Zusammenfassung
Bevor die Urteile nachgezeichnet werden, die die Zeitgenossen und frühen Biographen J.M.R. Lenz’ über seine Krankheit äußerten, sei zunächst das Verhältnis von Schizophrenie und Melancholie in der modernen Psychopathologie und Psychoanalyse umrissen. Erst dieser Hintergrund vermag vollständig die historische Diagnostik des Lenzschen Morbus als „Melancholie“ zu erhellen.
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Literatur
Hubertus Tellenbach, Melancholie. Problemgeschichte, Endogenität, Typologie, Pathogenese, Klinik, Berlin/Heidelberg/New York 1976, S. 166. Vgl. die ebd. S. 177 präsentierte Gliederung der endogenen Melancholien.
Vgl. den Sammelband von Hanns Hippius; Helmut Selbach (Hg.): Das depressive Syndrom, München/Berlin/Wien 1969.
Siehe dazu P. Kielholz, Klassifizierung der depressiven Verstimmungszustände, in: Hippius; Selbach (Hg.), Das depressive Syndrom, S. 341–346; Tellenbach, Gestalten der Melancholie, in: Jahrbuch für Psychologie, Psychotherapie und medizinische Anthropologie VII (1960), S. 16 ff, S. 166 ff.
Sigmund Freud, Trauer und Melancholie, FGW X, S. 428–446, hier S. 418 f. Zur Neigung tiefenpsychologischer Ansätze, die Psychogenität der endogenen Psychosen ableiten zu wollen, vgl. Peter Dietzsch; Walter Volk, Endogene Störungen, in: Handbuch der Psychologie, Bd. VIII, Klinische Psychologie, hg. v. L. Pongratz, Göttingen 1977, S. 302.
Kielholz, Klassifizierung der depressiven Verstimmungszustände, S. 344; Tellenbach, Melancholie, S. 174 ff. Zu den situationsgebundenen Melancholien sind etwa die Erschöpfungs-, Entlastungs-, Umzugs- und Entwurzelungsmelancholien zu zählen.
H. J. Weitbrecht, Offene Probleme bei affektiven Psychosen, in: Erwin Straus; Jürg Zutt (Hg.), Die Wahnwelten (Endogene Psychosen), Frankfurt/M. 1963, S. 378.
Zur Möglichkeit einer Kulmination reaktiver Melancholien in Vitalstörungen, Derealisations- und Depersonalisationssymptomen vgl. Tellenbach, Gestalten der Melancholie, S. 12, der sich auf eine prominente Literarisierung eines solchen Falles bezieht: Goethes Werther.
Jaspers, Allgemeine Psychopathologie, Berlin/Heidelberg/New York 1973, S. 507 ff.
Vgl. dazu Dietzsch; Volk, Endogene Psychosen, S. 260, und Jaspers, Allgemeine Psychopathologie, S. 474 f und S. 509.
Vgl. dazu Dietzsch; Volk, Endogene Psychosen, S. 260 f; Jaspers, Allgemeine Psychopathologie, S. 475.
Das gilt etwa fir schizophrene Prozesse mit ausgeprägter depressiver Symptomatik. Vgl. Kielholz, Klassifizierung der depressiven Verstimmungszustände, S. 344.
Weitbrecht, Offene Probleme, S. 377.
Ebd.
Vgl. Jaspers, Allgemeine Psychopathologie, S. 513 f, sowie Dietzsch; Volk, Endogene Störungen, S. 260 f.
Vgl. Jaspers, Allgemeine Psychopathologie, S. 513 zum Problem der “Mischpsychosen”. Zur Integration der endogenen Melancholie in schizophreniforme Psychosen vgl. Tellenbach, Melancholie, S. 177 und die Anm. 80 ebd.; weiterhin die psychoanalytischen Arbeiten Sigmund Birans: Versuch zur Psychopathogenese der Schizophrenie, in: Psychiatria, Neurologia, Neurochirurgia 63 (1960), S. 252–281; ders., Melancholie und Todestriebe. Dynamische Psychologie der Melancholie, Basel 1961. Birans Melancholiestudie hat die Doppelexistenz der stumpf-apathischen Spielart der Melancholie des “Reizauslöschungsmodus” als selbständige Psychose und als Baustein der Schizophrenie nachgewiesen: S. B., Melancholie und Todestriebe, S. 104.
Vgl. Jaspers, Allgemeine Psychopathologie, S. 476, Anm. 2. Vgl. zur unerwarteten Remission bzw. geglückten Psychotherapie chronisch Schizophrener Tellenbach, Melancholie, S. 30 f.
Vgl. Dietzsch; Volk, Endogene Störungen, S. 261; Jaspers, Allgemeine Psychopathologie, S. 476 f; Weitbrecht, Offene Probleme, S. 376.
Vgl. Dietzsch; Volk, Endogene Störungen, S. 303; Arft. Psychose in: J. Laplanche; J. B. Pontalis, Das Vokabular der Psychoanalyse, Frankfurt 1986, S. 413 ff. Zur Regression der Libido in der Schizophrenie vgl. Freuds Studie zum Fall Daniel Paul Schreber: Sigmund Freud, Psychoanalytische Bemerkungen über einen autobiographisch beschriebenen Fall von Paranoia (Dementia Paranoides), FGW XIII, S. 239–320; hier bes. S. 307. Vgl. dazu Joachim Metzner, Persönlichkeitszerstörung und Weltuntergang. Das Verhältnis von Wahnbildung und literarischer Imagination, Tübingen 1976, S. 195 ff. Zur Libidoregression der Melancholie: Freud, Trauer und Melancholie, S.428–446, bes. S. 435 f und S. 446; außerdem Biran, Melancholie und Todestriebe, hier S. 71 ff.
Vgl. dazu den bei Weichbrodt, Lenz, S. 175 zitierten Brief Pfeffels vom 25. 2. 1778 an Sarasin und J. F. Oberlin, Herr L, in: Gersch, Studienausgabe, S. 38, 16: “Ich hatte nun hinlänglich Unterricht in Ansehung Hrn. L<¡s> bekommen [...]”
Vgl. Gersch, Nachwort zu: ders., Studienausgabe, S. 64.
Vgl. Sabine Kubik, Krankheit und Medizin, S. 102 f. Oberlin war von 1762–65 als Hauslehrer bei dem Straßburger Wundarzt Dr. D. G. Ziegenhagen beschäftigt und verband später sein Seelsorgeramt im Steintal mit der ärztlichen Betreuung seiner Gemeinde. Vgl. John W. Kurtz, Johann Friedrich Oberlin. Sein Leben und Wirken 1740–1826, Metzingen 1982, S. 99 f.
Darauf hat Schaub (Lenz, S. 44) zuletzt hingewiesen. Leider hat Sabine Kubiks Rekurs auf den medizingeschichtlichen Kontext von Büchners Lenz nicht nur allgemein den historischen Melancholiediskurs ausgespart, sondern auch die Melancholiebezüge in Oberlins Bericht (Krankheit und Medizin, S. 110 ff) übersehen. Auch die für die Melancholiediagnose einschlägigen Äußerungen aus dem “Gönnerkreis um Lenz” wurden von ihr nicht berücksichtigt.
