Zusammenfassung
Häufig ohne explizit auf das klassische Anomiekonzept Bezug zu nehmen, beziehen sich vor allem in der Rechtsextremismusforschung neuere Ansätze in der Bundesrepublik sehr stark auf gesellschaftliche Desintegrations- und Modernisierungsprozesse. Die Ursache der fehlenden gesellschaftlichen Bindungsfähigkeit wird in ambivalenten Individualisierungsprozessen gesehen, die für den oder die Einzelne(n) Identitätskrisen und das Gefühl der Vereinzelung hervorrufen können.
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Literatur
Die lndividualisierungsdebatte ist zunächst eine sehr deutsche Diskussion, die stark durch Ulrich Becks “Risikogesellschaft” (1986) geprägt wurde. Mittlerweile ist sie auch in die internationale Wissenschaftsdiskussion vorgedrungen (vgl. Wohlrab-Sahr 1997), hat dort aber bezüglich der Erklärung von Ethnozentrismus einen geringeren Stellenwert.
Zugrunde liegt dieser These ein bestimmtes Menschenbild: der nicht zur Selbstbeschränkung fàhige Mensch, der erst durch die Kollektivgewalt gezähmt werden kann und muss. Die menschlichen Bedürfnisse sind schier grenzenlos und somit prinzipiell nicht zu erfüllen. Da dieser Zustand ein hohes Maß an Frustrationen auslöst, bedarf es einer externen Kraft, die Bedürfnisse und Leidenschaften zu regulieren und an die dem Menschen zur Verfügung stehenden Mittel anzupassen.
Den Aspekt der mangelnden Anpassung von gesellschaftlichen Zielen und zur Verfügung stehenden Mitteln greift Merton (1938, 1964, 1968/1949) einige Jahre später auf und macht ihn zum Kern seiner Anomietheorie. Noch stärker als die Arbeiten von Durkheim hat das Anomiekonzept von Merton sowohl sozialwissenschaftliche Theoriebildung als auch empirische Untersuchungen beeinflusst. Sein Ansatz hat vor allem die Kriminalsoziologie entscheidend geprägt, da er einen Zusammenhang zwischen der Sozialstruktur und abweichendem Verhalten (Kriminalität) postuliert (vgl. Bohle 1997). Die Unterschiede oder Gemeinsamkeiten der Hypothesen von Durkheim und Merton werden vielerorts diskutiert und differenziert bewertet. Die einen beschreiben den Ansatz von Merton als eine Ausarbeitung und Modifikation der Durkheimthesen, während andere wiederum beide Ansätze für wenig vereinbar halten (vgl. Hilbert 1989). Diese Debatte ist fur die folgenden Ausführungen von geringerer Bedeutung und wird deshalb hier nicht weiter diskutiert.
Diese 5 Dimensionen der Anomia entsprechen weitestgehend den drei Jahre spater von Seeman (1959) postulierten Subdimensionen von Entfremdung. Die Begriffe Entfremdung und Anomie werden bei Seeman synonym verhandelt, es finden sich somit keine Hinweise auf den theoretischen Zusammenhang der beiden Konstrukte. Aber auch Seeman weist auf den Zusammenhang der gesellschaftlichen Entfremdung und der Ausprägung von ethnischen Vorurteilen hin.
Auch Heitmeyer scheint den Individualisierungsbegriff in neueren Arbeiten stärker in eine theoretische Konzeption der Anomie einzubinden (vgl. Heitmeyer 1997b).
Die unterschiedlichen Positionen und Strömungen in der Kommunitarismusdiskussion sind komplex und nicht in wenigen Worten darzustellen. Ein Grundkonsens scheint jedoch die Kritik an einem mangelnden Gemeinschaftssinn in modernen liberalen Gesellschaften zu sein. Ein guter Überblick über die Debatte findet sich in dem Sammelband von Axel Honneth (1993).
