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Annahmen und Hypothesen

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Part of the book series: Forschung ((FS,volume 107))

Zusammenfassung

Es sollen im folgenden verschiedene Argumentationsstränge dargelegt und eine Reihe von Arbeitshypothesen vorgestellt werden. Die Hypothesen lassen sich ausnahmslos aus den vier präsentierten theoretischen Ansätzen (Marginal Man-Konzept, Kulturkonfliktthese, Anomie-Theorie und Stresstheorie bzw. Coping-Konzept) ableiten oder greifen andere Erklärungsmodelle, gewisse Thesen und Befunde aus der Migrationsforschung über Gastarbeiter und Secondos und manche Metaphern aus der Literatur über die behauptete problematische Lebenssituation und schwierige Ausgangslage der Zweiten Generation auf. Dennoch oder gerade deshalb mögen einzelne dieser immerhin wohlbegründeten und stringent hergeleiteten Hypothesen manchmal etwas überspitzt, klischeehaft oder ethnozentristisch erscheinen und durchaus kolportierten Mythen oder gewissen Stereotypen und Alltagsvorstellungen über Migranten und junge Ausländer und Ausländerinnen der Zweiten Generation entsprechen. Aufgabe der Sozialwissenschaft und der Migrationsforschung ist es jedoch gerade, solche vermeintlichen oder tatsächlichen sozialen „Tatsachen“ und „Findings“ einer empirischen Prüfung zu unterziehen und sie allenfalls zu widerlegen oder zu bestätigen. Daher wird es die Aufgabe dieser empirischen Studie sein, besagte Hypothesen zu überprüfen und empirische Evidenzen dafür oder dagegen zu finden. Also tut die Frage nach der Adäquatheit und Realitätsnähe mancher der aufgegriffenen „Klischees“ und Metaphern über Arbeitsmigranten und ihren Nachwuchs („andere“ Mentalität, Loyalitätskonflikte, Identitätsprobleme, Orientierungsschwierigkeiten, Rückkehrabsicht, starke Aufstiegsorientierung, erhöhte Aggressionsbereitschaft, emotionale Auffälligkeit, psychische Störungsanfälligkeit usw.) vorerst nichts zur Sache. Der zugegebenerweise manchmal etwas defizitorientierten, negativistischen theoretischen Argumentation der nun folgenden Hypothesen wird ausserdem durch das Coping-Konzept und dessen funktionalistische Sichtweise ein wenig der pathologisierende Stachel gezogen. Die nachfolgenden Ausführungen verstehen sich also ausdrücklich nicht als quasi vorweggenommene „Tatsachen“, sondern als Plausibilitätsüberlegungen und deduktiv gewonnene, theoretisch hergeleitete Annahmen, die dann allenfalls an der Empirie scheitern und verworfen werden müssen — oder eben auch nicht.

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Literatur

  1. Das Drei-Kreise-Modell wurde 1991 zur offiziellen Schweizer Ausländer-bzw. Migrationspolitik erklärt und behielt bis zur Übergangsregelung 1998/99 Gültigkeit (vgl. Hettlage/Tellenbach, 1999: S. 278). Das Modell machte die Zulassung und Einwanderung von Ausländern von der nationalen bzw. politisch-geographischen Herkunft abhängig und ordnete die Arbeitsmigranten drei verschiedenen „Kulturkreisen“ zu. Zum engsten, innersten Kreis wurden die Mitglieder der EU- und EFTA-Staaten gezählt, für die in naher Zukunft ohnehin volle Personenfreizügigkeit gelten sollte. Zum zweiten und im Grunde gleichen „Kulturkreis” zählte man Arbeitssuchende aus den traditionellen Rekrutierungsländern des angelsächsischen Raumes wie den USA, Kanada, Australien und Neuseeland, für die ein liberaler, wenn auch nicht völlig freier Personenverkehr galt. Und zum dritten und äussersten Kreis schliesslich zählten die Bürger und Immigranten aus allen übrigen Staaten, für die die Einwanderung am restriktivsten gehandhabt und nur in Ausnahmefällen eine Arbeitserlaubnis vergeben wurde. 1998/99 wurde das heftig kritisierte, stark umstrittene und mit dem Vorwurf der Diskriminierung und Willkür behaftete Drei-Kreise-Modell zugunsten einer „zeitgemässeren“ Migrationspolitik aufgegeben und durch ein duales Zulassungssystem ersetzt, das die Einwanderung für Bürger und Bürgerinnen aus dem EU- und EFTA-Raum zusätzlich erleichtert, aber an der restriktiven Haltung und Zulassungspolitik gegenüber Personen aus den übrigen Staaten festhält (vgl. Hettlage/Tellenbach, 1999: S. 281). Diese Übergangsregelung bleibt solange in Kraft bis das angestrebte neue Ausländergesetz ausgearbeitet ist.