Dedert, Gersch, Oswald und Spieß haben 1976 eine von ihnen aufgefundene, aber nicht von Oberlin selbst stammende Handschrift aus dem Jahre 1778 als authentischen Bericht (Diktat) Oberlins publiziert: Hartmut Dedert; Hubert Gersch; Stephan Oswald; Reinhard F. Spies (Hg.), J. F. Oberlin: Herr L Edition des bisher unveröffentlichten Manuskripts. Ein Beitrag zur Lenz- und Büchnerforschung, in: Revue des Langues Vivantes 42 (1976), S. 357385. Die Büchners Erzählung zugrundeliegende Stoebersche Abschrift des Berichts ist verschollen; sie hat schon nicht mehr dem originalen Wortlaut des Textes von 1778 entsprochen. Vgl. Gersch, Studienausgabe, S. 64 ff. Ich beziehe mich im folgenden auf den von Gersch seiner Studienausgabe beigegebenen Erstdruck von 1839 und gelegentlich, falls geboten, auf die Handschrift von 1778.
Vgl. J. F. Oberlin, Herr L, in: Gersch, Studienausgabe, S. 46, 21 f: “Nun aber sind Sie, wenn Sie die Melancholie überfällt, Ihrer nicht Meister [...]”; S. 46, 28 f: “ [...] wenn die Anfälle von Schwermut vorüber waren, schien alles so sicher und er selbst war so liebenswürdig [...]”; (das Manuskript von 1778: “wann die Anfälle der Schwermuth überstanden waren [...]”, Dedert, Oberlin, S. 374); S. 47, 25 f: “ [...] er selbst sähe daß ihm die Anfälle seiner Melancholie fast keine Macht mehr über ihn ließen [...]” (Manuskript: “[...] daß ihm die Anfälle seiner Melancholie fast keine Macht mehr über sich ließen [...]”, Dedert, Oberlin, S. 375).
Ebd., S. 41, 5: “Beim Nachtessen war er etwas tiefsinnig.” Oberlins Bericht von 1778 verleiht dem Tiefsinn sogar eine für Lenz’ Aufführung repräsentative Bedeutung: “Beym NachtEssen war er, wie immer oft an ihm bemerket, etwas tiefsinnig”, Dedert, Oberlin, S. 370. Zu “Schwermut” und “Tiefsinn” als Synonyma für die Melancholie vgl. Franz Loquai, Künstler und Melancholie in der Romantik, Frankfurt/M./ Bern/ New York/ Nancy 1984, S. 13.
Vgl. Schaub, Lenz, S. 44.
Stud. 24, 15. “Nach dem Nachtessen war er wie gewöhnlich etwas tiefsinnig.” Hier steht Büchner der Handschrift von 1778 (H) näher als Stoebers Erstdruck von 1839, der die Repräsentativität reklamierende Erläuterung von H streicht. Vgl. oben Anm. 7.
F. Waldmann, Lenz in Briefen, Zürich 1894, S. 81. Den Briefauszug hat August Stoeber zuerst in seiner Lenz-Darstellung von 1842 zitiert: A. S., Der Dichter Lenz und Friederike von Sesenheim. Aus Briefen und gleichzeitigen Quellen; nebst Gedichten und Andern von Lenz und G6the, Basel 1842, S. 31 f. August Stoeber versichert ebd. S. 11, Anm.*, er habe Büchner für dessen Lenz-Projekt “alles”, was er “an Handschriften besaß” übergeben. Darunter dürfte sich auch der Schlosser-Brief vom 2. März 1778 befunden haben.
Waldmann, Lenz in Briefen, S. 82. Den Brief hat August Stoeber erstmals 1873 publiziert: A. S., J. G. Roederer und seine Freunde, Alsatia 1873, S. 68 f.
Waldmann, Lenz in Briefen, S. 83.
Ebd., S. 84.
Vgl. Winter, Lenz, S. 18.
Zit. nach ebd., S. 102. Damit korrigiert Karl Lenz seinen früheren, in einem Brief an Salzmann vom Juni 1779 gegebenen Zustandsbericht, der von einer “unglaublichen Schüchternheit” des ansonsten völlig wiederhergestellten Bruders spricht.
Waldmann, Lenz in Briefen, S. 109.
D. F. Stoeber, Vie de Oberlin, S. 215.
Zu den Publikationen August Stöbers und seiner Editionspraxis vgl. Gersch, Nachwort zu ders., Studienausgabe, S. 65 f.
Der Brief zitiert bei A. Stöber (Hg.), Gottfried Roederer von Straßburg und seine Freunde, Colmar 1874, S. 172 f. Kursive im Text von mir, H. S.
Vgl. Johanna Beuthner, Der Dichter Lenz. Beurteilung und Behandlung seiner Krankheit durch seine Zeitgenossen, Freiburg 1968, S. 37. Der Bnef Vogels selbst gibt keine Auskunft über die Quelle der Nachricht.
Vogel berichtet unter anderem von den tätlichen Angriffen Lenz’ auf den Arzt Cornelias, Dr. Willius, und einem Selbstmordversuch Lenzens.
A. Stoeber, Der Dichter Lenz, S. V.
Ebd., S. 11.
Ebd., S. 39: “Der Wahnsinn des Unglücklichen hatte nach und nach eine mildere Gestalt angenommen und sich in stille Schwermuth verwandelt.”
Vgl. dazu Dietzsch; Volk, Endogene Störungen, S. 257 ff; Jaspers, Allgemeine Psychopathologie, S. 471 f mit dem Hinweis auf die dieser Einheitsauffassung konkurrierenden nosologischen Konzepte.
Zit. nach Dietzsch; Volk, Endogene Störungen, S. 258.
Vgl. ebd; Jaspers, Allgemeine Psychopathologie, S. 471 f.
Zit. nach Loquai, Künstler und Melancholie, S. 27.
Vgl. Dietzsch; Volk, Endogene Störungen, S. 258. Zu Reil siehe Loquai, Künstler und Melancholie, S. 5 f.
I. Kant, Versuch über die Krankheiten des Kopfes,KW II, S. 892 f.
Vgl. Loquai, Künstler und Melancholie, S. 26 ff.
Zu den antiken Wurzeln dieser Anschauung: Tellenbach, Melancholie, S. 3.
In einer unspezifischen Begriffsverwendung fungiert die “Melancholie” darüber hinaus als Sammelbezeichnung fir alle leichteren Arten von Geisteskrankheiten. Vgl. Loquai, Künstler und Melancholie, S. 29.
Zit. nach Hans-Jürgen Schings, Melancholie und Aufklärung. Melancholiker und ihre Kritiker in Erfahrungsseelenkunde und Literatur des 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1977, S. 61. Ebd. zur zentralen Bedeutung der Boerhaaveschen Definition fir die Aufklärung.
Kant, Versuch über die Krankheiten des Kopfes,KW II, S. 896 f.
