Zusammenfassung
Die Frage nach der Parlamentsreform ist letzten Endes identisch mit der Frage nach dem Bestand oder der Ablösung eines auf repräsentativer Regierungsweise aufbauenden politischen Systems und führt von den Voraussetzungen her in den engsten Bereich einer Demokratietheorie. Begreift man dabei Demokratie als „Selbstherrschaft des Volkes“ und sieht man als ihr Ziel den Abbau von Herrschaftspositionen, dann ist jedes Parlament als Repräsentativkörperschaft infolge der ihm übertragenen legitimen Entscheidungsbefugnis ein Instrument der Herrschaftsausübung. Gemäß dieser Überzeugung dient eine Parlamentsreform (weil das Herrschaftsinstrument Parlament allenfalls in seiner Erscheinungsform modernisiert, in seinem instrumentalen Charakter jedoch nicht in Frage gestellt, sondern eher verfestigt wird) nicht der Aufgabe, „die Möglichkeit der Beteiligung der Massen an der Herrschaft auszuweiten, sondern dazu, sie leichter einzudämmen“ (1).
Für die folgende Untersuchung wurden Materialien Verwendet, die die Verfasser im Rahmen ihrer von der Stiftung Volkswagenwerk unterstützten Untersuchung zum Selbstverständnis der Abgeordneten des 5. Deutschen Bundestages gewonnen haben. Sämtliche namentlich nicht näher bezeichneten Zitate stammen aus den dabei geführten Gesprächen mit Abgeordneten. Das hier vorgelegte Bild ist eine vorläufige, großflächige Bilanz und bedarf der Detailausführung. Sie ist in einem ersten Entwurf vorgelegt in Hans Maier/ Heinz Rausch/ Emil Hübner/ Heinrich Oberreuter, Zum Parlamentsverständnis des fünften Deutschen Bundestages. Die Möglichkeit von Zielkonflikten bei einer Parlamentsreform, o.O. (Bonn) o.J. (1969). Der nachstehende Beitrag war im März 1969 fertiggestellt; er wurde im Sommer 1969 und im Mai 1970 leicht ergänzt. Ein Vorabdruck erschien in der 0-Nummer der Zeitschrift für Parlamentsfragen S. 56 ff. Auf folgende Aussagen von Abgeordneten sei ergänzend hingewiesen: Hans Apel, Der deutsche Parlamentarismus. Unreflektierte Bejahung der Demokratie? Reinbek bei Hamburg 1968; Hans Dichgans, Das Unbehagen in der Bundesrepublik. Ist die Demokratie am Ende? Düsseldorf — Wien 1968; Emil Hübner/ Heinrich Oberreuter/ Heinz Räusch (Hrsg.), Der Bundestag von innen gesehen, München 1969; Walther Keim (Hrsg.), Der Deutsche Bundestag 1949-1961. Eine Bestandsaufnahme, Bonn 1969; Heinrich G. Ritzel, Einer von 518, 2. Aufl., Hannover 1967; Friedrich Schäfer, Der Bundestag. Eine Darstellung seiner Aufgaben und seiner Arbeitsweise, verbunden mit Vorschlägen zur Parlamentsreform, Köln und Opladen 1967; Hans Apel/ Josef Ertl/ Olaf von Wrangel, Das überforderte Parlament, in: Christ und Welt vom 7.3.1969; Hansjörg Häfele/ Hans Apel, Parlamentsreform — ja, aber wie? in: Stuttgarter Zeitung vom 26. 3. 1969; Günther Müller, Ist der Bundestag nur eine Dekoration? in: Die Zeit vom 21. 10. 1966; Manfred Wörner/ Hans Apel/ Hans Friderichs, Von echter Kontrolle kann keine Rede sein, in: Christ und Welt vom 26.4. 1968; Olaf von Wrangel, Ohnmacht des Abgeordneten, in: Die Zeit vom 30. 5. 1969; Der Bundestag muß attraktiver werden! Umfrage unter jungen Abgeordneten in: Christ und Welt vom 9. 9. 1966; Der Aufstand der Enkel findet nicht statt. Eine Umfrage unter jungen Abgeordneten des Deutschen Bundestages, in: Frankfurter Hefte 22/1967, S. 819 ff.; Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 5. Wahlperiode, Stenographische Berichte, insbes. die 140. Sitzung vom 6. 12. 1967, 161. Sitzung vom 27. 3. 1968, 166. Sitzung vom 3. 4. 1968, 225. Sitzung vom 27. 3. 1969 und 240. Sitzung vom 18. 6. 1969. Das wissenschaftlich reifste Werk stammt von Gerhard Loewenberg, Parlamentarismus im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, Tübingen 1969.