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  2. Diese Argumentation erinnert etwas an die frühere „Kulturkreistheorie“ der Ethnologen (vgl. Radtke, 1996: S. 339), die unterschiedliche kulturelle Distanzen bzw. Fremdheitsgrade zwischen unterschiedlichen (und geographisch unterschiedlich weit voneinander entfernten) Nationen, Regionen und Kulturkreisen unterstellte und die dann dazu führte, dass nicht mehr einfach von Ausländern die Rede war, sondern nunmehr zwischen Fremden und Allzufremden unterschieden wurde. Die Logik ist einfach: Je weiter der (Kultur-)Kreis gezogen wird, desto fremder sind sich die Kulturen. Dieses ethnologische Deutungsmuster ist gegenüber der nationalistischen Differenz-bzw. Grenzziehung zwischen Ausländern und Inländern zwar eine differenziertere, aber zugegebenermassen nicht minder ethnozentristische (Stereo-)Typisierung der „Ausländer”, die wiederum pauschalisiert, generalisiert, kategorisiert, (dis-)qualifiziert und die Fremdheit dramatisiert und damit diskreditiert. Trotzdem: Auch wenn diese kulturkreistheoretische Argumentation zwar grundsätzlich plausibel, zugleich aber ebenfalls zu pauschal und insofern inadäquat sein mag, tut die Frage der Realitätsnähe oder -ferne vorerst wenig zur Sache. Schliesslich handelt es sich bei dieser Vorstellung zunächst „nur“ um eine Unterstellung, die solange aufrechterhalten bleibt, bis sie allenfalls als solche entlarvt wird.

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  3. Das Distanztheorem rekurriert auf den Kulturbegriff und damit auf das Homogenitätsproblem des Kulturbegriffs (siehe dazu Kap. 4.2.1. zum Kulturbegriff). Das Distanztheorem postuliert aber nicht nur kulturelle Differenzen, sondern darüber hinaus (unterschiedlich grosse) kulturelle Abstände zwischen einzelnen Nationen oder Gesellschaften und ihren Mitgliedern. Als Ausgangspunkt für diese Distanzmessung dient dabei die eigene Kultur oder vielmehr ein gewisses Vorverständnis von der eigenen Kultur. Das Distanztheorem hat damit — so behaupten Kritiker — einen ethnozentrischen, um nicht zu sagen: nationalistischen bzw. chauvinistischen Anstrich, liegt ganz auf der kulturdeterministischen Argumentationslinie und fördert potentiell die kulturell begründete Ideologie des Rassismus. Dabei ist die unterstellte kulturelle Distanz als solche zunächst einmal nur eine gesellschaftliche Konstruktion oder Perzeption: „Das Distanztheorem rationalisiert einen Abstand, der gesellschaftlich gewollt wird, politisch behauptet und hergestellt, dann soziokulturell eingeschrieben wird. “ (Bukow & Llaryora, 1988: S. 17 )