J. Chr. Reil, Rhapsodien über die Anwendung der physischen Churmethode auf Geisteszerüttungen (1803), zit. nach Loquai, Künstler und Melancholie, S. 5.
Vgl. ebd., S. 29, S. 27.
Vgl. Werner Leibbrand; Annemarie Wettley, Der Wahnsinn. Geschichte der abendländischen Psychopathologie, Freiburg/München 1961, S. 420; Jean Starobinski, Geschichte der Melancholiebehandlung von den Anfängen bis 1900, Basel 1960, S. 57 ff, S. 60 f.
Vgl. Loquai, Künstler und Melancholie, S. 27 ff.
Vgl. Schings, Melancholie und Aufklärung, S. 70, und Wolfgang Riedel, Die Anthropologie des jungen Schiller. Zur Ideengeschichte der medizinischen Schriften und der “Philosophischen Briefe”, Würzburg 1985, S. 49.
Prominentes Exempel einer solch bürgerlichen, aus einem politisch entschärften Rousseauismus gespeisten Zivilisationskritik sind die Nachrichten an das Publikum in Absicht der Hypochondrie (1767) des Arztes Johann Ulrich Bilguer. Vgl. dazu Schings, Melancholie und Aufklärung, S. 70 f. Die zitierten Begriffe aus Bilguer, zit. ebd., S. 71. Zur Hypochondrie als Vorstufe der Melancholie vgl. auch Loquai, Künstler und Melancholie, S. 14, S. 16 ff.
Beuthner,-Der Dichter Lenz, S. 47.
Vgl. die Außerungen im Corpus Hippocraticum über die Wandlung der Schwarzgalligkeit in die Manie bei Leibbrand; Wettley, Der Wahnsinn, S. 43 ff.
Gerardi van Swieten, Commentaria in Hennanni Boerhaave Aphorismos etc., Hildburghausen 1754, zit. nach J. B. Friedreich, Versuch einer Literärgeschichte der Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten. Von den ältesten Zeiten bis zum neunzehnten Jahrhundert, Würzburg 1830, S. 259: “si melancholia eousque increscit, ut tenta accedat agitatio liquidi cerebrosi, qua in furorem agantur saevum, mania vocatur.”
Vgl. Friedreich, Literärgeschichte, S. 412. Andere Autoren der Aufklärung klassifizieren im Unterschied dazu eine tobsüchtige Spielart der Melancholie, die “wutendende Melancholie”, die sie aufgrund des partiellen Charakters der Tobsucht von der eigentlichen Manie zu sondern suchen. Diese Unterscheidung trifft Chiarugi. W. F. Dreissigs Handbuch der Pathologie der sogenannnten chronischen Krankheiten (Leipzig 1799) betrachtet entsprechend die “wütende Melancholie” als höchsten Grad der Melancholie, der sich der Manie nähere. Vgl. Friedreich, Literärgeschichte, S. 393, S. 288 f.
Vgl. zur Hypochondrie als Brücke zur Melancholie und zum Wahnsinn die Äußerungen des Gerichtsmediziners Metzger in seinem Kurzgefaßten System: “Den Weg zur Melancholie bahnt die Hypochondrie, eine entfernte Ursache vieler Geistesverirrungen.” Wenn darauf die “Beurtheilungskraft” des Melancholikers “irre geführt” wird, “ist der Wahnsinn da.” Zit. nach Loquai, Künstler und Melancholie, S. 29.
Zur Ablösung der Humoralpathologie durch das pathogenetische Modell des kranken Nervensystems in der Melancholiebetrachtung vgl. Loquai, Künstler und Melancholie, S. 34 ff.
Schings, Melancholie und Aufklärung, S. 65. Eine deutsche Übersetzung Lorrys erschien Frankfurt und Leipzig 1770.
J. Chr. Reil, Ueber die Erkenntniß und Cur der Fieber, Bd. 4: Nervenkrankheiten,Halle 21805, S. 299 f. Zum Begriff der “Gichter” im Sinne krampfartiger Anfälle vgl. Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 7, München 1984, Sp. 7278 ff, bes. Sp. 7284 f. Ein Indiz dafür, daß Schlossers “fliegende Gichter” sich im Schwerefeld der Melancholie bewegen, findet sich in dem Hinweis des Emmendinger Amtmanns auf die depressive Prägung der lucida intervalla: “Die Intervalle sind freilich schwermütig, aber doch helle.” Vgl. oben Kap. 2.2.
Starobinski, Geschichte der Melancholiebehandlung, S. 61.
Karl Kahlbaum, Die Katatonie oder das Spannungsirresein. Eine klinische Form psychischer Krankheit, Berlin 1874, S. 30. Kahlbaum betont wiederholt das Entstehen des Morbus aus einem Zustand einfacher Melancholie (S. 4 f und passim) bzw. aus vorzugsweise “deprimirende(n) Gemüthsaffecte(n)” (S. 55). Darüber hinaus inkliniere der Kranke zu melancholischen Wahninhalten: “Wie in der Sphäre des Fühlens die depressiven Stimmungen und Geftihle vorherrschen, so seitens der Intelligenz die depressiven Hallucinationen, Vorstellungen und Ideen.” Ebd., S. 45.
Zu den Stadien der Kaiatome, deren “psychische(n) Zustandsformen [...] der Reihe nach das Bild der Melancholie, der Manie, der Stupeszenz (Attonität), der Verwirrtheit und schließlich des Blödsinns darbieten” Kahlbaum, Katatonie, S. 24. Vgl. auch Leibbrand; Wettley, Der Wahnsinn, S. 565, und Dietzsch; Volk, Endogene Störungen, S. 260. Zur melancholia attonita vgl. Leibbrand; Wettley, Der Wahnsinn, S. 347.
Kahlbaum, Katatonie,S. 4 f. Schon auf der 13. Ord. Versammlung des psychiatrischen Vereins am 15. 3. 1872 sieht sich Kahlbaum genötigt, die Abgrenzung seines “Spannungsirreseins” gegen den Einwand zu verteidigen, es handele sich lediglich um die melancholia attonita. Vgl. Leibbrand; Wettley, Der Wahnsinn, S. 565. Den Zusammenhang mit der melancholia attonita, in der “der Kranke schweigsam, oder völlig stumm und regungslos dasitzt, mit starren Mienen, unbeweglichem, in die Weite fixirtem Blick, bewegungs- und scheinbar völlig willenlos, ohne Reaction auf Sensibilitätseindrücke” (Kahlbaum, Katatonie, S. 5), sieht auch Kahlbaum, hält ihn aber mit dem Hinweis auf das Ende der Katatonie in terminalem Blödsinn sowie auf ihre Phasen “pathetischer Ekstase” (ebd., S. 6, S. 31) nicht für primär.
Vgl. Kubik, Krankheit und Medizin, S. 85 ff.