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Anmerkungen
Johannes Agnoli/ Peter Brückner, Die Transformation der Demokratie, Berlin 1967, S. 69.
Am schärfsten und zugleich am nichtssagendsten Helmut Lindemann, Die Unfähigkeit zur Reform, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 20/1969, S. 357 ff.
So die Reform der Fragestunde 1960 und die Einführung der Aktuellen Stunde 1965. Vgl. Hans Troßmann, Struktur und Arbeitsweise der Parlamente in den beiden deutschen Republiken, in: Rheinischer Merkur vom 28.3.1969.
Deutscher Bundestag, Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Ausschußdrucksache 10 vom 25. 6. 1959 (Entwürfe von Carlo Schmid und Heinrich Ritzel); Deutscher Bundestag, Abgeordneter Heinrich G. Ritzel, Entwurf Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vom Juli/August 1961. Vgl. dazu Ritzel, a.a.O., S. 77.
Deutscher Bundestag, 5. Wahlperiode, Drucksache V/2479 (neu).
Siehe Drucksache V/4008 und V/4373, sowie die 225., die 240. und die 246. Sitzung. Vgl. auch den Bericht der Kommission für die Parlamentsreform der Fraktion der SPD, in: Information der Sozialdemokratischen Fraktion im Deutschen Bundestag, Tagesdienst 129 vom 26. 2. 1969. Die Vorschläge der entsprechenden CDU/CSU-Kommission sind als Anhang beigeheftet. Die Vorstellungen der Planungskommission des Bundestagspräsidenten sind nur in Auszügen bekannt.
Vgl. auch die Rede von Bundestagspräsident von Hassel in der 247. Sitzung vom 3. 7. 1969.
Siehe Drucksachen V/2425, V/3965, V/4445, V/4514, V/zu 4514, sowie die 246. Sitzung vom 2. 7. 1969, S. 13 729 ff. Die Vorlagen V/3991 und V/3992 wurden im Plenum gar nicht behandelt.
Wie kurzsichtig dieser Schritt im übrigen war, zeigen die Entwicklungen in der sechsten Legislaturperiode, in der inzwischen bereits zwei Enquetekommissionen (Auswärtige Kulturpolitik und Verfassungsreform) in Aussicht genommen sind, ohne daß bislang ihre Befugnisse feststehen. Allerdings hat die SPD-Fraktion ihre Initiative aus dem Jahre 1969 wieder aufgegriffen, so daß die Regelung der Zuständigkeiten unter Umständen doch noch erfolgt, ehe die ersten Kommissionen ihre Arbeit aufnehmen (siehe Bundestagsdrucksache VI/57 sowie: Gesetz für die Enquete-Kommissionen? in: FAZ vom 24. 3. 1970). Diese Entwicklung entbehrt nicht einer gewissen Ironie, ist es doch eben dieselbe CDU/CSU, die heute die Einsetzung beider Enquete-Kommissionen erwog (siehe CDU/CSU fordert eine Verfassung-Enquete, Süddeutsche Zeitung v. 22. 4. 1970; CDU/CSU erörtert mit Genscher Fragen der Verfassungsreform, ebenda v. 29.4. 1970 und Scharfe Konkurrenz der Verfassungsreformer ebenda) während sie als Regierungspartei ganz entschieden eine rechtliche Regelung als „noch nicht ausdiskutiert“ ablehnte. Vgl. dazu Heinrich Köppler,Mißverständnisse, Spannungen, Rivalitäten? Zum Verhältnis von Parlament und Regierung, in: Hübner/ Oberreuter/Rausch, Der Bundestag von innen gesehen, a.a.O. S. 180. Einmal mehr tritt hier der Pragmatismus in Erscheinung, der je nach Standort der Fraktion im Regierungs-oder Oppositionslager seine Auswirkung auf das Parlamentsverständnis hat: Fraktionen mit Oppositionserfahrungen sind dabei in der Regel bei Zugeständnissen an die Opposition konzilianter, doch erweist auch der sechste Bundestag, daß allen Voraussagen zum Trotz die Tatsache der Herrschaftsausübung sich auf den politischen Stil und auf die Behandlung der Opposition auswirkt.
