Zusammenfassung
Die Bedeutungen, die in der Auseinandersetzung mit Existenz- und Lebensweisen über pädagogisches Denken und Handeln hervorgebracht werden, haben Auswirkungen darauf, wie sich Kinder, Jugendliche und (junge) Erwachsene mit ihren Lebensperspektiven auseinandersetzen. Welche Reflexions-, Handlungs-und Entscheidungsmöglichkeiten sie für sich wahrnehmen und wie bewusst sie ihr Leben zu gestalten versuchen, steht hiermit in Zusammenhang. Auf gesellschafts-und bildungspolitischer Ebene betrachtet, liegt in Bildungsreflexionen und -inhalten sowie in pädagogischen Interaktionen ein Bedingungsfaktor dafür, ob kulturelle Selbstverständlichkeiten unreflektiert weitergetragen, hinterfragt, weiterentwickelt, verschoben und/oder revidiert werden. Sind Handlungen durch Diskurse strukturiert, dann gehe ich von einem Interesse der Vertreterinnen einer handlungsorientierten und kritischen Pädagogik aus, eigene Diskurse als Erkenntnisgrundlage und Voraussetzung von Erziehungsprozessen zum Gegenstand kritischer Befragung zu machen. Eine solche Auseinandersetzung ist mit dem Ziel verbunden, eigene Begrenzungen zu erkennen und neue Räume für eine pädagogische Praxis zu eröffnen, in der mehr Freiheit und Entfaltungsmöglichkeiten zugelassen und vermittelt werden können.
„Dekonstruktion ist nicht die Offenlegung von Irrtümern, sondern eine Wachsamkeit angesichts der Tatsache, daß wir ständig genötigt werden, Wahrheiten zu produzieren.“
(Gayatri Chakravorty Spivak)1
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Literatur
Zit. n. Diederichsen (1996:138).
Der Begriff des Verflüssigens ergibt sich aus Foucaults Verständnis von Herrschaftsstrukturen als verhärtete, geronnene Macht. Auch Wahrheiten, die es Foucault folgend, als überhistorische nicht gibt, können sich normativ verfestigen und über Macht-und Herrschaftsverhältnisse abgestützt sein (vgl. Jäger 1999: 215 ).
Zit. n. Hark (1998:19).
Der Diskursbegriff erfährt alltagssprachlich zunehmend inflationären Gebrauch, wird auch wissenschaftlich unterschiedlich begriffen und mündet in verschiedene Analyseverfahren (vgl. Karpenstein-Eßbach 1995:128). Foucault selbst hat seinen Diskursbegriff im Laufe seines Forschungsprozesses stetig weiterentwickelt und letztlich unbestimmt belassen.
Doch nicht alle Diskurse materialisieren sich auf die gleiche Weise. Im Prozess der Materialisierung spielen Faktoren wie die Verfügung über ökonomische Ressourcen oder der Zugang zu Institutionen eine entscheidende Rolle. Die Wirkkraft von Diskursen ist an bestehende Macht-und Herrschaftsverhältnisse gebunden.
Die entstehende Systematik ist notwendigerweise brüchig, da pädagogische Richtungen nicht einfach entsprechend der Kategorien meiner Arbeit vorliegen. So finden sich im Diskurs der allgemeinen Erziehungswissenschaft - vor allem dann, wenn es um das Paradigma der Vielfalt und Pluralität geht — zwar häufig Anspielungen auf die Pluralisierung von Lebensformen, doch wurde diese im pädagogischen Diskurs bis dato nicht systematisch entfaltet.
Die Gesamtheit der Diskussionsbeiträge zu einem Thema in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wird in der Diskurstheorie als Diskursstrang begriffen. Dabei werden diskursive Ebenen wie Alltag, Politik, Wissenschaft oder Medien unterschieden. Einzelne Texte oder Textteile/Aussagen gelten als Diskursfragmente. Der gesamtgesellschaftliche Diskurs besteht aus zahlreichen Diskurssträngen, diese wiederum aus einer Vielzahl von Diskursfragmenten. (vgl. Jäger 1999: 113f1)
Unterschiede lassen sich z.B. an der beruflichen Position der Autorinnen oder dem Status des publizierenden Verlages festmachen und bedingen auch unterschiedliche Zugriffsmöglichkeiten auf erforderliche Ressourcen. So ist der bisherige und weitere Verlauf der Diskurse bereits ein Resultat der Machtverhältnisse und verhilft wiederum, diese zu reproduzieren (vgl. Jäger 1993: 220). Die Auswahl der Texte verstehe ich daher bereits als Teil meiner kritischen Analyse. So bleibt z.B. die Präsenz lesbisch-schwuler Bildungsarbeit in der allgemeinen erziehungswissenschaftlichen Forschung, aber auch in der erziehungswissenschaftlichen Frauen-und Geschlechterforschung weitgehend unberücksichtigt. Mit meiner Auswahl soll daher auch die vorherrschende Konstruktion von Wichtigkeit und Randständigkeit der Diskurse entlang von anerkanntem, symbolischem Kapital durchkreuzt und inhaltlich Neues erschlossen werden.
Wiederholt sei darauf hingewiesen, dass die analysierten Positionen keine konkrete Schlussfolgerung (Aber deren Wirkmächtigkeit zulassen, über die Wahrscheinlichkeit, dass Individuen sich diesen unterwerfen: „Individuen sind weder die völlig freien Gestalter der Diskurse, noch sind sie ihnen ausgeliefert. Als Repräsentanten diskursiver Kreuzungen stehen sie in einem komplexen Feld von Ermöglichung und Begrenzung“ (Keller 1997:318).
