei als herrschende Klasse ein Bündnis mit der Intelligenz eingegangen und würde sich bei der Wahrnehmung ihrer Führungsfunktion auf diese Schicht stützen. Die SED, deren Führungskader selbst der Intelligenzschicht angehören, rechtfertigt ihre Rolle als Avantgarde mit der engen Bindung an die Arbeiterklasse und dem Anspruch, Vertreterin des Allgemeininteresses dieser Klasse und ihrer „Bündnispartner“ zu sein. Daß in der SED Hoch- und Fachschulkader überrepräsentiert sind und die hauptamtlichen Funktionäre heute in der Regel auf ein akademisches Diplom verweisen können, stellt sich den Soziologen in der DDR kaum als Problem dar. Sie schlagen die Parteikader in ihren sozialstatistischen Berechnungen einfach der Arbeiterklasse zu. In der Tat ist diesem Verfahren eine gewisse Folgerichtigkeit nicht abzusprechen, wenn man Klasse und Partei als untrennbare Einheit auffaßt. Unbestritten ist, daß es zwischen Personen, die durch die Art ihrer Tätigkeit und ihre Stellung in der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit im traditionellen Sinne als Angehörige der Arbeiterklasse bezeichnet werden und denen, die sich durch den Grad ihrer Ausbildung und den geistigen Charakter ihrer Arbeit als Intelligenz verstehen, manche soziale Gemeinsamkeiten und ähnlich gelagerte Interessen gibt. Es ist sicherlich nicht unerheblich für die politische Kultur der Gesellschaft und für das Selbstverständnis der Angehörigen der herrschenden Klasse oder Schicht, wenn sie selbst einmal der Arbeiterklasse angehörten bzw. einer Arbeiterfamilie entstammen. Auf diesen Tatbestand weisen Soziologen in der DDR immer wieder hin, um die Verbundenheit der Intelligenz mit den Arbeitern hervorzuheben. Daraus aber bereits auf eine Interessenidentität zu schließen, erscheint unrealistisch. Zu fragen ist vielmehr, ob es zwischen der aus der Arbeiterklasse aufgestiegenen Intelligenz und ihrer Herkunftsschicht empirisch nachweisbare Gemeinsamkeiten, z. B. im Einkommen, im Lebensstil, im Prestige, in der Freizeitgestaltung und im Kommunikationsverhalten gibt, die diese Verbundenheit aktuell ausdrücken.
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Literatur
Vgl. Gottfried Dittrich, Quantitatives Wachstum und Strukturveränderungen der Arbeiterklasse der DDR als planmäßig gestaltete Prozesse, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, 18. Jg. (1976), Nr. 2, S. 245.
Vgl. Ludwig Auerbach, Menschen in der Sowjetischen Besatzungszone, in: Werkhefte. Zeitschrift für Probleme der Gesellschaft und des Katholizismus, 16. Jg. (1962), Nr. 2, S. 80.
Während von den heute berufstätigen Hochschulkadern ca. 30% einen Facharbeiterberuf erlernten, haben 70% der Fachschulkader einen Facharbeiterabschluß. Vgl. Günter Feierabend, Die Berufsausbildung — Gradmesser des gesellschaftlichen Fortschritts, in: Arbeit und Arbeitsrecht, 34. Jg. (1979), Nr. 10, S. 450. Eine Untersuchung zur Annäherung von Klassen und Schichten, die 1977 vom Institut für marxistisch-leninistische Soziologie der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED durchgeführt wurde, erbrachte, daß von den befragten Angehörigen der Intelligenz in der Altersgruppe 35 bis 54 Jahre 73% Arbeiter oder Bauern als Väter angaben, während in der Altersgruppe bis zu 34 Jahren 54% auf die Herkunft aus einer Arbeiter-oder Bauernfamilie hinweisen konnten. Vgl. Lötsch/ Freitag, Sozialstruktur und soziale Mobilität (Anm. 8), S. 98.
Manfred Lötsch, Sozialstruktur und Wirtschaftswachstum. Überlegungen zum Problem sozialer Triebkräfte des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, in: Wirtschaftswissenschaft, 29. Jg. (1981), Nr. 1, S. 65.
Manfred Lötsch, Soziale Strukturen als Wachstumsfaktoren und als Triebkräfte des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 30. Jg. (1982), Nr. 6, S. 725.
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Erbe, G. (1984). Produktionsarbeiterschaft und wissenschaftlich-technische Intelligenz in der DDR. In: Ebbighausen, R., Tiemann, F. (eds) Das Ende der Arbeiterbewegung in Deutschland?. Schriften des Zentralinstituts für sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-14481-6_23
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