Zusammenfassung
Im Zuge der Expansion des Wohlfahrtsstaates hat sowohl die Anzahl der Beschäftigten im Gesundheitswesen als auch die Ausdifferenzierung der Berufe stetig zugenommen, wobei sich diese Tendenz auch im Zuge der Kostendämpfungsmaßnahmen nur marginal abgeschwächt hat. So konnten in den letzten zwanzig Jahren nicht nur die Ärzte Beschäftigungszuwächse verbuchen; auch das Spektrum der nichtärztlichen Berufe (Pflege, technische, sozial- und paramedizinische Berufe) ist durch beachtliche Ausdifferenzierungen und Beschäftigungsanstiege gekennzeichnet. Ziel dieses Kapitels ist ein Überblick über quantitative und qualitative Merkmale der Beschäftigungsentwicklung im Gesundheitswesen. Anschließend soll die These diskutiert werden, inwiefern der Gesundheitssektor als Wachstumssektor im wirtschaftlichen Sinne aufgefaßt werden kann. Damit werden in diesem Kapitel zwei weitere Integrationsaspekte aufgegriffen, nämlich erstens die Integration des Gesundheitswesens über Berufe und zweitens über Prozesse der Entdifferenzierung.
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Literatur
Hierbei handelt es sich um eine funktionale Zuordnung auf Basis der ausgeübten Tätigkeiten.
Zum Vergleich: Die sozialen Dienste verzeichneten in der BRD von 1980 bis 1997 einen Beschäftigungszuwachs von 66%; ihr Anteil an der Gesamtbeschäftigung betrug 15,7%.
Als Professionen gelten in der soziologischen Theorie diejenigen Dienstleistungsberufe, die ein systematisch entwickeltes wissenschaftliches Wissen auf Praxisprobleme anwenden (…)“ (Merten/Olk 1999: 956). Hinzu kommen Merkmale der Autonomie Das Privileg, die Inhalte der Tätigkeit selbst zu kontrollieren, die Entwicklung eines ethischen Kodex und die Weisungsbefugnis und Einflußnahme gegenüber anderen Berufsgruppen (Wanek 1994: 24f.). Klassische Professionen sind neben dem Arzt der Jurist und der Theologe.
Gemeint sind vor allem Pflegeberufe (Krankenschwestern, Altenpflege, Behinderterpflege), sozial-und paramedizinische Berufe. Hierzu zählen rehabilitative Berufe wie Logopädie (Behandlung von Sprach-und Sprechstörungen), Ergotherapie (Förderung der alltagspraktischen Krankheitsbewältigung), Orthoptik (Sehstörungen), aber auch Diätassistenten, Physiotherapeuten, Masseure und Beschäftigungstherapeuten. Eine weitere große Gruppe, die im Unterschied zu den eben genannten Kategorien auf eine längere Tradition als die Ärzte blicken kann, sind die Hebammen und Entbindungspfleger (Klein-Lange 1998: 218f.). Nichtärztliche Berufsgruppen wurden häufig als Semi-Professionen bezeichnet: „Thus, a semi-profession may lack a systematic thereotical knowledge base and hence entail a shorter period of training for its members; ist may not command a monopoly of control over its members, the criteria for their recruitment, training, licensing, or performance; its code of ethics may be vague or inconsistent; and the professional associations may be divided, inefficient, or powerless. “ (Toren 1972: 39 )
In diesem Zusammenhang interessiert natürlich auch das Verhältnis zwischen ärztlichen und nichtärztlichen Gesundheitsberufen (vgl. auch Kerkhoff 1996, Merten/Olk 1999: 958, Wanek 1994: 24ff) Als,echte’ Profession führen die Ärzte die Berufshierarchie im Gesundheitswesen in bezug auf Privilegien, Selbstverwaltung, Gehalt, Kompetenz etc. an Im Dominanzmodell werden die nichtärztlichen Berufe entsprechend als passive Manövrier-masse ärztlicher Interessen begriffen, an die willkürlich Aufgabenfelder delegiert werden. Im Tauschmodell wird das Verhältnis eher als symbiotisches Beziehungsmuster gesehen, bei dem die Aufgabendelegation für die medizinische Profession neue Möglichkeiten der Produktivitätssteigerung eröffnet, für den Assistenzberuf einen erweiterten Verantwortungsbereich. Vieles spricht dafür, daß die Expansion nichtärztlicher Gesundheitsberufe durch nationale Formen der Marktregulierung (Öffnung und Schließung) bestimmt wird, bei denen Handlungschancen und Deutungsmuster sowohl auf Seiten des Staates, der Ärzte und der Akteure nichtärztlicher Gesundheitsberufe eine Rolle spielen (Döhler 1997 ).