Diskurstheoretisch betrachtet habe ich mit meiner analytischen Arbeit Teil an der Konstruktion der analysierten Diskurse (Bublitz u.a. 1998:17).
In diesem Aufbau sind — gegenstandsangemessen und meinen vorausgegangenen Erörterungen entsprechend theoriegeleitet — Vorstellungen von und Anregungen zu Diskursanalysen von Foucault (1974), Mayring (1990:856) und Jäger (1993:188ff) eingegangen. unbeabsichtigter Nebeneffekte und Normierungen generierende Wirkung entfalten. (3.3.3.)
Zit. n. Preuss-Lausitz (1993:32).
Mit dem Begriff `Kritik’ ist in kritischer Pädagogik und Erziehungswissenschaft mehr gemeint als ein Hinterfragen jedweder Aussagen. Ihre Wurzel liegt in der Auseinandersetzung mit der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule vor allem in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts sowie in den Emanzipationsforderungen neuer sozialer Bewegungen. Verbindend weist der Begriff der Kritik auf einen radikalen Gesellschaftsbezug, auf eine „gesellschafts-und ideologiekritische Perspektive auf Bildungs-und Erziehungsprozesse“ (Bernhard/Rothermel 1997:12).
Frieda Heyting und Heinz-Elmar Tenorth ( 1994: 7) erklären die späte Rezeption und Anerkennung der Pluraliät in der Pädagogik über deren Bezug zu „Einheit, Eindeutigkeit und Allgemeinheit“. Eine zentrale Aufgabe von Erziehung sei die Bewahrung kollektiver Identität und die Sicherung des Bestandes moderner Gesellschaften über Generationen hinweg.
Vgl. z.B. die Diskussion in Zeitschrift für Pädagogik,Heft 1/1987. Mit poststrukturalistischer Theorie wird z.B. die Universalität von Rationalität, die Einheit und Autonomie des Subjekts, das Ziel der Mündigkeit und der Fortschritt der Menschheitsgeschichte in Frage gestellt.
Gleichzeitig bleibt die begriffliche Differenzierung zwischen Postmoderne und Poststrukturalismus oft unklar. Offen bleibt, inwieweit ein Bezug auf die Postmoderne an die Beschreibung veränderter gesellschaftlicher und sozialer Verhältnisse in einer als Postmoderne bezeichneten Zeit gebunden bleibt oder auch postmodernes Denken im Sinne poststrukturalistischer Theorien, d.h. deren Essentialismuskritik und differenztheoretische Positionen impliziert. Eine explizite Auseinandersetzung mit poststrukturalistischen Ansätzen findet sich z.B. bei Meyer-Drawe (1990) oder Wimmer (1992).
Über das Verständnis einer reflexiven Moderne werden provokante Herausforderungen postmodernen Denkens als integrale Aufgabe der Moderne interpretiert, dabei jedoch tendenziell ihrer kontroversen Kraft entledigt (vgl. Meyer-Drawe 1990:82). In den 1990er Jahren hat sich in der Diziplin entsprechend der Begriff „reflexive Erziehungswissenschaft“ durchgesetzt. Deren Befürworter halten an der Aufklärung mit ihren Gesellschaftsideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit fest, distanzieren sich jedoch von Fortschrittsantizipationen und Größenfantasien und plädieren fir eine skeptische Grundhaltung (vgl. Krüger 1995: 325 ).
Zu der Notwendigkeit von und zu ersten Erfahrungen mit Jugendhilfeansätzen zu gleichgeschlechtlicher Lebensweise vgl. Hofsäss (1999).
KomBi steht far „Kommunikation und Bildung vom anderen Ufer“ und ist der seit 1991 geführte Name far das Bildungs-und Aufklärungsprojekt des „Kommunikations-und Beratungszentrum homosexueller Frauen und Männer e.V.”, welches seit 1981 Bildungsarbeit durchfahrt. In die ständig weiterentwickelten Fortbildungskonzepte haben Erfahrungen aus zahlreichen Informations-und Aufklärungsveranstaltungen mit Jugendlichen und Erwachsenen Eingang gefunden.
Die Arbeitsgemeinschaft homosexueller Lehrer und Erzieher der GEW Berlin führte eine über 10 Jahre andauernde Auseinandersetzung mit der Berliner Senatsschulverwaltung darüber, Lesben und Schwulen die Möglichkeit zu geben, als Referentlnnen mit Schulklassen zu arbeiten. Mit dem Rundschreiben II Nr. 85/1992 hat die Senatsverwaltung fir Schule, Berufsbildung und Sport dies gebilligt: „Hiermit weisen wir darauf hin, daß Vertreterinnen und Vertreter von Lesben-und Schwulenorganisationen in den Schulen durch Aufklärung einen Beitrag leisten können, um Vorurteile abzubauen und weitere Gewalt gegen Lesben und Schwule zu verhüten. Dabei hat die Schule für eine pädagogische Ausgewogenheit der Beiträge zu sorgen und die Ausführungsvorschriften über Vorträge in Schulen und über Sexualerziehung zu beachten.“
Um die Anerkennung und das damit verbundene Recht auf staatliche Förderung von lesbisch-schwuler Jugendarbeit finden in Jugendhilfeausschüssen der Städte und Gemeinden häufig kontroverse Diskussionen statt (vgl. z.B. Esslinger Zeitung vom 30.9.1997 in der u.a. von den im Jugendhilfeausschuss geäußerten Befürchtungen berichtet wird, eine entsprechende Jugendarbeit könne zuvor heterosexuelle Jugendliche zur Homosexualität verleiten).
