Zusammenfassung
Die policy-Forschung steht bei der Analyse von Politikfeldern und Sektoren vor einigen großen Herausforderungen. Erstens gewinnt durch eine zunehmende Übertragung von Kompetenzen, Aufgaben und Instrumenten die Europäische Union stark an Bedeutung. Die Politikgestaltung auf supranationaler Ebene verläuft jedoch nicht isoliert, sondern entsteht in einem komplexen Geflecht an Interdependenzen, Abhängigkeiten und Einflussbeziehungen zwischen den verschiedenen staatlichen Einheiten (Europäische Union, Nationalstaaten, Regionen und Kommunen). Zweitens findet innerhalb dieser verflochtenen politischen Arenen die gesellschaftliche Interessenvermittlung durch eine Vielzahl von korporativen und kollektiven Akteuren statt1. Bei der Analyse von einzelnen Politikfeldern oder gesellschaftlichen/wirtschaftlichen Sektoren steht man folglich vor der Frage, welche Faktoren die Politikergebnisse als abhängige Variable zu erklären vermögen und in welcher Wechselwirkung sie stehen. Das folgende Kapitel versucht einige, für die policy-Forschung relevante Bestimmungsfaktoren herauszufiltern. Der eigene analytische Rahmen wird dabei so konzipiert, dass — mit divergierenden Gewichtungen und Fokussierungen — sowohl der nationale als auch der europäische Politikprozess einer Analyse unterzogen werden können2.
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Literatur
Unter korporativen bzw. kollektiven Akteuren werden Organisationen (z.B. Verbände, Unternehmen) bzw. Gruppen von Organisationen verstanden. Dies schließt Individuen (z.B. Lobbyisten), die im Auftrag dieser Akteure tätig sind, ein.
Vgl. Schumann (1996) als Beispiel für die Konzeption eines umfassenden Analyserahmens.
Mayntz/Scharpf ( 1995a: 16–19) schlagen zur Charakteristik von Sektoren die Unterscheidung in Leistungsstruktur und Regelungsstruktur vor. Zur Leistungsstruktur gehören alle Einrichtungen und Organisationen, die unmittelbar zur Leistungserbringung eines Sektors beitragen (z.B. Unternehmen, technische Infrastruktur etc.), während die Regelungsstruktur die sektoralen (z.B. Verbände) und staatlichen Akteure (z.B. Ministerium) umfasst, welche die Regelung und Ordnung des Sektors beeinflussen.
Die Bedeutung der Transaktionskosten wurde aufbauend auf die frühen Arbeiten von Ronald Coase (1937) vor allem von Oliver Williamson (1981; 1990) herausgearbeitet (vgl. auch Richter 1994; Schoppe u.a. 1995). In einer gängigen Formulierung von Arrow können Transaktionskosten als “Betriebskosten des Wirtschaftssystems” verstanden werden. Unter Transaktionskosten fallen zusammengefasst alle Such-, Informations-, Verhandlungs- und Kontrollkosten, die zum Abschluss von Verträgen notwendig sind. Die Höhe der Transaktionskosten am Bruttosozialprodukt variiert nach unterschiedlicher Einschätzung der Autoren zwischen 50 und 80 Prozent (Richter 1994: 9 ).
Demnach werden - um die beiden Extrempunkte herauszugreifen - bei nicht-spezifischen Investitionen die Transaktionen über den Markt und das Modell des klassischen Vertrages abgesichert, während bei hochspezifischen Investitionen die Unsicherheit der Vertragsbeziehungen zwischen zwei unabhängigen Marktpartnern durch die Einbindung der Transaktion in das Unternehmen vermieden wird (Williamson 1990: 89).
Nach Auffassung von Campbell/Lindberg (1991: 334–335) beeinflussen ökonomische Effizienzkriterien vor allem bilaterale Steuerungsmuster.
Auslöser der Privatisierung ist nach Grande (1997) vor allem die Herausbildung einer transnationalen Ökonomie. Die Globalisierungs- und Transnationalisierungstendenzen und ihre Auslöser können hier nicht weiter verfolgt werden. Sie werden als gegeben unterstellt.