HA II,S. 22: “Der Selbstmörder aus physischen oder psychischen Leiden ist kein Selbstmörder, er ist nur ein an Krankheit Gestorbner. Ich verstehe nämlich darunter einen solchen, welcher durch geistiges oder körperliches unheilbares Leiden allmählich in jene Seelenstimmung verfällt, die man mit dem Namen der Melancholie bezeichnet, und so zum Selbstmord getrieben wird [...].”
Vgl. unten Kap. I, 3. 1.
Irle, Büchners Lenz, S. 83.
Zur psychotischen Symptomatik in Büchners Lenz vgl. außer der Arbeit Mühlhers, Büchner, vor allem die feinsinnigen, auch die Zeit- und Raumproblematik einbeziehenden, allerdings an der üblichen Schizophreniezuschreibung festhaltenden Ausführungen Janckes, Georg Büchner, S. 242 ff, sowie aus psychiatrischer Warte Irle, Lenz; außerdem Gödtel, Büchners “Lenz”
Zur melancholischen Hemmung und ihrer Intensivierung im Stupor vgl. Jaspers, Allgemeine Psychopathologie, S. 500 f; weiterhin Biran, Melancholie und Todestnebe, S. 36 f; Lothar G. Schmidt; Peter Becker, Psychogene Störungen, in: Handbuch der Psychologie 8/1, Klinische Psychologie, hg. von L. Pongratz, Göttingen 1977, S. 361. Die psychotischen Symptome der Agitation und Hemmung sind schon dem historischen Melancholiediskurs geläufig. Schaub hat jene für den Büchnerschen Protagonisten typische agitierte Fortbewegung der Charakteristik des Melancholikers in Zedlers Universallexikon zugeordnet. Zedler bescheinigt dem Melancholiker einen geschwinden Gang. Schaub, Lenz, S. B. Walchs Philosophisches Lexicon schreibt dem Melancholiker dagegen einen retardierten Bewegungshabitus zu, der aus der physiologischen Pathologie des verlangsamten Blutflusses deduziert wird: “In dem melancholischen Temperamente herrschet das Trockene im Blute, folglich ist das Blut so dick, und kann weder geschwind laufen, noch seinen Schein durch die Luftlöcher werfen. Deswegen ist er [der Melancholiker, H. S.] in seinen Verrichtungen langsam [¡1, er spricht, gehet langsam [...]” Johann Georg Walch, Art. Temperament des Leibes, in: Philosophisches Lexicon, Bd. II, Leipzig 21733, Sp. 1096.
Der Begriff des Psychotischen wird im folgenden nicht der üblichen Gleichsetzung mit dem Schizophrenen gemäß gebraucht, sondern umgreift hier nach dem psychopathologischen Diagnoseschema als Oberbegriff die Formkreise von Schizophrenie und endogener Melancholie.
Vgl. zur Angstproblematik im Lenz und zu ihrem Konnex mit der melancholischen Psychose Mühlher, Büchner, S. 278 f.
Viëtor, “Lenz”, S. 3.
Vgl. zur melancholisch-schizophrenen Affektleere und ihrem “Gefühl der Gefühllosigkeit” Jaspers, Allgemeine Psychopathologie, S. 93. Zur Symptomatik der monopolaren Depression ebd., S. 500. In Büchners Lenz findet sich die psychotische Affektverödung und ihre vehemente Abwehr am eindrucksvollsten in folgendem Passus: “Je leerer, je kälter, je sterbender er sich innerlich fühlte, desto mehr drängte es in ihn, eine Glut in sich zu wecken, es kamen ihm Erinnerungen an die Zeiten, wo alles in ihm sich drängte, wo er unter all seinen Empfindungen keuchte, er rang die Hände, er rührte alles in sich auf; aber tot! tot!” (Stud. 21, 17 ft)
Irle, Büchners Lenz, S. 81. Vgl. Stud. 27, 30–32: “ [...] dachte er an eine fremde Person, oder stellte er sie sich lebhaft vor, so war es ihm, als würde er sie selbst, er verwirrte sich ganz [...].” Zu vergleichbaren Fällen melancholischen Identitätsverlusts siehe den Fall der Arztin H. G. bei Tellenbach, Melancholie, S. 140, die sich in Anfällen schweren Schuldwahns für ihre Mitpatientinnen hält.
Irle, Büchners Lenz, S. 81. Vgl. Stud. 28, 21–24: “Eigentlich nicht er selbst tat es, sondern ein mächtiger Erhaltungstrieb, es war als sei er doppelt und der eine Teil suchte den andern zu retten, und rief sich selbst zu [...]” und Stud. 27, 15–18: “Wenn er allein war, war es ihm so entsetzlich einsam, daß er beständig mit sich redete, rief, und dann erschrak er wieder und es war ihm, als hätte eine fremde Stimme mit ihm gesprochen.”
Kahlbaum, Katatonie, S. 39 f. Zur Verbigeration und zum psychotischen Rededrang vgl. Auch Jaspers, Allgemeine Psychopathologie, S. 161 f; S. 503 (in der Katatonie). Vgl. Stud. 27, 1823: “Im Gespräch stockte er oft, eine unbeschreibliche Angst befiel ihn, er hatte das Ende seines Satzes verloren; dann meinte er, er müsse das zuletzt gesprochene Wort behalten und immer sprechen, nur mit großer Anstrengung unterdrückte er diese Gelüste”, sowie Stud. 7, 36–8, 5: “[...] eine unnennbare Angst erfaßte ihn [...] er war sich selbst ein Traum, einzelne Gedanken huschten auf, er hielt sie fest, es war ihm als müsse er immer ‘Vater unser’ sagen; er konnte sich nicht mehr finden [...].” Siehe aber auch Jaspers, Allgemeine Psychopathologie, S. 501, S. 162 zu ähnlichen, unter dem Namen der “ängstlichen Verbigeration” bekannten melancholischen Sprachstörungen.
Zur “Deformation des Schulderlebens” als kardinalem Symptom der Melancholie vgl. Tellenbach, Melancholie, S. 158 ff.
Vgl. aber gegen diese übliche Zweiteilung der melancholischen Schulddeformation Tellenbachs Argumente ebd., S. 158 f, die den bereits pathologischen Charakter reaktiver Schuldgefühle geltend machen.
S. Freud, Trauer und Melancholie, FGW X, S. 429, S. 431.
Ebd., S. 431.
Vgl. Tellenbach, Melancholie, S. 160 f.
Den Arbeiten von Schulte und Janzarik zufolge gestaltet sich die Schuldthematik der Melancholiker nach der spezifischen Wertwelt ihrer Persönlichkeit, vgl. ebd., S. 160.
Vgl. Dietzsch; Volk, Endogene Störungen, S. 265. Fallbeispiele ausgeprägter Formen des Schuld- und Versündigungswahns in der melancholischen Konstellation der Remanenz bietet Tellenbach, Melancholie, S. 133 ff. Auch hier fühlen sich die Patienten aufgrund imaginärer Vergehen verdammt, halten sich für die schlechtesten Menschen der Welt (S. 140) und glauben, die ganze Welt zerstört zu haben (S. 136 t).
Vgl. Kahlbaum, Katatonie, S. 45, S. 30.
