Zusammenfassung
Hans Brügelmann schildert die Schwierigkeit eines Schulanfängers mit der Fibel:
“Ein Kind liest: ‘Otto sagte: ‘Kommst du morgen zu mir? Ich bin sonntags immer zuhause’. ‘Wieso’, denkt das Kind, ‘morgen ist doch Mittwoch!’” 1
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Literatur
Brügelmann 1983, S. 23.
Ebd.
Zu dem Begriff “Umstülpung” siehe Illich 1984, S. 13: “Das Bild des von innen nach außen gewendeten Ärmels stellt den Vorgang in dreifacher Weise treffend dar: Es handelt sich erstens um eine restlose Umdrehung, die zweitens nahtlos vor sich geht und die, drittens, die verschiedenen Teile einer Gesellschaft sehr ungleichzeitig ergreift.”
Der formelle Stundenplan der Grundschule überdeckt, daß vielfach auch in den Fächern, wie Sachunterricht oder Mathematik im Grunde eine Übung der Lese-und Schreibfertigkeit durchgeführt wird. Klaus Giel schreibt: “Die Grundschule als Fundament des Schulsystems ist die kulturpädagogische Aufgabe einer Vergesellschaftung der Schrift-und Gelehrtenkultur mit ihrem spezifischen Wahrnehmungs-, Denk-, Sprach-und Kommunikationsmuster gestellt.” (Giel 1985, S. 21 ).
Die Weltkonferenz der Erziehungsminister beschloß 1965, was später von der UNESCO übernommen wurde: “Rather than an end in itself, literacy should be regarded as a way of preparing man for a social, civic, and economic role that goes far beyond the limits of rudimentary literacy training, consisting merely in the teaching or reading and writing. The very process of learning to read and write should be made an opportunity for acquiring information that can immediately be used to improve living standards; reading and writing should not lead only to elementary general knowledge but to training for work, increased productivity, a greater participation in civil life and a better understanding of the surrounding world, and should ultimately open the way to basic human knowledge.” (zit. n. Akinnaso 1981, S. 167) Zur Kritik dieser Annahmen siehe u.a. Akinnaso 1981; Scribner und Cole 1981; Freire 1974.
Schleiermacher 1983, S. 211.
Platon 1986, S. 55 Ich habe die Stelle auch deshalb so ausgiebig zitiert, weil sie Anlaß geben könnte, die jetzige Situation zu betrachten und nach der Zuverlässigkeit von Platons Prognose zu fragen. Man muß dazu nicht Anhänger der Ideenlehre sein und alles Wissen als Erinnern verstehen.
Illich 1984, S. 40.
Vgl. ebd.
Hierzu und zu den folgenden Angaben: Vgl. Illich 1984, 1978, 1988.
Vgl. Coulmas 1982, S. 24f.
Von daher ist die Forderung an Schreibanfänger: “Schreib, was du hörst” auch falsch und verwirrend. An den Schwierigkeiten von Kindern mit der Rechtschreibung und der Beziehung von Laut und Buchstaben läßt sich zeigen, was Coulmas formuliert: “Jedes Schriftsystem beruht auf einer impliziten Analyse, nach deren Maßgabe der kontinuierliche Lautstrom der gesprochenen Sprache segmentiert und in graphische Symbole übersetzt wird. Unterschiede zwischen verschiedenen Schriftsystemen sind Unterschiede zwischen den ihnen zugrundeliegenden Analysen, Unterschiede also hinsichtlich dessen, was sie abbilden und was sie unrepräsentiert lassenchrw(133)” (Coulmas 1982, S. 26).
Vgl. Illich 1984, S. 27.
Ebd. Man kann sich das leicht klar machen: Die Konsonantenfolge “Mrgstd ht Gld m Md” ist schon leidlich unverständlich. Noch schwieriger wird es in der folgenden Form: “mrgstdthtgldmmd”. Die Trennung zwischen den Wörtern wurde erst im Mittelalter üblich. Deshalb konnte auch niemand allein für sich lesen. Lesen war gleichbedeutend mit “Vorlesen” und geschrieben wurde lange Zeit nach dem, was ein anderer vorlas (Vgl. Illich 1987, S. 318). In dem Maße, in dem jedoch feste Redewendungen verwendet werden, ist die Entzifferung leicht. Am obigen Beispiel braucht man nur zu verraten, daß das erste Wort “Morgenstund” heißt.
A.a.O., S. 28. Wir verstehen ohne weiteres “Kunstwörter”, wie die Namen neuer Waschmittel oder neuer Autos und sind in der Lage Fremdwörter zu lesen, die wir nicht kennen. Bei Schulkindern kann man beobachten, daß sie stärker als Erwachsene versuchen, das Wort, daß sie kennen, in dem geschriebenen wiederzufinden.