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  4. Huntington stellte die höchst umstrittene These vom „Kampf der Kulturen“ („Clash of Civilisations”) auf (vgl. Müller, 1998) und behauptet darin, dass künftig internationale Konflikte primär durch unüberwindbare kulturelle Unterschiede bestimmt und verursacht werden. Solche kulturellen Unterschiede bestehen seiner Meinung nach zwischen den Weltkulturen oder sog. Zivilisationen, die wiederum hauptsächlich auf den verschiedenen Weltreligionen fussen. Bei aller Kritik und Skepsis an seiner kulturalistischen Globaltheorie und der pauschalen Gleichsetzung von Zivilisation und Weltreligion, insbesondere von „Westen” und Christentum, und bei allen Vorbehalten gegenüber der Annahme, dass die kulturellen Differenzen zwischen den Zivilisationen grösser und entscheidender sind als innerhalb der Zivilisationen und notwendigerweise in bewaffnete Konflikte bzw. Kriege münden, sprechen doch manche kriegerisch-militärischen Auseinandersetzungen für die These. Zu nennen wäre etwa der Zypern-Dauerkonflikt zwischen der islamischen Türkei und dem christlichen Griechenland (zweier Nato-Partner notabene), der zweite Golfkrieg zwischen dem „Westen“ und dem Irak oder der „Bürgerkrieg” auf dem Balkan bzw. der Krieg im ehemaligen Jugoslawien, die sich allesamt an einer „zivilisatorischen Bruchlinie“ entflamm(t)en.

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  5. Neben dem Vorwurf des Ethnozentrismus oder nationalen Chauvinismus mag natürlich auch das Entwicklungsgefälle an sich angezweifelt werden (vgl. Bukow & Llaryora, 1988: S. 16). Die indirekt unterstellte hohe Grad an Modernität (und Rationalität) der Aufnahmegesellschaft, des Einwanderungslandes, und das implizit postulierte hohe Mass an Traditionalität (und Religiosität) der jeweiligen Herkunftsgesellschaften und Heimatländer mögen zwar in bezug auf einzelne gesellschaftliche Bereiche und in bestimmten Kontexten zutreffen, aber sicherlich lässt sich diese Differenzierung nicht auf sämtliche gesellschaftlichen Bereiche ausdehnen und ein lebensweltliches Modernitätsgefälle auch innerhalb einzelner Gesellschaften und nationaler Grenzen ausmachen, beispielsweise zwischen eher unter-und eher hochentwickelten Regionen innerhalb eines Landes.

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  6. Wenn eine solche Differenzierung zwischen ethnisch-nationaler Zugehörigkeit und soziokultureller bzw. sozialgeographischer Herkunft (Vormoderne vs. Moderne) nicht zu einer rein begrifflichen verkommen soll, macht sie natürlich nur dann Sinn, wenn davon ausgegangen wird, dass „Kulturen“ nicht an nationalen Grenzen entlang verlaufen, son-dem über Nationen hinweg bzw. zwischen ihnen hindurch.

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  7. Werner Haug vergleicht hier die Altersgruppen der 25- bis 34jährigen der ersten und zweiten Ausländergeneration (definiert über den Geburtsort im Ausland bzw. in der Schweiz).

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  8. Bei allem vorhandenen Wertepluralismus kann dennoch vorausgesetzt werden, dass ein breiter Wertekonsens hinsichtlich des Strebens nach Höherem, insbesondere höheren Statuspositionen, herrscht. D.h. Individuen streben für gewöhnlich danach und setzen sich erklärtermassen zum Ziel, auf gewissen Statuslinien (Bildung, Berufsprestige, Einkommen) möglichst hohe Positionen zu erringen und einzunehmen. Mit möglichst hohen Statuspositionen sind legitimer-und realistischerweise erreichbare und zumindest gegenüber einer Referenzgruppe vergleichbare Positionen gemeint.