Zur Verbesserung einer für Verbundsysteme existentiell wichtigen Konsensbildung nennt Scharpf folgende Strategien: Neben der Option der Konfliktentlastung durch Verminderung der Anzahl der not- wendigen Beteiligten, die im politischen System auf eine konstitutionell zu verankernde Entflechtung hinausläuft, sind dies die Option der Verringerung der Entscheidungsalternativen über spezielle Koordinationsmechanismen (z.B. negative Koordination, Entscheidungssegmentierung) und die Option des Einsatzes konfliktminimierender Entscheidungsregeln. Trotz der Anwendung der beiden letzten Optionen im deutschen föderativen System, ist eine eigentlich wirkungsvolle Entflechtung (erste Option) nur schwer zu realisieren, was Scharpf zu der eher pessimistischen These verleitet, dass “die systematische Beschränkung des verfügbaren Steuerungsinstrumentariums die Wahrscheinlichkeit von “objektiven” Steuerungsdefiziten erhöh(en)t.” (66)
Neben den rein konstitutionellen Vetoplayem, die hier im Mittelpunkt stehen, existieren natürlich variierend nach Sektor und policy verschiedene andere Vetoplayer, deren Vetomacht jedoch ungleich schwieriger und von Fall zu Fall zu bestimmen ist. Nach der bisherigen Diskussion dürfte es jedoch einleuchten, dass ein tiefgreifender sektoraler policy-Wandel ohne die zumindest teilweise Zustimmung der machtigsten sektoralen Akteure nicht durchführbar ist.
Die Homogenität eines Vetoplayers wird nach Tsebelis (1995) durch seine Größe, durch das Wahlsystem (personenorientiertes Mehrheitswahlsystem vs. parteienorientiertes Verhältniswahlsystem) und schließlich durch die institutionelle Struktur ( Präsidiales vs. Parlamentarisches System) bestimmt.
Thomas Königs (1997) Überprüfung des Politikverflechtungsansatzes von Scharpf (1976) und der Parteienregierungs-these von Lehmbruch (1976, 1998) stellt eine Modellierung von Vetoplayern und Handlungsspielräumen im deutschen Zweikammernsystem dar.
Zur Modellierung von europäischen Entscheidungsverfahren und Berechnung von Machtwerten der Akteure: vgl. König (1997)
In früheren Charakterisierungsversuchen kamen zu den oben genannten Kriterien der (1) speziellen Organisationen (begrenzte Anzahl der Verbände), (2) der Einbindung (Inkorporierung) in den politischen Entscheidungsprozess, (3) der Ausstattung mit einem Repräsentationsmonopol und der dafür eingeräumten Bedingungen bezüglich der Auswahl des Führungspersonals und der Interessenartikulation sowie (4) der Mitverantwortung als demokratietheoretisches Kriterium, noch die verbandlichen Kriterien der (5) Zwangsorganisation, (6) der Nichtkompetitivität, (7) der expliziten staatlichen Anerkennung sowie (8) der hierarchischen Struktur und funktionalen Differenzierung hinzu (Schmitter 1979: 96–97). Damit war ein komplexer und voraussetzungsreicher Idealtypus geschaffen, der vor allem in Kontrast zum Marktmodell der pluralistischen Interessenvertretung stand.
Im Politikfeld Arbeit führen sie diese Entwicklung hauptsächlich auf die Angleichung gewerkschaftlicher Interessengegensätze in ehemals pluralistischen Systemen sowie auf den durch die internationale Wettbewerbssituation und den durch die Europäischen Währungsunion entstehenden Handlungsdruck zurück.
Neben dem weiten analytischen Netzwerkbegriff lässt sich ein Netzwerkbegriff im engeren Sinne unterscheiden, der als Organisationskategorie verwendet und als Verhandlungssystem bezeichnet wird (Wilkesmann 1995: 53–55; vgl. auch Jansen/Schubert 1995 ). Das Verhandlungssystem stellt ein spezifisches “anspruchsvolles” Interaktionsmuster dar, dessen Koordinationsmodus auf Verhandlungen basiert und das zur erfolgreichen Politikbearbeitung bestimmte Bedingungen erfüllen muss. Verhandlungssysteme sind eine mögliche Form von Netzwerken. Politikwissenschaftlich sind sie jedoch insofern hochinteressant, weil in ihnen das alte Modell der hierarchischen Politikproduktion und -durchsetzung am konsequentesten durchbrochen wird.