Siehe Thomas Ellweinl Axel Görlitz, Parlament und Verwaltung, Teil 1: Gesetzgebung und politische Kontrolle, Stuttgart 1967; Walter Euchner, Zur Lage des Parlamentarismus, in: Gert Schäfer/ Carl Nedelmann, Der CDU-Staat. Studien zur Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik, München 1967, S. 63 ff.; Wilhelm Hennis, Zur Rechtfertigung und Kritik der Bundestagsarbeit, in: Festschrift fur Adolf Arndt, Frankfurt 1969, S. 147 ff.; Joachim Raschke, Der Bundestag im parlamentarischen Regierungssystem, Berlin 1968; Franz Schneider, Diskussion und Evidenz im parlamentarischen Regierungssystem, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“ B 6/1968 vom 7. 2. 1968; Ulrich Scheuner, Das parlamentarische Regierungssystem in der Bundesrepublik Deutschland, in: Die öffentliche Verwaltung 10/1957, S. 663 ff.; Winfried Steffani, Amerikanischer Kongreß und Deutscher Bundestag — Ein Vergleich, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, a.a.O., B 43/65 vom 27. 10. 1965.
Dazu BVerfG E 3, 247; E 9, 280; E 10,4.
Zu diesen Begriffen Steffani,a.a.O. 16 und Ernst Fraenkel, Das amerikanische Regierungssystem, Köln und Opladen 1960, S. 281 f.
Siehe Schäfer, a.a.O., S. 34.
Die Stellung der Fraktionsvorsitzenden Barzel und Schmidt während der großen Koalition zeigt den Ort politischer Weichenstellung und die Verschmelzung von Regierung und Mehrheitsfraktionen. Dazu Rolf Zundel, Die Koalitionszwillinge, in: Die Zeit vom 29. 11. 1968.
Dialog vom 31.1.1970 S. 18. Siehe dazu auch den vergeblichen Versuch der CDU/CSU durch eine Ergänzung des Tagesordnung eine wirtschaftspolitische Debatte zu erzwingen. VI. Dtsch. Bundestag, Sten. Berichte, 38. Sitzung vom 13. 3. 1970 S. 1871 ff. Seit der Abstimmung über den Kanzleretat gelingt es ihr inzwischen des öfteren, mit bemerkenswerter Disziplin ihre Stärke zu demonstrieren.
So der Abgeordnete von Merkatz auf die Ausführungen des FDP-Abgeordneten Dorn in der 161. Sitzung, a.a.O., S. 8445. Zur Ansicht der FDP dort auch Moersch,S. 8441, und Friderichs, S. 8447.
SPD-Abgeordneter.
SPD-Abgeordnete. Diese grundlegende Reflexion fehlt aber auch bei Abgeordneten, die den Bundestag beschreiben, wie Apel und Schäfer.
