Zusammenfassung
Deutschland im Juni 1995. Kaum ein Fernsehabend vergeht, an dem die Nachrichtensendungen nicht mit einem Thema aufmachen: »Brent Spara«. Die Diskussion um die geplante Entsorgung und Versenkung der Ölplattform im Nordatlantik besitzt bereits seit Ende April einen latenten Nachrichtenwert, seit erstmals Greenpeace-Aktivisten die Ölplattform, ein ausgedientes schwimmendes Öllager, besetzt halten. Als die Plattform am 23. Mai von der schottischen Polizei und dem Werkschutz des verantwortlichen Betreibers Shell UK geräumt wird, haben sich das deutsche Umweltministerium wie die Regierungen der Nordseeanrainerstaaten Dänemark, Island, Belgien und Niederlande gegen die Versenkung ausgesprochen. Nach ersten Protestaufrufen sind in Deutschland am 1. Juni laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid drei Viertel der Bevölkerung zum Boykott von Shell-Tankstellen bereit. Was folgt ist eine Protestbewegung in einer Dimension, wie sie zuvor noch von keiner nichtstaatlichen Organisation (NGO) ausgelöst worden ist: »Brent Spar« wird zum „Fall“. Während in der Nordsee Greenpeace und Shell bei den Versuchen einer zweiten und dann dritten Besetzung der Plattform bzw. deren Verhinderung durch den Einsatz von Wasserwerfersch ffen den Kampf David gegen Goliath medienwirksam und medienpräsent inszenieren, häufen sich in Deutschland Boykottaufrufe quer durch alle politischen und gesellschaftlichen Lager. Die öffentliche Meinung und mit ihr die Medien reagieren hoch emotionalisiert. Shell erleidet am deutschen Mineralölmarkt massive Einbrüche; der Protest wird zum Boykott, der den Konzern an seiner empfindlichsten Stelle trifft: dem Markt. Was öffentliche Appelle an Umweltbewusstsein und gesellschaftliche Verantwortung nicht vermocht haben, schaffen nun die Argumente des Marktes: Den Verlust wesentlicher Marktanteile an einem seiner wichtigsten Absatzmärkte vor Augen gibt die Royal-Dutch Shell-Gruppe am Abend des 20. Juni in einer kurzen Pressemitteilung den Versenkungsverzicht bekannt. Der Konzern lenkte unter dem massiven Druck der Öffentlichkeit ein.1
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Szyszka, P. (1999). Inszenierte Öffentlichkeit. In: Imhof, K., Jarren, O., Blum, R. (eds) Steuerungs- und Regelungsprobleme in der Informationsgesellschaft. Mediensymposium Luzern, vol 5. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-12385-9_10
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