Vgl. Prengel (1993).
Auch erfolgt die hier geleistete Arbeit unter schlechten Voraussetzungen was materielle Ressourcen und gesellschaftliche Anerkennung der geleisteten Arbeit anbelangt sowie unter spezifischen Schwierigkeiten, die Zielgruppe als solche zu erreichen: Um am expliziten Angebot lesbischer Mädchenarbeit zu partizipieren, müssen die Mädchen/ jungen Frauen sich in der Regel selbst als lesbisch verorten und zu erkennen geben.
Diese Verengung setzt erst mit steigendem Alter ein, wenn die Mädchen die Situation auf dem Arbeitsmarkt antizipieren und verstärkt mit den an sie gerichteten gesellschaftlichen Erwartungen konfrontiert sind.
Die Relevanz einer bewussten Berufswahl gerade 1Sr Mädchen, von Erwerbsarbeit als Grundlage ökonomischer Unabhängigkeit, ist mit dieser Kritik selbstverständlich nicht in Frage gestellt.
Zur Ambivalenz der Leitidee der Partnerschaftlichkeit vgl. 3.3.3a.
Foucault (1977:122)
Diese widersprüchliche Verstrickung verstärkt sich angesichts der Einschränkung meiner Auseinandersetzung auf die Kategorien Geschlecht, Sexualität und Lebensform, die zentrale Kategorien wie Ethnizität, Klasse oder Behinderung außer acht lässt.
Um Missverständnissen vorzubeugen sei nochmals betont: Die jeweiligen Mechanismen stehen nicht für die ausgewählten Diskursfragmente. Meine Untersuchung folgt nicht einem Analysieren der Texte an sich. Es geht demgegenüber um deren theoriegeleitetes Durchqueren mit der Intention, zu Grunde liegende Mechanismen und Positionen, die häufig unbeabsichtigt dazu beitragen, Vielfalt zu begrenzen, herauszuarbeiten, als Teil einer diskursiven Äußerung zu verstehen (vgl. Jäger 1993:65) und unseren Blick für unterschwellig wirkende Mechanismen zu sensibilisieren.
Zur besseren Lesbarkeit verändere ich meine Zitierweise in der folgenden Analyse. Da sich diese in jedem Unterkapitel lediglich auf eines der ausgewählten Diskursfragmente bezieht, werde ich dieses jeweils eingangs nennen und im Weiteren auf Siglen zurückgreifen: LT für Lemmermöhle-Thüsing u.a. (1993), JA für Alltag (1996) und PL für Preuss-Lausitz (1993).
Die Themeneinheiten stellen ein Ergebnis des vom Ministerium für die Gleichstellung von Frau und Mann sowie vom Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen geförderten Modellprojekts „Mädchen und Berufsfindung“ dar und sind vom Ministerium für die Gleichstellung von Frau und Mann des Landes Nordrhein-Westfalen herausgegeben. Neben der Projektleiterin Doris Lemmermöhle-Thüsing arbeiteten im Projektteam sieben wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Tutorinnen.
Wiederholt wird handlungsorientiert aufgefordert, Interviews zu bestimmten Fragen durchzuführen. Die für die Interviews vorgestellten Fragen erweitern die Ober eine empirische Untersuchung festgestellte Perspektive der Mädchen (vgl. z.B. LT:60 und LT:180f).
Das Pseudonym „Jule Alltag“ soll far eines der lesbischen Mädchen stehen, an die sich lesbisch-feministische Bildungsarbeit richtet. Die Herausgeberinnen des Buches bleiben nicht anonym. Sie stellen sich am Ende des Buches vor.
Es handelt sich dabei um eine Mädchenarbeit, die sich ausdrücklich an heterosexuelle und lesbische Mädchen richtet und eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit heteronormativen Selbstverständlichkeiten in den pädagogischen Alltag integriert.
Die interviewte Mirja erzählt z.B. sowohl von belastenden Situationen mit unerwiderten Verliebtheitsgefühlen gegenüber Mädchen, wie auch von unbeschwerten Erfahrungen, z.B., als sie einem guten Freund von ihrem Lesbischsein berichtete: „Ich habe ihm das ziemlich früh erzählt, glaube ich. Das war eigentlich kein Problem. Als ich ihm das alles erzählt habe, fing er tierisch an zu lachen und meinte: `Genau in dasselbe Mädchen habe ich mich auch verliebt’. Es war unheimlich lustig.“ (JA:69)
In den Mädchentreff Mona Lisa kommen Mädchen/junge Frauen im Alter zwischen acht und 23 Jahren mit verschiedenen ethnisch-kulturellen Hintergründen und sozialen Lebensumständen. Neben der Unterstützung der Mädchen, die sich als lesbisch bezeichnen, sollen alle Mädchen erreicht werden:“Der Lesbendiskriminierung wird nicht nur durch eine Unterstützung und Stärkung von lesbischen Mädchen/Frauen entgegengewirkt, sondern auch über die Arbeit mit nichtlesbischen Mädchen.” (JA:99f)
Da sich die gegenwärtigen Probleme der Lehrerinnen, so Preuss-Lausitz, nicht grundlegend von denen der Eltern, Erzieherinnen und Sozialpädagoginnen unterscheiden, bezieht sich der Autor in seinen Konkretionen überwiegend auf die Schule.