Das wird offensichtlich im Verhalten zum Kreßbronner Kreis. Vgl. dazu die Rede Erich Mendes in der 225. Sitzung. a.a.O., S. 12 378 ff.
Wilhelm Hennis, Verfassung und Verfassungswirklichkeit. Ein deutsches Problem, Tübingen 1968, S. 11.
Eine Ausnahme mach Häfele, Reform des Parlamentarismus, in: Dietrich Rollmann (Hrsg.), Die Zukunft der CDU, Hamburg 1968, S. 37 ff. Vgl. auch seine Rede während der 161. Sitzung a.a.O., S. 8438. In anderer Hinsicht bemerkte schon Maurice Duverger, Die politischen Parteien, Tübingen 1959, S. 360: „Wer die Rolle der Parteien kennt, aber nicht das klassische Verfassungsrecht, hat zwar eine unvollständige, aber doch richtige Auffassung von den politischen Zuständen unserer Zeit.“
Manfred Wörner während eines Rundgesprächs mit Seminarteilnehmern.
Siehe Franz Böhm, Der Arbeitsstil des Bundestages, in: Die neue Gesellschaft 11/1964, S. 347 ff.
Im Zuge der kleinen Parlamentsreform beschloß der Bundestag ohne Gegenstimme und Enthaltung: „Die Bundesregierung wird ersucht, durch eine Änderung der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien, Besonderer Teil (GGO II) folgende Regelung sicherzustellen: 1. Wenn die Bundesregierung Referentenentwürfe Verbänden zur Kenntnis gibt, leitet sie diese Referentenentwürfe an den Präsidenten des Deutschen Bundestages. 2. Außerdem sollen die gemäß § 39 Abs. 1 GGO II dem Bundesrat zugeleiteten Gesetzentwürfe in ihrer Begründung die wesentlichen Ansichten der nach § 23 Abs. 1 GGO II gehörten Fachkreise wiedergeben“ (vgl. Drs. V/4373).
Dorn verstieg sich sogar zu einem Vergleich mit Diktaturen in der 161. Sitzung, a.a.O., S. 8445.
CDU-Abgeordneter.
Die Abwesenheit der Regierung wird neuerdings häufig beklagt. Vgl. Dorn, 210. Sitzung, a.a.O., S. 11 337; Schmitt-Vockenhausen ebenda, S. 11 404; Genscher, 214. Sitzung vom 7. 2. 1969, a.a.O., S. 11,574 f.: „Es trifft sich glücklich, daß wir durch die Vereidigung eines Bundesministers die Ehre der Anwesenheit des Herrn Bundeskanzlers in diesem Hause haben.“
Siehe Scheel, 214. Sitzung, a.a.O., S. 11 582 und 11587. In gewisser Hinsicht gehört hierher auch der Streit darüber, ob der Bundeskanzler als Abgeordneter in einer Fragestunde einen Minister fragen darf, wie es im sechsten Bundestag in der 14. Sitzung vom 27. 11. 1969 geschehen ist, Sten. Berichte S. 516 f; vgl. dazu auch die mündliche Anfrage des Abgeordneten Köppler, VI/17, Sitzung vom 4. 12. 1969, S. 606 f. Schon vorher wurde diese Stilfrage aufgeworfen, als der parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Dorn, Minister Genscher in der Fragestunde befragte. Siehe VI.Dtsch. Bundestag, Sten. Berichte, B. Sitzung vom 5. 1I. 1969 S. 249.
Dazu Heinz Laufer, Der parlamentarische Staatssekretär, München 1969, sowie jetzt Friedrich-Karl Fromme, Der Parlamentarische Staatssekretär. Entwicklung in der 6. Wahlperiode, in: Z. für Parl. 1/1970, S. 53 ff.