Nicht eigens aufgeführt werden an dieser Stelle die Netzwerkdimensionen Strukturen und SpielNerfahrensregeln. Netzwerkstrukturen umfassen beispielsweise den Grad der Institutionalisierung, die Netzwerkgrenzen, die Art und Häufigkeit der Beziehungen. Spiel- und Verfahrensregeln thematisieren Erwartungen und Erfahrungen der Netzwerkteilnehmer hinsichtlich des Modus der Behandlung und Bearbeitung von Netzwerkthemen und -problemen (van Waarden 1992 ).
In einer späteren Arbeit erweiterte Olson (1982) diese Beobachtung zu der nicht unumstrittenen These, dass die ökonomische Stagnation westlicher Industriegesellschaften maßgeblich auf deren institutionelle Sklerose und den übermächtigen Einfluss von gesellschaftlichen Partikularinteressen auf Kosten des Gemeinwohls zurückzuführen sei. (Schubert 1995, kritisch: Messner 1995).
Definiert man Macht zunächst allgemein als “Verfügbarkeit über Ressourcen” lassen sich nach Crozier/Friedberg folgende Präzisierungen vornehmen (Messner 1995: 235). Ressourcen können unterschieden werden in: (1) Macht über spezifisches Sachwissen, (2) Macht über Kontrolle von Informationen, (3) Macht aus der Existenz bestimmter Regeln und Wertmuster sowie (4) Macht durch die Verfügbarkeit finanzieller (materieller) Ressourcen. Dies beantwortet jedoch noch nicht die Frage, welche Ressource in Netzwerken dann zu einem entscheidenden Machtfaktor wird. Welche Ressource “netzwerkstrategisch” relevant ist hängt von der Knappheit der Ressource und der Stellung des Akteurs im Netzwerk ab (Wilkesmann 1995: 55–59).
Die Beschreibungen klientelistischer Netzwerke differieren deutlich. Die obige Charakteristik folgt Schneider (1992), der die direkte Beziehung zwischen den Akteuren und die fehlende Interessenaggregation hervorhebt.
Einen vierten Idealtyp bildet das issue-network, dessen Unterscheidungsmerkmale zu einem pluralistischen Interaktionsmuster jedoch in der Literatur eher diffus ausfallen und deshalb hier vernachlässigt werden (Jordan/Schubert 1992: 22; van Waarden 1992: 46)
Eine skeptische Perspektive zur Anwendung von Netzwerkkonzepten in der Analyse europäischer Politik brachte Kassim (1994) vor. Gerade in der Fragmentierung und Veränderbarkeit europäischer Politik, ihrer institutionellen Komplexität und der daraus resultierenden Probleme bei der Identifikation von Netzwerkakteuren und Netzwerkgrenzen sieht Kassim Hindernisse für die Anwendung des Konzeptes. Demgegenüber argumentiert Peterson (1995) in seiner Erwiderung, dass gerade in diesen Punkten die Stärke des Netzwerkkonzeptes zu sehen sei.
Nach Eichenerlvoelzkow (1994) begünstigen die Ausschüsse diese Politikgestaltung u.a. durch die hohe Expertise und Sachorientierung der Mitglieder sowie durch den Charakter als Beratungsforum.
Vgl. zu den Gründen und Bedingungen einer nationalen oder transnationalen Strategie auch die Zusammenstellung bei Greenwod/Ronit (1994: 41–44).
In policy-Analysen werden zumeist individuelle, korporative (Organisation) und kollektive Akteuren unterschieden (Mayntz/Scharpf 19956: 49–51), wobei der korporative Akteur als Verband, Partei, Unternehmen oder Ministerium in policy-Prozessen eine zentrale Rolle spielt. Die Entstehung und Verortung von Akteuren insbesondere von Interessengruppen lässt sich mit Hilfe strukturorientierter Konfliktmodelle nachzeichnen. Folgt man dem klassischen cleavage-Ansatz von Lipset/Rokkan (1967) entwickelten sich Parteiensysteme bzw. politische Interessenorganisationen entlang gesellschaftlicher Konfliktlinien, von denen drei auf die Formation moderner Gesellschaften einen prägenden Einfluss hatten und haben: (1) der in der Korporatismusdebatte dominierende, im Zuge der Industrialisierung entstehende Kapital - Arbeit Konflikt, (2) der in der Reformation wurzelnde Konflikt Staat - Kirche und (3) der ebenfalls im Zuge der industriellen Revolution entstehende Zentrum - Peripherie Konflikt. Seit den siebziger Jahren trat eine (post-) materialistische oder ökologische Konfliktlinie hinzu (Inglehart 1989) Ein erweitertes Konfliktmodell zur Interpretation von Interessengruppen liegt von Himmelmann (1983) vor. Unter Akteurseigenschaften werden materielle und immaterielle Macht- und Ressourcenpotenziale der Akteure gefasst. Eine klassische Beschreibung als Organisations- und Konfliktfähigkeit von Interessengruppen stammt beispielsweise von Offe (1969).
