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Dynamismus und Finalismus in den Aristotelischen Bewegungstheorien

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Part of the book series: Reihe Theorie des sozialen und kulturellen Wandels ((WANDEL,volume 1))

Zusammenfassung

In der Aristotelischen Physik tauchen prinzipiell vier Bewegungsarten auf, die sich systematisch aus der Matrix ergeben, die durch die Kombination zweier grundlegender binärer Schematismen gebildet wird.1 Körper können sich entweder durch etwas von ihnen Unterschiedenes bewegt werden oder sich aus sich selbst heraus bewegen. Daneben können ihre Bewegungen „naturgemäß“ oder„naturwidrig“sein.2 Folgende Bewegungstypen werden mithin unterschieden und in der Physik einer theoretischen Erklärung zugeführt:

  1. (a)

    Aus sich selbst heraus erfolgende naturgemäße Bewegungen. Bewegungen von Menschen, Tieren oder Pflanzen, den sogenannten Selbstbewegern, erfolgen für Aristoteles ohne äußeren Anstoß, sie haben diesen Anstoß in sich selbst. Sofern eine solche Eigenbewegungen der körperlichen Anlage und stofflichen Art des Körpers entspricht, handelt es sich um natürliche Selbstbewegungen.

  2. (b)

    Aus sich selbst heraus erfolgende naturwidrige Selbst-Bewegungen. Wenn Lebewesen aus eigenem Bewegungsanstoß heraus ihren Körper in einer Weise bewegen, die seiner Art und Anlage widerspricht, so handelt es sich um naturwidrige Bewegungen.

  3. (c)

    Von etwas anderem verursachte naturgemäße Bewegungen. Damit sind die Bewegungen unbelebter Körper ohne erkennbaren Fremdeinfluß angesprochen. Ausdrücklich wird die Möglichkeit negiert, daß diese Körper sich von selbst bewegen. Aristoteles zufolge ist die naturgemäße Bewegungstendenz eines Körpers durch das in ihm vorherrschende Element bestimmt (wenngleich dies nicht dessen Ursache ist), der Fall der schweren Körper resultiert also aus ihrer „Erdigkeit“. Dieser Bewegungstyp ist bei weitem der umfassendste, weil jeder Körper, auch ein Lebewesen, das als selbstbewegt gilt, im Hinblick auf seine Stofflichkeit stets auch naturgemäßen Bewegungen unterworfen ist.

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Literatur

  1. Vgl. zum folgenden Aristoteles, Phys., vui, 4, z54b.

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  2. Die binären Schematismen werden im übrigen nicht aus metaphysischen Prinzipien abgeleitet, sondern aus empirischen Beobachtungen gewonnen und durch teilweise überraschende logische Schlüsse generalisiert. Der Begriff der naturgemäßen Bewegungen wird mit dem Argument eingeführt, es sei offensichtlich, daß es naturwidrige Bewegungen gebe, da aber die Negation ein zu Negierendes erfordere, müsse es also auch naturgemäße Bewegungen geben, vgl. ebd., iv, 8, zr5a.

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  3. Der Terminus „Bewegung“, das sei noch einmal betont, referiert bei Aristoteles nicht nur auf lokale Bewegungen, sondern auf die Vierheit aller Veränderungen in der Natur, also auf Ortsbewegungen, Eigenschaftsveränderungen, quantitative Zu-und Abnahme sowie substantiellen Wandel.

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  4. Aristoteles, Phys., viii, 6, z59b.

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  5. Ebd., vut, z, 253 a.

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  6. Vgl. D. Furley, Self-movers. Ir Ebd., S. 530 f.

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  7. Aristoteles, Phys., VIII, 5, 256 a.

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  8. Vgl. ebd., 11, 1.

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  9. Vgl. J. Piaget/R. Garcia, Psychogenesis and the History of Science, S. 38 f., die diesen Punkt ebenfalls hervorheben.

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  10. Aristoteles, Phys., viii, 4 255b.