Zugrunde liegt die These des “Fahrstuhl-Effekts”. Zwar blieben die Relationen sozialer Ungleichheit in der Nachkriegsentwicklung der Bundesrepublik weitgehend konstant, wurden aber insgesamt “eine Etage höher gefahren” (Beck 1986, S. 122). An anderer Stelle räumt aber auch Beck ein, dass die soziale Ungleichheit in einigen Bereichen “in erschreckendem Maße” zunimmt. (ebd., S. 143). Er diagnostiziert eine deutliche Steigerung der Einkommen von Selbständigen, bei ebenso deutlichen realen Einkommensverlusten der Bezieher von Arbeitslosenunterstützung und Sozialhilfe. Dieser Trend setzte sich auch in den 90er Jahren fort (vgl. Hanesch 1994; Eißel 2000). Die dramatischen sozialen, ökonomischen und politischen Veränderungen in Osteuropa seit Beginn der 1990er Jahre 40 In einem historisch wohl außergewöhnlichen Ausmaß wurden nach der Wiedervereinigung 3 Millionen Menschen aus ihrem Beschäftigungsverhältnis entlassen (vgl. W. Kühnel 1997).
Im 20 Jahrhundert konnte in Deutschland nur wahrend der Zeit des 1. Weltkrieges (19141918) ein ähnlicher Geburtenrückgang beobachtet werden (Lechner 1998).
Für ausführliche Methodenberichte der einzelnen Erhebungen vgl. http://www.zumamannheim.de.
Gegenüber der Originalskala von Srole besteht die in den ALLBUS Befragungen verwendete Skala nur aus vier Items. Die ursprüngliche Skala umfasste 5 Items.
Die deutsche Itemformulierung unterscheidet sich leicht von der Originalskala. Das ursprüngliche Item lautete: “Nowadays a person has to live pretty much for today and let tomorrow take care of itself’. Auch ist die Bezeichnung der zugrundeliegenden Dimension keine wörtliche, sondern eine sinngemäße: ”the indiviudals perception of the social order as essentially fickle and unpredictable“ (Srole 1956, S. 712).
Das Item anom2 wird zwar von Srole der kulturellen Dimension zugeordnet, es kann
Prinzipiell können Einstellungsunterschiede zwischen den west-und ostdeutschen Befragten entweder durch die unterschiedlichen Lebensbedingungen in beiden Teilen Deutschlands oder aber auch durch die historisch unterschiedlichen Sozialisationsbedingungen in der alten Bundesrepublik bzw. in der ehemaligen DDR erklärt werden (vgl. Braun 1993). Die hier diskutierten Items zielen allerdings eindeutig auf die aktuellen Lebensbedingungen ab, so dass nicht von Sozialisationseffekten auszugehen ist.
Üblicherweise sind die vorgegebenen Antwortkategorien: Unterschicht, Arbeiterschicht, Mittelschicht, obere Mittelschicht und Oberschicht.
Auf eine Variable, die den berufsbezogenen Status einer Person repräsentiert wie beispielsweise das Klassenschema von Erikson, Goldthorpe und Portocarero (vgl. Erikson und Goldthorbe 1992) wird verzichtet, da die im ALLBUS 96 vorliegende Klassifikation kein ordinales oder metrisches Skalenniveau aufweist. Zudem weist dieses Instrument auch einige Probleme bei der Zuordnung von nicht berufstätigen Frauen auf (vgl. Zentralarchiv für empirische Sozialforschung 1996, S. 387).
Hierbei handelt es sich um vier Residuenkorrelationen des Messmodells des Ethnozentrismus (vgl. Abbildung 5, S. 67): El und E2 (.10), El und E5 (.08), E2 und E4 (-.09), E2 und E6 (-.13), E5 und E6 (-.07). Weiterhin handelt es sich um zwei Residuenkorrelationen des Ursachenmodells der Anomie (vgl. Abbildung 11, S. 110) E9 und E8 (.23) und E9 und El1 (-.06). Die zusätzlichen signifikant geschätzten Residuenkorrelationen sind: D3 und Elf (.07), D3 und E7 (-.12), E6 und Elf (.10), E4 und E10 (.08), E4 und E12 (.08), E8 und E2 (.06), E9 und D5 (-.09) sowie E8 und D3 (-.06).
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Herrmann, A. (2001). Gesellschaftliche Desintegrationsprozesse und Anomie. In: Ursachen des Ethnozentrismus in Deutschland. Forschung Soziologie , vol 130. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11707-0_5
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-11707-0_5
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