Die zweifellos wichtige Intention der zusammengestellten Informationen liegt auf der Hand: Mädchen sollen erkennen, dass sie sich immer weniger auf die Ehe, d.h. eine Absicherung durch einen Ehemann, verlassen können. Berufstätigkeit stellt fü’ r ihre Unabhängigkeit eine zunehmende Notwendigkeit dar. Gleichzeitig sind Kinder die Altersversorgung der gegenwärtigen Erwachsenengeneration, womit auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gesellschaftliches Interesse finden müsste.
Kollektiv gedacht fordert der Generationenvertrag die heutige Erwachsenengeneration jedoch auf unterschiedlichen Ebenen heraus: z.B. eine lebbare Umwelt zu wahren, Erwerbsarbeit oder Lebensunterhalt fitr alle sicherzustellen und die nächste Generation kritisch heranzubilden, so dass diese sich verantwortungsvoll in der Gesellschaft bewegen will und kann.
Aufgegriffen werden z.B. die Ideologie der guten Mutter und die des Mannes als Familienernährer.
Hier geht es z.B. um die kritische Diskussion von Teilzeitarbeitsmodellen, Frauen-und Elternförderung, außerfamiliale Kinderbetreuung und um das Modell des Hausmannes.
Auch die über das Diskursfragment hervorgebrachten Subjektpositionen sind am — als zentral hervorgehobenen — Problem orientiert, „unterschiedliche Lebens-und Arbeitsbereiche, insbesondere Beruf und Familie, zu vereinbaren“ (LT:20). Benannt werden „zukünftige Berufstätige,… Hausarbeiterinnen und Mütter” (LT:12) sowie „Alleinerziehende“ (LT:183).
Dies ist z.B. der Fall bei Blockdiagrammen zu Vorstellungen Ober Vereinbarkeitsmodelle (LT:79), bei Fragen zu einer Karikatur Ober paradoxe Ansprüche an Frauen (LT:99) oder bei Überlegungen zu der Frage, was unter einer guten Mutter zu verstehen ist (LT:193).
Die normative Verknüpfung entspricht den Angaben der Mädchen.
Interessant wäre darüber hinaus zu ermitteln, was die Verschiebung des normativ erwarteten Lebensentwurfs für die Mädchen bedeutet. Denkbar wäre z.B., dass es sich hierbei um eine Strategie handelt, mittels derer die auf die Mädchen wirkenden normativen Erwartungen entlastend gehandhabt werden (vgl. 3.3.3.). Auf die Zukunft verschoben, besteht für diese in absehbarer Zeit kein Handlungsbedarf, womit sie sich Verhaltensspielraum für weitere Optionen offen halten.
Meine folgenden Analysen beziehen sich vor allem auf die von den herausgebenden Autorinnen verfassten Artikel, insbesondere auf den zur Lebenssituation lesbischer Mädchenjunger Lesben.
Entsprechende retrospektive biographische Konstruktionen können eine die eigene Identität in der Gegenwart stabilisierende Funktion und Wirkung haben. Im Rückblick können Eindeutigkeiten hergestellt werden, die vormals so nicht unbedingt vorhanden waren. Darüber hinaus ist die Wirkung dominanter Diskurse zu berücksichtigen, die die eigene Erfahrung in Ermangelung anderer Worte oftmals kaum anders ausdrücken und interpretieren lässt. In Interviewsituationen werden Interpretationen oftmals schon über die Fragestellung nahegelegt. Die erste Frage im Interview mit einer 17 jährigen jungen Frau aus Berlin-Brandenburg lautet bei Jule Alltag z.B.: „Seit wann weißt du, daß du dich zu Frauen hingezogen fühlst, bzw. wann hat du gewußt, daß du lesbisch bist?“ (JA:103). Offener und ohne ein bestimmtes Identitätsverständnis anzubieten, wäre demgegenüber z.B. die Frage: Wann hast du dich erstmals in eine Frau verliebt?
Dieser Widerspruch mag mit der Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Diskurse, die in Texten wirksam werden zusammenzuhängen, aber auch der Tatsache geschuldet sein, dass der Aufsatz gemeinsames Produkt mehrerer Autorinnen ist. Die Autorinnen verweisen auf die Vielfalt von Theorien und Konzepten zum Begriff der Identität, die für die pädagogische Praxis entwickelt bzw. übertragen wurden (JA:23). Ihr eigenes Verständnis leiten die Autorinnen aus der langjährigen pädagogischen Arbeit mit lesbischen Mädchen und jungen Lesben sowie aus theoretischen Auseinandersetzungen und Fachdiskussionen im Arbeitskreis „JungLesbenArbeiterinnen“ ab, der weitgehend identisch mit dem Autorinnenkollektiv ist.
Sprachlich verbunden treten die beiden unterschiedlichen Ebenen von Identität im Text beim Corning-Out auf. Hier ist vom „Prozeß der Wahrnehmung und Aneignung einer lesbischen Identität“ (JA:28) die Rede, dort geht es um die „Findung und Bildung ihrer lesbischen Identität” (JA:31). „Wahrnehmen“ und „Finden” verweisen auf eine gegebene Identität, „Aneignen“ und „Bilden” auf die in der Persönlichkeitsentwicklung zu vollziehende und von außen beeinflussbare Ausgestaltung dieser Identität im Sinne des Selbstkonzepts.
Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen: Selbstverständlich bedarf es sowohl der Räume für lesbische Mädchenarbeit als auch der Anerkennung und Unterstützung der lesbischen Identität der Mädchen, die ich als (sub-)hegemonialen Diskurs und gesellschaftlich-kulturelle Existenzweise verstehe. Zur Diskussion stehen hier die diskursiven Konstruktionsprozesse einer essentiell und feststehend entworfenen Identität als einer problematischen Legitimationsstrategie lesbisch-feministischer Mädchenarbeit.
Vereindeutigende und wirklichkeitsbeteuemde Aussagen werden einerseits von pädagogischen Institutionen und administrativen Geldgebern `erzwungen’, andererseits machen sie einen Teil des Selbstverständnisses der Pädagoginnen aus. So ist der der Analyse zu Grunde liegende Text vorrangig an interessierte Kolleginnen und weniger an potentielle GeldgeberInnen adressiert.
Andrea Bührmann (1995) hat die Authentisierungsnorm als eine zentrale Hervorbringung der Neuen Frauenbewegung in den 70er Jahren herausgearbeitet. Ober objektivierende Vergegenständlichung wurden die — unter ihrer Perspektive nur auf den ersten Blick widersprüchlich wirkenden — Positionen „Mutter` und „Lesbe“ für authentisches Frausein hervorgebracht und eine neue Basis zur Hierarchisierung der Frauen untereinander geschaffen: „Authentizitätsnorm kann dabei nicht nur als Bezugspunkt und Korrekturinstanz, sondern auch als Ausschluß-und Hierarchisierungsmechanismus” hinsichtlich dessen eingesetzt werden, wie authentisch eine Frau im Vergleich zu anderen lebt (a.a.O.:196). Bührmann interpretiert die Sexualitätsdebatte der westdeutschen Frauenbewegung der 70er Jahre daher als Normalisierungsinstanz, deren übergreifende Norm lautete authentisch zu werden und damit der eigenen Natur zu entsprechen.
Preuss-Lausitz teilt diese im Begriff der Rolle transportierte Bedeutung nicht, hält aber dennoch am Term der Rolle fest. Auf das Sozialisationsverständnis von Helga Bilden rekurrierend hebt er die Untrennbarkeit von Person und Geschlechtlichkeit sowie die aktivproduktiven Aneignungsprozesse der Mädchen und Jungen hervor (PL:165).
Gudrun-Axeli Knapp (1995:172) bezieht sich auf das von Judith Lorber so genannte „sameness taboo“.
In der Schule z.B. durch die hierarchische Struktur der LehrerIn-SchillerIn-Beziehung, den Notendruck und der Schwierigkeit, sich auf Grund von allgemeiner Schulpflicht den möglicher Weise als unwurdig erlebten Situationen ebenso wie dem Druck der peers in der Klasse entziehen zu können.
Ich verwende hier der Selbstbenennungspraxis vieler transgender persons folgend abwechselnde Geschlechtspronomina.
Preuss-Lausitz zitiert hier Passagen aus einer Untersuchung von Hannelore Faulstich-Wieland.
Auf gleichgeschlechtlicher Ebene wird im Zitat auf eine Orientierung an Erwachsenen verwiesen. Unklar bleibt, ob die Orientierung an Erwachsenen sowohl gleich-wie auch gegengeschlechtlich anvisiert ist. Wäre sie lediglich gleichgeschlechtlich intendiert, hätte sie bei aller dort vorfindlichen Vielfalt konservierenden Charakter: Weder bekämen Mädchen die Möglichkeit zugestanden, sich an gegenwärtig von Männern gelebten Modellen zu orientieren, noch Jungen, sich mit gegenwärtig von Frauen praktizierten Modellen zu identifizieren. Damit würden Orientierungsbahnen vorgeschrieben, die zum einen unter Gleichaltrigen gegengeschlechtlich und zum anderen generationsübergreifend gleichgeschlechtlich geprägt sein sollten.
Unsicherheiten im Umgang miteinander benennt der Autor ausschließlich zwischen Männern und Frauen. Sie werden nicht auch auf den Umgang mit Differenzen, Sympathien und Antipathien innerhalb der eigenen Geschlechtergruppe hin angesprochen (z.B. PL:165). Auch darüber erfährt die gegengeschlechtliche Beziehung spezielle Aufmerksamkeit und Markierung.
Auf die Implikationen, die eine Verwendung des Triebbegriffs mit sich bringt, werde ich weiter unten eingehen.
Eine andere Interpretationsmöglichkeit als die des Autors legt die Aussage eines schwulen Mannes in der Doppelpunktsendung „Mein Sohn ist schwul“ nahe, die 1988 im ZDF ausgestrahlt wurde. Der schwule Mann berichtet hier, wie er gemeinsam mit anderen Jungen seiner Klasse Mädchen die Röcke hochgehoben und sie geärgert habe: „Das gehört halt dazu, damit die nicht sagen, der ist ja schwul!”. Motivation far sein Verhalten war der Wunsch dazuzugehören und nicht ausgegrenzt zu werden. Hierfttr bediente er sich des in der peer group als geschlechtsadäquat geltenden Verhaltens. Dies verdeutlicht die Wichtigkeit, bei Rekonstruktionen zwischen inneren Geftthlen und Motiven auf der einen und sichtbarer Inszenierungen auf der anderen Seite zu unterscheiden.
Joachim Kersten bezieht sich hier auf den von Robert Connell begründeten Begriff hegemonialer Männlichkeit und nennt als weitere Positionen neben der des Beschützers, die des Erzeugers von Nachwuchs sowie die des Ernähers und Versorgers.