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  11. Wagner übersetzt: „Dieser Grund ist ihre naturgegebene Tendenz auf einen bestimmten Ort hin; darin eben besteht das Leicht-und das Schwersein, daß das eine seine bestimmte Stelle oben, das andere sie unten hat.“, Aristoteles, Physikvorlesung, übers. v. H. Wagner, S. 230. Wicksteed/Cornford übersetzten: „If the question is still pressed why light and heavy things tend to their respective positions, the only answer is that they are natured so, and that what we mean by heavy and light as distinguished and defined is just this downward or upward tendency.”

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  12. Vgl. Aristoteles, Cael.

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  13. Aristoteles, Phys., iv, r.

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  14. Ebd., iv, s, zo8b.

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  15. Ebd., iv, 1, zo9a.

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  16. Zu diesem Ergebnis kommt Wicksteed in seinem Kommentar zu Physik, iv, 1, (vgl. Aristotle, The Physics, Ed. Wicksteed/Cornford, S. 284, Fn. a). An späterer Stelle (Physik, iv, 5 nab 29–213a io) wird das Problem scheinbar gelöst, indem den Elementarkörpern eine Tendenz zugeschrieben wird, ihresgleichen aufzusuchen und in dieser Nachbarschaft zu verweilen; als Erklärung wird angeführt, daß gleichartige Körper nicht nur aneinander stoßen, sondern eine homogene Einheit bilden. Es ist allerdings zweifelhaft, ob dieses Argument eine Lösung für die Frage aus iv, 1 präsentiert, welcher Art die Wirkung des natürlichen Orts ist, wenn sie denn nicht unter das Vier-Ursachen-Schema fällt. Zekl vertritt diese Ansicht (vgl. Aristoteles, Physik, Ed. Zekl, S. 262, Anm. 56); Ross (Aristotle’s Physics, S. 578) und Wagner (Aristoteles, Physikvorlesung, Kommentar zur Textstelle) bestreiten hingegen eine Verbindung zwischen diesen beiden Passagen. Überdies scheint die betreffende Textstelle verderbt zu sein, wie Wicksteed (Aristotle, The Physics, Ed. Wicksteed/Cornford, S. 319) überzeugend darlegt. Ich ziehe dieses Argument daher für die Interpretation von Aristoteles’ Position nicht heran.

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  17. Vgl. Aristoteles, Phys. Iv; H.S.Lang, Aristotle’s Physics and Its Medieval Varieties, S. 63 ff.; vgl. auch P. K. Machamer, Aristotle an natural place and natural motion.

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  18. F. M. Kronz, Aristotle, the direction problem, and the structure of the sublunar realm.

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  19. Auch für die Himmelssphären, die einerseits belebt sind und andererseits regelmäßige Bewegungen vollführen, gilt diese Verbindung.

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  20. Ähnlich M. Hesse, Forces and Fields, S. 68 f.

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  21. Sambursky geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn er die Aristotelische Projektiltheorie als Anstoß zur Entwicklung der Impetustheorie begreift, vgl. S. Sambursky, Das physikalische Weltbild der Antike, S. 463. Weitere Vertreter der Überschreitungsthese werden unten zitiert.

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  22. Auf die vereinzelte Passage, die im Sinne einer zweiten Projektiltheorie gedeutet werden kann, wird unten noch näher eingegangen.

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  23. Der gesamtstrukturelle Charakter kognitiver Strukturen wird hier — im Gegensatz zu Piaget, wie bereits ausgeführt wurde — auf jeweils eine Entwicklungsdimension beschränkt, also in diesem Fall die materiale Logik. Zu den anderen Entwicklungsdimensionen wird hier keine automatische Isomorphie unterstellt.

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  24. Unter Einbeziehung der Quantenmechanik, die in der vorliegenden Untersuchung aber keine Rolle spielt, wären vier Stadien zu unterscheiden.

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  25. Aristoteles, Phys., vu, r, 241b.

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  26. Ebd., vii, 2, 243 a.

