Zusammenfassung
Man kann den Zusammenhang zwischen Veränderungen der Lebensweise der Menschen in einer Gesellschaft und der darüber geführten Diskussion gelegentlich so begreifen, daß die Diskussion gerade das auszuschließen versucht, was den realen Prozeß ausmacht. Aus einer anderen Perspektive gelangt man zu der Einsicht, daß es verschiedene Diskussionsstränge gibt, die sich gegenseitig ignorieren. In der gegenwärtigen Diskussion um Kindheit bezieht sich diese Aussage auf die beiden hauptsächlich diskutierten Fragen: einmal auf die Auseinandersetzung um das „Verschwinden der Kindheit“1, zum anderen auf die um die „verplante Kindheit“2.
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Literatur
So der Buchtitel von Postman 1987. Dazu, wenn auch mit der Verschiebung des Schwerpunkts auf das “Verschwinden der Erwachsenen”, siehe Lenzen 1985; vgl. auch das Buch Hermann Gieseckes “Das Ende der Erziehung” (Giesecke 1985). Die Kontroverse zwischen Giesecke und von Hentig wird geführt zwischen Hentig 1985 und Giesecke 1985a.
Die Diskussion verläuft vor allem in Kontext der Arbeitsgruppe “Kindheit in Europa”, zu der u.a. Heinz Hengst, Ulf Preuß-Lausitz und Hartmut Zeiher gehören.
Lenzen weist m.E. zu Recht u.a. gegen Postman darauf hin, daß sich die Veränderungen der Kindheitsvorstellungen aus Veränderungen ergeben, die zunächst und primär die Erwachsenen betreffen: “Daß sie (die Erwachsenen - G. Scholz) überhaupt über Kindheit reden und schreiben, in diesen Jahren zumal, ist mehr Ausdruck dessen, daß nicht die Kindheit ihnen, sondern sie sich selbst zum Problem geworden sind” (Lenzen 1985, S. 11).
Leroi-Gourhan 1988.
An ökologischen Fragen läßt sich der Zusammenhang leichter veranschaulichen. Ob wir eine durch Menschen verursachte Klimaänderung erleben, läßt sich wissenschaftlich kaum einwandfrei verifizieren. Die Tatsache allein, daß dies möglich ist, zwingt bei unsicherer Datenlage im Grunde dazu, davon auszugehen, daß es a) eine globale Klimaänderung gibt und b) daß sie von Menschen verursacht ist. Die Tatsache, daß wir über die entsprechenden Meßinstrumente verfügen, ist dem Wunsch zu verdanken, das Wettergeschehen planbar zu machen. Dieser Wunsch und die Existenz der Meßinstrumente lassen nun die Ereignisse notwendig als Teil menschlichen Handelns erscheinen.
Ich meine damit nicht eine Gegenüberstellung von Erziehungsvorstellungen und tatsächlicher Erziehungspraxis oder von Idee und Realität. Vielmehr geht es in beiden Fällen um Vorstellungen; in einem Fall um jene, die diskutiert werden, im anderen Fall um jene, die existieren oder dabei sind, sich zu entwickeln.
Faust-Siehl u.a. 1989, S. 12.
Ebd.
A.a.O., S. 13.
Zeiher 1983, S. 176.
Zeiher 1983, S. 179.
Vgl. Muchow 1978.
Zeiher 1983, S. 187.
Vgl. Zeiher 1983, S. 188.
Vgl. Zeiher 1987. Anhand einer Analyse der Tageslaufgestaltung kommen Zeiher/Zeiher zu diesem Ergebnis.
Zeiher 1987, S. 36.
Zeiher 1987, S. 35.
Vgl. Zeiher 1987, S. 35.
Die Rede von der Pädagogisierung des Alltags oder von der Verwissenschaftlichung des Alltags scheint mir hier zu kurz zu greifen. Pädagogisierung oder Verwissenschaftlichung beschreiben bestimmte Konstruktionsweisen, wobei genauer zu klären wäre, worin sie bestehen.
