Zusammenfassung
Bei der Untersuchung des Verhältnisses von Renaissance und Antike steht gewöhnlich die Frage im Vordergrund, welche Anregungen von bestimmten antiken Vorbildern ausgegangen sind. Dieser Gesichtspunkt erfaßt jedoch nur einen kleinen Ausschnitt der Erscheinung. Das Bild, das die Renaissance vom Altertum entwirft, ist nicht gleich der Summe der bekannten antiken Überlieferung, sondern beruht auf einer allgemeineren Vorstellung, einer Vision der Antike als einem frühen, heroischen Zeitalter, das lebensvoller, freier und großzügiger war als die gegenwärtige Kultur.117 Diese Vision ist in der Renaissance häufig dargestellt worden, ohne daß dabei bestimmte alte Vorbilder eine entscheidende Rolle gespielt hätten. Um einer Sache oder einem Vorgang einen antikischen Habitus zu geben, genügen ganz allgemeine, aus der Formensprache der eigenen Zeit entwickelte Charakterisierungen, wobei antike Zitate oft nur die Bedeutung von Versatzstücken haben. Es erhebt sich die Frage, wie das Altertum in diesen Bildern gesehen ist. Ein hierhin gehöriges Phänomen hat zuerst A. Warburg aufgezeigt an einem eher ausgefallenen Motiv, nämlich flatternden Haaren und Gewändern.118 In einem Aufsatz von 1893 wies er den Zusammenhang nach, der zwischen diesem Motiv in Botticellis Geburt der Venus und einem Gedicht Polizians besteht. Schon in seinem Malerei-Traktat von 1435 hatte Alberti empfohlen, mit diesen Mitteln einen gefälligen Eindruck zu bewirken. Bezeichnenderweise begegnet die Idee zuerst an den Reliefs Agostino di Duccios in dem von Alberti inspirierten Tempio Malatestiano in Rimini. Antike Vorbilder waren Mänaden und andere Figuren mit windgeschwellten Gewändern auf dekorativen Reliefs und Sarkophagen. Für die Dichtung gab es ebenso antike Anregungen in Werken von Ovid und Claudian. Dieser Zusammenhang zeigt, daß die frühe Renaissance in der Auseinandersetzung mit dem Altertum nicht wie der Klassizismus ‚edle Einfalt und stille Größe‘, sondern Leben, Bewegung und Ausdruck suchte.119
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Hinweise
G. Weise, Renaissance und Antike = Tübinger Forschungen zur Kunstgeschichte 5 (1953) 15 f.
Artemidor, Oneirokritika II 53 gibt an, daß die zum Kreuz Verurteilten γυμνοί ans Holz geschlagen werden, doch kann der Ausdruck bekanntlich auch ‚im Untergewand ‘bedeuten (vergl. Aristoph. Wolken 498. Plato, Pol. 474 a). Nach dem Johannes-Evangelium 19, 23 f. zerteilen die Kriegsknechte den Mantel (vestimenta) und losen über die Tunica. Die synoptischen Evangelien erwähnen hingegen nur die vestimenta (íμάτιο), setzen also einen mit Tunica bekleideten Gekreuzigten voraus. Zu den Anfängen der Ikonographie, die sowohl den nackten Typus mit Lendenschurz wie den bekleideten kennt s. LCI. II (1970) s.v. Kreuzigung Christi 608f. (E. Lucchesi-Palli) und s.v. Kruzifixus 683 (R. Haussherr). Clark, The Nude a. O. 232. Die Nacktheit könnte, wie bei dem nackten Daniel in der Löwengrube, zeichenhaft Not und Verlassenheit andeuten. — Die Allegorie des Ambrosius ist für die Ikonographie des Mittelalters von Bedeutung gewesen (Real-Encyclopädie d. christl. Altertümer, ed. F.X. Kraus, 1886, s.v. Nacktheit 466. Vergl. D. de Chapeaurouge JbBerlMus. 11, 1969, 169 f.). Sie ist auch in der Silva allegoriarum angeführt. Ein Zusammenhang mit der Entstehung des nackten Kruzifixus besteht wohl nicht. — R. Haussherr weist mich noch hin auf I. Lavin, Allen Memorial Art Museum Bulletin 35, 1977–78, 24ff. R. Haussherr, Michelangelos Kruzifixus für Vittoria Colonna (1971) Abb. 19.34. Das Mittelalter hatte manchmal Schwierigkeiten, die Nacktheit des Kruzifixus zu verstehen, wie einige Legenden beweisen (F. v. Bezold, Das Fortleben der antiken Götter im mittelalterlichen Humanismus, 1922, Nachdruck Aalen 1962, 31 mit Anm. 85). Maria verhüllt die Lenden des Gekreuzigten, Haussherr a.O. Abb. 20. — Vergl. auch RDK V s.v. Entkleidung Christi 761 ff., bes. 767.
Robert, Die antiken Sarkophagreliefs III, 1 (1897) Nr. 101–105.
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Himmelmann, N. (1985). Mittelalter und Renaissance. In: Ideale Nacktheit. Abhandlungen der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, vol 73. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-14401-4_3
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