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  27. Die herausragende Stellung dieser beiden Prinzipien innerhalb Aristoteles’ System spiegelt sich in dem Interesse, das die mittelalterliche Kommentarliteratur einer Diskussion dieser beiden Thesen entgegenbrachte. Vgl. hierzu J. A. Weisheipl, The principle omne quod movetur ab alio movetur in medieval physics; J. Sarnowsky, Die aristotelischscholastische Theorie der Bewegung, S. 310 ff. Von letzterem übernehme ich die Abkürzungen omam und mms.

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  28. Vgl Aristoteles, Phys., VII, I z4zb.

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  29. Ebd., Iv, 8, z15a.

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  30. Ebd., VII, I 242a.

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  31. Vgl. J. Piaget/R. Garcia, Understanding Causality, S. uo.

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  32. Es waren exakt 46 von in befragten Kindern, vgl. G. Dux, Studien zur vorindustriellen Kausalität, S. 456f.

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  33. G. Dux, Studien zur vorindustriellen Kausalität, S. 457. Ähnliche Auffassungen hat auch J. Piaget, The Child’s Conception of Causality, S. 116, bei Kindern beobachten können.

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  34. Die Theorie des Wurfs wird im wesentlichen in drei Passagen der Aristotelischen Schriften thematisch: Phys., IV, 8, 215a; VIII, Io, z66b—z67a und Cael., III, 2, 3oib. An den beiden ersten Stellen wird auch der Antiperistasis-Gedanke erwähnt. Dieser Begriff findet sich — wenn auch mit abweichender Bedeutung — noch häufiger in den Schriften Aristoteles’, z. B. in Somn., 3, 457b 2 u. 458a 28. Auch die Meteorologica und die (allerdings Pseudo-Aristotelischen) Problemata Physica kennen ihn, vgl. M. B. Hesse, Forces and Fields, S. 84 f. ls systematisch sind die Erörterungen zum Wurf an keiner der drei zuerst genannten Stellen zu bezeichnen. Sie erscheinen jeweils als kurzer Einschub in einen anderen Gedankengang und dienen dazu, ein Hilfsargument zu entwickeln, ein Analogon zu benennen oder einen möglichen Einwand zu entkräften. Die für unseren Kontext reichhaltigste dieser Textstellen (Phys., VIII, io) wird von der philologischen Forschung zuweilen als nachträgliche Einfügung aufgefaßt, zumal einige Sätze innerhalb dieser Passage nochmals als Nachträge identifizierbar sind (vgl. G. A. Seeck, Die Theorie des Wurfs). Falls es sich um einen Nachtrag handelt, so doch um einen im Rahmen der in diesem Kapitel entwickelten Hauptthese sinnvoll plazierten. — Die Theorie des Wurfs, die ja eine Ortsbewegung zu erklären sucht, wird von Aristoteles zudem mehrfach im Kontext qualitativer Veränderungsvorgänge erwähnt, die ebenfalls zeitlich über das Wirken ihrer anfänglichen Ursache hinaus andauern oder über große Distanzen hinweg erfolgen. Hierzu zählen insbesondere die Sinneswahrnehmungen im Schlaf, vgl. Insomn., 2, 459ab; Div. z, 464a. — Die gelegentlich in diesem Kontext angeführte Passage An., III, rz, 4346–435a trägt zum Problem der Wurftheorie nichts bei, weil hier nur die Eigenschaft von Medien beschrieben wird, Bewegungen über räumliche Distanzen hinweg zu vermitteln, nicht aber ihre Rolle bei einer zeitlichen Verschiebung zwischen anfänglichem Anstoß und fortdauernder Wirkung. echselseitigem Sich-Umstellen (von Luftteilen und dem Geschoßkörper), wie einige vortragen, oder infolge davon, daß die einmal angestoßene Luft eine Stoßbewegung weitergibt, die schneller ist als die Bewegung des abgestoßenen (Geschosses), mittels deren es zu seinem angestammten Ort sich hinbewegt.“’

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  35. Aristoteles, Phys., iv, 8, zr5a.

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  36. Üblicherweise werden die Abschnitte 59a und 79b-8oc aus dem Timaios als Referenz-stellen genannt. Platon verwendet den Ausdruck Antiperistasis allerdings nicht. In der Sache geht das Modell der Wechselumstellung wohl auf Empedokles zurück, vgl. M. B. Hesse, Forces and Fields, S. 55.