Man kann diesen Vorgang besonders gut in historischen Städten wie Heidelberg beobachten. Im Zuge der Restaurierung und Funktionalisierung der Altstadt von Heidelberg für die Bedürfnisse der Tourismusindustrie und der Verkaufsindustrie wurden z.B. die Balken alter Häuser entfernt und neue Balken eingesetzt. In die neuen Balken gravierte man die Jahreszahl des Einbaues des alten Balkens ein. Der neue Balken ist neu und sieht neu aus, nur die Zahl weist ihn als alten aus. Die Geschichte des Hauses ist dem Haus nicht mehr anzusehen. Zeit selbst wird nicht sichtbar, sondern simuliert.
Thiemann 1988. S. 62.
Hengst 1981, S. 11.
Lenzen 1985, S. 351.
Postman 1987, S. 81.
Vgl. ebd.
Ebd.
Vgl. a.a.O., S. 87.
A.a.O., S. 93.
A.a.O., S. 94.
A.a.O., S. 97.
A.a.O., S. 99.
A.a.O., S. 111f.
Vgl. a.a.O., S. 109.
Vgl. a.a.O., S. 111.
Liebs 1986, S. 226.
Im Deutschen würde man sagen, des Teils der “schweigenden Mehrheit”, der sich in Kampagnen Gehör verschafft.
Vgl. Postman 1987, S. 166.
Liebs 1986, S. 225.
A.a.O., S. 227.
Postman 1987, S. 171.
Liebs 1986, S. 227.
Was ihm Elke Liebes übrigens konzediert (A.a.O., S. 226).
Auch Postman ist nicht eindeutig. In seiner kulturpessimistischen Argumentation spricht er vom Verschwinden der Kindheit; in anderen eher gesellschafts-und medienkritischen Teilen läßt er durchblicken, daß das Medium auch die Situation der Erwachsenen verändert.
Mollenhauer 1983, S. 34.
Ebd.
Vgl. Anders 1983, S. 97ff. Günther Anders Analyse “Die Welt als Phantom und Matritze. Philosophische Betrachtungen über Rundfunk und Fernsehen” geht, 1956 zum erstenmal veröffentlicht, weit über Postmans Medienkritik hinaus. Anders diskutiert nicht Inhalte, sondern die Tatsache der Existenz des Mediums und die Welt, die dieses Medium produziert. Seine zentrale These lautet, daß der Mensch unfähig ist, mit seinen Produkten auf dem Laufenden zu bleiben. Er kann sie zwar herstellen, aber nicht mehr verstehen.
A.a.O., S. 100.
A.a.O., S. 103.
Vgl. a.a.O., S. 111.
Ebd.
A.a.O., S. 142.
A.a.O., S. 143. Damit begnet Anders auch der These, das Fernsehbild sei “ästhetischer Schein”. Er verweist auf den Unterschied zwischen in einer Gerichtsverhandlung im Drama und dem Bericht von einer Gerichtsverhandlung.
Vgl. Baudrillard 1978.
Vgl. Anders 1983, S. 147.
Vgl. ebd.
A.a.O., S. 148.
Auch dafür gibt Anders einen Hinweis: “Denn diese (die verbiederte Fernsehwelt - G. Scholz) ist ein Produkt, das sich auf Grund seines Warencharakters, zum Zwecke seiner Verkäuflichkeit, in den Maßen des Käufers anbietet und so, daß es diesem bequem sitze: also gerade solche Welteigenschaften vorspiegelt, die - denn die Welt ist das Unbequeme - der Welt durchaus abgehen; und das dennoch die Kühnheit oder die Naivität hat, zu behaupten, die Welt zu sein.” (A.a.O., S. 122f)
Anders 1981, S. 252.
So gibt es für Autofahrer “seichte Musik”. um sie nicht abzulenken.