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  9. Der Begriff Deprivation entstammt dem lateinischen Ausdruck für „Beraubung“ und bezeichnet in den Sozialwissenschaften einen relativen Zustand der Entbehrung und das häufig beobachtete Phänomen, dass sich Individuen und soziale Gruppen im Statuswettbewerb gegenüber anderen (Individuen oder Bezugsgruppen) benachteiligt und unterprivilegiert fühlen. (aus: Karl-Heinz Hillmann: Wörterbuch der Soziologie, Alfred Kröner Verlag: Stuttgart, 1994: S. 146) Merton entlehnt sich des Begriffs, wenn er in Abgrenzung zur „Erfolgsanomie” von „Deprivationsanomie“ spricht (vgl. Merton 1964) und damit sein klassisches Konstrukt der Ziel-Mittel-Diskrepanz meint. D.h. Deprivationsanomie sei hier definiert als Frustration, die aus dem Nichterreichen von Statuszielen resultiert, und liegt dann vor, wenn ein Individuum mit seiner Verortung im Statusgefüge der Gesellschaft nicht zufrieden ist und einzelne oder mehrere seiner Statuspositionen als zu niedrig wahrnimmt. Natürlich kann, muss aber relative strukturelle Desintegration oder objektive Unterprivilegierung nicht zwangsläufig zu Deprivation und einem subjektiven Gefühl der Benachteiligung führen. Denn ob eine objektiv bzw. relativ tiefe Statusposition auch subjektiv als solche empfunden wird, hängt nicht zuletzt von den individuellen Ansprüchen, Vergleichsmassstäben und Bezugsgruppen ab.

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  10. Die konzeptuelle (und auch operationelle) Unterscheidung von Deprivations-und Orientierungsanomie, wie sie hier getroffen wird, ist in der Literatur nicht üblich. Aus forschungshistorischen Gründen werden beide Aspekte meist im selben Konzept vermengt (siehe dazu Kap. 4.3.). Unter Anomie wird häufig sowohl der Durkheimsche Begriff von Anomie (Orientierungs-und Normlosigkeit) wie das Mertonsche Anomie-Konzept (ZielMittel-Diskrepanz, Statusdeprivation) subsummiert. Die beiden “Väter” und prominentesten Vertreter der Anomietheorie hatten stark unterschiedliche Konzeptionen und Auffassungen von Anomie vertreten, zwischen denen in der Folge meist nicht klar unterschieden wurde: Durkheim hatte Orientierungsanomie vor Augen, Merton Deprivations-anomie. Beide bezogen sie den Begriff auf die gesellschaftliche Ebene, verstanden unter Anomie eine allgemeine Gesellschaftsverfassung, nicht einen individuellen Gefühlszustand. Die anschliessende Forschung hat den Begriff dann auf die individuelle Ebene übertragen und im Sinne von Durkheim sowie in Anlehnung an Leo Srole (1956) und das sozialpsychologische Konzept der Anomia operationalisiert.

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  11. Strukturell Benachteiligte erfahren ihre Unterprivilegierung und Marginalisierung als mangelnde gesellschaftliche Solidarität, lassen daher auch (ganz im Sinne und Wortlaut von Emile Durkheim) ein gesamtgesellschaftliches Kollektivbewusstsein vermissen, welches seinerseits Voraussetzung ist für die breite Akzeptanz und Verbindlichkeit und allgemeine Geltung gesellschaftlicher Normen und Werte. D.h. strukturelle Benachteiligung einzelner sozialer (Rand-)Gruppen und gesellschaftlicher Minderheiten führt zu einer gesellschaftlichen Regel-und Normlosigkeit oder wenigstens zu einer gewissen Unverbindlichkeit und mangelnden Akzeptanz oder fehlenden Allgemeingültigkeit von gesellschaftlichen Normen und Regeln. Die Folge von (sozialer) Desintegration sind nach Durkheim eine gestörte Kollektivordnung und mangelnde soziale Kontrolle sowie eine geschwächte gesellschaftliche Solidarität und Autorität, welche sich in mangelndem Gemeinschaftsempfinden bzw. Kollektivgefühl ausdrückt, woraus wiederum heim einzelnen Individuum überbordende und masslose (Mobilitäts-)Ansprüche und zu hoch gesteckte Lebenserwartungen resultieren, die zwangsläufig unerfüllt bleiben müssen und somit zu Frustration und Statusunzufriedenheit (Deprivationsanomie) und letztlich zu sozialer Verunsicherung und normativer Desorientierung (Orientierungsanomie) führen.