Darüber hinaus wäre die komplizierte Verstrickung der Interagierenden mehrperspektivisch zu interpretieren, der unterordnende Gehalt der Mädcheninteraktion auch als aktives Mit-gestalten von Machtbeziehungen z.B. im Sinne der Mittäterschaftsthese (Thürmer-Rohr 1998: 1940 zu beleuchten. Zwar erfahren wir etwas über einen möglichen Nutzen der Mädchen durch ihr so beschriebenes Verhalten, doch wäre z.B weiterzufragen, warum sich Mädchen in unserer Gesellschaft Anerkennung gerade über Attraktivität für Jungen holen oder darauf angewiesen zu sein scheinen (vgl. Flaake 1992 ).
Argem“ und „Attacken” werden begrifflich ja explizit in Abgrenzung zu „sexueller Angriff` verwendet, eine Trennung, die von der feministischen Forschung als so nicht haltbar herausgearbeitet wurde (vgl. z.B. Hagemann-White u.a. 1992).
Den zentralen Stellenwert der Vereinbarkeitsfrage bedingen den Ausführungen der Autorinnen folgend mehrere Faktoren: Die gesellschaftliche Zuweisung der Verantwortung für den Reproduktionsbereich an Frauen, die darauf aufbauende geschlechtshierarchische Segmentierung des Arbeitsmarktes, dessen Einfluss auf die Berufsorientierung von Mädchen sowie die Individualisierung des zu Grunde liegenden gesellschaftlichen Schlüsselproblems, der Vereinbarkeit von Beruf und Leben mit Kind(ern) (vgl. LT:26ff).
Sprachlich verbunden treten die beiden unterschiedlichen Ebenen von Identität im Text beim Corning-Out auf. Hier ist vom „Prozeß der Wahrnehmung und Aneignung einer lesbischen Identität“ (JA:28) die Rede, dort geht es um die „Findung und Bildung ihrer lesbischen Identität” (JA:31). „Wahrnehmen“ und „Finden” verweisen auf eine gegebene Identität, „Aneignen“ und „Bilden” auf die in der Persönlichkeitsentwicklung zu vollziehende und von außen beeinflussbare Ausgestaltung dieser Identität im Sinne des Selbstkonzepts.
Gehen wir davon aus, dass Lebensentwürfe Entwicklungsaufgaben sind und sich in ihnen gesellschaftliche Normen, Normalitätsvorstellungen und kollektive Leitbilder widerspiegeln (vgl. 2.1.), dann sind über die empirischen Ergebnisse des Modellprojekts zunächst vor allem diese offengelegt. Weiter legt die Erkenntnis, dass Untersuchungen zu Lebensentwürfen diese immer auch mit hervorbringen, eine kritische Auseinandersetzung mit den gewonnenen Daten nahe. Empirische Ergebnisse über Erfahrungen und Orientierungen liefern wichtige Hinweise auf Ansatzpunkte pädagogischer Praxis, können jedoch nicht einfach als deren Leitlinie fungieren. Dies entspricht eigentlich dem Zugang der Autorinnen, die diesen jedoch nicht auch auf die Norm Mutterschaft anwenden. Nicht nur Daten über Lebensentwürfe, auch empirische Daten zu Lebensrealitäten sind als Leitlinie pädagogischer Praxis fragwürdig: „Soziologische Fakten können nicht Normen begründen; aus dem Sein kann kein Sollen abgeleitet werden. Die Normativität des Faktischen ist etwas anderes als die Begründung von Erziehungszielen, von Prinzipien des Verhaltens und des Handelns. “ (Bauer/Marotzki 1995: 295 )
Auf eine Untersuchung von Nave-Herz (1988) rekurrierend, diskutiert Landweer die Zunahme bewusster temporärer Kinderlosigkeit bei verheirateten Paaren: „Vielleicht müssen die befragten Frauen die traditionelle Mutterrolle gerade deshalb normativ antizipieren, damit sie ihre Kinderlosigkeit vor sich selbst und anderen rechtfertigen können, und vielleicht müssen sie die Entscheidung für oder gegen Kinder hinausschieben, weil sie genau wissen, daß sie sich in absehbarer Zeit sozusagen von selbst `erledigen’ wird“ (Landweer 1990a:54). Darüber hinaus muss die Frage Kind: `ja oder nein?’ für Frauen nicht per se konflikthaft sein. Sie wird es angesichts gesellschaftlicher Erwartungen häufig dann, wenn die Tendenz sichtbar wird, ohne eigenes Kind leben zu wollen (vgl. Kaller 1998 ).
Hilge Landweer (1990a:50f) weist darauf hin, dass Kinderlosigkeit innerhalb der Frauenbewegung nicht als identitätspolitische Strategie aufgegriffen wurde und vermutet, dass auch die Frauen, die sich selbst gegen ein Leben mit Kind entschieden haben, ein entsprechendes politisches Votum als Eingriff in die persönliche Sphäre interpretieren. Sie zeigt auf, dass selbst Kampagnen gegen den § 218 oder für einen Gebärstreik häufig von der unausgesprochenen Annahme eines gegebenen Kinderwunsches, dem lediglich widrige soziale Verhältnisse entgegenstehen, unterlegt waren.
Auch deren Lebensmodelle können eine Abstimmung mit Berufstätigkeit notwendig machen, z.B. auf Grund politischen Engagements, Tantenschaften oder Fragen von Lebensqualität und -zeit.