Vgl. Leopold Habicher, Die Bundesregierung soll entthront werden. Umbauten und Neubauten können die Szene, nicht aber den Stil der Parlamentsarbeit verändern, in: Süddeutsche Zeitung 3./4. 2. 1969; Rolf Zundel, Mehr Qualität - weniger Langeweile, in: Die Zeit vom 14. 2. 1969; Friedrich Karl Fromme, Die klassische Haushalts-Debatte ist tot, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 21. 3. 1969.
Siehe dazu Maier! Rausch/ Hübner/ Oberreuter,Zum Parlamentsverständnis des fünften Deutschen Bundestags, a.a.O.
Walter Bagehot, The English Constitution, ed. R. H. S. Crossmann, London 1964, S. 65, 69.
Schäfer,a.a.O., S. 14.
Siehe die Beiträge von Althammer, Majonica, Rasner und Schulte in Hübner/ Oberreuter/ Rausch, a.a.O.; das Zitat stammt von einem CDU-Abgeordneten.
Wie bemerkte doch Helmut Schmidt in der 210. Sitzung, a.a.O., S. 11 337: „Wer allzulange darüber redet, ohne etwas zu tun, wer sich allzulange dagegen wehrt, daß etwas Neues angefangen werde, staut viele richtige Gedanken und Gefühle auf, erzeugt Ressentiments und ist mit schuld daran, wenn es später zu sehr unerwünschten Entwicklungen kommt.“
CDU-Abgeordneter
Siehe dazu Otto Kirchheimer,Wandlungen der politischen Opposition, in: ders., Politik und Verfassung, Frankfurt 1964, S. 123 ff.
Siehe Drucksache V/4373; vgl. auch den Antrag der FDP-Fraktion bezüglich einer politischen Fragestunde, Drucksache V/4524, und die Begründung von Genscher in der 246. Sitzung, a.a.O., S. 13 698 f. Das Bundestagspräsidium scheint im sechsten Bundestag stärker als früher auf die Einhaltung der Geschäftsordnung zu achten. -So entzog bspw. die amtierende Präsidentin Frau Funcke dem SPD-Fraktionsvorsitzenden in der 47. Sitzung vom 24.4. 1970, Sten. Ber. S. 2380, das Wort mit dem Hinweis auf einen „Mißbrauch der Fragestunde“.
Ursprünglich waren sogar zehn Ausschußsitzungen angesetzt, die erst später abgesagt wurden. Während der weiteren Behandlung des Haushaltes (224. -226. Sitzung) fanden - den Haushaltsausschuß ausgenommen - keine offiziellen Ausschußsitzungen statt.
Ein Beispiel: Mit der Mitteilung, daß zwei Abgeordnete ihre Rede zu Protokoll gegeben hätten und ein weiterer es erwäge, verband Vizepräsident Schoettle die Aufforderung: „Das ist zwar die zweitbeste Form der Beteiligung an einer Bundestagsdiskussion. Aber immerhin angesichts der Gesamtgeschäftslage ist es im Augenblick durchaus erwünscht, wenn durch den Fortfall von Rednern die Zeit etwas verkürzt wird, die wir fit. diese Debatte über den Grünen Bericht im ganzen aufwenden.“ 218. Sitzung am 26. 2. 1969, S. 11 801. Am Ende hatten sechs Abgeordnete ihre Reden zu Protokoll gegeben. Auch dieses Verfahren wird inzwischen nicht mehr geduldet. Ein entsprechender Beschluß des Präsidiums wurde vom Ältestenrat am 16. 4. 1970 akzeptiert.
Der Abg. Hammans zitierte am 7. Mai 1968 eine Rede, die er am 17. 11. 1967 zu Protokoll gegeben hatte, mit der Bemerkung: „Diese Sätze sind heute so aktuell, wie sie es damals waren. Herr Präsident, Sie gestatten, daß ich meine eigenen Worte zitiere“ (170. Sitzung, S. 9106). Liegt es daran, daß „man weiß, daß man, wenn man am Ende einer sechsstündigen Debatte noch das Wort erzwingt, nicht nur den Unwillen des Hauses gegen sich hat, sondern auch seiner Sache schadet” (Dichgans, 161. Sitzung, S. 8442), weil man „den Frieden dieser späten Stunde noch stören“ würde (Jung, 221. Sitzung, S. 12 038)?