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  12. Die hohen Mobilitätserwartungen und Bildungsansprüche der Eltern in bezug auf ihre Kinder dürfen jedoch nicht als „Akkulturationserfolg“ fehlinterpretiert oder als mangelnde Zukunftsorientierung oder Unfähigkeit zur Bedürfnisaufschiebung missverstanden werden (vgl. Wilpert, 1980: S. 133/134). Vielmehr sind diese Ansprüche auf ein Streben nach einem besseren Leben zurückzuführen und nicht der blossen Anpassung an hiesige Werte oder Übernahme von „schweizerischen” Erfolgszielen zuzuschreiben.

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  13. Hoffmann-Nowotny bestätigt diesen von ihm als „Unterschichtung“ bezeichneten Sachverhalt, wenn er zur sozialen Lage und strukturellen Situation der italienischen Gastarbeiter im Kanton Zürich schreibt: „Mit anderen Worten ist eine im Auswanderungsland marginale Gruppe zu einer im Einwanderungsland wiederum marginalen Gruppe geworden. Zwar hat sich die Lage der Einwanderer individuell gesehen verbessert (….), strukturell gesehen sind sie jedoch gleich marginal geblieben.” (Hoffmann-Nowotny, 1973: S. 265)

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  14. Natürlich könnte man hier auch einwenden, dass ganz im Gegenteil ein relativ hoher Berufsstatus der Eltern und insbesondere des Vaters den Kindern eine implizite, hohe Anspruchshaltung bzw. Aufstiegserwartung von seiten der Eltern signalisiert (vgl. Wilpert, 1980: S. 58) und ein tiefer Status umgekehrt eine Herabsetzung der Ansprüche bewirkt.

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  15. Unter sogenannter Ursachen-oder Kausalattribution wird in der Sozialpsychologie die Tendenz verstanden, Ereignisse und Verhaltensweisen ursächlich zu erklären, d.h. Alltagserklärungen für soziale Ereignisse zu finden und beobachtbares, menschliches Verhalten bestimmten Ursachen zuzuschreiben (vgl. Stroebe et al., 1992: S. 112ff.). Bei den potentiellen Handlungsursachen wird üblicherweise zwischen internen und externen Ursachen unterschieden. D.h. für ein Verhalten wird entweder die persönliche Disposition oder die soziale Situation verantwortlich gemacht. Entsprechend wird von personenbezogener bzw. internaler oder situationsbezogener bzw. externaler Attribution gesprochen.

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  16. Dieser funktionale kognitive Mechanismus der selbstwertstützenden Attribution gilt natürlich nicht nur für ausländische Personen, sondern für Personen jeglicher Nationalität, für Angehörige von Minoritäten genauso wie für Majoritätsangehörige.

