Zusammenfassung
In sozial- und erziehungswissenschaftlichen Diskursen, in der politischen Diskussion sowie in den Medien läßt sich aus unterschiedlichen Gründen ein zunehmendes Interesse am Verhältnis der Generationen zueinander erkennen. Im Unterschied zu früheren Behandlungen des Generationenthemas, wo das Generationenverhältnis als gegeben vorausgesetzt wurde oder wo man es als Ursache, Ausdruck oder Indikator für gesellschaftliche Veränderungsprozesse betrachtete, steht heute das Generationenverhältnis selbst und als solches in Frage. Als ob die gesellschaftlichen Veränderungen ihr bisher als natürlich unterstelltes Fundament erreicht hätten, werden die sozial-kulturellen Basisordnungen nun selbst zum Problem. Die Radikalität dieses Prozesses wird jedoch in den Untersuchungen, die das Generationenverhältnis als Ausdrucksmedium1 gesellschaftlicher Probleme thematisieren, eher verdeckt. Wurde der problemverursachende Referent in früheren Diskussionen um Generationskonflikte also selten im Generationenverhältnis selbst gesehen, so wird heute die Generationsdifferenz wieder als Generationsdifferenz problematisierbar. In diesen Diskursen ist aber oft nicht nur undeutlich, was das Generationenverhältnis in sich und aus sich heraus eigentlich zum Verhältnis macht, sondern angezweifelt wird zudem, ob man angesichts der gesellschaftlichen Modernisierung und ihrer Folgen (Beck 1986) überhaupt noch von einem Generationen verhältnis sprechen kann, d.h. von identifizierbaren Altersgruppen, die mehr und anderes verbindet als allein das biologische Alter. Wird jedoch die Identifizierbarkeit eines altersgruppenspezifischen Generationszusammenhangs selbst zum Problem, dann verliert der Begriff der Generationsdifferenz ebenfalls seine Bestimmbarkeit, insofern die Differenz die Identitäten voraussetzt. In welchem Sinne also wird die Generationsdifferenz zum Problem, wenn nicht unter der Fragestellung der Identität der verschiedenen Generationen?
Ich glaube, jeder Mensch halbiert ganz instinktiv und naiv die gesamte Menschheit in Alt und Jung und rechnet sich bis zu irgendeinem Moment zur einen, dann zur anderen Hälfte. Ich glaube, daß es überhaupt keine Brücke von der einen zur anderen Hälfte gibt. Ich weiß nicht, wann ich hinübergewechselt bin.
(V. Klemperer 1995, 360f)
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Wimmer, M. (1998). Fremdheit zwischen den Generationen. Generative Differenz, Generationsdifferenz, Kulturdifferenz. In: Ecarius, J. (eds) Was will die jüngere mit der älteren Generation?. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11816-9_5
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