Zwar gibt es im Text kurze Hinweise darauf, dass manche Frauen ihren Kinderwunsch aufschieben oder ganz aufgeben (LT:30). Doch während Kinderwunsch ungebrochen positiv konnotiert auftritt (z.B. LT:162), wird die Entscheidung für nur eine Seite, Beruf oder Familie, als „unzumutbare Vereinseitigung“ (LT:51) aufgegriffen und somit implizit abgewertet. Auch wenn dies für Frauen formuliert ist, die explizit Beruf und Familie anstreben, strahlen entsprechende Textstellen dann normativ aus, wenn im Unterschied zum expliziten Verständnis für Mädchen, die sich — phasenweise — ausschließlich auf Familie konzentrieren, das Leben ohne Kind keine Wertschätzung findet. Dies mag bei Mädchen und jungen Frauen, die keine Kinder wollen, Schuldgefühle und Legitimationsdruck begünstigen.
Zu denken wäre z.B. an einen Mann, der in einer Beziehung mit einem anderen Mann lebt und sich langfristig angelegt an der Versorgung des Kindes seiner guten Freundin beteiligt oder an eine Frau, die mit ihren beiden Kindern, ihrer Schwester und deren Freundin in einer Haus-und Lebensgemeinschaft lebt. Die Skepsis, die gegenüber der Stabilität entsprechender Systeme auf Grund fehlender Institutionalisierung bestehen mag, kann mit Blick auf empirische Daten zu gesellschaftlich anerkannten Systemen wie Partnerschaft und Ehe der biologischen Eltern relativiert werden. So zeigt eine Studie zu „lediger Mutterschaft“ (Nave-Herz 1993), dass ein großer Teil der Frauen, die ungeplant schwanger wurden und ihre Schwangerschaft nicht zum Anlass nahmen zu heiraten, zum Zeitpunkt der Befragung nicht mehr in Partnerschaft mit dem Vater des Kindes lebten, diese mehrheitlich von sich aus bzw. einvernehmlich mit dem Partner gelöst hatten. Die Autorin schließt daraus, dass die für Frauen anstrengende Zeit mit Säugling, durch die Partnerschaft eher zusätzlich belastet denn entlastet wurde. Zweifel, die an der Stabilität von sozialen Netzen aus tragenden Beziehungen (bestehend aus Freundinnen, Verwandten, Nachbarinnen, Kolleglnnen) im Vergleich zu ehelichen Familien geäußert werden mögen, können auch angesichts der Scheidungshäufigkeit relativiert werden.
Diese werden durch neuere Studien bestätigt, die den Traditionalisierungseffekt in Partner-schaften bei der Geburt des ersten Kindes belegen (vgl. Reichle 1996) und ein egalitäreres Geschlechterverhältnis in nichtehelichen Lebensgemeinschaften attestieren (vgl. 1.1.1.).
Unter dem Vorzeichen der Liebe ist in der bürgerlichen Ideologie die unbezahlte Tätigkeit der Frau in der Familie, ihre Arbeit an und für Mann und Kinder konzipiert und dieser Tätigkeit damit der Status von Arbeit abgesprochen.
Eine weitere Erweiterung des Arbeitsbegriffs ginge mit Wilhelm Schmid (1998:170) in Anlehnung an Foucault noch ausdrücklicher in die Richtung einer Kunst des Lebens, einer Arbeit daran, das eigene Leben bejahenswert zu gestalten und hierfür „eine Arbeit an sich selbst, am eigenen Leben, am Leben mit Anderen und an den Verhältnissen, die dieses Leben bedingen, zu leisten“.
Als Entlastung für Männer und zusätzliche Belastung für Frauen verstanden, sind entsprechende Modelle unzureichend interpretiert. Obwohl sie auf gesamtgesellschaftlicher Ebene keine übergreifende Strategie darstellen können, mögen sie für einzelne Frauen jedoch eine gute Lebensweisen bieten.
Dem Gedanken der Wechselseitigkeit folgend, ginge es um Beziehungsarrangements, in denen Bindung und Autonomie nicht, wie dies als kulturelles Modell in dieser Gesellschaft nach Geschlecht vorherrschend ist, nach Personen aufgeteilt sind (vgl. 2.2.4.). Orientierungslinie könnte sein, auf sich selbst achtend, eigene Interessen zu vertreten, Grenzen zu setzen und dabei in Beziehung zu bleiben.
Der Mythos des Gleichseins kann Konflikte und Krisen im Konglomerat aus potentiellen Gefühlen wie Verliebtheit, Eifersucht, Konkurrenz, Verletztheit etc. begünstigen. Überfordernde Situationen, die eine mit einer solchen Erwartung aufgeladene Atmosphäre hervorbringen kann, zeigen sich im Buch z.B. in der Beschreibung eines Abendtreffens (JA:57f) bzw. einer Bildungswoche (JA:125f1).
Ein Ziel des Videoprojekts ist es, Einblick in Lebensrealitäten junger Lesben vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen der jungen Frauen zu geben, wobei der Titel das Herauskommen aus einer grauen Welt in die Welt der Frauen und der Erotik symbolisieren soll (JA:77f). Auf erfrischende Weise entlarven die Mädchen im Film gesellschaftliche Klischeevorstellungen gegenüber lesbischen Mädchen und Frauen und vermitteln eine Vorstellung von der möglichen Lebensfreude lesbischer Existenz. Ebenso formulieren die jungen Lesben die Intentionen ihres Filmes selbstbewusst und lustbetont. Für einen weiteren Videofilm wird im Buch eine junge Lesbe zitiert: „Es ist kein Problemfilm, weil es (das Lesbischsein; i. Orig.) eben auch kein Problem ist“ (JA:79).