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  17. Diskriminierung beschreibt im Gegensatz zum Konzept der Deprivation keine relative, subjektiv wahrgenommene Unterprivilegierung, sondern eine effektive Benachteiligung im Sinne einer Sperrung von Statuslinien. Unter Diskriminierungsperzeption soll eine wahrgenommene und auf den eigenen Ausländerstatus zurückgeführte soziale und institutionelle Benachteiligung verstanden werden. D.h. Diskriminierungsperzeption bezeichnet im Unterschied zur Deprivation nicht die subjektive Wahrnehmung einer strukturellen, sondern einer sozialen Benachteiligung. Dabei soll bewusst offengelassen werden, ob eine Diskriminierung auch faktisch und real vorliegt, auch wenn dies gemäss folgender Aussage womöglich naheliegt: „Es ist nicht möglich, in allen Fällen zu bestimmen, ob Realität und Wahrnehmung zusammenfallen. Wo dies aber möglich ist, zeigt sich, dass faktische Diskriminierung und ihre Wahrnehmung eng miteinander assoziiert sind. “ (Hoffmann-Nowotny, 1973: S. 266 )

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  18. Dies dürfte oder müsste sich bei der statistischen Analyse darin zeigen, dass ein allfälliger (und vermeintlicher?) „Nationalitätseffekt“ verschwindet, sobald der Zusammenhang mit den besagten Stress-und Frustrationsindikatoren (Anomie-bzw. Deprivationsgrad) kontrolliert wird bzw. deren Effekte herauspartialisiert werden, wodurch der ursprünglich postulierte Zusammenhang (zwischen Nationalität und Aggressivität) als „Scheinkorrelation” entlarvt würde.

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  19. Natürlich determiniert ein „Migrationsschicksal“ allein noch keine Schizophrenie, eine gewisse „Veranlagung” oder Prädisposition bzw. psychische Vulnerabilität muss wohl schon vorher aufgrund anderer ungünstiger Lebensbedingungen vorhanden gewesen sein. Doch verschärft sich eine etwaig schon zuvor bestandene schizophrene Identitätsproblematik sicherlich zusätzlich im Zuge der Migration (vgl. Zeiler 1995). Diese dürfte hingegen v.a. die erste Migrantengeneration betreffen und weniger die Zweite Generation, die das „MigrationsschicksaP` ja nicht persönlich ereilt hat oder die es vielmehr nicht gleichermassen direkt und unmittelbar erfahren bzw. erlitten hat. Wenn überhaupt, dann ist eine derart folgenschwere und „krankhafte” Identitätsverunsicherung bei der Zweiten Generation also höchstens in abgeschwächter Form zu erwarten.

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  20. Unabhängig davon, ob der „Rückzug“ als gesellschaftlich dysfunktionales, abweichendes Verhaltensmuster (siehe Devianzforschung und Merton) oder als stressreduzierende, gefühlsregulierende Coping-Strategie (siehe Stressforschung und Lazarus & Co.) betrachtet wird, handelt es sich dabei unbestrittenermassen um eine Reaktion oder Adaption auf Spannungen und sozialen Stress. Die Einnahme der stresstheoretischen und damit funktionalistischen Perspektive bietet allerdings Gewähr für ein wertfreieres, weniger defizitorientiertes und problematisierendes Herangehen an die „Zweitgenerationsproblematik” und wird daher in der vorliegenden Arbeit prinzipiell favorisiert.

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  21. Diese drei genannten Rückzugsformen sind genauso wie die bereits diskutierten Reaktionsweisen und Verarbeitungsmuster der Depression oder Aggression als funktionale Äquivalente im Sinne der intrapsychischen Stress-und Konfliktbewältigung zu verstehen. Auch wenn Merton unter „Rückzug“ oder „Weltflucht” explizit die Ablehnung von kulturell definierten Zielen und gesellschaftlich vorgegebenen Mitteln zur Erreichung dieser Ziele versteht (siehe dazu Kap. 4.3.2.), steht eine derartige Auffassung von Rückzug nicht in Widerspruch zu ihm. Ob man nun die kulturell definierten Werte und gesellschaftlich institutionalisierten Normen nach anfänglicher Konformität mangels Zielerreichung nicht mehr anerkennt (Rückzug im Sinne Mertons) oder ob man sich aus der Gesellschaft und/oder in die Innenwelt zurückzieht, seine sozialen oder interethnischen Kontakte reduziert (sozialer Rückzug) und seine Zuversicht, seinen Glauben an die Zukunft und an sich selbst verliert und resigniert (emotionaler Rückzug), macht im Grunde keinen wesentlichen Unterschied. In allen drei Fällen distanziert man sich — entweder von unerreichbaren gesellschaftlichen Zielvorgaben oder von den Repräsentanten einer (Aufnahme-)Gesellschaft, die einem die Chancengleichheit und damit die soziale Anerkennung und Akzeptanz verwehrt.

