Zusammenfassung
Die Publikumsforschung ist wohl als ein Grenzgebiet zu betrachten, das, zwischen Literaturgeschichte und Soziologie liegend, schon deswegen weniger eifrig bearbeitet wird als die alten Kerngebiete der Literaturwissenschaft. Die heute so beliebte Werkanalyse hat zweifellos dieser schon vorhandenen Richtung neue Kräfte zugeführt. In Deutschland und noch mehr in Amerika ist die Literaturgeschichte sogar in die Verteidigung gedrängt worden; denn wenn sich die Literaturwissenschaft in erster Linie mit den spezifisch literarischen Eigenschaften der Werke, die sie erforscht, auseinanderzusetzen hat, dann ist der erste Schritt dazu das genaue Studium der Texte als in sich geschlossene Ganzheiten. Es ergibt sich jedoch die Frage, ob denn irgendein Text — mit der allfälligen Ausnahme zeitgenössischer Werke in der Muttersprache des Lesers — als durchaus in sich geschlossen angesehen werden kann. Wie jedes andere symbolische Gebilde ist ein Text sinnvoll nur für lebende Geister, und zwar für lebende Geister einer bestimmten Art, die eine bestimmte Art von Erfahrung besitzen. „Der geistige Gehalt“, um mit Nicolai Hartmann zu sprechen, „ist überhaupt nicht ‘an sich’ in der geformten Materie des Kunstwerks, sondern nur ‘für uns’, die Auffassenden.“ Die wahren Meister in der Kunst der kritischen Analyse geben natürlich auch zu, daß der Kritiker jede sich ihm bietende Kenntnis von den Hintergründen ausschöpfen muß; aber es gibt noch immer einzelne Radikale, deren Kritik ein „letztes Überfließen von romantischen Subjektivismus“ ist, der, wie kürzlich ein Rezensent in The Times Literary Supplement behauptete, „mehr Interesse für ihren Psychoanalytiker besitzt, als für Leser, denen das Gedicht am Herzen liegt“.
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Bruford, W.H. (1991). Über Wesen und Notwendigkeit der Publikumsforschung. In: Viehoff, R. (eds) Alternative Traditionen. Konzeption Empirische Literaturwissenschaft, vol 10. Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-14243-0_10
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Publisher Name: Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-528-07330-5
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