So Jules Cotard in einem im September 1880 in den Annales m¨¦dicopsychologiques, Bd. IV publizierten Vortrag, zit. nach Jean Starobinski, Melancholie und Unsterblickeitswahn bei Baudelaire, in: ders., Kleine Geschichte des Körpergefühls, Konstanz 1987, S. 64 f. Den Hinweis auf diesen ergiebigen Aufsatz Starobinskis verdanke ich Ingrid Oesterle.
Jaspers, Psychologie der Weltanschauungen, Heidelberg 41954, S. 300.
J. F. Oberlin, Herr L S. 39: “Ich merkte, daß er bei Erinnerung getaner, mir unbekannter Sünde, schauderte, an der Möglichkeit der Vergebung verzweifelte”.
Vgl. unten Kap. I, 3.1.
Vgl. J. F. Oberlin, Herr L, S. 38, 27 ff. Büchners Variante unterstreicht hier gegenüber Oberlins Mitteilung gerade den Bußaspekt durch den Zusatz: “Er wickelte den alten Sack um sich wie ein Büßender.”
Vgl. Pfeffels Bericht über die versuchte Kindserweckung in seinem Brief an Sarasin vom 25. Februar 1778: “Hierauf¡[gingl er zurück und sagte zum Schulmeister, der ihn begleitete, er, Lenz, habe das Kind vergiftet¡ Des andern Tages ging er zum Statthalter von Bellefosse, gab sich als den Mörder des Kindes an und bat ihn, er möchte ihn binden.” Waldmann, Lenz in Briefen, S. 80.
J. F. Oberlin, Herr L, S. 40, 5 ff; S. 46, 1 ff. Zur Konjunktion von melancholischem Versündigungswahn und Mordwahn vgl. das Fallbeispiel bei Tellenbach, Melancholie, S. 135. Zum häufigen Zusammengehen von melancholischem Versündigungswahn und dem Wahn, bestimmte Verbrechen begangen zu haben, in der Katatonie vgl. Kahlbaum, Katatonie, S. 45.
Dagegen fehlt in Büchners Erzählung der auf die gesamte Umwelt ausgedehnte Mordwahn Lenzens, den Oberlins Bericht in dem größeren, nach dem letzten Selbstmordversuch Lenzens folgenden Abschnitt mitteilt, in dem Teil also, den Büchners fragmentarische Bearbeitung nicht mehr berücksichtigt hat.
Vgl. besonders Jaspers, Allgemeine Psychopathologie, S. 501.
Starobinski, Melancholie und Unsterblichkeitswahn, S. 63 ff.
Jaspers, Allgemeine Psychopathologie, S. 247 (Die Erstauflage der Allgemeinen Psychopathologie erschien 1912.)
Vgl. zum Verhältnis der melancholischen Wahnzustände zu den Literarisierungen Büchners bes. Mühlher, Büchner, S. 274 ff.
Jules Cotard, Etudes sur les maladies c¨¦r¨¦brales et mentales, zit. nach Starobinski, Melancholie und Unsterblichkeitswahn, S. 63.
Ebd., Anm. 3 und S. 66 aus dem von Starobinski umfassend zitierten, 1880 in den Annales m¨¦dicopsychologiques vom Sept. 1880, Bd. 1V, veröffentlichten Bericht Cotards.
Vgl. Cotards Bericht ebd., S. 64.
Jaspers, Allgemeine Psychopathologie, S. 69.
Zit. aus dem Krankenbericht Cotards in den Annales m¨¦dicopsychologiques von 1880 nach Starobinski, Melancholie und Unsterblichkeitswahn, S. 65.
Cotard, Etudes sur les maladies, zit. n. ebd., S. 63.
Jaspers, Psychologie der Weltanschauungen, Heidelberg 41954, S. 300.
Vgl. zu Cotard: Starobinski, Melancholie und Unsterblichkeitswahn, S. 66. Während Jaspers das Mythologem aus den Verlautbarungen der Melancholiker mitteilt, assoziiert es Cotard von sich aus der in den Berichten seiner Patienten auffälligen Verbindung von Unsterblichkeitsund Schuldwahn.
Diese Zuordnung hat zuerst Mühlher im Blick auf die Identifikation Lenzens mit dem Ewigen Juden völlig zu Recht vorgenommen, auch wenn der Unsterblichkeitswahn hier gegenüber dem Versündigungswahn latent ist, Mühlher, Büchner, S. 274 f.
Die Präsenz des Unsterblichkeitswahns und seine Korrelation mit der Depersonalisation erhellt ein weiterer Passus am Ende der Erzählung: “Die halben Versuche zum Entleiben, die er indes fortwährend machte, waren nicht ganz Ernst, es war weniger der Wunsch des Todes, fir ihn war ja keine Ruhe und Hoffnung im Tod; es war mehr in den Augenblicken der fürchterlichsten Angst oder der dumpfen ans Nichtsein grenzenden Ruhe ein Versuch, sich zu sich selbst zu bringen durch physischen Schmerz.” (Stud. 29, 20–26; Kursive von mir, H. S.) Wo der Kranke dem Unsterblichkeitswahn verfallen ist - für Lenz gibt es keine Ruhe im Tod -, machen die Autoaggressionen keinen Sinn mehr als Suizidversuche, wohl aber als Remedium gegen die Destruktion des Körperschemas.
Cotard, Etudes sur les maladies, zit. n. Starobinski, Melancholie und Unsterblichkeitswahn, S. 63.
Vgl. bes. Büchners Äußerungen namentlich in dem bislang um den 10. März datierten,tatsächlich aber auf die Zeit zwischen dem 10. und 2. Januar zurückzuverlegenden “Fatalismusbrief” und in dem Brief vom 9. März, HA II, 424 ff. Unverkennbar künden die hier gegenüber der Braut geäußerten Klagen Büchners von gravierenden Symptomen im Umkreis des melancholischen Verneinungswahns: “Das Gefiihl des Gestorbenseins war immer über mir. Alle Menschen machten mir das hippokratische Gesicht, die Augen verglast, die Wangen wie von Wachs.” Im “Fatalismusbrief heißt es: ”Ich bin ein Automat, die Seele ist mir genommen.“ Zur Neudatierung von Büchners ”Fatalismusbrief’ und des Briefs vom 9. März vgl. Jan-Christoph Hauschild, Neudatierung und Neubewertung von Georg Büchners “Fatalismusbrief’, in: ZfdPh 108 (1989), S. 511–529, hier S. 523, S. 526.
Stoeber, Der Dichter Lenz, S. 11: “Nun (mit der Ankunft im Steintal, H. S.] brach sein oft in dumpfes Hinbrüten, in bange Schwermuth versunkenes Gemüth in vollen Wahnsinn aus, der zuweilen zu unbändigsten Raserei wurde”. Ebd., S. 39, heißt es umgekehrt: “Der Wahnsinn des Unglücklichen hatte nach und nach eine mildere Gestalt angenommen und sich in stille Schwermuth verwandelt.”