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  22. Es handelt sich beim Konstrukt der „erlernten Hilflosigkeit“ (vgl. Stroebe et al., 1992: S. 469) ursprünglich um ein von Seligman formuliertes Konzept, das einen generalisierten Kontrollverlust, d.h. einen internalen, globalen und stabilen Attributionsstil umschreibt, wonach die Ursachen für bestimmte (Negativ-)Ereignisse und (Misserfolgs-)Erlebnisse der eigenen Person und nicht der Situation bzw. den unglücklichen und widrigen Umständen zugeschrieben werden („internal”), als chronisch und unveränderlich erscheinen („stabil“) sowie übertragen werden auf andere Bereiche, Ereignisse oder Situationen. Auf diese erlernte Hilflosigkeit folgt irgendwann einmal — sofern man den Psychologen glauben darf — eine totale Selbstaufgabe und tiefe Mut-und Lustlosigkeit, d.h. eine völlige Resignation und psychische Depression.

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  23. Unter „Regression auf alte Muster“ im Migrationskontext kann beispielsweise ein religiöser Fundamentalismus oder Ritualismus im Sinne der Überbetonung religiöser Praktiken und Regeln verstanden werden, aber auch ein gewisser Traditionalismus im Sinne des Wiederauflebenlassens von kulturellen Werten und alten Traditionen, Sitten und Gebräuchen aus der Herkunftskultur bzw. aus der Heimat.

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  24. Natürlich lässt sich die Argumentation auch umkehren und unterstellen, dass gerade die anomische Lebenssituation in Verbindung mit einer moralisch rigoristischen Haltung und einer geringen Konflikt-und Ambiguitätstoleranz womöglich dazu beiträgt, den kulturellen Loyalitätskonflikt und den familiären Generationenkonflikt als moralisches Scheitern zu interpretieren (vgl. Zeiler, 1995: S. 182 ). Allerdings wollen wir hier den moralischen Rigorismus in erster Linie als Coping-Strategie bzw. Stressreaktion verstanden wissen und nicht als vorgelagerte Persönlichkeitsdisposition.

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  25. Wie schon in der Einleitung erwähnt sind die Fremd-oder Gastarbeiter (erste Generation) nach ihrer anfänglich vorläufigen und vorübergehenden Aufnahme (als Saisonniers oder Jahresaufenthalter) im „Gastland“ Schweiz schliesslich häufig zu „echten” Einwanderern und Daueraufenthaltern geworden und haben ihre Ehefrauen und Kinder nachgezogen oder — sofern sie noch keine hatten — in der Fremde eine eigene Familie gegründet. Viele sind trotz stets bekundeter Rückkehrabsicht schliesslich eben doch hiergeblieben (um nicht zu sagen: „hängengeblieben“) — sei es nun wegen ihrem langjährigen Arbeitsplatz oder ihren Kindern, die sich für einen Verbleib in der Schweiz entschieden haben — oder haben ihre Rückkehr auf die Zeit nach der Pensionierung aufgeschoben.

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  26. Rückkehr ist im Zusammenhang mit der Zweiten Generation eigentlich der falsche, zumindest ein unpräziser Terminus. Denn die im Aufnahmeland geborenen und aufgewachsenen Secondos, die selbst nicht emigriert sind, hegen — wenn überhaupt — genaugenommen keine Rückkehr-, sondern Auswanderungspläne. Sie können schliesslich nicht in ein Land „zurückkehren“, in dem sie nie waren oder nie längere Zeit lebten. Dennoch soll im folgenden unter „Rückkehr” auch die (geplante) Auswanderung von Angehörigen der Zweiten Generation ins Heimatland der Eltern mit gemeint sein.