Vizepräsident Schoettle in der 222. Sitzung vom 20. 3. 1969, S. 12 114. Fromme, FAZ, a.a.O., bemerkt: „Die seltenen Anträge, die tatsächlich auf die Veränderungen von Haushaltspositionen zielten, waren da wie eine erlösende Oase der Sachlichkeit in einer Wüste der wuchernden Rhetorik.“ Armin Grünewald, Schlechte Probenarbeit, in: Stuttgarter Zeitung vom 29. 3. 1969 kritisiert „die langweilige und unkonzentrierte Haushaltsdebatte”. Der Bundestag hat es schon schwer: Diskutiert er sachlich, wird ihm das Prädikat langweilig zuerkannt; ist es umgekehrt, „wuchert statt Sachlichkeit die Rhetorik“ (Fromme). Und das noch bei derselben Debatte?
SPD-Abgeordneter: „Daß wir in einer Mischform existieren, darüber sind wir uns vollkommen klar, und daß aus dieser Mischform immer Schwierigkeiten erwachsen werden, darüber sind wir uns auch im klaren… Für mich lautet die Frage anders: Was können wir aus unserer parlamentarischen Grundkonstruktion durch Reformen und Veränderungen noch machen?… Deshalb plädiere ich zunächst einmal fir ein völlig anderes Selbstverständnis des Parlamentes und des Parlamentes auch im Bewußtsein des Volkes.“
Siehe Klepsch, 166. Sitzung, S.8711
Vgl. Loewenberg, aaO., S.156 ff.
Theodor Eschenburg, Ist der Bundestag zu teuer? in: Die Zeit vom 14.2.1964; auch in ders., Zur politischen Praxis in der Bundesrepublik Bd.2, München 1966, S.117 ff. unter dem Titel: „Höhere Diäten, aber weniger Abgeordnete“.
Vgl. Hans Apel, Ein Plädoyer für den Berufspolitiker, in: Die neue Gesellschaft 14/1967,S.129 ff.
Klepsch drückte es vorsichtig aus, als er jene Kollegen ansprach, „die aus guten Gründen — weil sie im Parlament eine besondere Funktion haben — über den notwendigen Apparat verfügen… und vielleicht deshalb dieser Situation des gewöhnlichen Abgeordneten etwas entwöhnt sind, der jeden Handgriff selber tun muß“ (166.Sitzung S.8710).
Collet, 161.Sitzung S. 8445, macht auf einen eigenartigen Vorgang aufmerksam: „Ich mußte mich aber auch an die Feststellung gewöhnen, daß die Abgeordneten… draußen in Wandelgängen und wo immer sie sich unterhielten, ganz anders sprachen als hier an diesem Pulte… Wie kommt es, daß, wenn alle dort so reden, sie als beschließende Abgeordnete das nicht verwirklichen, was sie in ihrer Mehrzahl eigentlich für richtig halten? “
Vgl. beispielsweise Häfele, aaO.,S.46.
Picard,166. Sitzung, S. 8718.
Vgl. Elisabeth Noelle-Erich Peter Neumann (Hrsg.), Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1958–1964, Allensbach und Bonn 1965, S.261 ff.
Ermittlung der Demoskopie Allensbach vom Oktober/November 1968 über „Vorstellungen der Bevölkerung über den idealen Bundestagsabgeordneten“, verteilt an die Angehörigen der CDU/CSU-Fraktion. Dazu auch die Infratest-Umfrage, Der Deutsche Bundestag und die Bundestagsabgeordneten im Meinungsbild der westdeutschen Bevölkerung, München 1965 S.45: Fachwissen wird weit unter dem Mittelwert angesiedelt.