Einen der konsequentesten, kongnitiv-orientierten Ansätze haben Nullmeier (1993) und Nullmeier/Rüb (1993) vorgelegt. Den entscheidenden Vorteil sieht Nullmeier (1993: 181) in seiner weiten Definition von Wissen als Deutungsmuster, womit er “keine Annahmen über Kohärenz, Ganzheitlichkeitsgrad und inneren Zusammenhang der Wirklichkeitsinterpretationen zu treffen” braucht und folglich Wissen in jeglicher Form und Qualität analytisch relevant ist. Somit schiebt sich vor die gängigen Dimensionen und Begriffe der policy-Analyse im Ansatz der Wissenspolitologie die Ebene von “Deutungsprozessen und (…) internen Strukturen der Wissenssysteme und Deutungsprozesse.”
In einem Konfliktspiel entspricht der Gewinn eines Spielers genau dem Verlust eines anderen Spielers. Der kollektive Nutzen des Spiels (als Addition der Nutzenkennziffern der Spieler) bleibt unabhängig von der Strategiewahl der Spieler stets konstant (Zürn 1992: 327)
Diese Spieltypen werden als Variablensummenspiele bezeichnet, da der kollektive Nutzen variabel ist und von der Strategiewahl der Spieler abhängt. Zwei wichtige Spieltypen sollen an dieser Stelle kurz skizziert werden. Dem battle-of-sexes game liegt folgende Spielsituation zugrunde: Ein Mann und eine Frau wollen den Abend gemeinsam verbringen (gemeinsames Interesse), die differieren jedoch in ihren Präferenzen, wie bzw. wo sie den Abend verbringen wollen. Während der Mann ein Fußballspiel bevorzugt, wünscht sich die Frau einen Theaterbesuch. Das gemeinsame Kooperationsinteresse, den Abend miteinander zu verbringen, wird also durch einen Verteilungskonflikt über die Art der Abendgestaltung herausgefordert. Viele im politischen und gesellschaftlichen Bereich auftretende Konfliktkonstellationen entsprechen diesem Spieltyp. Im Gefangenendilemma werden zwei eines Bankraubs verdächtige Männer gefasst und während eines Verhörs vor die folgende Alternative gestellt: gesteht einer der beiden Verdächtigen und der andere nicht, so kommt der Geständige frei, der Nicht-Geständige für zehn Jahre ins Gefängnis. Gestehen beide, müssen sie fünf Jahre wegen Bankraubs ins Gefängnis. Schweigen beide, dann werden sie nur wegen Waffenbesitzes angeklagt und müssen für ein Jahr hinter Gitter. Die Dilemmastruktur dieses Spiels liegt darin, dass, wenn beide ihrer individuellen Nutzenlogik folgen (Gestehen und Freispruch), ein kollektiv unbefriedigendes Ergebnis erreicht wird (beide gestehen und gehen für fünf Jahre ins Gefängnis) (Zürn 1992: 327–328). Auch hierfür gibt es im politischen und gesellschaftlichen Bereich zahlreiche Beispiele (Preiskämpfe im wirtschaftlichen Bereich, Deregulierungswettlauf der Nationalstaaten).
So beispielsweise die berühmte Tit-for-Tat Strategie, bei der kooperatives Verhalten belohnt und nichtkoopertatives Verhalten bestraft wird (Avinash/Dixit 1997: 105–11; Braun 1999: 200–213)
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Renz, T. (2001). Der analytische Rahmen — Bestimmungsfaktoren von policy-Prozessen. In: Vom Monopol zum Wettbewerb. Politikwissenschaftliche Paperbacks, vol 34. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11778-0_2
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