Anteilsmäßig dominieren die Sprachtherapeuten; die mit Abstand höchste Wachstumsrate (rund 170% seit 1990 ) findet sich jedoch bei der Fußpflege (Hauptklientel sind Diabetespatienten). Mit großem Abstand folgen die dental hygienists, die vor allem prophylaktische Aufgaben innehaben ( Zahnreinigung etc ). Anzumerken ist außerdem, daß das Profil dieser Berufe überwiegend jung, weiblich und teilzeitbeschäftigt ist.
Außerdem steigt der Forschungs-und Entwicklungsbedarf in bezug auf altersspezifischen Erkrankungen (Altersdementia, motorische und sensitive Altersstörungen), womit der Zweig der Geriatrie und Gerontologie eine beträchtliche Aufwertung erfahren wird.
Alterungsprozesse beim Menschen weisen eine hohe biologische und soziale Heterogenität auf. Entsprechend differenziert die Soziodemographie in Alte (ab 60 oder zumeist 65 Jahren) und Hochbetagte (Ober 80), des weiteren in junge Alte (65–74) und ältere Alten (ab 75) (Schwartz/Walter 1998: 125).
Die Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Sozial-und Gesundheitsberufen ist auch in der Bundesrepublik ein wichtiger Ansatzpunkt zur Reformierung der Aus-und Weiterbildungsgange (vgl. auch Bals 1993, Bischoff 1993, Evers 1993 ).
Einen weiteren wichtigen Impuls für das Wachstum der nicht-ärztlichen Berufe könnte das 1993 implementierte Gesetz Beroepen in de Individuele Gezondheidszorg (BIG) darstellen (in Kap. 4 unter den Aspekten der Qualitätsssicherung thematisiert). Es redefiniert die Tatigkeitsbereiche einzelner Berufskategorien und wird von Experten als entscheidender Schritt zur,Entmonopolisierung` der medizinischen Profession interpretiert: „The act could signify a possible erosion of both the social and cultural authority of the Dutch medical profession, and, in this respect, be one indicator of a deprofessionalisation process, or a reduction of occupational privileges of the Dutch medical profession.“ (Schepers/Hermans 1999: 343 ) Ob der Anstieg der nicht-ärztlichen Professionen genuin mit diesem Gesetz verknüpft ist, kann anhand der hier genutzten Daten nicht überprüft werden. In jedem Fall geht aber dieser Schritt weiter als die diesbezüglichen Regelungen in Deutschland.
Die Erschließung neuer Beschäftigungsfelder scheint dabei in Deutschland mit spezifischen Problemen verknüpft zu sein, die die Arbeitskrise im Vergleich zu anderen Ländern noch verschärfen. Als Stichwörter seien hier Innovationsschwache, Dienstleistungslücke, Überregulierung u.ä. genannt. Eine Diskussion über die,Krise der Arbeitsgesellschaft’ oder die Schwäche des Standortes Deutschland kann in dieser Arbeit nicht erfolgen, ein umfassender Überblick findet sich z.B. bei Bosch 1998 und Kocka/Offe 2000.
Tatsächlich zeigt sich, daß das Rationalisierungspotential der Gesundheitsdienste weit höher ist als angenommen. Vor allem die Entwicklung interaktiver und multimedialer Technologien erweist sich hier als Meilenstein, da sie genau an der zwischenmenschlichen Dimension ansetzt, die für personenbezogene Dienste kennzeichnend ist. So ermöglicht beispielsweise die Ferndiagnose über Telemedizin die räumlich entkoppelte Kommunikation zwischen Arzt und Patienten; die zunehmende Digitalisierung von Diagnosehandbüchern führt zu einer Ausweitung der,Selbstbedienung` der Patienten. Aus diesem Grund spielen neue Medien in vielen Wachstumskonzepten eine wichtige Rolle (vgl. die Beiträge in Hartmann/Scharfenorth 1996), aber ebenso die in Kap. 5 skizzierten Modernisierungsstrategien Kooperation, Patientenorientierung und Qualitätsmanagement.
Zu den Entwicklungstendenzen und -schwerpunkten der Medizintechnik vgl. auch Arnold 1994, Faust 1994, Kirchberger 1994 sowie die Beiträge in Kaiser/Wappelhorst 1997.
Hier spielt sicherlich auch die Höhe der Selbstbeteiligungen eine Rolle. Diese stehen in engem Zusammenhang mit dem Ausbau der Gesundheitswirtschaft, da sie die Anbieter zur Entwicklung kundenorientierter und kostengünstige Angebote veranlassen. Mit einem An-teil von 11,7% (1994) liegt der Anteil an Selbstbeteiligungen in der Bundesrepublik wesentlich höher als in den Niederlanden (7,3%) — daher fehlt ein entscheidender Anreiz zur,Ökonomisierung` des Sektors (Hilbert 2000: 27 ).
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Hartmann, A.K. (2002). Beschäftigungsentwicklung und Wachstumsperspektiven im Gesundheitssystem. In: Zwischen Differenzierung und Integration. Forschung Politikwissenschaft , vol 138. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11925-8_7
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