Aus der Vielzahl der Stimmen sei nur herausgegriffen Klaus Rudolf Dreher, Arbeitserleichterungen für das Bonner Parlament. Ab 1.April eine neue Fraktion: die Assistenten, in: Süddeutsche Zeitung vom 17.2.1969, Wäre es durchführbar, müßte man dem Abg. Blumen feld zustimmen, „einfach den Wähler aus der Öffentlichkeit einmal in unsere Büros zu bringen“ (166.Sitzung, S.8712), weil „viele meinen, wir hätten diese Einrichtungen schon” (Günther Müller, ebenda,S.8716).
Auf den mangelnden Mut weist Günther Müller, 166.Sitzung, S.8716, hin. Nach den Äußerungen in der 225.Sitzung scheint sich da einiges gebessert zu haben. Man ziehe aber dennoch die Reaktion der Bundestagsfraktionen auf die Sonderzulage für die Staatssekretäre, die mit einer Diätenerhöhung verbunden gewesen wäre, heran, vgl. Wagner (CSU), Schmitt-Vockenhausen (SPD) und Dorn (FDP), 210.Sitzung,S.11403, 11404, 11405.
Siehe Gabriel Almond — Sidney Verba, The Civic Culture. Political Attitudes and Democracy in Five Nations, Princeton 1963, S. 119 f., 151 ff., 225 ff.
Von hierher erklärt sich auch das Verlangen nach Stander und MdB-Schild am Auto. Siehe dazu auch die Frage des Abg. Hofmann (Mainz) zum protokollarischen Status der Bundestagsabgeordneten, 219.Sitzung, S.11845.
Siehe Eugen Gerstenmaier, Öffentliche Meinung und parlamentarische Entscheidung, in: Die moderne Demokratie und ihr Recht. Festschrift für Gerhard Leibholz, Bd.1, Tübingen 1966,S.125.
Typisch etwa Abendzeitung (München) 10.5.1969:,,Bei der Abstimmung über dieses wichtigste und schwierigste Gesetzgebungswerk der Nachkriegszeit fehlten 181 Volksvertreter“. „Vor gähnend leeren Abgeordnetenbänken verabschiedete der deutsche Bundestag gestern zwei wichtige Gesetzentwürfe zur großen Strafrechtsreform”.
Vgl. Helga Haftendorn, Die politische Funktion der Parlamentsberichterstattung, in: Publizistik 5–6/1961, S.290 ff.
Siehe Fritz Sänger, Das Parlament von innen sehen, in: Praktischer Journalismus Nr.105, 1969, S.1.
„In dieser Bundesrepublik bleibt fast nichts geheim, außer dem, was man im Bundestag sagt“. Der Spiegel Nr. 13 vom 24.3.1969, S.27.
SPD-Abgeordneter.
Siehe Klaus Rudolf Dreher, Nixon auf Europareise: Bonn, in: Süddeutsche Zeitung vom 27.2.1969, dessen Parlamentsberichterstattung im übrigen recht gut ist.
Bundestagsdrucksache V/3011 und die Begründung Genschers in der 212.Sitzung, S.11523.
Sitzung,S.11524 f.
Abg. Brese (CDU), 166.Sitzung, 5.8713.
Abg. Frau Krappe, ebenda S.8711.
SPD-Abgeordneter.
Vgl. Paul Kübler, Wie informieren sich Parlamente? in: Gewerkschaftliche Monatshefte 17/1966 S.232.
CDU-Abgeordneter.
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Rausch, H., Oberreuter, H. (1971). Parlamentsreform in der Dunkelkammer? Zum Selbstverständnis der Bundestagsabgeordneten. In: Steffani, W. (eds) Parlamentarismus ohne Transparenz. Kritik, vol 3. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-14350-5_7
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