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  37. An anderer Stelle referiert Aristoteles den Platonischen Gedanken, ohne ihn dabei zu verändern.

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  38. Vgl. ebd., 79b-e.

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  39. Die Formeldarstellung übernehme ich aus M. R. Cohen/ I. E. Drabkin (Hg.), A Source Book in Greek Science, S. zzr, Fn. 3.

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  40. Platon, Timaios (Ed. Zekl), 8o c.

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  41. Vgl. ebd., 79d—e.

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  42. Vgl. ebd., 5zdff.

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  43. Vgl. M. B. Hesse, Forces and Fields, S. 54

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  44. Vgl. Aristoteles, Resp., n. Die im engeren Sinne biologischen Argumente gegen Platon lauten u. a.: Im Ringtausch-Modell werde die Besonderheit der Atmung von anderen als den Landlebewesen nicht erklärt; es werde fälschlich das Ausatmen als primärer Vorgang beschrieben, obgleich der letzte Atemzug im Tode eines Lebewesens ein Ausatmen sei, folglich müsse der Anfang beim Einatmen gemacht werden; es sei als Widerlegung des Modells zu begreifen, daß man den Luftzug durch Mund und Nase wahrnehmen könne, den Platon zufolge gleichzeitigen und gleichumfänglichen Luftzug durch die Poren des Körpers aber nicht.

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  45. Vgl. Aristoteles, Cael., 1, III, 299a f., tv, 3szb f., ders., Met., 0.

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  46. Vgl. Aristoteles, Cael., u, 286a f.

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  47. Aristoteles, Phys., iv, 9.

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  48. Ebd., iv, 7, 214a.

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  49. Vgl. Simplicius, On Aristotle on the Void, p. 668, to ff.; A. Maier, Die Impetustheorie, S. III, Fn. 6.

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  50. Simplicius, On Aristotle an the Void, p. 668, 27–3z.

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  51. Es ist dieser doppelte Wechsel der Bewegungsrichtung, der schon Philoponus zu der Ansicht bringt, das Antiperistasis-Modell sei „quite incredible“. Entscheidend für seine Ablehnung ist der anthropomorphe Zuschnitt des Modells: Die Richtungsänderung der vom Projektil angestoßene Luft erfolge „as if by some command”. J. Philoponus, Corn ntiperistasis-Modell der Projektilbewegung gemäß Simplicius’ Auslegung. Die gestrichelte Linie kennzeichnet die Lage des Projektils zum Zeitpunkt to, die durchgezogene Linie seine Lage zum Zeitpunkt t1. Die kleinen Pfeile deuten die Bewegung der Luft während dieses Zeitintervalls an. entary on Aristotle’s Physics, p. 639, 3 ff., in: M. R. Cohen/I. E. Drabkin (Hg.), A Source Book in Greek Science, S. 221 f.

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  52. Vgl. Aristoteles, Phys., vin, ro, z66b—z67a. Vgl. hierzu M. B. Hesse, Forces and Fields, S. 57; J. A. Weisheipl, Natural and compulsory movement, S. 2.7 f.

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  53. Vgl. Aristoteles, Phys., iv, r, zo8b; der Sachverhalt wird dort mit dem Begriff „Antimetastasis“ belegt.

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  54. Vgl. eine frühere Interpretation des Vf., die mit der hier vorgebrachten nur teilweise übereinstimmt: U. Wenzel, Dynamismus und Finalismus.

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  55. Aristoteles, Cael., ui, 3or b.

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  56. So hat der spätantike Kommentator Simplicius die Wurftheorie gelesen (vgl. S. Sambursky, Das physikalische Weltbild der Antike). Auch Averroes akzeptierte diese Deutung. Moderne Autoren, die sich für diese Lesart entscheiden: G. A. Seeck, Leicht-Schwer und der unbewegte Beweger; M. Wolff, Geschichte der Impetustheorie; mit Einschränkungen: E. Grant, Physical Science in the Middle Ages.