Thiemann 1989, S. 10.
A.a.O., S. 11.
Lenzen 1985, S. 119.
A.a.O., S. 121.
Zschau 1982, S. 105ff; zit. n. Lenzen, a.a.O., S. 122.
A.a.O., S. 124.
Meine Frage lautet ein wenig anders als die Lenzens. Über die Konstruktion einer Konkurrenzsituation unter Frauen verläßt er seine systematische Betrachtungsweise zugunsten einer wertenden und fragt nur nach den Verarbeitungsformen der Frau, die sich für das Kind entschieden hat. Grundsätzlich gilt aber die Paradoxie für jede Entscheidung: für Kind, Abtreibung oder Sterilisation. (Vgl. a.a.O., S. 125)
Vgl. a.a.O., S. 126.
Ebd.
Dessai 1985, S. 117.
So schreibt Dessai zum Beispiel: “Die künstliche Insemination ist… attraktiv für Frauen, die sich von einem anwesenden Vater sowieso keine Mithilfe im Haushalt versprechen und dann lieber allein sorgeberechtigt über den Erziehungsstil entscheiden wollen”. (A.a.O., S. 115) Oder an anderer Stelle: “Stell deinem Freund die Alternative Samenbank in Aussicht und la13 ihn Opfer bringen für deine Bereitschaft, statt des anonymen ‘Elite’-Samens den seinigen zu nehmen.” (S. 125) Stellenweise liest sich das Buch wie eine Ironisierung der Thesen Dieter Lenzens - es ist aber ernst gemeint.
A.a.O., S. 119.
A.a.O., S. 121f.
A.a.O., S. 114.
Hilsberg 1985. Regina Hilsberg beruft sich vor allem auf Jean Liedloff: Auf der Suche nach dem verlorenen Glück. Gegen die Zerstörung unserer Glücksfähigkeit in der frühen Kindheit (1989). Sie ist aber darum bemüht, die offensichtlich esoterischen Aspekte aus Liedloffs Argumentation in einen nüchternen, praktischen Zusammenhang zu stellen. Sie präsentiert sich selbst als die nüchterne, moderne, aufgeklärte Frau, die aus eigenen Erfahrungen und psychologischem Wissen geprüft nacherzählen kann, was Liedloff propagiert hat: “Wenn eine Mutter dafür sorgt, daß ihr Baby die ersten sechs bis acht Monate hindurch ständig herumgetragen wird, so wird dies sein Selbstvertrauen sichern und die Grundlage dafür legen, daß es während der folgenden fünfzehn oder zwanzig Jahre, in denen es zu Hause lebt, sozial, anspruchslos und ausgesprochen hilfsbereit sein wird.” (Liedloff 1989, S. 201).
A.a.O., S. 84.
Ebd.
Sie schildert folgende Situation: “Wir haben Bekannte, deren zweijähriger Sohn ein ausgesprochenes ‘Papa-Kind’ ist. So etwas soll ja vorkommen, ich habe mir anfangs nichts weiter dabei gedacht. Bis ich unter den Briefen, die ich für dieses Buch gesammelt habe, einen fand, der dasselbe Phänomen beschrieb. Beide Kinder sind durch Kaiserschnitt entbunden, unter Vollnarkose der Mutter. Der Vater hat das Baby in den ersten Stunden auf dem Arm herumgetragen, bis die Mutter aus der Narkose erwachte. Zufall? Oder hat das Kind in diesen ersten Stunden sich so mit dem Vater vollgesogen, daß er im Gefühlsleben des Kindes diese beherrschende Stellung einnehmen konnte?” (A.a.O., S. 75)
Vgl. Liedloff 1989, S. 33ff.
A.a.O., S. 108.
Ginott 1965.
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Scholz, G. (1994). Das hergestellte Kind. In: Die Konstruktion des Kindes. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-12043-8_6
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