F. W. J. Schroeder, Lyrische, elegische und epische Poesien, nebst einer Abhandlung über das Natürliche in der Dichtkunst und die Natur des Menschen, Halle/ S. 1759, S. 52 f, S. 55. Vgl. dazu Völker, Muse Melancholie, S. 42 f.
Vgl. dazu Schings, Melancholie und Aufklärung, S. 5 f, S. 9, S. 39, S. 224 und passim.
Ebd., S. 9.
Vgl. Wolf Lepenies, Melancholie und Gesellschaft, Frankfurt 1972, bes. S. 76 ff. Zu Schings’ Auseinandersetzung mit Lepenies vgl. Schings, Melancholie und Aufklärung, S. 3 f, S. 223 f.
Vgl. Schings, Melancholie und Aufklärung, S. 73 ff.
Vggl. ebd., S. 76 f. Die Zitate aus dem zweiten Band von Speners Theologischen Bedenken (Halle 1700–1711), zit. nach ebd., S. 77.
Vgl. ebd., S. 82 ff zur paradigmatischen Kontroverse Franckes mit Thomasius, der gegen die Pietisten die pejorativen Attribute des melancholischen Temperaments wendet. Heinrich Wilhelm Lawätz’ Versuch über die Temperamente von 1777 konstatiert so die Affinität des Melancholikers zu einer von Angst und Strafvorstellungen geprägten Religiosität: “Es ist gewiß, daß der Melancholicus an Gott nicht anders denket, als an einen strengen schadenfrohen Richter. Dieses gütigste und liebreichste Wesen, dünket seinem trüben Auge, ein grausamer und unerbittlicher Despote. Er erwartet von ihm nichts, als Strafe und Verfolgung.” Zit. nach ebd., S. 51 f. Zur medizinisch operierenden, vom Postulat der vernunftgeleiteten “aufgeklärten Empfindung” ausgehenden neologischen Kritik J. J. Spaldings in seinen Gedanken über den Werth der Geftihle in dem Christenthum (1761) an der pietistischen tristitia spiritualis vgl. ebd., S. 189.
Vgl. ebd., S. 193 ff mit Bezug auf d’Holbachs Syst¨¨me de la Nature (1770).
Vgl. ebd., S. 189 ff. Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem begründet in seinen Betrachtungen über die vornehmsten Wahrheiten der Religion (1768–1792) die “ganze Natur” der vernünftigen Religion “in der Anweisung zur vollkommensten Zufriedenheit” unter Einschluß aller vernünftigen Vergnügungen. Zit. nach ebd., S. 190.
Vgl. dazu sowie zu Gellert ebd., S. 128 ff.
Vgl. allgemein zur aufklärerisch-empfindsamen Aufwertung der Affekte unter der Bedingung ihrer vernünftigen Beherrschung und zur zentralen Affektnorm der Zufriedenheit Sauder, Empfindsamkeit, S. 125 ff.
Vgl. Schings, Melancholie und Aufklärung, S. 143 ff.
Ebd., S. 163.
Zum humoralpathologischen Konzept der melancholia adusta vgl. ebd., S. 59 ff.
Zur grundlegenden Bedeutung der englischen Schriften Mores, Casaubons und Shaftesburys (vgl. ebd., S. 156 ff) für die spätaufklärerische Fanatismus- und Schwärmerpolemik ebd., S. 208 f, S. 211.
Vgl. dazu ebd., S. 203 ff, sowie zum Leitbild des philosophischen Arztes ebd., S. 11 ff.
Zit. nach ebd., S. 215. Weitere Belege ebd., S. 209 ff.
D. Samuel Clarkes [...] Geistlicher Reden Zehnter und letzter Theil. Aus dem Englischen übersetzt [...] von Georg Benzky, Leipzig 1738, S. 280 und die dazugehörigen Ausführungen S. 288 ff.
Observations on the nature, causes and cure of Melancholy, especially of that, which is commonly called religious Melancholy, Shrewsbury 1780. Auf eine von J. G. Zimmermann ausgesprochene Empfehlung übersetzt der Hannoveraner Pastor J. Fr. Lehzen Fawcetts Abhandlung: B. Fawcett über Melankolie, ihre Beschaffenheit, Ursachen und Heilung, votnämlich über die sogenannte religiöse Melankolie, Leipzig 1785. J. B. Friedreichs Versuch einer Literärgeschichte faßt Fawcetts Abhandlung auf den S. 462–464 zusammen.
Fawcett, Über Melankolie, S. 54 f.
Ebd., S. 55, und Clarke, Von der geistlichen Treffsinnigkeit, S. 280.
Vgl. Clarke, Von der geistlichen Tieffsinnigkeit, S. 292, und ders., Von der Sünde wieder den Heiligen Geist, in: ders., Geistlicher Reden Sechster Theil, Leipzig, 1735, S. 13–39.
Jan-Christoph Hauschild, Georg Büchner. Biographie, Stuttgart/Weimar 1993, S. 88 f.
Vgl. Schings, Melancholie und Aufklärung, S. 191.
“Er schrieb einige Briefe¡In dem einen an eine adelige Dame in W r, schien er sich mit Abadonna zu vergleichen, er redete von Abschied.” Oberlin, Herr L, S. 43, 15–21. Vgl. zum Folgenden Hubert Gersch; Stefan Schmalhaus, Die Bedeutung des Details: J.M.R. Lenz, Abbadona und der “Abschied”. Literarisches Zitat und biographische Selbstinterpretation, in: GRM NF 41 (1991), S. 385–412.
So Jochen Hörisch, Oberlin oder die Verbesserung von Mitteleuropa, in: Georg Büchner, Katalog Ausstellung Mathildenhöhe Darmstadt, S. 265 f. Vgl. Haug/Titel, I, S. 21 und die dazugehörige Anmerkung S. 587.
Gersch; Schmalhaus, Lenz, Abbadona, S. 386. Vgl. schon den richtigen Hinweis bei Dedert; Gersch; Oswald; Spiess, J. F. Oberlin, Herr L, S. 383.
Vgl. Gerhard Kaiser, Klopstock. Religion und Dichtung. Gütersloh 1963, S. 174–181.
Gersch; Schmalhaus, Lenz, Abbadona, S. 387 f.
Vgl. Burckhardt-Stoeber, Bd. II, S. 82: “Das Dogma der ewigen Verdammnis konnte in dem liebevollen Herzen Oberlins nie Eingang finden; so oft man in seiner Gegenwart diese Behauptung vorbrachte, wies er sie energisch mit den Worten zurück: ‘Wenn Gott eines seiner Geschöpfe ewig verdammen könnte, so würde er aufhören, Gott zu sein; er würde zum Teufel.’” Siehe weitere Belege bei Gersch; Schmalhaus, Lenz, Abbadona, S. 398 und die Anm. 73 ebd.
Vgl. Gersch; Schmalhaus, Lenz, Abbadona, S. 389 ff.