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  57. Vgl. Aristoteles, Div. Somn., 2. Auch Aristoteles Bemerkungen zur Magnetwirkung sprechen für diese Lesart, wonach den Medien eine einzigartige Qualität eignet, die sie von anderen Objekte unterscheidet, nämlich die Fähigkeit, ihre Eigenbewegung in den Dienst eines äußeren Anstoßes zu stellen. Gemeint ist das bereits von Platon (Ion, 533d) erwähnte Phänomen, daß der Magnetstein Eisenstücke, mit denen er in Kontakt kommt, magnetisiert, so daß diese andere Eisenstücke anziehen und wiederum magnetisieren önnen. So kann sich eine ganze Kette bilden. Hier wären alle Bedingungen für eine Erklärung gemäß Aristoteles’ Luftschichtentheorie gegeben: Man könnte sagen, nach Fortnahme des Magnetsteins reichen sich die Eisenstücke, wiewohl nicht länger vom primären Beweger beeinflußt, dennoch (mit abnehmender Intensität) die Magnetisierungskraft weiter; so hätte man eine noch gewisse Zeit andauernde Magnetisierung der Eisenstücke strikt gemäß des Prinzips omam erklärt. Worauf Aristoteles (wie Platon) aber ganz im Gegenteil abstellt, ist, daß die Eisenstäbe ihre magnetischen Eigenschaften sofort nach Fortnahme des ursprünglichen Bewegers, also des Magnetsteins verlieren (Phys. VIII, Io, 2666–267a). Die Kette der magnetisierten Eisenstücke ist also in einer bestimmten Hinsicht fundamental von der Kette der Luftschichten unterschieden. Wenn es allein um eine Lösung ginge, für die omam gilt, verstünde man nicht, warum die Eisenstücke nicht für jene Leistung des Mediums Luft in Frage kommen. Es geht um etwas anderes. Was die Eisenstücke und das Projektil verbindet ist, daß sie keine selbständige Tendenz in Richtung der einmal angeschobenen Bewegung aufweisen. Deshalb bewegen sie sich auch nur solange, wie sie durch direkten Kontakt mit der aktualisierten Ursache angestoßen werden. Luft und Wasser benötigen zwar ebenfalls einen anfänglichen Anstoß, können sich aber anschließend unabhängig von dieser Wirkursache weiterbewegen (das vorangehende Teilstück steht ja nach einer Weile still). Die Medien setzen ihre Bewegung fort, weil sie — final — von ihrem natürlichen Ort „angetrieben“ werden, der bei ihnen (den intermediären Elementen) in merkwürdiger Weise sowohl „oben” wie „unten“ zu liegen scheint.

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  58. Diese Lesart stellt die Mehrheitsmeinung dar. Vgl. A. Maier, Die Impetustheorie; J. Sarnowsky, Die aristotelisch-scholastische Theorie der Bewegung, S. 383 ff.; J. A. Weisheipl, Natural and compulsory motion, S. 27 f.

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  59. Vgl. G. A. Seeck, Die Theorie des Wurfs, Gleichzeitigkeit und kontinuierliche Bewegung. ie von Manuwald, Die Wurftheorien im Corpus Aristotelicum, S. 16o, angeführten Parallelstellen, an denen Aristoteles angeblich ähnliche Überlegungen für verwandte Sachverhalte entwickelt, lassen sich m. E. keineswegs als solche verstehen. Vielmehr wird hier das Medium als Bewegung vermittelndes nur unter der Voraussetzung beschrieben, daß es über eine Eigenbewegung verfügt. Dies wird an einer Passage aus Insomn. im nächsten Abschnitt gezeigt.

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  60. Vgl. B. Manuwald, ebd.; ähnlich: K. Kälble, Die Entwicklung der Kausalität im Kulturvergleich, S. r24 ff. Manuwald sieht eine Entwicklung im Aristotelischen Werk: Anfangs habe er die Eigenbewegung des Mediums für die Erklärung des Wurfs vorausgesetzt, weshalb nur Luft und Wasser als Medien in Frage kommen, später sei er von einer Übertragbarkeit von Bewegungskraft auf prinzipiell alle Medien ausgegangen.