Erst, nach der Abkehr von einer Kommunikationstheorie, die bloß “Sender” und “Empfänger” unterschied, beginnt man zu verstehen, daß die Tatsache, “daß man eine Sprache spricht und daß man Sprecher ist, gemeinsam betrachtet werden (müssen).” (Gebauer 1989, S. 129)
Gebauer 1989, S. 161.
Illich 1984, S. 28.
Postman 1982, S. 41f.
Wimmel 1981 “Folgenreicher als das Befestigen, Verbinden, Bewahren und Weitergeben an sich ist jenes andere Merkmal der auf Schriftlichkeit beruhenden Kultur geworden, das man ihre Komparativität nennen könnte [chrw(133)] Als vergleichendes Abrücken von Vor-Gestalten läßt der komparativische Gang zwei grundsätzliche Verhaltensweisen zu: Fortsteigern und Vermeiden” (S. 12f1).
Diese Formulierung mag mißverständlich sein. “Rede” meint Sprechweise in einer Kultur, die keine Schrift kennt, und nicht “Rede” im modernen Sinne, als ausgesprochene Schrift.
Illich 1987, S. 316.
Schlieben-Lange 1988, S. 14.
Leroi-Gourhan stellt die These auf, daß die Schrift ursprünglich nicht aus der Sprache motiviert ist, sondern der Kunst sehr viel näher steht: “Sie ist eine symbolische Umsetzung und nicht Abbild der Realität, d.h. zwischen dem graphischen Zeichen, in dem man einen Bison sieht, und dem Bison selbst besteht die gleiche Distanz wie zwischen dem Wort und dem Werkzeug” (Leroi-Gourhan 1984, S. 240).
Vgl. a.a.O., S. 15. Tatsächlich sprechen ältere Rechtsvorstellungen für diese Annahme. Bei den Germanen wurden die Nachbarn des “Angeklagten” gefragt, ob sie ihn der Tat für fähig hielten. Einen Meineid hat wohl niemand schwören können. Wort und Person waren derart aneinander gebunden, daß eines das andere nach sich gezogen hätte. Noch in unserem gegenwärtigen Rechtssystem gilt die Regel, daß nur das, was während der Verhandlung gesagt worden ist, für das Urteil herangezogen werden darf. Dahinter liegt der - vergessene - Gedanke, daß durch ein Wort ein Zeichen, eine Markierung im Kosmos eingegraben wird. In diesem Sinne stofflich, ist es wahr.
Coulmas 1982, S. 113f.
Vgl. Brügelmann 1983, S. 12ff.
Illich 1988, S. 43.
Illich 1984, S. 43.
Illich führt aus, daß die Verwendung der Bibel beim Eid, statt der bis dahin üblichen Formel der Selbstverfluchung Anlaß für die Einführung der Verschriftlichung gewesen sei. (Illich 1984, S. 44)
Es ist interessant, sich unter diesem Aspekt die gegenwärtige Entwicklung anzuschauen. Wenn bis vor kurzer Zeit meine Unterschrift notwendig war, um per Scheck Geld zu bekommen, so wird meine “Identität” nun in Form einer nur mir bekannten Geheimnummer gespeichert. Das ist allerdings ein fundamentaler Wechsel. Die Geheimnummer ist nicht Teil meiner Person, sondern definiert sich ausschließlich in ihrer Differenz zu einer anderen Nummer. Die Bank ist nicht daran interessiert, ob ich der bin, als der ich mich ausgebe, sondern lediglich daran, ob ich mich signifikant von einem anderen unterscheide.
Illich 1984, S. 57.
Illich beschreibt auch hier den Prozeß genauer, als ich darstellen kann. Die Unterschrift ist unbedeutend ohne die Rede. Der gesetzgebende Akt ist auf die Verkündigung angewiesen. Die Urkunde ist noch Erinnerungsmittel. Auch dem Siegel wird eine neue Bedeutung gegeben. “Die allmähliche Umdeutung des Siegels von einer Sache (res) zum Ersatz für den eigenen Namenszug ist Teil der Verschriftlichungsphase, die erst im späten Mittelalter vor sich geht. [chrw(133)] Von nun an ist es aber der Text selbst, nicht sein stofflicher Träger, der zum Bezugspunkt im Alltag wird.”(A.a.O. S. 59)
Ein weiterer Zusammenhang sei angedeutet. Die Durchsetzung einer Sprache, die als Hochsprache Nachahmung der Schrift ist, läßt die Unverwechselbarkeit einer Person durch ihren Akzent verschwinden. Insgesamt erleben wir einen Prozeß, der auch mit der Schrift nicht erklärbar ist. Wenn früher Kleidung, Sprache und körperliche Gestalt den Wohnort und die Tätigkeit der Person ausdrückten, sich noch in den frühen Photos aus den Anfängen der Photographie in den Gesichtern die Lebensgeschichte eingeprägt hat, so scheint sich in der Gegenwart die Lebensgeschichte in der Weise in den Gesichtern niederzuschlagen, als ihr die Besonderheiten abhanden kommen.
Illich 1988, S. 84.
Ebd.