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  27. Wird der langgehegte „Rückkehrplan“ aber nicht in die Tat umgesetzt oder kann die Rückkehr nicht mehr weiter hinausgezögert werden, muss früher oder später Frustration und Desillusionierung auf die unrealistische, sich nicht erfüllende Lebensperspektive folgen. Denn irgendwann weicht jede Illusion der Ernüchterung und wird von der Realität eingeholt. Die durch die Remigrationsperspektive erträglich gemachten Spannungen und aufgeschobenen Probleme erweisen sich dann umso deutlicher als nicht aufgehoben. Die nicht eigentlich bewältigte, sondern vielmehr lange Zeit unterdrückte Migrationskrise (erste Generation) bzw. Identitätskrise (zweite Generation) manifestiert sich dann womöglich plötzlich doch noch, und der „Kulturschock” (erste Generation) bzw. der alltägliche Kulturkonflikt (zweite Generation) kommt dann möglicherweise stärker zum Tragen.

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  28. Die Tatsache, dass die Schweiz seit 1992 die doppelte Staatsbürgerschaft zulässt und auch Staaten wie Italien und die Türkei die Doppelbürgerschaft anerkennen, dürfte den Loyalitätskonflikt und das Entscheidungsdilemma für einbürgerungswillige Zweit-generationsangehörige türkischer und italienischer Nationalität allerdings etwas entschärft haben. D.h. der Entscheid für eine Einbürgerung ist dann nicht mehr automatisch gleich als Entscheid gegen die nationale Zugehörigkeit zum Herkunftsland zu werten und damit gegen die Familie und den Rückkehrplan der Eltern gerichtet.

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  29. Das Leben in der ethnischen Kolonie begünstigt ein Doppelleben und eine Sphärentrennung zusätzlich, weil dadurch Arbeitsleben und Privat-bzw. Familienleben umso stärker in zwei getrennte Felder oder Bereiche auseinanderfallen (vgl. Morone, 1997: S. 39 ).

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  30. Unter Segregation ist in diesem Zusammenhang keine geographische, residenzielle Segregation, d.h. keine ghettoähnliche, räumliche Konzentration in eigenen Wohnvierteln oder geschlossenen Einwanderersiedlungen zu verstehen, sondern vielmehr eine soziale Segregation, die sich auf innerethnische soziale Kontakte beschränkt. Häufig wird begrifflich nicht klar getrennt zwischen räumlicher Segregation und der Bildung ethnischer Subkulturen (vgl. Bürkner, 1987: S. 239 ).

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  31. Das Konzept oder der Begriff der (Einwanderer-)Kolonie wurde bereits zu Beginn der 80er Jahre von Friedrich Heckmann eingeführt in Abgrenzung zum negativ konnotierten Ghettobegriff (vgl. Apitzsch, 1990: S. 51f.; Bürkner, 1987: S. 240 ).

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  32. Georg Eiwert verweist explizit auf den Zusammenhang von Selbstbewusstsein und Binnenintegration (vgl. Elwert, 1982: S. 721). Seine Argumentation lautet diesbezüglich in etwa folgendermassen: Binnenintegration verhilft zu kultureller Identität, und kulturelle Identität ist notwendige Voraussetzung für ein gewisses Selbstvertrauen. „Selbstbewusstsein kann man weitaus leichter unter denen bewahren oder erwerben, die die gleiche kulturelle Identität und den gleichen sozialen Status haben (….)“ (Elwert, 1982: S. 721 ).

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Hämmig, O. (2000). Annahmen und Hypothesen. In: Zwischen zwei Kulturen. Forschung Soziologie , vol 107. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11932-6_5

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