Zusammenfassung
Gegenstand des vorangegangenen Kapitels war die Diskussion normativer Aspekte in den einzelnen Sozialversicherungszweigen und der Sozialhilfe. In diesem Kapitel soll nun die Diskussion um den grundlegenden Umbau des Wohlfahrtsstaats insgesamt aufgegriffen werden und untersucht werden, ob sich hier Parallelen hinsichtlich des Bedeutungswandels des normativen Gerüsts zeigen, oder ob es hier neue Akzentsetzungen gibt. Dabei lassen sich verschiedene „Konjunkturzyklen“ verschiedener Werte ausmachen. So war die Diskussion in den achtziger Jahren von der Auseinandersetzung mit einer Neubestimmung des Subsidiaritätsbegriffs geprägt, die dann zu Beginn der neunziger Jahre im Konzept des Wohlfahrtspluralismus ihre Fortführung fand. Aber auch der Begriff der Solidarität hat in dieser Phase eine Renaissance erlebt, die immer noch anzuhalten scheint. Mit dem Konzept des dritten Weges haben Gleichheit und Gerechtigkeit als zentrale Werte des Wohlfahrtsstaats wieder an Bedeutung gewonnen. Von besonderer Bedeutung sind weiterhin Diskussionen um mehr Eigenverantwortung im Wohlfahrtsstaat sowie mehr Freiheit in der Auswahl individueller Sicherungsstrategien.
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Literatur
Dabei sind sozialdemokratische Positionen zur „neuen“ Subsidiarität sehr viel heterogener als auf konservativer Seite. So akzentuiert der wirtschaftspolitische Flügel der SPD ebenso wie die konservative Argumentation Eigeninitiative und die Selbstregulierungskräfte der Gesellschaft, was auch auf eine Reduktion des Subsidiaritätsverständnisses i.S. eines Rückzugs des Staates gedeutet werden kann (vgl. Ettwig 2000: 54).
Hier haben auch die Diskussionen um den aktivierenden Staat ihren Anknüpfungspunkt, auf die weiter unten in Kap. 5.3 eingegangen wird.
Auf diese hier von herausragender Bedeutung angesprochenen Konsequenzen der „Politik des dritten Weges“ wird weiter unten eingegangen. Vgl. Kap. 5.2.3.
Mit dem „autotelischen Ich“ meint Giddens eine psychische Struktur des Ich, die „über inneres Zutrauen (verfügt), das von Selbstachtung herrührt, und (…) eine aus Urvertrauen hervorgehende ontologische Sicherheit (empfindet), die es gestattet, soziale Unterschiede positiv zu würdigen.” (Giddens 1997: 259)
Zum Kommunitarismus in seinen verschiedenen Ausprägungen als theoretisches Programm vgl. Kap. 2.2.5. Etzionis Ansatz kann zwar nicht als repräsentativ für den Kommunitarismus insgesamt betrachtet werden, er stellt aber sowohl hinsichtlich seines direkten Bezugs zur Sozialstaatsdebatte als auch hinsichtlich seiner Resonanz in der breiten deutschen Offentlichkeit hier den bedeutsamsten dar.
Marilyn Friedman spricht daher auch von einer „community of choice“ (Friedman 1992). Hier kann diese Diskussion nur angeschnitten werden, vgl. hierzu Rössler (1992), die Beiträge in NaglDocekal, Pauer-Studer (1993) sowie Conradi (2001).
Die Entwicklung solidarischer Potenziale ist auch von der jeweiligen nationalen Wohlfahrtskultur abhängig. So zeigt Bode (1999) am Beispiel des französischen Wohlfahrtsstaats, dass gerade der französische Sonderweg des „Vorsorgestaates“ mehr als etwa der deutsche Sozialstaat das Potenzial in sich birgt, eine „neue Solidarität” zu entwickeln. „Das Gebot der `solidarité nationale’ erfährt in Anbetracht der abnehmenden Bindekraft des ökonomisch interpretierten Sozialversicherungsgedankens eine bedeutsame Aufwertung.“ (Bode 1999: 244f; vgl. auch Becker/ Bode 1998 )
Frankenberg (1997: 206) plädiert etwa für die Möglichkeit steuerrechtlicher Begünstigungen zivilgesellschaftlichen Engagements. Aber auch die Gleichstellung selbstorganisierter Gruppen im sozialen Bereich mit den Tarifparteien hinsichtlich ihrer Normsetzungsbefugnis wäre ein Schritt in diese Richtung.
Im Gesundheitswesen liegt eine der Ursachen für den immer wieder zu verzeichnenden „Reformstau“ auch in den korporatistischen Strukturen, die immer wieder zu Blockaden führen und grundlegende stukturelle Reformen verhindern. Zwar ist mit der Einführung des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen ein Gremium geschaffen worden, dem nicht nur Leistungserbringer von Gesundheitsleistungen angehören, sondern auch gesellschaftliche Gruppen, die die Nachfrageseite repräsentieren. Dennoch können hier nur gruppenspezifische Einzelinteressen diskutiert und verteidigt werden, nicht aber grundlegende normative Konflikte in der Gesellschaft gelöst werden. Institutionen, die dies ermöglichen können, müssen erst noch geschaffen werden, allerdings gibt es Ansätze hierfür wie beispielsweise Bürgerforen, in denen Bürgerinnen und Bürger Standpunkte und Empfehlungen zu konkreten Fragen entwickeln können. In Baden-Württemberg wurden solche Bürgerforen bereits zur Bewertung der medizinischen Anwendung der Gentechnik erprobt (vgl. Bandelow 1998: 238). In der Rentenversicherung gibt es mir der,; Stiftung C enerationengerechtiekeit” ebenfalls eine bürgerschaftliche Gruppe, die versucht, Impulse zu einer Rentenreform zu ge’ben.
In der sozialpädagogischen Lesart wird diese Form der Sozialpolitik häufig auch als „Empowerment beschreiben, womit auf das Wecken individueller Handlungspotenziale angespielt wird. Dieses Konzept existiert bereits länger als das das aktivierenden Staates und wird aktuell im Zusammenhang mit der Debatte um das bürgerschaftliche Engagement diskutiert (vgl. Stark 1996).
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Möhle, M. (2001). Die Umwertung aller Werte? Reformoptionen für eine neue Sozialstaatlichkeit. In: Vom Wert der Wohlfahrt. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-12437-5_6
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