So Schlaffer in seiner Einleitung zu Goody u.a. 1986, S. 13. Es sei denn, man definiert formales und logisches Denken ausschließlich im europäischen Sinne. Fraglich ist auch, ob das von Schlaffer angewandte Erklärungsmodell tauglich ist. Danach sei dadurch, daß die Schrift Aufgaben des Gedächtnisses übernommen habe, intellektuelle Energie freigeworden, die sich konzeptionellem Denken zuwenden konnte. ( A.a.O., S. 19 )
Goody u.a. 1986, S. 30.
Der Realismus: das ist die anthropozentrische Illusion, das ist der Finalismus, das sind alle diese Täuschungen, von denen die Geschichte der Wissenschaften übervoll ist.“ (Piaget 1981, S. 39f)
Gough 1986, S. 143.
Vgl. Scribner/Cole 1981, S. 251.
Akinnaso 1981, S. 168.
Akinnaso verweist auf Goody 1977 (The domestication of the savage mind) und CookGumpers 1978 (From oral to written culture) und schreibt: “What Goody is saying is that the language of the home or of the street is different form the language of the classroom, and the formalized school helps to foster this discontinuity” ( A.a.O., S. 171 )
Scharlau/Münzel 1986, S. 24. Die zentrale These findet sich im Klappentext: “Entweder gilt der Indianer als akkulturiert oder als kulturell zerstört. Weitgehend ausgeblendet bleibt aber nur allzuoft: er baut eigene Medienwelten auf, verhält sich bewußt zu Schrift und Schriftkultur und antwortet differenziert darauf.” Für Kinder halte ich die Aussage für ebenso zutreffend. Eine Analyse der Medienkultur der Vorschulkinder, womit nun einmal nicht die Medien gemeint sind, die die Erwachsenen den Kindern servieren, sondern die, die sie sich selbst schaffen, steht noch aus. Ich kann dazu hier auch nur Andeutungen machen und versuche vielmehr für jenes Verständnis von Kindern zu plädieren, daß solch eine Untersuchung erst möglich macht.
A.a.O., S. 27.
A.a.O., S. 43.
A.a.O., S. 47.
A.a.O., S. 46.
A.a.O., S. 51.
Vgl. a.a.O., S. 212.
Vgl. a.a.O., S. 182.
Jose de Acosta (1590), Historia natural y moral de las Indias; zit. n. Scharlau/Münzel 1986, S. 83.
A.a.O., S. 84.
Vgl. ebd.
Vgl. a.a.O., S. 82.
A.a.O., S. 84.
A.a.0., S. 85.
A.a.O., S. 223.
A.a.O., S. 225.
A.a.O., S. 229.
Ebd. Beibehalten wird - im Unterschied zur europäischen Kunst - die Darstellung des Prozesses der Entfernung von der Natur und nicht nur die Darstellung des Ergebnisses. Darin sehen die Autoren auch einen wichtigen Unterschied zwischen oraler und literaler Tradition.
Um einem möglichen Mißverständnis vorzubeugen: Ich denke nicht, daß Kinder die Geschichte der Wissenschaft samt ihrer Irrtümer und Erkenntnisse nachvollziehen; auch nicht, daß sie in ihrer Entwicklung einen logischen Übergang von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit leisten oder an sich erfahren; noch, daß Kinder mit Erwachsenen, die in einer Kultur der Mündlichkeit leben, gleichzusetzen seien. Aber wenn man unterstellt, daß es auf bestimmte Daseinsprobleme eine endliche Menge von Verhaltensmöglichkeiten gibt, so kann man auch annehmen, daß sich die eine oder andere davon sowohl bei den Indianern Lateinamerikas wie bei Kinder in Mitteleuropa wiederfindet.
Lambrich 1990, S. 19. Die Schilderung bezieht sich auf die Freie Schule Aarbergen.
Plappert 1990.
A.a.O., S. 20.
A.a.O., S. 32.
Plappert 1990, S. 20.
Vgl. Lurker 1988, S. 291f Den Ägyptern galt das Herz als Sitz der Vernunft, im Buddhismus als Ort des Bewußtseins. Seit Augustinus ist das Herz Gefäß der göttlichen Liebe, Zentrum der religiösen Persönlichkeit. (Vgl. ebd.)
Vgl. Coulmas 1982, S. 127.
Vgl. a.a.O., S. 128.
Vgl. a.a.O., S. 128ff.
Protokoll Marburg 10.10.1989.
Leiris 1982 S., 48.
Vgl. a.a.O., S. 55: “V keilt sich ein zum Flügelschlag wegen des Worts ‘vautour (Geier) R ahmt den rauhen Umriß von ‘rocher’ (Riff) nachchrw(133) X ist wahrhaftig das Kreuz (croix) über der endgültig begrabenen Sachechrw(133)” (Ebd.)
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Scholz, G. (1994). Das Kind der Schrift. In: Die Konstruktion des Kindes. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-12043-8_7
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