Karin Schupp in einer Pressemitteilung der Berliner Senatverwaltung für Schule, Jugend und Sport vom 16.9.1998. In dieser Mitteilung wird hervorgehoben, dass die lesbischen Mädchen stolz sind auf ihre Beziehungen, die sie als glücklich, leidenschaftlich und verständnisvoll bezeichnen. Ihre gelebte Sexualität nehmen sie positiv wahr. Eine weitere Studie ergab, dass acht von zehn jungen Lesben und Schwulen nach ihrem Coming-Out über ein positives Gefiihl zur ihrer Homosexualität berichten.
Zwar weisen die Autorinnen zu Beginn darauf hin, dass ihre Erfahrungen auf der Arbeit mit lesbischen Mädchen/ jungen Frauen basieren, die, wie sie selbst Überwiegend `weiß’, christlich sozialisiert und aus den alten Bundesländern kommend sind (JA:23), doch hat dieses Wissen keinen sichtbaren Einfluss auf die Reflexion des auf die Erfahrung von Gleichsein ausgerichteten Konzepts. Fragen wie die, warum sich von ihren Angeboten bisher z.B. lesbische Migrantinnen kaum angesprochen gefiihlt haben, finden keine Berücksichtigung. Entsprechende Gedankengänge sind im Buch durch ein weiteres Autorinnen-team (JA:137) und in der Konzeption des Kieler Mädchentreffs Mona Lisa (JA:94) aufgenommen. In der Beschreibung der konkreten pädagogischen Praxis greift jedoch auch das Autorinnenkollektiv Unterschiede auf und bearbeitet den alltäglichen Umgang damit kritisch (JA:60f).
Wie Ulrike Popp (1994:11) fir die Sozialwissenschaften allgemein kritisiert, werden türkische Mädchen und Jungen in der Regel nicht aus einer jugendsoziologischen Perspektive, sondern als „Kinder von Ausländern oder Migranten“ bzw. als Angehörige der muslimischen Religion betrachtet und aus dieser Perspektive am christlich-abendländischen Maßstab der bundesdeutschen Kultur gemessen.
Helma Lutz (1989) weist darauf hin, wie dominante westliche Diskurse über türkische Mädchen und Frauen deren Selbstbilder bedingen. Diese bringen ihre Erfahrungen in Worten und Begriffen zum Ausdruck, die die Diskurse zu bestätigen scheinen, diesen jedoch entspringen. Lutz zeigt auf, dass der herrschende Diskurs mit empirischen Daten verifiziert oder aber dessen Dominanz und Wirkkraft auf das Selbstild der Migrantinnen herausgearbeitet werden kann. So findet sie in den Berichten der Migrantinnen auf normativer Ebene explizite Vorstellungen von stark beengenden Geschlechtszuschreibungen und Kontrollen, denen sie gleichzeitig durch ihre eigene Lebensgeschichte implizit jedoch die normative Wirkkraft absprechen.
Encamación Guiérrez Rodriguez beschreibt anhand biographischer Texte von Migrantinnen in Deutschland die politisch-historische Erzeugung unterschiedlicher Identitätsmomente und deren Materialisierung in eingenommenen Subjektpositionen. Konkret zeigt sie z.B. Ethnisierungs-und `Othering’-prozesse wie auch Widerstandsbewegungen gegen die Duallogik im „Zwischen-den-Grenzen-leben“ auf ( 1996: 182 ).
Vgl. zum Dominanzbegriff auch Rommelspacher (1995) und Albrecht-Heide (1996).
In neueren psychoanalytischen Texten wird häufig der Begriff „Begehren“ dem des Triebes vorgezogen. Er bezeichnet die „seelisch-leibliche Antriebskraft zur Entwicklung einer ‘inneren Welt’, die zwar in Korrespondenz steht zur `äußeren Welt’, aber mit dieser nicht identisch ist” (Winterhager-Schmid 1998:40.
In der Tat erleben viele Menschen ihre eigene sexuelle Positionierung als essentiell. Einem konstruktivistischen Verständnis von Homo-oder Heterosexualität folgend, kann diese jedoch erst dann, wenn sie als Essenz bzw. als individualpsychologisches Entwicklungsergebnis konstruiert ist, auch entsprechend erfahren werden (vgl. Hark 1996a: 21 ).
Foucault (1977:200.
Während im Diskursfragment von Jule Alltag (1996) eine negative Fixierung auf den standardisierten Bezugsrahmen Heterosexualität zu erkennen ist, finden sich in den beiden anderen Fragmenten der Analyse positive Fixierungen. Die Wirkung der Fixierung bleibt, was die Bestätigung und mangelnde Überschreitung des Rahmens anbelangt, dieselbe.
Mein hier vorgenommener Rekurs auf das diesem Kapitel vorangestellt Zitat Foucaults fußt auf einer Lesart dieser in seinem Text uneindeutig eingebetteten Aussage, die den zu Grunde liegenden Gehalt als eine differenzierende Forschungsperspektive Foucaults wahrnimmt, die das Sowohl-als-auch vor dem Enweder-oder hervorhebt.
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Hartmann, J. (2002). Intervenieren und Perpetuieren — Konstruktionen in pädagogischen Diskursen zu den Machtfeldern Geschlecht — Sexualität — Lebensform. In: Vielfältige Lebensweisen. Forschung Erziehungswissenschaft, vol 157. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11756-8_4
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