Vgl. ebd. S. 309. Büchners Verschärfung des melancholischen Versündigungswahns erhellt auch aus einem Vergleich der unterschiedlichen Repliken auf Oberlins Trostworte. Während es im Bericht Oberlins vom historischen Lenz heißt: “ l¡] er hob seinen niederhängenden Kopf auf, blickte gen Himmel, rang die Hände, und sagte: ‘Ach! ach! göttlicher Trost - ach - göttlich - o - ich bete - ich bete an!’ <Er> sagte mir sodann ohne Verwirrung, daß er nun Gottes Regierung erkenne und preise, die mich so bald, ihn zu trösten, wieder heimgeführt.” (J. F. Oberlin, Herr L, S. 39 t), sind in Büchners Adaptation (Stud. 23, 22 f) sowohl der Anbetungsgestus wie Lenzens abschließendes Bekenntnis zur göttlichen Providenz getilgt.
Raymond Klibansky; Erwin Panofsky; Fritz Saxl, Saturn und Melancholie. Studien zur Geschichte der Naturphilosophie und Medizin, der Religion und Kunst, Frankfurt 1990, S. 324.
Vgl. ebd., S. 319 ff.
Ebd., S. 321.
Vgl. Robert Burton, Anatomie der Melancholie, übers. v. U. Horstmann, München 1991, S. 142 f: “Melancholie [...] tritt entweder als Stimmung oder als Naturell auf. Als Stimmung bezeichnet sie jene vorübergehende Niedergeschlagenheit, die noch die unbedeutendsten Anlässe von Kummer, Mangel, Krankheit, Arger, Furcht, Trauer, geistiger Unruhe, Mißmut und Sorge begleitet. [...] Und von diesen melancholischen Anwandlungen ist keine lebende Seele frei.” Burton markiert indes diese stimmungshaft-transitorische Auslegung der Melancholie unmißverständlich als fälschliche und uneigentliche Begriffsverwendung. Vgl. dazu Klibansky; Panofsky; Saxl, Saturn und Melancholie, S. 319.
Das läßt sich etwa an Diderots berühmten Melancolie-Artikel der Encyclop¨¦die demonstrieren, in dem neben die medizinisch-physiologische und religionskritische Behandlung der Melancholie ein gesonderter Abschnitt über die Melancholie als “sentiment habituel de notre imperfection” mit ihren angenehmen Eigenschaften tritt. Diderot-d’Alembert (Hg.), Encyclop¨¦die ou Dictionnaire raisonn¨¦ des Sciences des Arts et des M¨¦tiers, Nouvelle impression en facsimil¨¦ de la premi¨¨re ¨¦dition 1751–1780, Vol. 10, Stuttgart-Bad Cannstadt 1966, S. 307 f. Vgl. Schings, Melancholie und Aufklärung, S. 7 f, S. 61, Anm. 16, sowie Fritz Schalk, Diderots Artikel “Melancolie” in der Enzyklopädie, in: ders., Studien zur französischen Aufklärung, München 1964, S. 127–138. Grimms Wörterbuch unterscheidet später entsprechend die Melancholie als “trübe Stimmung” von ihrer medizinischen und charakterologischen Bedeutungsvariante. Vgl. Charlotte Kahn, Die Melancholie in der deutschen Lyrik des 18. Jahrhunderts, Heidelberg 1932, S. 5.
Vgl. Klibansky; Panofsky; Saxl, Saturn und Melancholie, S. 334 ff, bes. S. 337 f.
Zur englischen Nacht- und Grabesdichtung vgl. vor allem Gerhard Haefner, Formen der Nacht- und Grabesdichtung im England des 18. Jahrhunderts. Zur Bildersprache und Wandlung der “tristesse britannique” - Literatur, in: Sprachkunst 3 (1972), S. 112–132, sowie Karl-Heinz Göller, Naturauffassung und Naturdichtung im England des 18. Jahrhunderts, in: Heinz-Joachim Müllenbrock (Hg.), Europäische Aufklärung II, Wiesbaden 1984, S. 227 ff.
Zur Rezeption der englischen Nacht- und Grabesdichtung, vor allem Youngs in Deutschland: Lawrence Marsden Price, Die Aufnahme englischer Literatur in Deutschland. 1500–1960, Bern/München 1961, S. 120 ff; dazu sowie zur zentralen Rolle des Göttinger Hains und insbesondere Höltys für die melancholische Poesie vgl. Kahn, Melancholie in der deutschen Lyrik, S. 13 ff, sowie Völker, Muse Melancholie, S. 13; S. 30 ff, bes. S. 43.
Immanuel Kant, Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, KW u, S. 839 ff. Vgl. dazu Schings, Melancholie und Aufklärung, S. 53 ff.
Vgl. Helen Watanabe-O’Kelly, Melancholie und melancholische Landschaft. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte des 17. Jahrhunderts, Bern 1978, S. 42 ff. Vgl. zu Miltons christlicher Nobilitierung der Melancholie auch Klibansky; Panofsky; Saxl, Saturn und Melancholie, S. 335 f.
Kant, Beobachtungen über das Gefühl, KW II, S. 839. Kursivdruck dieses und der folgenden Zitate i.O. gesperrt. Die vorhergehenden Zitate ebd. Die Differenz dieser Äußerungen zur Allianz von christlicher Tugend, Vanitaseinsicht und Melancholie mag man an der welt- und naturbejahenden Zielrichtung der sanften Schwermut ablesen. Ihr konzediert Kant ein “innigliches Gefühl für Schönheit und Würde der menschlichen Natur”.
Ebd., S. 840.
Ebd., S. 842.
Ebd. Das vorhergehende Zitat im Text ebd. Kants Beobachtungen scheinen mir psychiatrische Untersuchungen zur prämorbiden Charakterstruktur endogen Melancholischer zu antizipieren, die deren Ordnungsliebe, Gewissenhaftigkeit und Prinzipientreue eruiert haben. Vgl. Tellenbach, Melancholie, S. 63 ff, S. 81 ff.
Schings, Melancholie und Aufklärung, S. 54.
Ebd., S. 55. Zur Glorifizierung der Melancholia Generosa im Florentiner Neuplatonismus und ihre Ausstrahlung auf den europäischen Humanismus vgl. Klibansky; Panofsky; Saxl, Saturn und Melancholie, S. 351 ff.
Diderot, Art. melancolie,S. 307 f.
Vgl. dazu J. A. Unzers Gedanken von dem Vergnügen bey der Traurigkeit (Sammlung kleiner Schriften von D. Johann August Unzer, Zwote Sammlung, Hamburg und Leipzig 1766, S. 402–411), der außer auf das weiter unten zu explizierende Selbstgefiihlstheorem im besonderen auf die “Vorstellung des angenehmen Gegentheils” als Ursache aller lustvermischten “traurigen” Leidenschaften einschließlich des Hasses, Zorns und Neids rekurriert.
Vgl. Gerd Mattenklott, Melancholie in der Dramatik des Sturm und Drang, Königstein/Ts. 1985, S. 51; Kahn, Melancholie in der deutschen Lyrik, S. 26 f.
