Zusammenfassung
Der folgende Beitrag geht der Frage nach, wo im Bereich der sogenannten Wiedergutmachung für Verfolgte des Nationalsozialismus noch aktueller Regelungsund Entscheidungsbedarf besteht.1 Dabei konzentrieren sich die Ausführungen ganz auf den Bereich der materiellen Entschädigungen; die juristische Rehabilitierung, die ein eigenes umfangreiches und kompliziertes Kapitel bildet, kann hier nicht berücksichtigt werden. Die Aufgabe, den Umfang der ‚offenen Fragen‘ zu bestimmen, wirft große methodische Schwierigkeiten auf: Ein erster, eher theoretischer Weg wäre, von der Gesamtzahl der durch nationalsozialistische Verfolgung geschädigten Personen auszugehen — Schätzungen sprechen hier von wenigstens 20 Millionen Menschen.2 Das Ausmaß der ‚offenen Fragen‘ ließe sich dann als Differenz zu den bereits geregelten berechnen. Ein anderer, praktikablerer Weg könnte hingegen darin bestehen, von den aktuell artikulierten Forderungen auszugehen, die vor allem von Interessenvertretungen der NS-Verfolgten erhoben werden und sich auf die noch lebenden, mittlerweile hochbetagten Opfer beziehen. So leben heute noch etwa 200.000 jüdische Überlebende des Holocaust in aller Welt, von denen eine große Zahl bis heute keine materielle Entschädigung erhalten hat.3
Das Manuskript wurde im Mai 1998 abgeschlossen. Die seitdem eingetretenen neuen Entwicklungen konnten nicht mehr berücksichtigt werden.
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Literatur
Der Begriff „Wiedergutmachung“ ist insofern natürlich problematisch, als er die Vorstellung transportiert, das dem Vorgang zugrundeliegende Geschehen ließe sich rückgängig machen. Doch soll er hier als eingeführter Terminus technicus verwendet werden, sofern nicht präzisere Begriffe verfügbar sind.
Ludolf Herbst, Einleitung, in: Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von dems. u. , München 1989, S. 7–31, hier: S. 19.
Schreiben von Dr. K. Brozik (Claims Conference, Office for Germany) vom 27.4.1998.
Walter Schwarz, Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland. Ein Überblick, in: Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Herbst/Goschler, München 1989, S. 33–54, hier: S. 54.
Die folgenden Zahlenangaben nach einer schriftlichen Mitteilung des Bundesfinanzministeriums vom 2.4.1998.
Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland; Bundesgesetzblatt 1990, II, S. 1318 ff.
Beate Brüninghaus, Wiedergutmachung und andere Rentenleistungen, in: Zwangsarbeit bei Daimler-Benz, hrsg. v Barbara Hoppmann, Mark Spoerer, Birgit Weitz u. Beate Brüninghaus, Stuttgart 1994, S. 463–468, hier: S. 466 f.
Dokumentation des Bundesfinanzministeriums, Nr. 7/94 vom Oktober 1994, S. 11 f.
Schreiben von Dr. K. Brozik (Claims Conference, Office for Germany) vom 27.4.1998; Deutscher Bundestag, Drucksache 13/6844 vom 29.1.1997.
Schriftliche Auskunft von Hermann Evers (Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte e.V.) vom 14.4.1998. Danach betragen die monatlichen Leistungen, die jüdischen Verfolgten in Mittel-und Osteuropa gewährt werden können, mit 250 DM monatlich lediglich die Hälfte dessen, was seit 1992 den bisher leer ausgegangenen jüdischen Verfolgten in den Ländern des Westens zur Verfügung steht.
Schriftliche Mitteilung des Bundesfinanzministeriums vom 2.4.1998. Zur statistischen Problematik der Wiedergutmachung siehe auch Karl Heßdörfer, Finanzielle Bilanz, in: Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Herbst/Goschler, München 1989, S. 231–248.
Bundestags-Drucksache 13/6844 vom 29.1.1997.
Walter Schwarz, Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland. Ein Überblick, in: Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Herbst/Goschler, München 1989, S. 33–54, hier: S. 54.
Beispielhaft für diese Kritik ist Christian Pross, Wiedergutmachung. Der Kleinkrieg gegen die Opfer, Frankfurt a.M. 1988.
Schriftliche Mitteilung des Bundesfinanzministeriums vom 2.4.1998.
Schreiben von Dr. K. Brozik (Claims Conference, Office for Germany) vom 27.4.1998.
Deutscher Bundestag, Drucksache 13/1193 vom 25.4.1995.
Deutscher Bundestag, Drucksache 13/6824 vom 29.1.1997.
Ulrich Herbert, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Bonn 1985, S. 11.
Siehe zum folgenden Benjamin B. Ferencz, Lohn des Grauens. Die Entschädigung jüdischer Zwangsarbeiter — Ein offenes Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte, Frankfurt a.M./New York 1986; Constantin Goschler, Streit um Almosen. Die Entschädigung der KZ-Zwangsarbeiter durch die deutsche Nachkriegsindustrie, in: Dachauer Hefte, Heft 2: Sklavenarbeit im KZ, München 1993, S. 175–194; Ulrich Herbert, Nicht entschädigungsfähig?, in: Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Herbst/Goschler, München 1989, S. 273–302.
Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, Nr. C 36, 17.2.1986, S. 129 f.
Brüninghaus, Wiedergutmachung und andere Rentenleistungen, S. 465 f.
Elisabeth Bauschmidt, „Es gibt noch viele, die warten“, in: Süddeutsche Zeitung vom 6.11.1997.
Jeffrey Gold, Amerikanische und englische Agenturen zur Ford-Klage, Associated Press (1998).
„Allianz Leben sucht bei Holocaust-Opfern außergerichtliche Einigung“, dpa (1998).
„Erste Privatklage von Holocaust-Opfern gegen Versicherungen“, dpa (1997).
Vgl. dazu Hermann Langbein, Entschädigung für KZ-Häftlinge? Ein Erfahrungsbericht, in: Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Herbst/ Goschler, München 1989, S. 327–339.
Vgl. dazu Gilad Margalit, Sinte und andere Deutsche — Über ethnische Spiegelungen, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 26 (1997), S. 281–306, hier: S. 293 ff.
Hans Günter Hockerts, Die United Restitution Organization, in: Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Herbst/Goschler, München 1989, S. 249–272, hier: S. 269 ff.
Zu den Kontroversen innerhalb der Claims Conference über die politische Vorgehensweise siehe in historischer Perspektive Constantin Goschler, Wiedergutmachung. Westdeutschland und die Verfolgten des Nationalsozialismus, München 1992, v.a. S. 266 f.
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Goschler, C. (1998). Offene Fragen der Wiedergutmachung. In: König, H., Kohlstruck, M., Wöll, A. (eds) Vergangenheitsbewältigung am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts. Leviathan Sonderhefte, vol 18. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11730-8_3
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