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  61. Aristoteles, Phys., viii, 4, 255a.

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  62. Das schließt nicht aus, das dem Gegenstand daneben noch eine natürliche Bewegungstendenz zu eigen ist; allein entscheidend ist aber, daß die Impetustheorie von der von außen aufgeprägten Kraft sagt, sie führe zu einer inhärenten Bewegungstendenz des Körpers. Die natürliche Bewegung mag dann für das allmähliche Ersterben des Impetus namhaft gemacht werden. Siehe dazu ausführlicher Kapitel v.

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  63. Nicht ohne Sinn werden hier mediensoziologische Begriffe zur Charakterisierung des Unterschieds zwischen Aristotelischer Physik und Impetustheorie verwendet. In der soziologischen Medienforschung ist nämlich ein umgekehrter Prozeß vom mechanistischen Denken (dem der Naturbegriff der Impetustheorie näher steht, ohne es vollständig zu erreichen) zum Aristotelismus zu beobachten. Die Medienforschung ist ein prägnantes Beispiel für die Aporien, die sich einstellen, wenn mechanistische Prinzipien umstandslos auf menschliches Handeln übertragen werden. Hat sie doch lange benötigt, um die Unangemessenheit des mechanistisch-behavioristischen Modells eines passiv den Informationen ausgelieferten Rezipienten anzuerkennen. Zu bezweifeln ist jedoch, ob das in kritischer Absetzung zum mechanistischen Denken entwickelte Modell eines aktiv selegierenden Rezipienten, etwa im uses andgratification approach oder den cultural studies, dem Gegenstand adäquat ist. Selbstverständlich auf den Menschen beschränkt, beobachtet man hierin eine Rückkehr zum Aristotelischen Naturbegriff. Vgl. für den passivisch-informationstheoretischen Ansatz z. B. P. F. Lazarsfeld/H. Menzel, Massenmedien und personaler Einfluß; V. Packard, Die geheimen Verführer; Deutsche Forschungsgemeinschaft, Medienwirkungsforschung in der Bundesrepublik Deutschland; M. Schenk, Medienwirkungsforschung; zu seinen Aporien vgl. W. Joussen, Massen und Kommunikation; zu den handlungstheoretischen Ansätzen vgl. die Übersichten bei K. Neumann(-Braun)/M. Charlton, Massenkommunikation als Dialog; sowie H. Holzer, Medienkommunikation.

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  64. Vom modernen, in der Kybernetik zweiter Ordnung entwickelten Begriff der Resonanz ist Aristoteles freilich noch weit entfernt. Für diese sind Systeme ja durch ihre informationelle Geschlossenheit gekennzeichnet, weshalb mit Resonanz hier die rein systemintern produzierten Reaktionen auf äußere Störungen bezeichnet werden, die gerade nicht in abbildendem Verhältnis zur Außenwelt stehen. Das Verhältnis zwischen Systemen kann dann als strukturelle Koppelung beschrieben werden (vgl. H. R. Maturana, Die Organisation des Lebendigen, S. rso ff.; für eine soziologische Kybernetik zweiter Ordnung vgl. N. Luhmann, Das Erkenntnisprogramm eines Konstruktivismus; zum Resonanzbegriff: ders., Ökologische Kommunikation, S. ço ff.) Für Aristoteles besteht selbstverständlich eine Artgleichheit zwischen dem externem Bewegenden und dem Bewegten. Mit Resonanz ist daher eher eine gewisse Selektivität gemeint, wie sie im physikalischen Phänomen der Eigenschwingung zum Ausdruck kommt.

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  65. Aristoteles, Insomn., 2, 459a.

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  66. Aristoteles, An., nI, 3, 4z8b.

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  67. Ebd., n, 5, 4713.