“Sein Leid kann an sich groß und wichtig genung seyn”, schreibt der schon erwähnte Arzt F. W. J. Schroeder über den Wehmütigen, “aber bey ihm wird es durch Thränen und klagende Betrachtungen gelindert und angenehm.” [...] “Und so können wir eine neue Ursache finden, wie wir in thränenvollen Klagen ein Vergnügen finden, wozu dieses noch unter andern kommt, daß wir dadurch unser Herz äußern und erleichtern.” Schroeder, Lyrische,elegische und epische Poesien, S. 53.
Völker, Muse Melancholie, S. 42 f.
Herder hat die Ausführungen Abbts in seinen Fragmenten über die neuere deutsche Literatur wiedergegeben, mit eigenen Anmerkungen und dem Titel Von Nachahmung der lateinischen Elegien versehen. Sowohl Kahn, Melancholie in der deutschen Lyrik, passim, wie Mattenklott, Melancholie, S. 51 f weisen den Aufsatz irrtümlich als Herders Produkt aus. Ich beziehe mich im Folgenden auf den Abdruck in: Herder’s Werke, hg. von Heinrich Düntzer, 19. Theil, Berlin o. J., S. 279–290.
Thomas Abbt, [Von Nachahmung der lateinischen Elegien], S. 287. Kursive i. O. gesperrt. Die Zitate im Text davor ebd., S. 280 f.
Ebd., S. 281.
Vgl. auch ebd., S. 287: “Wenn ja die Thränen fließen, so mögen sie milde fließen, und wenn Seufzer gehört werden, so mögen sie uns zum sanften Mitleid stimmen und nicht zur Bangigkeit quälen.”
Vgl. auch Kahn, Melancholie in der deutschen Lyrik, S. 28.
Abbt, [Nachahmung der lateinischen Elegien],S. 283: Die “Zeit [muß, H. S.] den Bildern ihre allzu große Lebhaftigkeit geraubt haben; die schwarzen Formen müssen nicht mehr so gedrängt stehen, daß die Erinnerung nicht zugleich einige angenehme dazwischen stellen könnte. Eine Mutter, die ihr einziges Kind verloren hat, sieht in den ersten Tagen nichts als den erblaßten Leichnam, nichts als eine Zukunft ohne Trost [...] und ist betäubt ohne Sprache, ohne Thränen. Sobald sie sich erst wieder erinnert, wie viel Witz ihr Kind schon gezeigt habe, was für lebhafte Antworten es gegeben, wie artig es sich schon in Gesellschaften bezeiget, so löst sich der Schmerz in Thränen auf, die Empfindung wird vermischt und zur Elegie weich genug.”
Vgl. Schroeder, Lyrische, elegische und epische Poesien, S. 53 f: Die Seele kehrt “in sich, um an ihr selbst das Vergnügen zu finden, das ihr von außen versagt wird, wo das Unglück auf sie zudringet.”
Carsten Zelle, Angenehmes Grauen. Literaturhistorische Beiträge zur Ästhetik des Schrecklichen im achtzehnten Jahrhundert, Hamburg 1987, S. 118 ff.
Vgl. dazu Sander, Empfindsamkeit, Bd. I, S. 211 ff. Herders vom französischen Sensualismus stark beeinflußte Vorstudie seiner Plastik bemerkt entsprechend: “Ich fühle mich! Ich bin! [...] J. G. Herder, Zum Sinn des Gefühls (1769), in:Johann Gottfried Herder, Werke, hg. v. Wolfgang Proß, Bd. II, Herder und die Anthropologie der Aufklärung, München 1987, S. 244.
Zelle, Angenehmes Grauen, S. 139 ff, bes. S. 141, S. 154. Zur deutschen Rezeption Dubos’ zuerst im Umkreis der empfindsamen Literaturtheorie durch die Bremer Beiträger vgl. ebd., S. 140, S. 308 f.
J. J. Rousseau, Emile oder Von der Erziehung. In der deutschen Erstübertragung von 1762. Nach der Edition Duchesne vollständig überarbeitet von Siegfried Schmitz, München 1979, S. 17. Vgl. Sauder, Empfindsamkeit, Bd. I, S. 213 und 215.
Sauder, Empfindsamkeit, Bd. I, S. 216. Zur begrifflichen Konvertibilität beider Systeme ¨C des sensualistischen Emotionalismus besonders Dubos’ und der rationalistischen Schulphilosophie mit ihrem Vollkommenheitstheorem - in der Diskussion Lessings, Mendelssohns und Nicolais über die “schmertzhaftangenehmen Empfindungen” vgl. Zelle, Angenehmes Grauen, S. 335, S. 337.
Diderot, Art. M¨¦lancolie,S. 307. Zur zentralen Rolle der gesteigerten Selbsterfahrung in der modernen “poetischen” Melancholie überhaupt vgl. Klibansky; Panofskx; Saxl, Saturn und Melancholie, S. 334 ff, bes. S. 338. Vgl. außerdem fir die empfindsame Melancholielyrik: Kahn, Melancholie in der deutschen Lyrik, S. 20 f.
Moses Mendelssohn, Rhapsodie, oder Zusätze zu den Briefen über die Empfindungen, in: ders., Schriften zur Philosophie und Ästhetik, hg. v. Fritz Bamberger, Bd. 1, Berlin 1929, S. 396. Allgemein zu Mendelssohns Entwicklung in der Frage der “schmerzhaftangenehmen Empfindungen”: Zelle, Angenehmes Grauen, S. 315 ff. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts erlangt Dubos’ in die Außerungen Mendelssohns und Lessings eingegangene emotionalistische Deutung des schmerzvollen Vergnügens allgemeine Akzeptanz. Vgl. ebd., S. 310.
Schroeder, Lyrische,elegische und epische Poesien, S. 53. In der Wehmut “fühlen wir eine solche Größe der Seele [...], und das Gefühl unserer selbst ist uns so trostreich, daß wir im Stande sind, das Herz auszuschütten und mit langen Betrachtungen zu erzählen.”
“Aber wäre auch das Herz nicht ruhig”, ist in Zimmermanns Ueber die Einsamkeit (Carlsruhe 1785, Bd. IV, S. 2) zu lesen, “so blutet es doch gern im Stillen; um süsse Melancholie gibt man gerne alles übrige Erdenglück hin, die ganze Welt um eine einzige Thräne der Liebe.” Vgl. dazu auch Kahn, Melancholie in der deutschen Lyrik, S. 21 f mit weiteren Beispielen empfindsamer Wehmutslyrik. Das Zitat aus Hallers An Doris ebd.
Vgl. Sauder, Empfindsamkeit, Bd. 1, S. 215 ff zum Rang des Selbstgefiihls in aufklärerischen Traktaten Frankreichs über den “bonheur” und zur Kongruenz von Glückseligkeits- und Vollkommenheitsbestimmungen.
LWB III, S. 290.
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Schmidt, H. (1994). Die psychopathologische Grundlage der Naturschilderungen in Büchners Lenz . In: Melancholie und Landschaft. Kulturwissenschaftliche Studien zur deutschen Literatur. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-12237-1_2
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