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  68. Vgl. zum Begriff der paramount reality und des „Gefälles“, das den Menschen normalerweise in diese alltagsweltliche Einstellung bringt, A. Schütz, Über die mannigfaltigen Wirklichkeiten; A. Schütz/Th. Luckmann, Strukturen der Lebenswelt, Bd. i. Aristoteles’ Theorie der Intensitätsdifferenzen zwischen innerlich und äußerlich induzierten Wahrnehmungen zielt auf eine naturwissenschaftliche Begründung dieses Gefälles ab.

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  69. Aristoteles, Insomn., 3, 461a. 8o Ebd.

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  70. Aristoteles, An., u, 5 417b.

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  71. Ebd., 4i8 a.

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  72. Ebd., u, 12, 424 a.

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  73. Der Unterschied zwischen einem Bewegtwerden von der „reinen“ zur „dispositionellen” Potentialität einerseits und einem Bewegtwerden von der „dispositionellen“ Potentialität zur Aktualität andererseits liegt, wie gesagt, darin, daß bei ersterem ein tatsächliches Erleiden oder Umschlagen der Qualität vorliegt (z. B. Kaltes in Brennendes), während bei letzterem das Bewegte nicht verwandelt, sondern zur Erfüllung gebracht wird (z. B. Leichtes nach oben), vgl. Aristoteles, An., u, 5, 4i7b. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, daß Wahrnehmung kein Erleiden im Sinne von Verwandlung darstellt; die Form, die a von außen aufgeprägt wird, ist eben immer schon im Wahrnehmungsorgan vorhanden, sie wird nur zur Wirklichkeit gebracht, vgl. ebd., 418 a.

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  74. Aristoteles, Insomn., a, 459b.

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  75. Ebd., 3, 4616.

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  76. Vgl. Aristoteles, Cael., in, 2, 3o1b.

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  77. Vgl. Aristoteles, An., III, 3.

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  78. Vgl. zum folgenden W. Kullmann, Die Teleologie in der aristotelischen Biologie; ders., Wesen und Bedeutung der „Zweckursache“ bei Aristoteles; ders., Different Concepts of Final Cause in Aristotle; ders., Zum Gedanken der Teleologie in der Naturphilosophie des Aristoteles und seine Beurteilung in der Neuzeit.

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  79. W. Kullmann, Die Teleologie in der aristotelischen Biologie, S. 57.

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  80. Vgl. hierzu auch W. Kullmann, Zum Gedanken der Teleologie in der Naturphilosophie des Aristoteles und seiner Beurteilung in der Neuzeit, S. 566 ff.

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  81. Vgl. C.E. Shannon/W. Weaver, Mathematische Grundlagen der Informationstheorie.

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  82. So liest auch A. Gotthelf, Aristotle’s conception of final causality, S. 212 ff., die Aristote-lische Theorie der Ontogenese.

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  83. W. Kullmann, Die Teleologie in der aristotelischen Biologie, S. 52 f.

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  84. Vgl. E. Hussey, Aristotle’s mathematical physics.

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  85. Vgl. Aristoteles, Cael., u, 13, z94b.; ders., Phys., iv, 8, z16a. Die Deutung dieser Passagen ist in der Literatur umstritten, vgl. I. E. Drabkin, Notes on the laws of motion in Aristotle; G. E. L. Owen, Aristotelian mechanics, S. 232 ff.

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  86. E. Hussey, ebd., S. 229.

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  87. R. L. Fetz, Naturdenken beim Kind und bei Aristoteles.

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  88. Um nur einen Beleg zu nennen: In Thukydides’ Schilderung des Peloponnesischen Krieges, also der größten militärischen Operation, die man sich zu seiner Zeit vorstellen kann, gibt es kaum eine Episode, die nicht durch die Rhythmen der Jahreszeiten, durch widrige Winde oder den plötzlichen Abzug der Soldaten, die nun ihre Felder bestellen müssen, gekennzeichnet ist. Vgl. Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges.

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Wenzel, U. (2000). Dynamismus und Finalismus in den Aristotelischen Bewegungstheorien. In: Vom Ursprung zum Prozeß. Reihe Theorie des sozialen und kulturellen Wandels, vol 1. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11781-0_5

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